Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.II. 7. Die Burschenschaft. Mann ehe die Zeit der Freiheit und der Klarheit den Deutschen tagenkönne? Und war es nicht an der Jugend, den erschlafften Alten ein Vorbild wahrer Deutschheit und damit aller echten menschlichen Tugend zu geben? Sie allein besaß ja schon "das durchaus neue Selbst", das der Philosoph seinem Volke erwecken wollte, und verstand den Sinn seines stolzen Ausspruchs: "Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend." Nicht umsonst hatte der Redner an die deutsche Nation gelehrt: "die Jugend soll nicht lachen und scherzen, sie soll ernsthaft und erhaben sein." Stolz wie er selber, mit erhobenem Nacken und trotzig gekräuselten Lippen schritt dies kriegerische junge Geschlecht einher, durch- glüht von dem Bewußtsein einer großen Bestimmung, gleich dem Meister entschlossen, nicht sich der Welt anzupassen, sondern die Anderen für sich zurechtzulegen. Seine Sehnsucht war die That, die aus freier Selbst- bestimmung entsprießende That, wie sie Fichte gepriesen, und jeder Blick der strafenden Augen schien zu sagen: "was kommen soll muß von uns kommen!" Niemals vielleicht ist ein so warmes religiöses Gefühl, so viel sittlicher Ernst und vaterländische Begeisterung in der deutschen Jugend lebendig gewesen; aber mit diesem lauteren Idealismus verband sich von Haus aus eine grenzenlose Ueberhebung, ein unjugendlicher altkluger Tugendstolz, der alle Stille, alle Schönheit und Anmuth aus dem deut- schen Leben zu verdrängen drohte. Die rauhen Sitten des jungen Ge- schlechts erinnerten nur zu lebhaft an den Ausspruch des Meisters: "eine Liebenswürdigkeitslehre ist vom Teufel." Wenn diese Spartaner auf Ab- wege geriethen, dann konnten die Verirrungen des überspannten sitt- lichen Selbstgefühls leicht verderblicher wirken als die holde Thorheit des gedankenlosen jugendlichen Leichtsinns. Wer darf sagen, ob Fichte bei längerem Leben versucht haben würde II. 7. Die Burſchenſchaft. Mann ehe die Zeit der Freiheit und der Klarheit den Deutſchen tagenkönne? Und war es nicht an der Jugend, den erſchlafften Alten ein Vorbild wahrer Deutſchheit und damit aller echten menſchlichen Tugend zu geben? Sie allein beſaß ja ſchon „das durchaus neue Selbſt“, das der Philoſoph ſeinem Volke erwecken wollte, und verſtand den Sinn ſeines ſtolzen Ausſpruchs: „Charakter haben und deutſch ſein iſt ohne Zweifel gleichbedeutend.“ Nicht umſonſt hatte der Redner an die deutſche Nation gelehrt: „die Jugend ſoll nicht lachen und ſcherzen, ſie ſoll ernſthaft und erhaben ſein.“ Stolz wie er ſelber, mit erhobenem Nacken und trotzig gekräuſelten Lippen ſchritt dies kriegeriſche junge Geſchlecht einher, durch- glüht von dem Bewußtſein einer großen Beſtimmung, gleich dem Meiſter entſchloſſen, nicht ſich der Welt anzupaſſen, ſondern die Anderen für ſich zurechtzulegen. Seine Sehnſucht war die That, die aus freier Selbſt- beſtimmung entſprießende That, wie ſie Fichte geprieſen, und jeder Blick der ſtrafenden Augen ſchien zu ſagen: „was kommen ſoll muß von uns kommen!“ Niemals vielleicht iſt ein ſo warmes religiöſes Gefühl, ſo viel ſittlicher Ernſt und vaterländiſche Begeiſterung in der deutſchen Jugend lebendig geweſen; aber mit dieſem lauteren Idealismus verband ſich von Haus aus eine grenzenloſe Ueberhebung, ein unjugendlicher altkluger Tugendſtolz, der alle Stille, alle Schönheit und Anmuth aus dem deut- ſchen Leben zu verdrängen drohte. Die rauhen Sitten des jungen Ge- ſchlechts erinnerten nur zu lebhaft an den Ausſpruch des Meiſters: „eine Liebenswürdigkeitslehre iſt vom Teufel.“ Wenn dieſe Spartaner auf Ab- wege geriethen, dann konnten die Verirrungen des überſpannten ſitt- lichen Selbſtgefühls leicht verderblicher wirken als die holde Thorheit des gedankenloſen jugendlichen Leichtſinns. 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II. 7. Die Burſchenſchaft.
