haften Schriftstellern zeigte Kotzebue den Juden das meiste Wohlwollen, der Todfeind der jungen Teutonen fühlte sich durch eine innere Wahl- verwandtschaft zu Saul Ascher hingezogen; doch auch er meinte, erst müßte die Cultur der Juden "durch eine Art von Bekehrung" gründlich umge- staltet werden bevor sie die Gleichberechtigung erlangen könnten. Die sofortige Emancipation forderten nur einzelne wenig bekannte christliche Publicisten, so Lips in Erlangen, der die deutsche Nation durch die Bei- mischung jüdischen Blutes beweglicher machen wollte.
Der Haß wider die Juden war so stark und allgemein, daß die öffent- liche Meinung selbst in einem Falle, wo ihnen offenbare Unbill wider- fuhr, fast einstimmig gegen sie Partei nahm: in dem häßlichen Frank- furter Judenstreite. Wie schwer hatten sich doch die verbündeten Mächte an unserer alten Kaiserstadt versündigt, als sie ihr den leeren Titel einer unhaltbaren Souveränität verliehen. Frankfurt war zur Zeit des Reichs, trotz seines reichsstädtischen Namens, immer die Stadt des Kaisers gewesen, den Befehlen des Monarchen unmittelbar unterworfen, und zeich- nete sich vor allen andern deutschen Städten durch den lebendigen Ge- meinsinn eines reichen, thätigen, gebildeten Bürgerthums rühmlich aus; eben jetzt, nach den Kriegen, wurden das Senckenbergische Institut und das Städel'sche Museum eröffnet, eine Menge gemeinnütziger Vereine begann eine großartige Thätigkeit. Die schöne Stadt konnte unter der Hoheit einer kräftigen Staatsgewalt das Musterbild einer deutschen Commune werden. Nun aber erhielt sie mitsammt den achtehalb Ortschaften ihres Gebiets die volle Unabhängigkeit eines souveränen Staats, nur für Ver- fassungsstreitigkeiten war dem Deutschen Bunde ein Schiedsrichteramt vor- behalten, das hinter den monarchischen Herrschaftsrechten der alten Kaiser weit zurückblieb; nun drang mit der Gesandtenschaar des Bundestags ein höfisches Element ein, das den ehrenfesten bürgerlichen Geist verfälschte, viele der alten Patriciergeschlechter und die gesammte Börsenwelt in das Ränkespiel der Diplomatie verwickelte.
Aus so unnatürlichen Verhältnissen erwuchs ein krankhafter Dünkel. Die Bürgerschaft betrachtete "die Vaterstadt" als die Hauptstadt Deutsch- lands und mißbrauchte ihre neugewonnene Souveränität mit der ganzen Un- befangenheit jener socialen Selbstsucht, welche in den Gemeinden fast immer das große Wort führt, wenn sie nicht durch die Gerechtigkeit einer monar- chischen Staatsgewalt gebändigt wird. Die neue Verfassung von 1816 sicherte den eingesessenen Bürger sorgsam vor dem Wettbewerb der Aus- heimischen; nur wer 5000 Gulden einbrachte oder eine Frankfurterin heirathete, sollte das Bürgerrecht erlangen. Derselbe Sinn pfahlbürger- licher Engherzigkeit verschuldete auch, daß die Juden des Bürgerrechts, das sie sich von Dalberg erkauft hatten, wieder beraubt wurden. Mit unge- heurem Geschrei setzten sie sich sofort zur Wehre, der junge Ludwig Börne trat mit seiner scharfen Feder für die bedrängten Stammgenossen ein.
II. 6. Die Burſchenſchaft.
haften Schriftſtellern zeigte Kotzebue den Juden das meiſte Wohlwollen, der Todfeind der jungen Teutonen fühlte ſich durch eine innere Wahl- verwandtſchaft zu Saul Aſcher hingezogen; doch auch er meinte, erſt müßte die Cultur der Juden „durch eine Art von Bekehrung“ gründlich umge- ſtaltet werden bevor ſie die Gleichberechtigung erlangen könnten. Die ſofortige Emancipation forderten nur einzelne wenig bekannte chriſtliche Publiciſten, ſo Lips in Erlangen, der die deutſche Nation durch die Bei- miſchung jüdiſchen Blutes beweglicher machen wollte.
Der Haß wider die Juden war ſo ſtark und allgemein, daß die öffent- liche Meinung ſelbſt in einem Falle, wo ihnen offenbare Unbill wider- fuhr, faſt einſtimmig gegen ſie Partei nahm: in dem häßlichen Frank- furter Judenſtreite. Wie ſchwer hatten ſich doch die verbündeten Mächte an unſerer alten Kaiſerſtadt verſündigt, als ſie ihr den leeren Titel einer unhaltbaren Souveränität verliehen. Frankfurt war zur Zeit des Reichs, trotz ſeines reichsſtädtiſchen Namens, immer die Stadt des Kaiſers geweſen, den Befehlen des Monarchen unmittelbar unterworfen, und zeich- nete ſich vor allen andern deutſchen Städten durch den lebendigen Ge- meinſinn eines reichen, thätigen, gebildeten Bürgerthums rühmlich aus; eben jetzt, nach den Kriegen, wurden das Senckenbergiſche Inſtitut und das Städel’ſche Muſeum eröffnet, eine Menge gemeinnütziger Vereine begann eine großartige Thätigkeit. Die ſchöne Stadt konnte unter der Hoheit einer kräftigen Staatsgewalt das Muſterbild einer deutſchen Commune werden. Nun aber erhielt ſie mitſammt den achtehalb Ortſchaften ihres Gebiets die volle Unabhängigkeit eines ſouveränen Staats, nur für Ver- faſſungsſtreitigkeiten war dem Deutſchen Bunde ein Schiedsrichteramt vor- behalten, das hinter den monarchiſchen Herrſchaftsrechten der alten Kaiſer weit zurückblieb; nun drang mit der Geſandtenſchaar des Bundestags ein höfiſches Element ein, das den ehrenfeſten bürgerlichen Geiſt verfälſchte, viele der alten Patriciergeſchlechter und die geſammte Börſenwelt in das Ränkeſpiel der Diplomatie verwickelte.
