städtischen Beamtenthums blieb. Die Hauptstadt verdankte dem kunst- sinnigen Fürsten das Theater, die Bibliothek, das Museum, das Erwachen eines regeren geistigen Lebens; auf dem anmuthigen Lustschloß ihres patriarchalischen Herrn, auf dem Fürstenlager im Odenwalde, hielten die guten Familien Darmstadts alljährlich ihre Sommerfrische.
Gleich den anderen süddeutschen Fürsten hatte der Großherzog auf dem Wiener Congresse eingesehen, daß eine ständische Verfassung unver- meidlich war. Aber als er nun heimkehrte und mit der schwierigen Einver- leibung Rheinhessens vollauf zu thun fand, da verschob er den entscheiden- den Beschluß von Jahr zu Jahr. Unterdessen begann das von den Hunger- jahren schwer heimgesuchte Land unruhig zu werden; der Steuerdruck und die Willkür des Beamtenthums war nicht mehr zu ertragen. Unehrerbietige, drohende Bittschriften mahnten den Großherzog an sein Versprechen, radi- cale Flugblätter vertrösteten das Landvolk auf die nahende Revolution. Auf der Gießener Hochschule stießen die Parteien hart aneinander; der geistvolle Philolog F. G. Welcker mußte seinen Lehrstuhl verlassen, weil er sich mit dem berüchtigten Bonapartisten Crome nicht vertragen konnte. Endlich wagte man gar große Landesversammlungen abzuhalten, die den Fürsten um die ersehnte Constitution, das sichere Heilmittel aller irdischen Nöthe baten. Noch immer vergeblich.
So war die Lage des Südens im Herbst 1818. In Württemberg und Hessen bedenkliche Gährung; in Baiern und Baden lautes Frohlocken über die glücklich errungene neue Verfassung und kindliche Träume von der wunderbaren Freiheit, die da kommen sollte. Und dazu in der akademi- schen Jugend eine brausende Bewegung, die den geängsteten Regierungen das Nahen eines allgemeinen Umsturzes zu verkünden schien.
II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
ſtädtiſchen Beamtenthums blieb. Die Hauptſtadt verdankte dem kunſt- ſinnigen Fürſten das Theater, die Bibliothek, das Muſeum, das Erwachen eines regeren geiſtigen Lebens; auf dem anmuthigen Luſtſchloß ihres patriarchaliſchen Herrn, auf dem Fürſtenlager im Odenwalde, hielten die guten Familien Darmſtadts alljährlich ihre Sommerfriſche.
Gleich den anderen ſüddeutſchen Fürſten hatte der Großherzog auf dem Wiener Congreſſe eingeſehen, daß eine ſtändiſche Verfaſſung unver- meidlich war. Aber als er nun heimkehrte und mit der ſchwierigen Einver- leibung Rheinheſſens vollauf zu thun fand, da verſchob er den entſcheiden- den Beſchluß von Jahr zu Jahr. Unterdeſſen begann das von den Hunger- jahren ſchwer heimgeſuchte Land unruhig zu werden; der Steuerdruck und die Willkür des Beamtenthums war nicht mehr zu ertragen. Unehrerbietige, drohende Bittſchriften mahnten den Großherzog an ſein Verſprechen, radi- cale Flugblätter vertröſteten das Landvolk auf die nahende Revolution. Auf der Gießener Hochſchule ſtießen die Parteien hart aneinander; der geiſtvolle Philolog F. G. Welcker mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen, weil er ſich mit dem berüchtigten Bonapartiſten Crome nicht vertragen konnte. Endlich wagte man gar große Landesverſammlungen abzuhalten, die den Fürſten um die erſehnte Conſtitution, das ſichere Heilmittel aller irdiſchen Nöthe baten. Noch immer vergeblich.
So war die Lage des Südens im Herbſt 1818. In Württemberg und Heſſen bedenkliche Gährung; in Baiern und Baden lautes Frohlocken über die glücklich errungene neue Verfaſſung und kindliche Träume von der wunderbaren Freiheit, die da kommen ſollte. Und dazu in der akademi- ſchen Jugend eine brauſende Bewegung, die den geängſteten Regierungen das Nahen eines allgemeinen Umſturzes zu verkünden ſchien.
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II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
ſtädtiſchen Beamtenthums blieb. Die Hauptſtadt verdankte dem kunſt-
ſinnigen Fürſten das Theater, die Bibliothek, das Muſeum, das Erwachen
eines regeren geiſtigen Lebens; auf dem anmuthigen Luſtſchloß ihres
patriarchaliſchen Herrn, auf dem Fürſtenlager im Odenwalde, hielten die
guten Familien Darmſtadts alljährlich ihre Sommerfriſche.
Gleich den anderen ſüddeutſchen Fürſten hatte der Großherzog auf
dem Wiener Congreſſe eingeſehen, daß eine ſtändiſche Verfaſſung unver-
meidlich war. Aber als er nun heimkehrte und mit der ſchwierigen Einver-
leibung Rheinheſſens vollauf zu thun fand, da verſchob er den entſcheiden-
den Beſchluß von Jahr zu Jahr. Unterdeſſen begann das von den Hunger-
jahren ſchwer heimgeſuchte Land unruhig zu werden; der Steuerdruck und
die Willkür des Beamtenthums war nicht mehr zu ertragen. Unehrerbietige,
drohende Bittſchriften mahnten den Großherzog an ſein Verſprechen, radi-
cale Flugblätter vertröſteten das Landvolk auf die nahende Revolution.
Auf der Gießener Hochſchule ſtießen die Parteien hart aneinander; der
geiſtvolle Philolog F. G. Welcker mußte ſeinen Lehrſtuhl verlaſſen, weil er
ſich mit dem berüchtigten Bonapartiſten Crome nicht vertragen konnte.
Endlich wagte man gar große Landesverſammlungen abzuhalten, die den
Fürſten um die erſehnte Conſtitution, das ſichere Heilmittel aller irdiſchen
Nöthe baten. Noch immer vergeblich.
So war die Lage des Südens im Herbſt 1818. In Württemberg
und Heſſen bedenkliche Gährung; in Baiern und Baden lautes Frohlocken
über die glücklich errungene neue Verfaſſung und kindliche Träume von
der wunderbaren Freiheit, die da kommen ſollte. Und dazu in der akademi-
ſchen Jugend eine brauſende Bewegung, die den geängſteten Regierungen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/396>, abgerufen am 25.11.2024.
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