Mann ehe die Zeit der Freiheit und der Klarheit den Deutſchen tagen
könne? Und war es nicht an der Jugend, den erſchlafften Alten ein
Vorbild wahrer Deutſchheit und damit aller echten menſchlichen Tugend
zu geben? Sie allein beſaß ja ſchon „das durchaus neue Selbſt“, das
der Philoſoph ſeinem Volke erwecken wollte, und verſtand den Sinn ſeines
ſtolzen Ausſpruchs: „Charakter haben und deutſch ſein iſt ohne Zweifel
gleichbedeutend.“ Nicht umſonſt hatte der Redner an die deutſche Nation
gelehrt: „die Jugend ſoll nicht lachen und ſcherzen, ſie ſoll ernſthaft und
erhaben ſein.“ Stolz wie er ſelber, mit erhobenem Nacken und trotzig
gekräuſelten Lippen ſchritt dies kriegeriſche junge Geſchlecht einher, durch-
glüht von dem Bewußtſein einer großen Beſtimmung, gleich dem Meiſter
entſchloſſen, nicht ſich der Welt anzupaſſen, ſondern die Anderen für ſich
zurechtzulegen. Seine Sehnſucht war die That, die aus freier Selbſt-
beſtimmung entſprießende That, wie ſie Fichte geprieſen, und jeder Blick
der ſtrafenden Augen ſchien zu ſagen: „was kommen ſoll muß von uns
kommen!“ Niemals vielleicht iſt ein ſo warmes religiöſes Gefühl, ſo viel
ſittlicher Ernſt und vaterländiſche Begeiſterung in der deutſchen Jugend
lebendig geweſen; aber mit dieſem lauteren Idealismus verband ſich von
Haus aus eine grenzenloſe Ueberhebung, ein unjugendlicher altkluger
Tugendſtolz, der alle Stille, alle Schönheit und Anmuth aus dem deut-
ſchen Leben zu verdrängen drohte. Die rauhen Sitten des jungen Ge-
ſchlechts erinnerten nur zu lebhaft an den Ausſpruch des Meiſters: „eine
Liebenswürdigkeitslehre iſt vom Teufel.“ Wenn dieſe Spartaner auf Ab-
wege geriethen, dann konnten die Verirrungen des überſpannten ſitt-
lichen Selbſtgefühls leicht verderblicher wirken als die holde Thorheit des
gedankenloſen jugendlichen Leichtſinns.
Wer darf ſagen, ob Fichte bei längerem Leben verſucht haben würde
dieſe thatendurſtige Jugend in den Schranken der Beſcheidenheit zu halten
oder ob die Enttäuſchungen der Friedenszeit den radikalen Idealiſten
ſelber verbittert hätten? Er ſtarb ſchon im Januar 1814, vom Lazareth-
fieber dahingerafft, ein Opfer des Krieges, deſſen Sinn und Ziele er ſo
groß und rein verſtanden hatte; und nun gerieth die Jugend, die immer
nach einer Führung verlangt, unter den Einfluß anderer Lehrer, von denen
keiner hoch genug ſtand um den Uebermuth des jungen Geſchlechts zu
mäßigen. Unter den Lützow’ſchen Jägern hatte der Turnvater Jahn wenig
gegolten, der unbändige Polterer paßte nicht in die ſtrenge Ordnung des
militäriſchen Dienſtes. Erſt während der Friedensverhandlungen machte
er wieder von ſich reden, als er zum Entzücken der Gaſſenbuben in den
Straßen von Paris umherzog, den Knotenſtock in der Hand, beſtändig
ſcheltend und wetternd gegen die geilen Wälſchen. Das lange Haar, das
dem treuen Manne einſt nach der Jenaer Schlacht in einem Tage er-
graut war, hing ungekämmt auf die Schultern hernieder; der Hals war
entblößt — denn das knechtiſche Halstuch ziemte dem freien Deutſchen
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