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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
geständnisse an die weltliche Gewalt nur als Indulgenzen, als wider-
rufliche Gnaden betrachtet hat. Aber die Hoffnung das napoleonische
Concordat noch zu überbieten schmeichelte dem bairischen Stolze, und
schlimmsten Falls blieb ja die Krone der Wittelsbacher stark genug das
Concordat eigenmächtig abzuändern, sich über die Beschwerden des Papstes
hinwegzusetzen. Verfehlt wie der Grundgedanke des ganzen Unterneh-
mens war auch die Wahl des Unterhändlers. Das schwierige Geschäft
wurde in die Hände des achtzigjährigen Bischofs Häffelin gelegt. Mont-
gelas wähnte an dem weichmüthigen Prälaten ein ganz abhängiges
Werkzeug zu besitzen und übersah, daß der schwache Greis mit seiner
Eitelkeit und seinen vierzehn unehelichen Kindern auch den Lockungen
wie den Drohungen des Vatikans gleich zugänglich war.

Unter solchen Umständen schöpfte die ultramontane Partei frischen
Muth; sie hatte sich schon seit dem Jahre 1812 in ganz Süddeutschland
fester zusammengeschlossen und, ungeschreckt durch Montgelas' harte Ver-
bote, rührende Bilder und Erzählungen von der Gefangenschaft des
Papstes unter dem gläubigen Volke verbreitet. Ihr Heerd war die
Curie des Bischofs von Eichstädt, Grafen Stubenberg; von hier em-
pfingen während des Wiener Congresses die Oratoren der katholischen
Kirche ihre Weisungen. Ihr literarischer Wortführer, der Würzburger
Weihbischof Zirkel zog gegen Wessenberg zu Felde und forderte als ein
begeisterter Romantiker unter dem hochtönenden Namen der Kirchenfrei-
heit die unbeschränkte Herrschaft des Papstes über die deutsche Kirche.
Bei Hofe besaßen die Clericalen noch immer mächtige Freunde; auch auf
den Thronfolger glaubten sie rechnen zu können, da der Prinz durch
den Hofpfarrer Sambuga streng kirchlich erzogen und ein schwärmerischer
Jünger der romantischen Schule war.

Der Uebermuth des Ministers bestrafte sich schnell. Bischof Häffelin
spielte im Vatican eine klägliche Rolle und übersendete endlich im Herbst
1816 einen römischen Concordats-Entwurf, worin der katholischen Kirche
"alle die Rechte, die ihr nach den kanonischen Vorschriften gebühren,"
vorbehalten wurden. Das hieß, wenn man die Worte ehrlich verstand,
Zurücknahme der Gleichberechtigung der Protestanten, Aufhebung der
sämmtlichen kirchenpolitischen Gesetze des letzten Jahrzehnts. Für diese
unerhörte Forderung gewährte die Curie nur ein wichtiges Zugeständniß,
dessen Folgen sie glücklicherweise selber nicht ganz übersah: sie wollte ge-
statten, daß das Concordat als bairisches Staatsgesetz verkündet würde.
Die klugen Monsignoren hofften offenbar, dem Vertrage durch eine solche
Verkündigung größere Sicherheit zu geben und bedachten nicht, daß der
König ein Staatsgesetz jederzeit einseitig ändern durfte. In Montgelas'
rücksichtslosen Händen konnte diese unvorsichtige Gewährung zu einer
scharfen Waffe werden; so lange er am Ruder blieb, stand eine Demü-
thigung der Krone vor dem Papste nicht zu befürchten.

II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe.
geſtändniſſe an die weltliche Gewalt nur als Indulgenzen, als wider-
rufliche Gnaden betrachtet hat. Aber die Hoffnung das napoleoniſche
Concordat noch zu überbieten ſchmeichelte dem bairiſchen Stolze, und
ſchlimmſten Falls blieb ja die Krone der Wittelsbacher ſtark genug das
Concordat eigenmächtig abzuändern, ſich über die Beſchwerden des Papſtes
hinwegzuſetzen. Verfehlt wie der Grundgedanke des ganzen Unterneh-
mens war auch die Wahl des Unterhändlers. Das ſchwierige Geſchäft
wurde in die Hände des achtzigjährigen Biſchofs Häffelin gelegt. Mont-
gelas wähnte an dem weichmüthigen Prälaten ein ganz abhängiges
Werkzeug zu beſitzen und überſah, daß der ſchwache Greis mit ſeiner
Eitelkeit und ſeinen vierzehn unehelichen Kindern auch den Lockungen
wie den Drohungen des Vatikans gleich zugänglich war.

Unter ſolchen Umſtänden ſchöpfte die ultramontane Partei friſchen
Muth; ſie hatte ſich ſchon ſeit dem Jahre 1812 in ganz Süddeutſchland
feſter zuſammengeſchloſſen und, ungeſchreckt durch Montgelas’ harte Ver-
bote, rührende Bilder und Erzählungen von der Gefangenſchaft des
Papſtes unter dem gläubigen Volke verbreitet. Ihr Heerd war die
Curie des Biſchofs von Eichſtädt, Grafen Stubenberg; von hier em-
pfingen während des Wiener Congreſſes die Oratoren der katholiſchen
Kirche ihre Weiſungen. Ihr literariſcher Wortführer, der Würzburger
Weihbiſchof Zirkel zog gegen Weſſenberg zu Felde und forderte als ein
begeiſterter Romantiker unter dem hochtönenden Namen der Kirchenfrei-
heit die unbeſchränkte Herrſchaft des Papſtes über die deutſche Kirche.
Bei Hofe beſaßen die Clericalen noch immer mächtige Freunde; auch auf
den Thronfolger glaubten ſie rechnen zu können, da der Prinz durch
den Hofpfarrer Sambuga ſtreng kirchlich erzogen und ein ſchwärmeriſcher
Jünger der romantiſchen Schule war.

