Raum gegeben."*) Die grobe Unredlichkeit dieser Betheuerung bewies genugsam, daß der Verdacht des Karlsruher Hofes nicht grundlos war. Zum zweiten male binnen zwei Jahren drohte der Ehrgeiz der Wittels- bacher einen Bürgerkrieg über Deutschland heraufzuführen. Die Presse des Auslandes bemächtigte sich bereits der neuen querelle Allemande; Badens gute Sache fand einen zweifelhaften Anwalt an dem napoleoni- schen Diplomaten Bignon, der fortan bei allen deutschen Händeln regel- mäßig seine gewandte Feder für die Rechte bedrängter Kleinfürsten ein- setzte. Indeß das schwache Lebenslicht des Großherzogs erlosch so schnell noch nicht; die vier Mächte behielten Zeit den bairischen Uebermuth in seine Schranken zurückzuweisen. --
Auch in Nassau verliefen die Anfänge des constitutionellen Lebens nicht ohne Stürme. Dort war schon vor dem Wiener Congresse, am 1. Sept. 1814 eine Verfassung verkündigt worden, und der allmächtige Minister Marschall rühmte sich dem gesammten Deutschland vorange- schritten zu sein. Aber die liberale Welt ließ ihrem Liebling Karl August von Weimar den Ruhm des ersten constitutionellen Fürsten nicht ab- streiten, und sie war im Rechte. Denn obwohl alle Beamten bereis auf die Verfassung beeidigt waren, so währte es doch noch viertehalb Jahre bis man den Landtag einberief, und Marschall benutzte diese Frist um ein Füll- horn organischer Gesetze über das Ländchen auszuschütten und eine neue Größe in die deutsche Geschichte einzuführen: den centralisirten nassauischen Einheitsstaat. Während die gewaltigen Nassau-Oranier in den Nieder- landen die Welt mit ihrem Kriegsruhm füllten, wußte die Geschichte der letzten Jahrhunderte von den deutschen Nassauern kaum mehr zu erzählen, als daß sie sich beharrlich und immer von Neuem in Linien theilten. Sie betrieben diese dem deutschen Kleinfürstenstande eingeborene Liebhaberei mit einer Ausdauer, die selbst von den Wettinern nicht überboten wurde; eine Zeit lang hausten sogar in der kleinen Stadt Siegen zwei Linien Nassau-Siegen, die eine katholisch, die andere reformirt, jede in ihrem eigenen Schlosse, die beiden Hälften der Stadt durch eine hohe Mauer und wüthenden Nationalhaß getrennt. Aber das Glück war dem treu- fleißigen Bemühen nicht hold; die mit so großer Sorgfalt angepflanzten neuen Linien starben immer wieder aus. Im Jahre 1816 starb auch der letzte Usinger, und nunmehr trat die Linie Weilburg in den alleinigen Besitz jener Länderbrocken, welche einst Gagerns plastische Hand -- wie Stein spottete -- in Paris und Wien für das Gesammthaus Nassau zu- sammengebracht hatte. So prahlerisch wie Marschall verstand kein anderer
*) Note des Gesandten v. Gremp 25. Sept., Antwort Rechbergs 29. Sept. 1818.
Badiſche Verfaſſung. Naſſau.
Raum gegeben.“*) Die grobe Unredlichkeit dieſer Betheuerung bewies genugſam, daß der Verdacht des Karlsruher Hofes nicht grundlos war. Zum zweiten male binnen zwei Jahren drohte der Ehrgeiz der Wittels- bacher einen Bürgerkrieg über Deutſchland heraufzuführen. Die Preſſe des Auslandes bemächtigte ſich bereits der neuen querelle Allemande; Badens gute Sache fand einen zweifelhaften Anwalt an dem napoleoni- ſchen Diplomaten Bignon, der fortan bei allen deutſchen Händeln regel- mäßig ſeine gewandte Feder für die Rechte bedrängter Kleinfürſten ein- ſetzte. Indeß das ſchwache Lebenslicht des Großherzogs erloſch ſo ſchnell noch nicht; die vier Mächte behielten Zeit den bairiſchen Uebermuth in ſeine Schranken zurückzuweiſen. —
Auch in Naſſau verliefen die Anfänge des conſtitutionellen Lebens nicht ohne Stürme. Dort war ſchon vor dem Wiener Congreſſe, am 1. Sept. 1814 eine Verfaſſung verkündigt worden, und der allmächtige Miniſter Marſchall rühmte ſich dem geſammten Deutſchland vorange- ſchritten zu ſein. Aber die liberale Welt ließ ihrem Liebling Karl Auguſt von Weimar den Ruhm des erſten conſtitutionellen Fürſten nicht ab- ſtreiten, und ſie war im Rechte. Denn obwohl alle Beamten bereis auf die Verfaſſung beeidigt waren, ſo währte es doch noch viertehalb Jahre bis man den Landtag einberief, und Marſchall benutzte dieſe Friſt um ein Füll- horn organiſcher Geſetze über das Ländchen auszuſchütten und eine neue Größe