Geheimbünden des alten Jahrhunderts verschwanden auch ihre Geistes- verwandten, die Orden der Studenten. Die Landsmannschaften, die seit- dem wieder auflebten, bewachten eifersüchtig ihre geschlossenen Werbebe- zirke, pflegten einen kleinlichen partikularistischen Sinn, der alles Aushei- mische dünkelhaft abwies, und ertödeten jedes kräftige Selbstgefühl durch einen brutalen Pennalismus. Der Fuchs durfte nicht klagen, wenn ein heruntergekommenes altes Haus ihm ein Smollis anbot und darauf mit ihm hutschte: dann mußte er Alles, was er auf dem Leibe trug, Kleider, Uhr und Geld gegen die dürftigen Lumpen seines Gönners vertauschen. Wer in dieser Schule aufwuchs lernte die Kunst nach oben zu ducken, nach unten zu drucken.
Wie oft hatte Fichte einst in Jena und in Berlin gegen dies Unwesen geeifert. Unter seinen Getreuen entstand bereits im Jahre 1811 der Plan einer Burschenschaft oder Deutsch-Jüngerschaft; der Philosoph billigte das Unternehmen und fügte nur, da er seine Leute kannte, die besonnene Mahnung hinzu: die Burschen sollten sich hüten, mittelalterlich und deutsch zu verwechseln, und das Mittel, die Verbindung, nicht höher stellen als den Zweck, die Belebung deutschen Sinnes. An diese Berliner Entwürfe knüpften jetzt die Jenenser wieder an. Sie kannten den Ernst des Waffen- handwerks und wollten durch Ehrengerichte die rohe Rauflust bändigen; sie hatten im Kriege als eines Volkes Söhne Schulter an Schulter ge- kämpft und forderten völlige Gleichheit aller Studenten, Abschaffung des Pennalismus und aller der Vorrechte, welche der Grafenbank noch auf manchen Universitäten zustanden. Ihr letzter und höchster Gedanke aber blieb die Einheit Deutschlands: in einem einzigen großen Jugendbunde, der alle landsmannschaftliche Sonderbünde vernichtete, sollte sich die Macht und Herrlichkeit des Vaterlandes verkörpern.
Arndts Vaterlandslied bildete das eigentliche Programm der Bur- schenschaft, Freund und Feind betrachteten den Dichter als den Führer der teutonischen Jugend, obgleich er an den Entwürfen des jungen Volks unmittelbar gar keinen Antheil nahm. Nach einem langen be- wegten Wanderleben war er jetzt endlich in Bonn zur Ruhe gekommen und baute für sich und seine junge Frau, die Schwester Schleiermachers, ein bescheidenes Gartenhaus auf der Höhe dicht am Rhein; hier dachte er "die Herrlichkeit des Siebengebirges grade aufs Korn zu nehmen" und in stillem Glück sich zu sammeln für die Arbeit des Katheders. Wohl schwärmte er so treuherzig wie der jüngste Bursch für "die goldene akade- mische Freiheit, die uralte und herrlichste Ritterschaft der Germanen"; aber als ihn ein Heidelberger Student über die Reform des akademischen Lebens befragte, da warnte er seine jungen Freunde, in der Schrift über den deutschen Studentenstaat, nachdrücklich vor radikalen Thorheiten: "lieber das Bestehende walten lassen als das unerreichbare Vollkommene erstreben." Längst hatte er sich in treuer Liebe an Preußen und sein
Arndt und die Jugend.
Geheimbünden des alten Jahrhunderts verſchwanden auch ihre Geiſtes- verwandten, die Orden der Studenten. Die Landsmannſchaften, die ſeit- dem wieder auflebten, bewachten eiferſüchtig ihre geſchloſſenen Werbebe- zirke, pflegten einen kleinlichen partikulariſtiſchen Sinn, der alles Aushei- miſche dünkelhaft abwies, und ertödeten jedes kräftige Selbſtgefühl durch einen brutalen Pennalismus. Der Fuchs durfte nicht klagen, wenn ein heruntergekommenes altes Haus ihm ein Smollis anbot und darauf mit ihm hutſchte: dann mußte er Alles, was er auf dem Leibe trug, Kleider, Uhr und Geld gegen die dürftigen Lumpen ſeines Gönners vertauſchen. Wer in dieſer Schule aufwuchs lernte die Kunſt nach oben zu ducken, nach unten zu drucken.
Wie oft hatte Fichte einſt in Jena und in Berlin gegen dies Unweſen geeifert. Unter ſeinen Getreuen entſtand bereits im Jahre 1811 der Plan einer Burſchenſchaft oder Deutſch-Jüngerſchaft; der Philoſoph billigte das Unternehmen und fügte nur, da er ſeine Leute kannte, die beſonnene Mahnung hinzu: die Burſchen ſollten ſich hüten, mittelalterlich und deutſch zu verwechſeln, und das Mittel, die Verbindung, nicht höher ſtellen als den Zweck, die Belebung deutſchen Sinnes. An dieſe Berliner Entwürfe knüpften jetzt die Jenenſer wieder an. Sie kannten den Ernſt des Waffen- handwerks und wollten durch Ehrengerichte die rohe Raufluſt bändigen; ſie hatten im Kriege als eines Volkes Söhne Schulter an Schulter ge- kämpft und forderten völlige Gleichheit aller Studenten, Abſchaffung des Pennalismus und aller der Vorrechte, welche der Grafenbank noch auf manchen Univerſitäten zuſtanden. Ihr letzter und höchſter Gedanke aber blieb die Einheit Deutſchlands: in einem einzigen großen Jugendbunde, der alle landsmannſchaftliche Sonderbünde vernichtete, ſollte ſich die Macht und Herrlichkeit des Vaterlandes verkörpern.