Der Uebermuth des Miniſters beſtrafte ſich ſchnell. Biſchof Häffelin
ſpielte im Vatican eine klägliche Rolle und überſendete endlich im Herbſt
1816 einen römiſchen Concordats-Entwurf, worin der katholiſchen Kirche
„alle die Rechte, die ihr nach den kanoniſchen Vorſchriften gebühren,“
vorbehalten wurden. Das hieß, wenn man die Worte ehrlich verſtand,
Zurücknahme der Gleichberechtigung der Proteſtanten, Aufhebung der
ſämmtlichen kirchenpolitiſchen Geſetze des letzten Jahrzehnts. Für dieſe
unerhörte Forderung gewährte die Curie nur ein wichtiges Zugeſtändniß,
deſſen Folgen ſie glücklicherweiſe ſelber nicht ganz überſah: ſie wollte ge-
ſtatten, daß das Concordat als bairiſches Staatsgeſetz verkündet würde.
Die klugen Monſignoren hofften offenbar, dem Vertrage durch eine ſolche
Verkündigung größere Sicherheit zu geben und bedachten nicht, daß der
König ein Staatsgeſetz jederzeit einſeitig ändern durfte. In Montgelas’
rückſichtsloſen Händen konnte dieſe unvorſichtige Gewährung zu einer
ſcharfen Waffe werden; ſo lange er am Ruder blieb, ſtand eine Demü-
thigung der Krone vor dem Papſte nicht zu befürchten.

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[346/0360] II. 6. Süddeutſche Verfaſſungskämpfe. geſtändniſſe an die weltliche Gewalt nur als Indulgenzen, als wider- rufliche Gnaden betrachtet hat. Aber die Hoffnung das napoleoniſche Concordat noch zu überbieten ſchmeichelte dem bairiſchen Stolze, und ſchlimmſten Falls blieb ja die Krone der Wittelsbacher ſtark genug das Concordat eigenmächtig abzuändern, ſich über die Beſchwerden des Papſtes hinwegzuſetzen. Verfehlt wie der Grundgedanke des ganzen Unterneh- mens war auch die Wahl des Unterhändlers. Das ſchwierige Geſchäft wurde in die Hände des achtzigjährigen Biſchofs Häffelin gelegt. Mont- gelas wähnte an dem weichmüthigen Prälaten ein ganz abhängiges Werkzeug zu beſitzen und überſah, daß der ſchwache Greis mit ſeiner Eitelkeit und ſeinen vierzehn unehelichen Kindern auch den Lockungen wie den Drohungen des Vatikans gleich zugänglich war. Unter ſolchen Umſtänden ſchöpfte die ultramontane Partei friſchen Muth; ſie hatte ſich ſchon ſeit dem Jahre 1812 in ganz Süddeutſchland feſter zuſammengeſchloſſen und, ungeſchreckt durch Montgelas’ harte Ver- bote, rührende Bilder und Erzählungen von der Gefangenſchaft des Papſtes unter dem gläubigen Volke verbreitet. Ihr Heerd war die Curie des Biſchofs von Eichſtädt, Grafen Stubenberg; von hier em- pfingen während des Wiener Congreſſes die Oratoren der katholiſchen Kirche ihre Weiſungen. Ihr literariſcher Wortführer, der Würzburger Weihbiſchof Zirkel zog gegen Weſſenberg zu Felde und forderte als ein begeiſterter Romantiker unter dem hochtönenden Namen der Kirchenfrei- heit die unbeſchränkte Herrſchaft des Papſtes über die deutſche Kirche. Bei Hofe beſaßen die Clericalen noch immer mächtige Freunde; auch auf den Thronfolger glaubten ſie rechnen zu können, da der Prinz durch den Hofpfarrer Sambuga ſtreng kirchlich erzogen und ein ſchwärmeriſcher Jünger der romantiſchen Schule war. Der Uebermuth des Miniſters beſtrafte ſich ſchnell. Biſchof Häffelin ſpielte im Vatican eine klägliche Rolle und überſendete endlich im Herbſt 1816 einen römiſchen Concordats-Entwurf, worin der katholiſchen Kirche „alle die Rechte, die ihr nach den kanoniſchen Vorſchriften gebühren,“ vorbehalten wurden. Das hieß, wenn man die Worte ehrlich verſtand, Zurücknahme der Gleichberechtigung der Proteſtanten, Aufhebung der ſämmtlichen kirchenpolitiſchen Geſetze des letzten Jahrzehnts. Für dieſe unerhörte Forderung gewährte die Curie nur ein wichtiges Zugeſtändniß, deſſen Folgen ſie glücklicherweiſe ſelber nicht ganz überſah: ſie wollte ge- ſtatten, daß das Concordat als bairiſches Staatsgeſetz verkündet würde. Die klugen Monſignoren hofften offenbar, dem Vertrage durch eine ſolche Verkündigung größere Sicherheit zu geben und bedachten nicht, daß der König ein Staatsgeſetz jederzeit einſeitig ändern durfte. In Montgelas’ rückſichtsloſen Händen konnte dieſe unvorſichtige Gewährung zu einer ſcharfen Waffe werden; ſo lange er am Ruder blieb, ſtand eine Demü- thigung der Krone vor dem Papſte nicht zu befürchten.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/360>, abgerufen am 22.11.2024.