schichte wurden, wie vordem Fichtes und Schellings Collegien, der Sam- melplatz für die Masse der Studentenschaft; der liebenswürdige Idealis- mus, der aus seinem ganzen Wesen sprach, die patriotische Wärme und der leichte Redefluß seiner Vorträge erwarben ihm bei der Jugend ein Ansehen, das vierzig Jahre lang unerschüttert blieb. Wer den wohl- meinenden Mann nur nach seinen Büchern beurtheilte, konnte sich diese glänzenden Lehrer-Erfolge kaum erklären; seine historischen Schriften waren arm an neuen Gedanken, noch ärmer an selbständiger Forschung, und von der strengen Gedankenarbeit, welche die politische Wissenschaft ihren Jüngern auferlegt, ahnte er so wenig, daß er schon in seinem einund- dreißigsten Jahre (1811) wohlgemuth ein an harmlosen Gemeinplätzen überreiches Handbuch der Staatsweisheit herausgeben konnte.
Wie anders als die ehrbar langweilige Nemesis ging die Isis ins Zeug, wohl die sonderbarste politische Zeitschrift unserer Geschichte, ein unvergleichliches Probstück gelehrter Narrheit. Als Naturforscher hatte sich Oken trotz mancher Wunderlichkeiten einen wohlverdienten Ruhm er- worben; in den politischen Kampf brachte er kein anderes Rüstzeug mit, als eine grundehrliche vaterländische Begeisterung, einige unklare demo- kratische Begriffe, eine unersättliche Rauflust und den kindlichen Wahn, daß die freie Presse alle Wunden, die sie geschlagen, auch wieder heilen werde. "Die Geschichte, so rief er in seiner Ankündigung, schreitet daher als ein schauerlicher Riese über Strom und Felsen, über Loco sigilli und Schlagbäume, lachend über solche Anstalten, welche Geist und Sinn fangen wollen und im Fang überpurzeln. Alles ist gut und Alles muß zugelassen werden." Seine Leser sollten den Sinn und den Unsinn der Zeit, die Würde wie die Petulanz kennen lernen; selbst die Grobheit, die Lüge und Verleumdung schloß er nicht aus und befahl den Ange- griffenen im Voraus, sich nur literarisch zu rächen. Der burschikose Auf- ruf fand nur zu willige Hörer. Alle Hitzköpfe der gelehrten Welt gaben sich ein Stelldichein auf dem großen Fechtboden dieser "Encyclopädischen Zeitung". Da standen neben zoologischen Bildern und Abhandlungen -- dem einzigen Guten, was die Zeitschrift brachte -- akademische Skandal- geschichten und literarische Klopffechtereien jeder Art; selbst ein hämischer Artikel der Edinburgh Review gegen Goethes Wahrheit und Dichtung ward mit unverhohlenem Behagen abgedruckt; und dann wieder politische Ab- handlungen sowie zahllose Schmerzensrufe und Anklagen wider angebliche Behördenwillkür. Das Alles im Tone des Bierhauses, im "Oken'schen Tone", wie man bald zu sagen pflegte -- frech, geschmacklos, höhnisch; fast jede neue Nummer der Isis rief neuen Zank hervor. Da der reiche Vorrath der deutschen Superlative schon nicht mehr ausreichte, so zog Oken die Holzschneider zu Hilfe und ließ Eselsköpfe, Gänse, Kannibalen, Juden- und Pfaffengesichter oder auch eine Knute, einen Stock, ein zum Fußtritt erhobenes Bein neben die Namen seiner Gegner setzen, so daß
II. 7. Die Burſchenſchaft.
ſchichte wurden, wie vordem Fichtes und Schellings Collegien, der Sam- melplatz für die Maſſe der Studentenſchaft; der liebenswürdige Idealis- mus, der aus ſeinem ganzen Weſen ſprach, die patriotiſche Wärme und der leichte Redefluß ſeiner Vorträge erwarben ihm bei der Jugend ein Anſehen, das vierzig Jahre lang unerſchüttert blieb. Wer den wohl- meinenden Mann nur nach ſeinen Büchern beurtheilte, konnte ſich dieſe glänzenden Lehrer-Erfolge kaum erklären; ſeine hiſtoriſchen Schriften waren arm an neuen Gedanken, noch ärmer an ſelbſtändiger Forſchung, und von der ſtrengen Gedankenarbeit, welche die politiſche Wiſſenſchaft ihren Jüngern auferlegt, ahnte er ſo wenig, daß er ſchon in ſeinem einund- dreißigſten Jahre (1811) wohlgemuth ein an harmloſen Gemeinplätzen überreiches Handbuch der Staatsweisheit herausgeben konnte.