in die deutſche Geſchichte einzuführen: den centraliſirten naſſauiſchen Einheitsſtaat. Während die gewaltigen Naſſau-Oranier in den Nieder- landen die Welt mit ihrem Kriegsruhm füllten, wußte die Geſchichte der letzten Jahrhunderte von den deutſchen Naſſauern kaum mehr zu erzählen, als daß ſie ſich beharrlich und immer von Neuem in Linien theilten. Sie betrieben dieſe dem deutſchen Kleinfürſtenſtande eingeborene Liebhaberei mit einer Ausdauer, die ſelbſt von den Wettinern nicht überboten wurde; eine Zeit lang hauſten ſogar in der kleinen Stadt Siegen zwei Linien Naſſau-Siegen, die eine katholiſch, die andere reformirt, jede in ihrem eigenen Schloſſe, die beiden Hälften der Stadt durch eine hohe Mauer und wüthenden Nationalhaß getrennt. Aber das Glück war dem treu- fleißigen Bemühen nicht hold; die mit ſo großer Sorgfalt angepflanzten neuen Linien ſtarben immer wieder aus. Im Jahre 1816 ſtarb auch der letzte Uſinger, und nunmehr trat die Linie Weilburg in den alleinigen Beſitz jener Länderbrocken, welche einſt Gagerns plaſtiſche Hand — wie Stein ſpottete — in Paris und Wien für das Geſammthaus Naſſau zu- ſammengebracht hatte. So prahleriſch wie Marſchall verſtand kein anderer
*) Note des Geſandten v. Gremp 25. Sept., Antwort Rechbergs 29. Sept. 1818.
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Raum gegeben.“ *) Die grobe Unredlichkeit dieſer Betheuerung bewies
genugſam, daß der Verdacht des Karlsruher Hofes nicht grundlos war.
Zum zweiten male binnen zwei Jahren drohte der Ehrgeiz der Wittels-
bacher einen Bürgerkrieg über Deutſchland heraufzuführen. Die Preſſe
des Auslandes bemächtigte ſich bereits der neuen querelle Allemande;
Badens gute Sache fand einen zweifelhaften Anwalt an dem napoleoni-
ſchen Diplomaten Bignon, der fortan bei allen deutſchen Händeln regel-
mäßig ſeine gewandte Feder für die Rechte bedrängter Kleinfürſten ein-
ſetzte. Indeß das ſchwache Lebenslicht des Großherzogs erloſch ſo ſchnell
noch nicht; die vier Mächte behielten Zeit den bairiſchen Uebermuth in
ſeine Schranken zurückzuweiſen. —
Auch in Naſſau verliefen die Anfänge des conſtitutionellen Lebens
nicht ohne Stürme. Dort war ſchon vor dem Wiener Congreſſe, am
1. Sept. 1814 eine Verfaſſung verkündigt worden, und der allmächtige
Miniſter Marſchall rühmte ſich dem geſammten Deutſchland vorange-
ſchritten zu ſein. Aber die liberale Welt ließ ihrem Liebling Karl Auguſt
von Weimar den Ruhm des erſten conſtitutionellen Fürſten nicht ab-
ſtreiten, und ſie war im Rechte. Denn obwohl alle Beamten bereis auf
die Verfaſſung beeidigt waren, ſo währte es doch noch viertehalb Jahre bis
man den Landtag einberief, und Marſchall benutzte dieſe Friſt um ein Füll-
horn organiſcher Geſetze über das Ländchen auszuſchütten und eine neue
Größe in die deutſche Geſchichte einzuführen: den centraliſirten naſſauiſchen
Einheitsſtaat. Während die gewaltigen Naſſau-Oranier in den Nieder-
landen die Welt mit ihrem Kriegsruhm füllten, wußte die Geſchichte der
letzten Jahrhunderte von den deutſchen Naſſauern kaum mehr zu erzählen,
als daß ſie ſich beharrlich und immer von Neuem in Linien theilten. Sie
betrieben dieſe dem deutſchen Kleinfürſtenſtande eingeborene Liebhaberei
mit einer Ausdauer, die ſelbſt von den Wettinern nicht überboten wurde;
eine Zeit lang hauſten ſogar in der kleinen Stadt Siegen zwei Linien
Naſſau-Siegen, die eine katholiſch, die andere reformirt, jede in ihrem
eigenen Schloſſe, die beiden Hälften der Stadt durch eine hohe Mauer
und wüthenden Nationalhaß getrennt. Aber das Glück war dem treu-
fleißigen Bemühen nicht hold; die mit ſo großer Sorgfalt angepflanzten
neuen Linien ſtarben immer wieder aus. Im Jahre 1816 ſtarb auch
der letzte Uſinger, und nunmehr trat die Linie Weilburg in den alleinigen
Beſitz jener Länderbrocken, welche einſt Gagerns plaſtiſche Hand — wie
Stein ſpottete — in Paris und Wien für das Geſammthaus Naſſau zu-
ſammengebracht hatte. So prahleriſch wie Marſchall verſtand kein anderer
*) Note des Geſandten v. Gremp 25. Sept., Antwort Rechbergs 29. Sept. 1818.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/389>, abgerufen am 21.07.2024.
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