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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Universität Jena.

Der alte Goethe fühlte sich wie in der verkehrten Welt, als sein
friedlicher Musensitz sich so plötzlich in ein lärmendes Forum verwandelte,
und die akademischen Publicisten in der Presse gleichsam als die Erben
der Dichter-Dioskuren gefeiert wurden. Er ahnte schlimme Folgen und
warnte Luden: wir verfügen nicht über 100,000 Bajonette um Euch zu
beschützen! Als die Regierung sodann mit einer Verwarnung gegen Oken
vorgehen wollte, da rieth Goethe dem Herzog ab: solche Ermahnungen
seien nutzlos und, einem so verdienten Manne gegenüber, unziemlich;
besser daher -- so fuhr er mit souveräner Geringschätzung der neuen Ver-
fassung fort -- man lasse den gelehrten Hitzkopf ganz aus dem Spiele
und verbiete einfach dem Drucker die Fortsetzung des "catilinarischen"
Unternehmens. So ernst wollte der herzhafte Karl August die politischen
Saturnalien seiner Gelehrten doch nicht nehmen. Er ließ es bei einigen
gelegentlichen Warnungen und Beschlagnahmen bewenden; aber auch er
sah immer mit Unmuth einer "neuen Niederkunft Monsieur Okens" ent-
gegen, denn die Beschwerden der in der Isis Mißhandelten nahmen kein
Ende. Am Lautesten klagte Geh. Rath v. Kamptz in Berlin, ein ausge-
zeichneter Jurist und brauchbarer Beamter, allbekannt als fanatischer Re-
aktionär. Der wurde von Oken zu den "abgedroschenen Leuten" gerechnet
und verwahrte sich drohend wider diesen "Blauen-Montags-Ton". Wer
den harten Mann kannte, mußte wissen, daß er sich mit Worten nicht
begnügen würde. --

Wie konnte die akademische Jugend ruhig bleiben in dieser wunder-
lich erregten kleinen Welt? Die großen Tage der Jenenser Hochschule
waren schon um das Jahr 1803 zu Ende gegangen, mit den wissenschaft-
lichen Kräften von Heidelberg oder Berlin vermochte sie sich längst nicht
mehr zu vergleichen; doch der Glanz jener reichen Zeit haftete noch an
ihrem Namen und von jeher stand die ungebundene Freiheit ihres Stu-
dentenlebens bei der deutschen Jugend in gutem Rufe. "Und in Jena lebt
sich's bene" sagte ein altes Studentenlied. In keiner anderen Universitäts-
stadt herrschte der Student so unumschränkt; noch in den neunziger Jahren
war das junge Volk einmal in hellen Haufen ausgezogen um nöthigen-
falls nach Erfurt überzusiedeln, und erst als ihm die geängsteten Behör-
den alle seine Wünsche erfüllten, triumphirend zurückgekehrt. In scharfem
Gegensatze zu dem galanten Leipzig behielt das Jenenser Leben immer
einen derben, naturwüchsigen, jugendlichen Ton, der den einfachen Sitten
des Landes entsprach. Wie der Ziegenhainer Knotenstock, damals noch
der unzertrennliche Begleiter des deutschen Studenten, nur im Saalethal
echt zu finden war, so stand auch der reichhaltige Jenenser Comment auf
allen Kneipen und Fechtböden Deutschlands in hohem Ansehen; manche
uralte Burschenbräuche, wie das Blutbrüderschaft-Trinken, erhielten sich
hier noch bis in das neue Jahrhundert hinein. Trotz aller Roheit lag
doch ein idealistischer Hauch über dem lauten Treiben, ein romantischer

Univerſität Jena.

Der alte Goethe fühlte ſich wie in der verkehrten Welt, als ſein
friedlicher Muſenſitz ſich ſo plötzlich in ein lärmendes Forum verwandelte,
und die akademiſchen Publiciſten in der Preſſe gleichſam als die Erben
der Dichter-Dioskuren gefeiert wurden. Er ahnte ſchlimme Folgen und
warnte Luden: wir verfügen nicht über 100,000 Bajonette um Euch zu
beſchützen! Als die Regierung ſodann mit einer Verwarnung gegen Oken
vorgehen wollte, da rieth Goethe dem Herzog ab: ſolche Ermahnungen
ſeien nutzlos und, einem ſo verdienten Manne gegenüber, unziemlich;
beſſer daher — ſo fuhr er mit ſouveräner Geringſchätzung der neuen Ver-
faſſung fort — man laſſe den gelehrten Hitzkopf ganz aus dem Spiele
und verbiete einfach dem Drucker die Fortſetzung des „catilinariſchen“
Unternehmens. So ernſt wollte der herzhafte Karl Auguſt die politiſchen
Saturnalien ſeiner Gelehrten doch nicht nehmen. Er ließ es bei einigen
gelegentlichen Warnungen und Beſchlagnahmen bewenden; aber auch er
ſah immer mit Unmuth einer „neuen Niederkunft Monſieur Okens“ ent-
gegen, denn die Beſchwerden der in der Iſis Mißhandelten nahmen kein
Ende. Am Lauteſten klagte Geh. Rath v. Kamptz in Berlin, ein ausge-
zeichneter Juriſt und brauchbarer Beamter, allbekannt als fanatiſcher Re-
aktionär. Der wurde von Oken zu den „abgedroſchenen Leuten“ gerechnet
und verwahrte ſich drohend wider dieſen „Blauen-Montags-Ton“. Wer
den harten Mann kannte, mußte wiſſen, daß er ſich mit Worten nicht
begnügen würde. —

