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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
anderen den schönen Beruf hat ein Band der Einheit zu bilden zwischen
den Höhen und den Niederungen der Gesellschaft. In unserem Volke
entstand nach und nach eine verhängnißvolle Spaltung, die bis zum heu-
tigen Tage ein arges Gebrechen der deutschen Gesittung geblieben ist: von
dem schauenden und hörenden sonderte sich das lesende Publicum vor-
nehm ab. Das Theater mußte sich einen guten Theil seines täglichen
Bedarfs durch literarische Handwerker liefern lassen; Schauerdramen und
schlechte Uebersetzungen aus dem Französischen lockten die Schaulust der
Menge. Wer sich zu dem auserwählten Kreise der wahren Dichter zählte,
trug meist allzu schwer an dem Gepäck der ästhetischen Doktrin, um noch
so dreist zugreifen, so herzlich lachen zu können wie es die Bühne von
ihren Beherrschern fordert, und legte seine dramatischen Gedanken in
Bücherdramen nieder. Diese Zwittergattung der Poesie, deren die über-
reiche moderne Bildung allerdings nicht gänzlich entbehren kann, gedieh
in Deutschland üppiger als in irgend einem anderen Volke. Hier, auf
dem geduldigen Papiere fanden alle die verzwickten Theoreme und phan-
tastischen Einfälle der eigensinnigen deutschen Köpfe freien Raum: Tragi-
komödien und Märchendramen, in denen alle erdenklichen Versmaße und
Arienmelodien wirr durcheinander klangen; geheimnißvolle Anspielungen,
die nur der Dichter selbst mit seinen Vertrauten verstand; literarische
Satiren, die "statt des Weltenbildes nur ein Bild des Bilds der Welt"
gaben; endlich exotische Dichtungen aller Art, die sich wie Uebersetzungen
lesen sollten.

Unter den ausländischen Vorbildern stand Calderon nach dem Ur-
theil der Eingeweihten obenan. Die deutschen Weltbürger wollten nicht
sehen, daß dieser rein nationale Dichter eben darum zu den Classikern
zählt, weil er die Ideale seiner Zeit und seines Volkes künstlerisch ge-
staltet hat; sie ahmten sklavisch seine südländischen Formen nach, die in
unserer nordischen Sprache einen opernhaften, schlechthin undramatischen
Klang annahmen, und trugen die conventionellen Ehrbegriffe des katholi-
schen Ritterthums in die freie protestantische Welt hinüber. Viel Geist
und Kraft ward an solche Künsteleien vergeudet; am letzten Ende bewirkte
das anspruchsvolle Treiben nichts als die Zerstörung aller überlieferten
dramatischen Kunstformen. Die Poeten aber gewöhnten sich mit stolzer
Bitterkeit in die undankbare Welt zu blicken. Deutschland wurde das
classische Land der verkannten Talente. Die Ueberzahl der unbefriedigten
Schriftsteller bildete eine Macht des Unfriedens in der Gesellschaft, sie
nährte den nationalen Fehler der tadelsüchtigen, hoffnungslosen Verdrossen-
heit und hat späterhin, als die politischen Leidenschaften erwachten, viel
zur Verbitterung des Parteikampfes beigetragen.

Bis zum Fratzenhaften gesteigert erschienen die sittlichen und ästheti-
schen Schwächen der romantischen Epigonen in dem zerfahrenen Leben
Zacharias Werners; sein dramatisches Talent ging ruhmlos unter, weil

II. 3. Geiſtige Strömungen der erſten Friedensjahre.
anderen den ſchönen Beruf hat ein Band der Einheit zu bilden zwiſchen
den Höhen und den Niederungen der Geſellſchaft. In unſerem Volke
entſtand nach und nach eine verhängnißvolle Spaltung, die bis zum heu-
tigen Tage ein arges Gebrechen der deutſchen Geſittung geblieben iſt: von
dem ſchauenden und hörenden ſonderte ſich das leſende Publicum vor-
nehm ab. Das Theater mußte ſich einen guten Theil ſeines täglichen
Bedarfs durch literariſche Handwerker liefern laſſen; Schauerdramen und
ſchlechte Ueberſetzungen aus dem Franzöſiſchen lockten die Schauluſt der
Menge. Wer ſich zu dem auserwählten Kreiſe der wahren Dichter zählte,
trug meiſt allzu ſchwer an dem Gepäck der äſthetiſchen Doktrin, um noch
ſo dreiſt zugreifen, ſo herzlich lachen zu können wie es die Bühne von
ihren Beherrſchern fordert, und legte ſeine dramatiſchen Gedanken in
Bücherdramen nieder. Dieſe Zwittergattung der Poeſie, deren die über-
reiche moderne Bildung allerdings nicht gänzlich entbehren kann, gedieh
in Deutſchland üppiger als in irgend einem anderen Volke. Hier, auf
dem geduldigen Papiere fanden alle die verzwickten Theoreme und phan-
taſtiſchen Einfälle der eigenſinnigen deutſchen Köpfe freien Raum: Tragi-
komödien und Märchendramen, in denen alle erdenklichen Versmaße und
Arienmelodien wirr durcheinander klangen; geheimnißvolle Anſpielungen,
die nur der Dichter ſelbſt mit ſeinen Vertrauten verſtand; literariſche
Satiren, die „ſtatt des Weltenbildes nur ein Bild des Bilds der Welt“
gaben; endlich exotiſche Dichtungen aller Art, die ſich wie Ueberſetzungen
leſen ſollten.

Unter den ausländiſchen Vorbildern ſtand Calderon nach dem Ur-
theil der Eingeweihten obenan. Die deutſchen Weltbürger wollten nicht
ſehen, daß dieſer rein nationale Dichter eben darum zu den Claſſikern
zählt, weil er die Ideale ſeiner Zeit und ſeines Volkes künſtleriſch ge-
ſtaltet hat; ſie ahmten ſklaviſch ſeine ſüdländiſchen Formen nach, die in
unſerer nordiſchen Sprache einen opernhaften, ſchlechthin undramatiſchen
Klang annahmen, und trugen die conventionellen Ehrbegriffe des katholi-
ſchen Ritterthums in die freie proteſtantiſche Welt hinüber. Viel Geiſt
und Kraft ward an ſolche Künſteleien vergeudet; am letzten Ende bewirkte
das anſpruchsvolle Treiben nichts als die Zerſtörung aller überlieferten
dramatiſchen Kunſtformen. Die Poeten aber gewöhnten ſich mit ſtolzer
Bitterkeit in die undankbare Welt zu blicken. Deutſchland wurde das
claſſiſche Land der verkannten Talente. Die Ueberzahl der unbefriedigten
Schriftſteller bildete eine Macht des Unfriedens in der Geſellſchaft, ſie
nährte den nationalen Fehler der tadelſüchtigen, hoffnungsloſen Verdroſſen-
heit und hat ſpäterhin, als die politiſchen Leidenſchaften erwachten, viel
zur Verbitterung des Parteikampfes beigetragen.

Bis zum Fratzenhaften geſteigert erſchienen die ſittlichen und äſtheti-
ſchen Schwächen der romantiſchen Epigonen in dem zerfahrenen Leben
Zacharias Werners; ſein dramatiſches Talent ging ruhmlos unter, weil

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/32>, abgerufen am 19.04.2024.