Arndts Vaterlandslied bildete das eigentliche Programm der Bur- ſchenſchaft, Freund und Feind betrachteten den Dichter als den Führer der teutoniſchen Jugend, obgleich er an den Entwürfen des jungen Volks unmittelbar gar keinen Antheil nahm. Nach einem langen be- wegten Wanderleben war er jetzt endlich in Bonn zur Ruhe gekommen und baute für ſich und ſeine junge Frau, die Schweſter Schleiermachers, ein beſcheidenes Gartenhaus auf der Höhe dicht am Rhein; hier dachte er „die Herrlichkeit des Siebengebirges grade aufs Korn zu nehmen“ und in ſtillem Glück ſich zu ſammeln für die Arbeit des Katheders. Wohl ſchwärmte er ſo treuherzig wie der jüngſte Burſch für „die goldene akade- miſche Freiheit, die uralte und herrlichſte Ritterſchaft der Germanen“; aber als ihn ein Heidelberger Student über die Reform des akademiſchen Lebens befragte, da warnte er ſeine jungen Freunde, in der Schrift über den deutſchen Studentenſtaat, nachdrücklich vor radikalen Thorheiten: „lieber das Beſtehende walten laſſen als das unerreichbare Vollkommene erſtreben.“ Längſt hatte er ſich in treuer Liebe an Preußen und ſein
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Arndt und die Jugend.
Geheimbünden des alten Jahrhunderts verſchwanden auch ihre Geiſtes-
verwandten, die Orden der Studenten. Die Landsmannſchaften, die ſeit-
dem wieder auflebten, bewachten eiferſüchtig ihre geſchloſſenen Werbebe-
zirke, pflegten einen kleinlichen partikulariſtiſchen Sinn, der alles Aushei-
miſche dünkelhaft abwies, und ertödeten jedes kräftige Selbſtgefühl durch
einen brutalen Pennalismus. Der Fuchs durfte nicht klagen, wenn ein
heruntergekommenes altes Haus ihm ein Smollis anbot und darauf mit
ihm hutſchte: dann mußte er Alles, was er auf dem Leibe trug, Kleider,
Uhr und Geld gegen die dürftigen Lumpen ſeines Gönners vertauſchen.
Wer in dieſer Schule aufwuchs lernte die Kunſt nach oben zu ducken,
nach unten zu drucken.
Wie oft hatte Fichte einſt in Jena und in Berlin gegen dies Unweſen
geeifert. Unter ſeinen Getreuen entſtand bereits im Jahre 1811 der Plan
einer Burſchenſchaft oder Deutſch-Jüngerſchaft; der Philoſoph billigte das
Unternehmen und fügte nur, da er ſeine Leute kannte, die beſonnene
Mahnung hinzu: die Burſchen ſollten ſich hüten, mittelalterlich und deutſch
zu verwechſeln, und das Mittel, die Verbindung, nicht höher ſtellen als
den Zweck, die Belebung deutſchen Sinnes. An dieſe Berliner Entwürfe
knüpften jetzt die Jenenſer wieder an. Sie kannten den Ernſt des Waffen-
handwerks und wollten durch Ehrengerichte die rohe Raufluſt bändigen;
ſie hatten im Kriege als eines Volkes Söhne Schulter an Schulter ge-
kämpft und forderten völlige Gleichheit aller Studenten, Abſchaffung des
Pennalismus und aller der Vorrechte, welche der Grafenbank noch auf
manchen Univerſitäten zuſtanden. Ihr letzter und höchſter Gedanke aber
blieb die Einheit Deutſchlands: in einem einzigen großen Jugendbunde, der
alle landsmannſchaftliche Sonderbünde vernichtete, ſollte ſich die Macht
und Herrlichkeit des Vaterlandes verkörpern.
Arndts Vaterlandslied bildete das eigentliche Programm der Bur-
ſchenſchaft, Freund und Feind betrachteten den Dichter als den Führer
der teutoniſchen Jugend, obgleich er an den Entwürfen des jungen
Volks unmittelbar gar keinen Antheil nahm. Nach einem langen be-
wegten Wanderleben war er jetzt endlich in Bonn zur Ruhe gekommen
und baute für ſich und ſeine junge Frau, die Schweſter Schleiermachers,
ein beſcheidenes Gartenhaus auf der Höhe dicht am Rhein; hier dachte
er „die Herrlichkeit des Siebengebirges grade aufs Korn zu nehmen“ und
in ſtillem Glück ſich zu ſammeln für die Arbeit des Katheders. Wohl
ſchwärmte er ſo treuherzig wie der jüngſte Burſch für „die goldene akade-
miſche Freiheit, die uralte und herrlichſte Ritterſchaft der Germanen“;
aber als ihn ein Heidelberger Student über die Reform des akademiſchen
Lebens befragte, da warnte er ſeine jungen Freunde, in der Schrift über
den deutſchen Studentenſtaat, nachdrücklich vor radikalen Thorheiten:
„lieber das Beſtehende walten laſſen als das unerreichbare Vollkommene
erſtreben.“ Längſt hatte er ſich in treuer Liebe an Preußen und ſein
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/427>, abgerufen am 22.11.2024.
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