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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Verhandlungen über Wangenheims Vorschläge.
heit bewährt, daß die Vernichtung auch nur eines ihrer Bestandtheile
eben ihrer künstlerisch zarten Zusammenfügung wegen ihr Ganzes und
somit das Wohl des Volks gefährden würde."*) Das ganze Land hallte
wider von jenem ungeheuren Geschrei, das seitdem fast alle Kämpfe des
deutschen Parlamentarismus begleitete und keineswegs dazu beitrug die
Achtung des Auslands für diese Stürme im Wasserglase zu erhöhen. Ein
wildes Pamphlet bedrohte den König bereits mit dem Schicksal seines
Ahnherrn, des landflüchtigen Herzogs Ulrich, und als ein anonymer
Schriftsteller für die Vorschläge der Krone aufzutreten wagte, ward seine
Schrift in Stuttgart an den Schnappgalgen genagelt.

Jedermann mußte Partei ergreifen. Auch die vielen berühmten
Schwaben außerhalb des Landes sendeten in Briefen oder Druckschriften
ihr Urtheil in die Heimath, und es bezeichnet die heillose Verworrenheit des
Streites, daß die Todfeinde Schelling und Paulus sich Beide für die alte
Verfassung aussprachen, Jener weil ihm das historische Recht ehrwürdig
war, Dieser weil er in der altständischen Libertät die constitutionelle Frei-
heit zu erkennen glaubte. Hegel dagegen kämpfte mit sophistischer Ge-
wandtheit für Wangenheim als den Vertreter der modernen Staatsidee und
erwies, ganz im Geiste der rheinbündischen Bureaukratie, daß erst durch
den Untergang des verlebten deutschen Reichs wirkliche "deutsche Reiche", die
neuen Königreiche, entstanden seien. Mit rührenden Worten beschwor
der Neuwürttemberger Justinus Kerner seinen Herzensbruder Uhland,
abzulassen von dem "Kassen- und Kastenwesen der Schreiber und Rechts-
herren". Es war vergeblich. Als Wangenheims Freund Rückert sodann
den Poeten der Altrechtler zu einem Dichterwettstreit herausforderte, da
war der Schwabe in der vortheilhaften Lage die warmen Gefühle der
Gemüthspolitik gegen die nüchternen Erwägungen der Staatsklugheit zu
vertheidigen und bereitete dem Franken eine poetische Niederlage, die in
Württemberg als ein politischer Triumph gefeiert wurde. Was half es,
daß die beiden besten politischen Köpfe aus der Jugend des Landes,
Friedrich List und Schlayer, den Minister eifrig unterstützten? Im Land-
tage zählte Wangenheim nur zwei Anhänger, den Juristen Griesinger
und den Buchhändler Cotta, der seinen kleinstädtischen Landsleuten bald
verdächtig ward, weil er als ein Geschäftsmann großen Stils über ihren
engen Gesichtskreis hinausblickte. Das schwerste Hinderniß der Verstän-
digung blieb doch der König selber. Kein Zweifel, daß er jetzt ehrlich den
Frieden suchte; aber wer wollte ihm trauen?

Da räumte ein freundliches Geschick dies Hemmniß plötzlich aus
dem Wege. Am 30. Oktober 1816 starb der König, von Niemand be-
weint. Den Nachfolger König Wilhelm empfing das Frohlocken des ganzen

*) Graf Waldeck, Vorstellung an die Höfe von Oesterreich, Preußen, Dänemark und
England, 31. August 1816.

Verhandlungen über Wangenheims Vorſchläge.
heit bewährt, daß die Vernichtung auch nur eines ihrer Beſtandtheile
eben ihrer künſtleriſch zarten Zuſammenfügung wegen ihr Ganzes und
ſomit das Wohl des Volks gefährden würde.“*) Das ganze Land hallte
wider von jenem ungeheuren Geſchrei, das ſeitdem faſt alle Kämpfe des
deutſchen Parlamentarismus begleitete und keineswegs dazu beitrug die
Achtung des Auslands für dieſe Stürme im Waſſerglaſe zu erhöhen. Ein
wildes Pamphlet bedrohte den König bereits mit dem Schickſal ſeines
Ahnherrn, des landflüchtigen Herzogs Ulrich, und als ein anonymer
Schriftſteller für die Vorſchläge der Krone aufzutreten wagte, ward ſeine
Schrift in Stuttgart an den Schnappgalgen genagelt.