Aus ſo unnatürlichen Verhältniſſen erwuchs ein krankhafter Dünkel. Die Bürgerſchaft betrachtete „die Vaterſtadt“ als die Hauptſtadt Deutſch- lands und mißbrauchte ihre neugewonnene Souveränität mit der ganzen Un- befangenheit jener ſocialen Selbſtſucht, welche in den Gemeinden faſt immer das große Wort führt, wenn ſie nicht durch die Gerechtigkeit einer monar- chiſchen Staatsgewalt gebändigt wird. Die neue Verfaſſung von 1816 ſicherte den eingeſeſſenen Bürger ſorgſam vor dem Wettbewerb der Aus- heimiſchen; nur wer 5000 Gulden einbrachte oder eine Frankfurterin heirathete, ſollte das Bürgerrecht erlangen. Derſelbe Sinn pfahlbürger- licher Engherzigkeit verſchuldete auch, daß die Juden des Bürgerrechts, das ſie ſich von Dalberg erkauft hatten, wieder beraubt wurden. Mit unge- heurem Geſchrei ſetzten ſie ſich ſofort zur Wehre, der junge Ludwig Börne trat mit ſeiner ſcharfen Feder für die bedrängten Stammgenoſſen ein.
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der Todfeind der jungen Teutonen fühlte ſich durch eine innere Wahl-
verwandtſchaft zu Saul Aſcher hingezogen; doch auch er meinte, erſt müßte
die Cultur der Juden „durch eine Art von Bekehrung“ gründlich umge-
ſtaltet werden bevor ſie die Gleichberechtigung erlangen könnten. Die
ſofortige Emancipation forderten nur einzelne wenig bekannte chriſtliche
Publiciſten, ſo Lips in Erlangen, der die deutſche Nation durch die Bei-
miſchung jüdiſchen Blutes beweglicher machen wollte.
Der Haß wider die Juden war ſo ſtark und allgemein, daß die öffent-
liche Meinung ſelbſt in einem Falle, wo ihnen offenbare Unbill wider-
fuhr, faſt einſtimmig gegen ſie Partei nahm: in dem häßlichen Frank-
furter Judenſtreite. Wie ſchwer hatten ſich doch die verbündeten Mächte
an unſerer alten Kaiſerſtadt verſündigt, als ſie ihr den leeren Titel
einer unhaltbaren Souveränität verliehen. Frankfurt war zur Zeit des
Reichs, trotz ſeines reichsſtädtiſchen Namens, immer die Stadt des Kaiſers
geweſen, den Befehlen des Monarchen unmittelbar unterworfen, und zeich-
nete ſich vor allen andern deutſchen Städten durch den lebendigen Ge-
meinſinn eines reichen, thätigen, gebildeten Bürgerthums rühmlich aus;
eben jetzt, nach den Kriegen, wurden das Senckenbergiſche Inſtitut und das
Städel’ſche Muſeum eröffnet, eine Menge gemeinnütziger Vereine begann
eine großartige Thätigkeit. Die ſchöne Stadt konnte unter der Hoheit
einer kräftigen Staatsgewalt das Muſterbild einer deutſchen Commune
werden. Nun aber erhielt ſie mitſammt den achtehalb Ortſchaften ihres
Gebiets die volle Unabhängigkeit eines ſouveränen Staats, nur für Ver-
faſſungsſtreitigkeiten war dem Deutſchen Bunde ein Schiedsrichteramt vor-
behalten, das hinter den monarchiſchen Herrſchaftsrechten der alten Kaiſer
weit zurückblieb; nun drang mit der Geſandtenſchaar des Bundestags ein
höfiſches Element ein, das den ehrenfeſten bürgerlichen Geiſt verfälſchte,
viele der alten Patriciergeſchlechter und die geſammte Börſenwelt in das
Ränkeſpiel der Diplomatie verwickelte.
Aus ſo unnatürlichen Verhältniſſen erwuchs ein krankhafter Dünkel.
Die Bürgerſchaft betrachtete „die Vaterſtadt“ als die Hauptſtadt Deutſch-
lands und mißbrauchte ihre neugewonnene Souveränität mit der ganzen Un-
befangenheit jener ſocialen Selbſtſucht, welche in den Gemeinden faſt immer
das große Wort führt, wenn ſie nicht durch die Gerechtigkeit einer monar-
chiſchen Staatsgewalt gebändigt wird. Die neue Verfaſſung von 1816
ſicherte den eingeſeſſenen Bürger ſorgſam vor dem Wettbewerb der Aus-
heimiſchen; nur wer 5000 Gulden einbrachte oder eine Frankfurterin
heirathete, ſollte das Bürgerrecht erlangen. Derſelbe Sinn pfahlbürger-
licher Engherzigkeit verſchuldete auch, daß die Juden des Bürgerrechts, das
ſie ſich von Dalberg erkauft hatten, wieder beraubt wurden. Mit unge-
heurem Geſchrei ſetzten ſie ſich ſofort zur Wehre, der junge Ludwig Börne
trat mit ſeiner ſcharfen Feder für die bedrängten Stammgenoſſen ein.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/434>, abgerufen am 22.11.2024.
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