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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Provinz Sachsen.
mainzischen und dem magdeburgischen Kirchensprengel, die so lange den
Westen und den Osten Deutschlands geschieden hatte, lief mitten durch
dies Gebiet. Dazu die schärfsten Gegensätze des wirthschaftlichen und
des kirchlichen Lebens. Hier die üppigen Niederungen der Goldenen Aue
und des Magdeburger Landes, dort auf den rauhen Hochebenen und in
den feuchten Thalgründen des Eichsfeldes die armen, unter der schlaffen
Herrschaft des Krummstabs ganz verwahrlosten Weberdörfer mit ihren
zahllosen winzigen Feldstreifen. In dem neuen Regierungsbezirke Merse-
burg bestand nur eine einzige katholische Kirche; das Geburtsland von
Luther, Paul Gerhard, Rinckart, die Heimath der Reformation lebte und
webte in protestantischen Erinnerungen. Auf dem Eichsfelde war den
Jesuiten des Mainzer Kurfürsten die Arbeit der Gegenreformation, bis
auf wenige Dörfer, vollständig gelungen, erst die Preußen hatten im
Jahre 1804 in Heiligenstadt evangelischen Gottesdienst wieder eingeführt.
Und bei Alledem nicht einmal ein wohlabgerundetes Gebiet. Die Elbe
bildete nur für einen kleinen Theil der Provinz, und bei Weitem nicht
in gleichem Maße wie der Rhein und die Oder, die gemeinsame Verkehrs-
ader. Die neue Hauptstadt Magdeburg war herabgekommen wie ihr halb
verfallener Dom, sie zählte mitsammt den Vororten nur 31,000 Ein-
wohner, sie lebte dem Handel und konnte niemals den Mittelpunkt für
das gesammte Culturleben der Provinz bilden, denn die Zeit war längst
vorüber, da hier einst die freie Presse der Protestanten ihre letzte Zuflucht
gefunden hatte.

Die treuen Magdeburger und Altmärker verhehlten kaum, wie wenig
ihnen an der Gemeinschaft mit den kursächsischen Rheinbündnern lag,
und diese leisteten die Huldigung mit schwerem Herzen, obwohl manche be-
flissene Polizeibeamte dem Staatskanzler von lautem Volksjubel berichteten.
In jedem Schlosse und jeder Kirche des Kurkreises erinnerte das Wappen-
schild mit dem Rautenkranze an die alte Geschichte eines Staates, der einst
die stolze Vormacht des deutschen Protestantismus gewesen. Hier war
man gewohnt aus dem Behagen einer älteren Cultur und höheren Wohl-
stands auf die brandenburgischen Emporkömmlinge herabzuschauen; nun
mußte man die Theilung des Königreichs und darauf noch die Abtrennung
der Lausitzen erleben; dann wurden die Universität und die obersten Be-
hörden der Provinz in das Magdeburgische verlegt, obgleich die Merse-
burger ihre Stadt doch so dringend dem Könige als die einzig geeignete
Hauptstadt empfohlen hatten;*) und dazu noch die neue königlich preu-
ßische Religion, die das alte Lutherthum zu verdrängen drohte. Der Groll
äußerte sich anfangs so lebhaft, daß selbst in den Schulen die Söhne der
preußischen Beamten beständig mit den Eingebornen zu raufen hatten. Am
Heftigsten zürnte der Adel; denn obwohl die neue Herrschaft seine Interessen

*) Eingabe der Stadt Merseburg an den König, 3. Oktbr. 1815.
17*

Provinz Sachſen.
mainziſchen und dem magdeburgiſchen Kirchenſprengel, die ſo lange den
Weſten und den Oſten Deutſchlands geſchieden hatte, lief mitten durch
dies Gebiet. Dazu die ſchärfſten Gegenſätze des wirthſchaftlichen und
des kirchlichen Lebens. Hier die üppigen Niederungen der Goldenen Aue
und des Magdeburger Landes, dort auf den rauhen Hochebenen und in
den feuchten Thalgründen des Eichsfeldes die armen, unter der ſchlaffen
Herrſchaft des Krummſtabs ganz verwahrloſten Weberdörfer mit ihren
zahlloſen winzigen Feldſtreifen. In dem neuen Regierungsbezirke Merſe-
burg beſtand nur eine einzige katholiſche Kirche; das Geburtsland von
Luther, Paul Gerhard, Rinckart, die Heimath der Reformation lebte und
webte in proteſtantiſchen Erinnerungen. Auf dem Eichsfelde war den
Jeſuiten des Mainzer Kurfürſten die Arbeit der Gegenreformation, bis
auf wenige Dörfer, vollſtändig gelungen, erſt die Preußen hatten im
Jahre 1804 in Heiligenſtadt evangeliſchen Gottesdienſt wieder eingeführt.
Und bei Alledem nicht einmal ein wohlabgerundetes Gebiet. Die Elbe
bildete nur für einen kleinen Theil der Provinz, und bei Weitem nicht
in gleichem Maße wie der Rhein und die Oder, die gemeinſame Verkehrs-
ader. Die neue Hauptſtadt Magdeburg war herabgekommen wie ihr halb
verfallener Dom, ſie zählte mitſammt den Vororten nur 31,000 Ein-
wohner, ſie lebte dem Handel und konnte niemals den Mittelpunkt für
das geſammte Culturleben der Provinz bilden, denn die Zeit war längſt
vorüber, da hier einſt die freie Preſſe der Proteſtanten ihre letzte Zuflucht
gefunden hatte.

