den Begründer der ars tornaria, den Erwecker der Jugend, den Retter deut- scher Sprache, den anderen Martin Luther. Friedrich Thiersch widmete ihm seine Ausgabe des Pindar und schilderte in einem schwungvollen Vorwort, wie die Gymnastik bei den Hellenen und den Deutschen mit allen idealen Bestreben der Menschheit verschwistert sei; und doch erinnerten leider die stämmigen Gestalten der Vorturner von der Hasenhaide weit öfter an die Gladiatorenbilder aus den Thermen des Caracalla als an die lorbeer- geschmückten Sieger von Olympia.
Wenn geistreiche Gelehrte den handfesten Priegnitzer Bauer so seltsam überschätzten, wie hätten die Jünglinge ihn nicht vergöttern sollen? Alles ahmten sie ihm nach, am gelehrigsten seine Untugenden: die barbarische Sprache, die Grobheit und Unflätherei. Seine Lust an kräftigen, volks- thümlichen Redewendungen wurde bald zur Manier, da ihm jede Selbst- kritik fehlte; die jungen Turner und die wüthenden Franzosenfeinde der Berliner "Gesellschaft für deutsche Sprache" überboten noch die Thor- heiten des Meisters, veranstalteten unter dem Vorwande der Sprach- reinigung eine gewerbmäßige Jagd auf alle Fremdwörter, nannten die Universitäten Vernunftturnplätze, sprachen im Concertsaale vom Einklangs- wettstreite des Klangwerks, von den Tiefknüppeln und Tiefgeigen und ge- langten also zu einem schwülstigen Kauderwälsch, das ebenso undeutsch und um Vieles geistloser war als die mit ausländischen Brocken gespickte Sprache des siebzehnten Jahrhunderts. Jahns Sitten aber blieben noch immer ebenso ungeschlacht wie einst in den Tagen seiner akademischen Heldenthaten, da er seinen Gegnern Kuhfladen ins Gesicht warf und sich am Abhange des Giebichensteins in einer Höhle verschanzte um auf die anstürmenden Hallenser Landsmannschafter Felsblöcke herabzuschleudern.
Die Jugend verwilderte unter der Führung eines Banausen, dem die Kunst und das Alterthum, die ganze Welt des Schönen verschlossen blieb. Mit Muth und Rüstigkeit war das neue Deutschthum überreich gesegnet; aber andere nicht minder deutsche Tugenden, die Bescheidenheit, der wissen- schaftliche Sinn, der entsagende Fleiß, die Ehrfurcht vor dem Alter und dem Gesetze geriethen in Mißachtung. Der sittenpredigende Eifer steht Keinem wohl an, im Munde unreifer Burschen klang er ebenso ab- geschmackt wie das Prahlen mit der Keuschheit, die doch nur Werth hat, wenn sie schamhaft und verschwiegen bleibt. Alle verständigen Lehrer be- gannen zu klagen, wie patzig und unlenksam ihre Schüler würden und wie das Küchlein stets klüger sein wollte als die Henne. Wie oft hatten die Ausländer schon gelächelt über den seltsamen Widerspruch, daß die Deutschen von der Würde der Frauen vielleicht höher dachten als irgend ein anderes Volk und doch in ihren Umgangsformen dies Gefühl so wenig zeigten; erst durch die Anmuth der neuen Literatur war dies män- nische Wesen etwas gebändigt und die Frau in der deutschen Gesellschaft wieder zu ihrem guten Rechte gelangt; und nun reckte sich der ungeleckte
II. 7. Die Burſchenſchaft.
den Begründer der ars tornaria, den Erwecker der Jugend, den Retter deut- ſcher Sprache, den anderen Martin Luther. Friedrich Thierſch widmete ihm ſeine Ausgabe des Pindar und ſchilderte in einem ſchwungvollen Vorwort, wie die Gymnaſtik bei den Hellenen und den Deutſchen mit allen idealen Beſtreben der Menſchheit verſchwiſtert ſei; und doch erinnerten leider die ſtämmigen Geſtalten der Vorturner von der Haſenhaide weit öfter an die Gladiatorenbilder aus den Thermen des Caracalla als an die lorbeer- geſchmückten Sieger von Olympia.
Wenn geiſtreiche Gelehrte den handfeſten Priegnitzer Bauer ſo ſeltſam überſchätzten, wie hätten die Jünglinge ihn nicht vergöttern ſollen? Alles ahmten ſie ihm nach, am gelehrigſten ſeine Untugenden: die barbariſche Sprache, die Grobheit und Unflätherei. Seine Luſt an kräftigen, volks- thümlichen Redewendungen wurde bald zur Manier, da ihm jede Selbſt- kritik fehlte; die jungen Turner und die wüthenden Franzoſenfeinde der Berliner „Geſellſchaft für deutſche Sprache“ überboten noch die Thor- heiten des Meiſters, veranſtalteten unter dem Vorwande der Sprach- reinigung eine gewerbmäßige Jagd auf alle Fremdwörter, nannten die Univerſitäten Vernunftturnplätze, ſprachen im Concertſaale vom Einklangs- wettſtreite des Klangwerks, von den Tiefknüppeln und Tiefgeigen und ge- langten alſo zu einem ſchwülſtigen Kauderwälſch, das ebenſo undeutſch und um Vieles geiſtloſer war als die mit ausländiſchen Brocken geſpickte Sprache des ſiebzehnten Jahrhunderts. Jahns Sitten aber blieben noch immer ebenſo ungeſchlacht wie einſt in den Tagen ſeiner akademiſchen Heldenthaten, da er ſeinen Gegnern Kuhfladen ins Geſicht warf und ſich am Abhange des Giebichenſteins in einer Höhle verſchanzte um auf die anſtürmenden Hallenſer Landsmannſchafter Felsblöcke herabzuſchleudern.