Jedermann mußte Partei ergreifen. Auch die vielen berühmten
Schwaben außerhalb des Landes ſendeten in Briefen oder Druckſchriften
ihr Urtheil in die Heimath, und es bezeichnet die heilloſe Verworrenheit des
Streites, daß die Todfeinde Schelling und Paulus ſich Beide für die alte
Verfaſſung ausſprachen, Jener weil ihm das hiſtoriſche Recht ehrwürdig
war, Dieſer weil er in der altſtändiſchen Libertät die conſtitutionelle Frei-
heit zu erkennen glaubte. Hegel dagegen kämpfte mit ſophiſtiſcher Ge-
wandtheit für Wangenheim als den Vertreter der modernen Staatsidee und
erwies, ganz im Geiſte der rheinbündiſchen Bureaukratie, daß erſt durch
den Untergang des verlebten deutſchen Reichs wirkliche „deutſche Reiche“, die
neuen Königreiche, entſtanden ſeien. Mit rührenden Worten beſchwor
der Neuwürttemberger Juſtinus Kerner ſeinen Herzensbruder Uhland,
abzulaſſen von dem „Kaſſen- und Kaſtenweſen der Schreiber und Rechts-
herren“. Es war vergeblich. Als Wangenheims Freund Rückert ſodann
den Poeten der Altrechtler zu einem Dichterwettſtreit herausforderte, da
war der Schwabe in der vortheilhaften Lage die warmen Gefühle der
Gemüthspolitik gegen die nüchternen Erwägungen der Staatsklugheit zu
vertheidigen und bereitete dem Franken eine poetiſche Niederlage, die in
Württemberg als ein politiſcher Triumph gefeiert wurde. Was half es,
daß die beiden beſten politiſchen Köpfe aus der Jugend des Landes,
Friedrich Liſt und Schlayer, den Miniſter eifrig unterſtützten? Im Land-
tage zählte Wangenheim nur zwei Anhänger, den Juriſten Grieſinger
und den Buchhändler Cotta, der ſeinen kleinſtädtiſchen Landsleuten bald
verdächtig ward, weil er als ein Geſchäftsmann großen Stils über ihren
engen Geſichtskreis hinausblickte. Das ſchwerſte Hinderniß der Verſtän-
digung blieb doch der König ſelber. Kein Zweifel, daß er jetzt ehrlich den
Frieden ſuchte; aber wer wollte ihm trauen?

Da räumte ein freundliches Geſchick dies Hemmniß plötzlich aus
dem Wege. Am 30. Oktober 1816 ſtarb der König, von Niemand be-
weint. Den Nachfolger König Wilhelm empfing das Frohlocken des ganzen

*) Graf Waldeck, Vorſtellung an die Höfe von Oeſterreich, Preußen, Dänemark und
England, 31. Auguſt 1816.
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[317/0331] Verhandlungen über Wangenheims Vorſchläge. heit bewährt, daß die Vernichtung auch nur eines ihrer Beſtandtheile eben ihrer künſtleriſch zarten Zuſammenfügung wegen ihr Ganzes und ſomit das Wohl des Volks gefährden würde.“ *) Das ganze Land hallte wider von jenem ungeheuren Geſchrei, das ſeitdem faſt alle Kämpfe des deutſchen Parlamentarismus begleitete und keineswegs dazu beitrug die Achtung des Auslands für dieſe Stürme im Waſſerglaſe zu erhöhen. Ein wildes Pamphlet bedrohte den König bereits mit dem Schickſal ſeines Ahnherrn, des landflüchtigen Herzogs Ulrich, und als ein anonymer Schriftſteller für die Vorſchläge der Krone aufzutreten wagte, ward ſeine Schrift in Stuttgart an den Schnappgalgen genagelt. Jedermann mußte Partei ergreifen. Auch die vielen berühmten Schwaben außerhalb des Landes ſendeten in Briefen oder Druckſchriften ihr Urtheil in die Heimath, und es bezeichnet die heilloſe Verworrenheit des Streites, daß die Todfeinde Schelling und Paulus ſich Beide für die alte Verfaſſung ausſprachen, Jener weil ihm das hiſtoriſche Recht ehrwürdig war, Dieſer weil er in der altſtändiſchen Libertät die conſtitutionelle Frei- heit zu erkennen glaubte. Hegel dagegen kämpfte mit ſophiſtiſcher Ge- wandtheit für Wangenheim als den Vertreter der modernen Staatsidee und erwies, ganz im Geiſte der rheinbündiſchen Bureaukratie, daß erſt durch den Untergang des verlebten deutſchen Reichs wirkliche „deutſche Reiche“, die neuen Königreiche, entſtanden ſeien. Mit rührenden Worten beſchwor der Neuwürttemberger Juſtinus Kerner ſeinen Herzensbruder Uhland, abzulaſſen von dem „Kaſſen- und Kaſtenweſen der Schreiber und Rechts- herren“. Es war vergeblich. Als Wangenheims Freund Rückert ſodann den Poeten der Altrechtler zu einem Dichterwettſtreit herausforderte, da war der Schwabe in der vortheilhaften Lage die warmen Gefühle der Gemüthspolitik gegen die nüchternen Erwägungen der Staatsklugheit zu vertheidigen und bereitete dem Franken eine poetiſche Niederlage, die in Württemberg als ein politiſcher Triumph gefeiert wurde. Was half es, daß die beiden beſten politiſchen Köpfe aus der Jugend des Landes, Friedrich Liſt und Schlayer, den Miniſter eifrig unterſtützten? Im Land- tage zählte Wangenheim nur zwei Anhänger, den Juriſten Grieſinger und den Buchhändler Cotta, der ſeinen kleinſtädtiſchen Landsleuten bald verdächtig ward, weil er als ein Geſchäftsmann großen Stils über ihren engen Geſichtskreis hinausblickte. Das ſchwerſte Hinderniß der Verſtän- digung blieb doch der König ſelber. Kein Zweifel, daß er jetzt ehrlich den Frieden ſuchte; aber wer wollte ihm trauen? Da räumte ein freundliches Geſchick dies Hemmniß plötzlich aus dem Wege. Am 30. Oktober 1816 ſtarb der König, von Niemand be- weint. Den Nachfolger König Wilhelm empfing das Frohlocken des ganzen *) Graf Waldeck, Vorſtellung an die Höfe von Oeſterreich, Preußen, Dänemark und England, 31. Auguſt 1816.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/331>, abgerufen am 15.05.2024.