Die treuen Magdeburger und Altmärker verhehlten kaum, wie wenig
ihnen an der Gemeinſchaft mit den kurſächſiſchen Rheinbündnern lag,
und dieſe leiſteten die Huldigung mit ſchwerem Herzen, obwohl manche be-
fliſſene Polizeibeamte dem Staatskanzler von lautem Volksjubel berichteten.
In jedem Schloſſe und jeder Kirche des Kurkreiſes erinnerte das Wappen-
ſchild mit dem Rautenkranze an die alte Geſchichte eines Staates, der einſt
die ſtolze Vormacht des deutſchen Proteſtantismus geweſen. Hier war
man gewohnt aus dem Behagen einer älteren Cultur und höheren Wohl-
ſtands auf die brandenburgiſchen Emporkömmlinge herabzuſchauen; nun
mußte man die Theilung des Königreichs und darauf noch die Abtrennung
der Lauſitzen erleben; dann wurden die Univerſität und die oberſten Be-
hörden der Provinz in das Magdeburgiſche verlegt, obgleich die Merſe-
burger ihre Stadt doch ſo dringend dem Könige als die einzig geeignete
Hauptſtadt empfohlen hatten;*) und dazu noch die neue königlich preu-
ßiſche Religion, die das alte Lutherthum zu verdrängen drohte. Der Groll
äußerte ſich anfangs ſo lebhaft, daß ſelbſt in den Schulen die Söhne der
preußiſchen Beamten beſtändig mit den Eingebornen zu raufen hatten. Am
Heftigſten zürnte der Adel; denn obwohl die neue Herrſchaft ſeine Intereſſen

*) Eingabe der Stadt Merſeburg an den König, 3. Oktbr. 1815.
17*
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[259/0273] Provinz Sachſen. mainziſchen und dem magdeburgiſchen Kirchenſprengel, die ſo lange den Weſten und den Oſten Deutſchlands geſchieden hatte, lief mitten durch dies Gebiet. Dazu die ſchärfſten Gegenſätze des wirthſchaftlichen und des kirchlichen Lebens. Hier die üppigen Niederungen der Goldenen Aue und des Magdeburger Landes, dort auf den rauhen Hochebenen und in den feuchten Thalgründen des Eichsfeldes die armen, unter der ſchlaffen Herrſchaft des Krummſtabs ganz verwahrloſten Weberdörfer mit ihren zahlloſen winzigen Feldſtreifen. In dem neuen Regierungsbezirke Merſe- burg beſtand nur eine einzige katholiſche Kirche; das Geburtsland von Luther, Paul Gerhard, Rinckart, die Heimath der Reformation lebte und webte in proteſtantiſchen Erinnerungen. Auf dem Eichsfelde war den Jeſuiten des Mainzer Kurfürſten die Arbeit der Gegenreformation, bis auf wenige Dörfer, vollſtändig gelungen, erſt die Preußen hatten im Jahre 1804 in Heiligenſtadt evangeliſchen Gottesdienſt wieder eingeführt. Und bei Alledem nicht einmal ein wohlabgerundetes Gebiet. Die Elbe bildete nur für einen kleinen Theil der Provinz, und bei Weitem nicht in gleichem Maße wie der Rhein und die Oder, die gemeinſame Verkehrs- ader. Die neue Hauptſtadt Magdeburg war herabgekommen wie ihr halb verfallener Dom, ſie zählte mitſammt den Vororten nur 31,000 Ein- wohner, ſie lebte dem Handel und konnte niemals den Mittelpunkt für das geſammte Culturleben der Provinz bilden, denn die Zeit war längſt vorüber, da hier einſt die freie Preſſe der Proteſtanten ihre letzte Zuflucht gefunden hatte. Die treuen Magdeburger und Altmärker verhehlten kaum, wie wenig ihnen an der Gemeinſchaft mit den kurſächſiſchen Rheinbündnern lag, und dieſe leiſteten die Huldigung mit ſchwerem Herzen, obwohl manche be- fliſſene Polizeibeamte dem Staatskanzler von lautem Volksjubel berichteten. In jedem Schloſſe und jeder Kirche des Kurkreiſes erinnerte das Wappen- ſchild mit dem Rautenkranze an die alte Geſchichte eines Staates, der einſt die ſtolze Vormacht des deutſchen Proteſtantismus geweſen. Hier war man gewohnt aus dem Behagen einer älteren Cultur und höheren Wohl- ſtands auf die brandenburgiſchen Emporkömmlinge herabzuſchauen; nun mußte man die Theilung des Königreichs und darauf noch die Abtrennung der Lauſitzen erleben; dann wurden die Univerſität und die oberſten Be- hörden der Provinz in das Magdeburgiſche verlegt, obgleich die Merſe- burger ihre Stadt doch ſo dringend dem Könige als die einzig geeignete Hauptſtadt empfohlen hatten; *) und dazu noch die neue königlich preu- ßiſche Religion, die das alte Lutherthum zu verdrängen drohte. Der Groll äußerte ſich anfangs ſo lebhaft, daß ſelbſt in den Schulen die Söhne der preußiſchen Beamten beſtändig mit den Eingebornen zu raufen hatten. Am Heftigſten zürnte der Adel; denn obwohl die neue Herrſchaft ſeine Intereſſen *) Eingabe der Stadt Merſeburg an den König, 3. Oktbr. 1815. 17*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/273>, abgerufen am 24.11.2024.