Die Jugend verwilderte unter der Führung eines Banauſen, dem die Kunſt und das Alterthum, die ganze Welt des Schönen verſchloſſen blieb. Mit Muth und Rüſtigkeit war das neue Deutſchthum überreich geſegnet; aber andere nicht minder deutſche Tugenden, die Beſcheidenheit, der wiſſen- ſchaftliche Sinn, der entſagende Fleiß, die Ehrfurcht vor dem Alter und dem Geſetze geriethen in Mißachtung. Der ſittenpredigende Eifer ſteht Keinem wohl an, im Munde unreifer Burſchen klang er ebenſo ab- geſchmackt wie das Prahlen mit der Keuſchheit, die doch nur Werth hat, wenn ſie ſchamhaft und verſchwiegen bleibt. Alle verſtändigen Lehrer be- gannen zu klagen, wie patzig und unlenkſam ihre Schüler würden und wie das Küchlein ſtets klüger ſein wollte als die Henne. Wie oft hatten die Ausländer ſchon gelächelt über den ſeltſamen Widerſpruch, daß die Deutſchen von der Würde der Frauen vielleicht höher dachten als irgend ein anderes Volk und doch in ihren Umgangsformen dies Gefühl ſo wenig zeigten; erſt durch die Anmuth der neuen Literatur war dies män- niſche Weſen etwas gebändigt und die Frau in der deutſchen Geſellſchaft wieder zu ihrem guten Rechte gelangt; und nun reckte ſich der ungeleckte
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II. 7. Die Burſchenſchaft.
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ſcher Sprache, den anderen Martin Luther. Friedrich Thierſch widmete ihm
ſeine Ausgabe des Pindar und ſchilderte in einem ſchwungvollen Vorwort,
wie die Gymnaſtik bei den Hellenen und den Deutſchen mit allen idealen
Beſtreben der Menſchheit verſchwiſtert ſei; und doch erinnerten leider die
ſtämmigen Geſtalten der Vorturner von der Haſenhaide weit öfter an die
Gladiatorenbilder aus den Thermen des Caracalla als an die lorbeer-
geſchmückten Sieger von Olympia.
Wenn geiſtreiche Gelehrte den handfeſten Priegnitzer Bauer ſo ſeltſam
überſchätzten, wie hätten die Jünglinge ihn nicht vergöttern ſollen? Alles
ahmten ſie ihm nach, am gelehrigſten ſeine Untugenden: die barbariſche
Sprache, die Grobheit und Unflätherei. Seine Luſt an kräftigen, volks-
thümlichen Redewendungen wurde bald zur Manier, da ihm jede Selbſt-
kritik fehlte; die jungen Turner und die wüthenden Franzoſenfeinde der
Berliner „Geſellſchaft für deutſche Sprache“ überboten noch die Thor-
heiten des Meiſters, veranſtalteten unter dem Vorwande der Sprach-
reinigung eine gewerbmäßige Jagd auf alle Fremdwörter, nannten die
Univerſitäten Vernunftturnplätze, ſprachen im Concertſaale vom Einklangs-
wettſtreite des Klangwerks, von den Tiefknüppeln und Tiefgeigen und ge-
langten alſo zu einem ſchwülſtigen Kauderwälſch, das ebenſo undeutſch
und um Vieles geiſtloſer war als die mit ausländiſchen Brocken geſpickte
Sprache des ſiebzehnten Jahrhunderts. Jahns Sitten aber blieben noch
immer ebenſo ungeſchlacht wie einſt in den Tagen ſeiner akademiſchen
Heldenthaten, da er ſeinen Gegnern Kuhfladen ins Geſicht warf und ſich
am Abhange des Giebichenſteins in einer Höhle verſchanzte um auf die
anſtürmenden Hallenſer Landsmannſchafter Felsblöcke herabzuſchleudern.
Die Jugend verwilderte unter der Führung eines Banauſen, dem die
Kunſt und das Alterthum, die ganze Welt des Schönen verſchloſſen blieb.
Mit Muth und Rüſtigkeit war das neue Deutſchthum überreich geſegnet;
aber andere nicht minder deutſche Tugenden, die Beſcheidenheit, der wiſſen-
ſchaftliche Sinn, der entſagende Fleiß, die Ehrfurcht vor dem Alter
und dem Geſetze geriethen in Mißachtung. Der ſittenpredigende Eifer
ſteht Keinem wohl an, im Munde unreifer Burſchen klang er ebenſo ab-
geſchmackt wie das Prahlen mit der Keuſchheit, die doch nur Werth hat,
wenn ſie ſchamhaft und verſchwiegen bleibt. Alle verſtändigen Lehrer be-
gannen zu klagen, wie patzig und unlenkſam ihre Schüler würden und
wie das Küchlein ſtets klüger ſein wollte als die Henne. Wie oft hatten
die Ausländer ſchon gelächelt über den ſeltſamen Widerſpruch, daß die
Deutſchen von der Würde der Frauen vielleicht höher dachten als irgend
ein anderes Volk und doch in ihren Umgangsformen dies Gefühl ſo
wenig zeigten; erſt durch die Anmuth der neuen Literatur war dies män-
niſche Weſen etwas gebändigt und die Frau in der deutſchen Geſellſchaft
wieder zu ihrem guten Rechte gelangt; und nun reckte ſich der ungeleckte
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/402>, abgerufen am 23.11.2024.
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