Wie anders als die ehrbar langweilige Nemeſis ging die Iſis ins Zeug, wohl die ſonderbarſte politiſche Zeitſchrift unſerer Geſchichte, ein unvergleichliches Probſtück gelehrter Narrheit. Als Naturforſcher hatte ſich Oken trotz mancher Wunderlichkeiten einen wohlverdienten Ruhm er- worben; in den politiſchen Kampf brachte er kein anderes Rüſtzeug mit, als eine grundehrliche vaterländiſche Begeiſterung, einige unklare demo- kratiſche Begriffe, eine unerſättliche Raufluſt und den kindlichen Wahn, daß die freie Preſſe alle Wunden, die ſie geſchlagen, auch wieder heilen werde. „Die Geſchichte, ſo rief er in ſeiner Ankündigung, ſchreitet daher als ein ſchauerlicher Rieſe über Strom und Felſen, über Loco sigilli und Schlagbäume, lachend über ſolche Anſtalten, welche Geiſt und Sinn fangen wollen und im Fang überpurzeln. Alles iſt gut und Alles muß zugelaſſen werden.“ Seine Leſer ſollten den Sinn und den Unſinn der Zeit, die Würde wie die Petulanz kennen lernen; ſelbſt die Grobheit, die Lüge und Verleumdung ſchloß er nicht aus und befahl den Ange- griffenen im Voraus, ſich nur literariſch zu rächen. Der burſchikoſe Auf- ruf fand nur zu willige Hörer. Alle Hitzköpfe der gelehrten Welt gaben ſich ein Stelldichein auf dem großen Fechtboden dieſer „Encyclopädiſchen Zeitung“. Da ſtanden neben zoologiſchen Bildern und Abhandlungen — dem einzigen Guten, was die Zeitſchrift brachte — akademiſche Skandal- geſchichten und literariſche Klopffechtereien jeder Art; ſelbſt ein hämiſcher Artikel der Edinburgh Review gegen Goethes Wahrheit und Dichtung ward mit unverhohlenem Behagen abgedruckt; und dann wieder politiſche Ab- handlungen ſowie zahlloſe Schmerzensrufe und Anklagen wider angebliche Behördenwillkür. Das Alles im Tone des Bierhauſes, im „Oken’ſchen Tone“, wie man bald zu ſagen pflegte — frech, geſchmacklos, höhniſch; faſt jede neue Nummer der Iſis rief neuen Zank hervor. Da der reiche Vorrath der deutſchen Superlative ſchon nicht mehr ausreichte, ſo zog Oken die Holzſchneider zu Hilfe und ließ Eſelsköpfe, Gänſe, Kannibalen, Juden- und Pfaffengeſichter oder auch eine Knute, einen Stock, ein zum Fußtritt erhobenes Bein neben die Namen ſeiner Gegner ſetzen, ſo daß
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ſchichte wurden, wie vordem Fichtes und Schellings Collegien, der Sam-
melplatz für die Maſſe der Studentenſchaft; der liebenswürdige Idealis-
mus, der aus ſeinem ganzen Weſen ſprach, die patriotiſche Wärme und
der leichte Redefluß ſeiner Vorträge erwarben ihm bei der Jugend ein
Anſehen, das vierzig Jahre lang unerſchüttert blieb. Wer den wohl-
meinenden Mann nur nach ſeinen Büchern beurtheilte, konnte ſich dieſe
glänzenden Lehrer-Erfolge kaum erklären; ſeine hiſtoriſchen Schriften waren
arm an neuen Gedanken, noch ärmer an ſelbſtändiger Forſchung, und
von der ſtrengen Gedankenarbeit, welche die politiſche Wiſſenſchaft ihren
Jüngern auferlegt, ahnte er ſo wenig, daß er ſchon in ſeinem einund-
dreißigſten Jahre (1811) wohlgemuth ein an harmloſen Gemeinplätzen
überreiches Handbuch der Staatsweisheit herausgeben konnte.
Wie anders als die ehrbar langweilige Nemeſis ging die Iſis ins
Zeug, wohl die ſonderbarſte politiſche Zeitſchrift unſerer Geſchichte, ein
unvergleichliches Probſtück gelehrter Narrheit. Als Naturforſcher hatte
ſich Oken trotz mancher Wunderlichkeiten einen wohlverdienten Ruhm er-
worben; in den politiſchen Kampf brachte er kein anderes Rüſtzeug mit,
als eine grundehrliche vaterländiſche Begeiſterung, einige unklare demo-
kratiſche Begriffe, eine unerſättliche Raufluſt und den kindlichen Wahn,
daß die freie Preſſe alle Wunden, die ſie geſchlagen, auch wieder heilen
werde. „Die Geſchichte, ſo rief er in ſeiner Ankündigung, ſchreitet daher
als ein ſchauerlicher Rieſe über Strom und Felſen, über Loco sigilli
und Schlagbäume, lachend über ſolche Anſtalten, welche Geiſt und Sinn
fangen wollen und im Fang überpurzeln. Alles iſt gut und Alles muß
zugelaſſen werden.“ Seine Leſer ſollten den Sinn und den Unſinn der
Zeit, die Würde wie die Petulanz kennen lernen; ſelbſt die Grobheit,
die Lüge und Verleumdung ſchloß er nicht aus und befahl den Ange-
griffenen im Voraus, ſich nur literariſch zu rächen. Der burſchikoſe Auf-
ruf fand nur zu willige Hörer. Alle Hitzköpfe der gelehrten Welt gaben
ſich ein Stelldichein auf dem großen Fechtboden dieſer „Encyclopädiſchen
Zeitung“. Da ſtanden neben zoologiſchen Bildern und Abhandlungen —
dem einzigen Guten, was die Zeitſchrift brachte — akademiſche Skandal-
geſchichten und literariſche Klopffechtereien jeder Art; ſelbſt ein hämiſcher
Artikel der Edinburgh Review gegen Goethes Wahrheit und Dichtung ward
mit unverhohlenem Behagen abgedruckt; und dann wieder politiſche Ab-
handlungen ſowie zahlloſe Schmerzensrufe und Anklagen wider angebliche
Behördenwillkür. Das Alles im Tone des Bierhauſes, im „Oken’ſchen
Tone“, wie man bald zu ſagen pflegte — frech, geſchmacklos, höhniſch;
faſt jede neue Nummer der Iſis rief neuen Zank hervor. Da der reiche
Vorrath der deutſchen Superlative ſchon nicht mehr ausreichte, ſo zog
Oken die Holzſchneider zu Hilfe und ließ Eſelsköpfe, Gänſe, Kannibalen,
Juden- und Pfaffengeſichter oder auch eine Knute, einen Stock, ein zum
Fußtritt erhobenes Bein neben die Namen ſeiner Gegner ſetzen, ſo daß
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/422>, abgerufen am 18.05.2024.
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