Wie konnte die akademiſche Jugend ruhig bleiben in dieſer wunder-
lich erregten kleinen Welt? Die großen Tage der Jenenſer Hochſchule
waren ſchon um das Jahr 1803 zu Ende gegangen, mit den wiſſenſchaft-
lichen Kräften von Heidelberg oder Berlin vermochte ſie ſich längſt nicht
mehr zu vergleichen; doch der Glanz jener reichen Zeit haftete noch an
ihrem Namen und von jeher ſtand die ungebundene Freiheit ihres Stu-
dentenlebens bei der deutſchen Jugend in gutem Rufe. „Und in Jena lebt
ſich’s bene“ ſagte ein altes Studentenlied. In keiner anderen Univerſitäts-
ſtadt herrſchte der Student ſo unumſchränkt; noch in den neunziger Jahren
war das junge Volk einmal in hellen Haufen ausgezogen um nöthigen-
falls nach Erfurt überzuſiedeln, und erſt als ihm die geängſteten Behör-
den alle ſeine Wünſche erfüllten, triumphirend zurückgekehrt. In ſcharfem
Gegenſatze zu dem galanten Leipzig behielt das Jenenſer Leben immer
einen derben, naturwüchſigen, jugendlichen Ton, der den einfachen Sitten
des Landes entſprach. Wie der Ziegenhainer Knotenſtock, damals noch
der unzertrennliche Begleiter des deutſchen Studenten, nur im Saalethal
echt zu finden war, ſo ſtand auch der reichhaltige Jenenſer Comment auf
allen Kneipen und Fechtböden Deutſchlands in hohem Anſehen; manche
uralte Burſchenbräuche, wie das Blutbrüderſchaft-Trinken, erhielten ſich
hier noch bis in das neue Jahrhundert hinein. Trotz aller Roheit lag
doch ein idealiſtiſcher Hauch über dem lauten Treiben, ein romantiſcher

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[411/0425] Univerſität Jena. Der alte Goethe fühlte ſich wie in der verkehrten Welt, als ſein friedlicher Muſenſitz ſich ſo plötzlich in ein lärmendes Forum verwandelte, und die akademiſchen Publiciſten in der Preſſe gleichſam als die Erben der Dichter-Dioskuren gefeiert wurden. Er ahnte ſchlimme Folgen und warnte Luden: wir verfügen nicht über 100,000 Bajonette um Euch zu beſchützen! Als die Regierung ſodann mit einer Verwarnung gegen Oken vorgehen wollte, da rieth Goethe dem Herzog ab: ſolche Ermahnungen ſeien nutzlos und, einem ſo verdienten Manne gegenüber, unziemlich; beſſer daher — ſo fuhr er mit ſouveräner Geringſchätzung der neuen Ver- faſſung fort — man laſſe den gelehrten Hitzkopf ganz aus dem Spiele und verbiete einfach dem Drucker die Fortſetzung des „catilinariſchen“ Unternehmens. So ernſt wollte der herzhafte Karl Auguſt die politiſchen Saturnalien ſeiner Gelehrten doch nicht nehmen. Er ließ es bei einigen gelegentlichen Warnungen und Beſchlagnahmen bewenden; aber auch er ſah immer mit Unmuth einer „neuen Niederkunft Monſieur Okens“ ent- gegen, denn die Beſchwerden der in der Iſis Mißhandelten nahmen kein Ende. Am Lauteſten klagte Geh. Rath v. Kamptz in Berlin, ein ausge- zeichneter Juriſt und brauchbarer Beamter, allbekannt als fanatiſcher Re- aktionär. Der wurde von Oken zu den „abgedroſchenen Leuten“ gerechnet und verwahrte ſich drohend wider dieſen „Blauen-Montags-Ton“. Wer den harten Mann kannte, mußte wiſſen, daß er ſich mit Worten nicht begnügen würde. — Wie konnte die akademiſche Jugend ruhig bleiben in dieſer wunder- lich erregten kleinen Welt? Die großen Tage der Jenenſer Hochſchule waren ſchon um das Jahr 1803 zu Ende gegangen, mit den wiſſenſchaft- lichen Kräften von Heidelberg oder Berlin vermochte ſie ſich längſt nicht mehr zu vergleichen; doch der Glanz jener reichen Zeit haftete noch an ihrem Namen und von jeher ſtand die ungebundene Freiheit ihres Stu- dentenlebens bei der deutſchen Jugend in gutem Rufe. „Und in Jena lebt ſich’s bene“ ſagte ein altes Studentenlied. In keiner anderen Univerſitäts- ſtadt herrſchte der Student ſo unumſchränkt; noch in den neunziger Jahren war das junge Volk einmal in hellen Haufen ausgezogen um nöthigen- falls nach Erfurt überzuſiedeln, und erſt als ihm die geängſteten Behör- den alle ſeine Wünſche erfüllten, triumphirend zurückgekehrt. In ſcharfem Gegenſatze zu dem galanten Leipzig behielt das Jenenſer Leben immer einen derben, naturwüchſigen, jugendlichen Ton, der den einfachen Sitten des Landes entſprach. Wie der Ziegenhainer Knotenſtock, damals noch der unzertrennliche Begleiter des deutſchen Studenten, nur im Saalethal echt zu finden war, ſo ſtand auch der reichhaltige Jenenſer Comment auf allen Kneipen und Fechtböden Deutſchlands in hohem Anſehen; manche uralte Burſchenbräuche, wie das Blutbrüderſchaft-Trinken, erhielten ſich hier noch bis in das neue Jahrhundert hinein. Trotz aller Roheit lag doch ein idealiſtiſcher Hauch über dem lauten Treiben, ein romantiſcher

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/425>, abgerufen am 22.11.2024.