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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Das Deutschthum in Posen.
wickeln."*) Die Regulirung der bäuerlichen Lasten ward durchgeführt,
zum Vortheil des Adels selber, der sich jetzt genöthigt sah aus seiner rohen
Naturalwirthschaft zur Geldwirthschaft überzugehen und dabei durch die
neue landwirthschaftliche Creditanstalt (1817) eine wirksame Hilfe erhielt.

Von einem kräftigen Bürgerthum fanden sich kaum Spuren in dieser
städtereichsten Provinz der Monarchie; selbst die Stadt Posen war ein öder
ungepflasterter Ort, ein Gewirr von niederen schindelgedeckten Häuschen,
wie sie heute nur noch die Wallischei-Vorstadt zieren, mitten darunter ver-
fallene Kirchen und unsaubere Adelspaläste. Auch dies begann sich zu
ändern, seit die deutschen Bürger sich von Jahr zu Jahr vermehrten und
in den zahlreichen neugegründeten Unterrichtsanstalten eine Stütze ihres
Volksthums fanden. Das polnische Gnesen wurde nach einem furchtbaren
Brande großentheils auf Kosten des Staates stattlicher wieder aufgebaut
und ehrte seinen königlichen Restaurator durch eine Denkmünze; noch
schneller hob sich das deutsche Bromberg seit der Verkehr auf dem Netze-
Canal wieder frei ward. Während die Deutschen andern Nachbarvölkern
gegenüber nur zu oft eine haltlose Empfänglichkeit zeigten, fühlten sie sich
hier im Slavenlande allesammt stolz als Herrscher und Lehrer, als Träger
einer überlegenen Gesittung; kein Deutscher lernte polnisch wenn er nicht
mußte, denn was hatte diese arme Literatur ihm zu bieten? Auch der
verblendete Trotz der Polen arbeitete den Deutschen in die Hände. Der
Statthalter hatte versprochen, daß den Eingebornen bei gleicher Befähigung
der nächste Anspruch auf die Aemter der Provinz zustehen solle. Statt
diese unbedachte Zusage auszunutzen und sich in Breslau, der Landes-
universität der neuen Provinz, für den Staatsdienst vorzubereiten, ver-
geudete die polnische Jugend ihre Kraft in den schlechen Künsten der Ge-
heimbünde. So geschah es, daß der Nachwuchs der Behörden fast allein
aus Deutschen bestand und die unfähigen Warschauer Beamten allmählich
zur Seite geschoben wurden.

Die Masse des Volkes nahm an den Umtrieben des Adels geringen
Antheil. Der polnische Bauer wußte wohl, daß sein Stand noch niemals
seit es ein Polen gab glücklichere Tage gesehen hatte; dem adlichen Pan
traute er nicht, der grausame Vogt der alten Zeit und die Karbatsche mit
dem eingeknoteten Blei blieben ihm unvergessen. Nur der confessionelle
Haß entfremdete das gutmüthig harmlose Volk den preußischen Beamten.
Denn der Clerus begegnete der ketzerischen Regierung von Haus aus mit
stillem Groll; er verzieh ihr nicht, daß sie die Klöster den strengen Vor-
schriften des Landrechts unterwarf, daß sie überall Volksschulen anlegte, die
in den katholischen Dörfern bisher fast unbekannt gewesen, und für die
Bildung der jungen Priester durch neue Lehranstalten sorgte. Die Ein-

*) Adresse des Adels im Großherzogthum Posen an den König, dem Minister
v. Klewiz übergeben Sept. 1817.

Das Deutſchthum in Poſen.
wickeln.“*) Die Regulirung der bäuerlichen Laſten ward durchgeführt,
zum Vortheil des Adels ſelber, der ſich jetzt genöthigt ſah aus ſeiner rohen
Naturalwirthſchaft zur Geldwirthſchaft überzugehen und dabei durch die
neue landwirthſchaftliche Creditanſtalt (1817) eine wirkſame Hilfe erhielt.

Von einem kräftigen Bürgerthum fanden ſich kaum Spuren in dieſer
ſtädtereichſten Provinz der Monarchie; ſelbſt die Stadt Poſen war ein öder
ungepflaſterter Ort, ein Gewirr von niederen ſchindelgedeckten Häuschen,
wie ſie heute nur noch die Walliſchei-Vorſtadt zieren, mitten darunter ver-
fallene Kirchen und unſaubere Adelspaläſte. Auch dies begann ſich zu
ändern, ſeit die deutſchen Bürger ſich von Jahr zu Jahr vermehrten und
in den zahlreichen neugegründeten Unterrichtsanſtalten eine Stütze ihres
Volksthums fanden. Das polniſche Gneſen wurde nach einem furchtbaren
Brande großentheils auf Koſten des Staates ſtattlicher wieder aufgebaut
und ehrte ſeinen königlichen Reſtaurator durch eine Denkmünze; noch
ſchneller hob ſich das deutſche Bromberg ſeit der Verkehr auf dem Netze-
Canal wieder frei ward. Während die Deutſchen andern Nachbarvölkern
gegenüber nur zu oft eine haltloſe Empfänglichkeit zeigten, fühlten ſie ſich
hier im Slavenlande alleſammt ſtolz als Herrſcher und Lehrer, als Träger
einer überlegenen Geſittung; kein Deutſcher lernte polniſch wenn er nicht
mußte, denn was hatte dieſe arme Literatur ihm zu bieten? Auch der
verblendete Trotz der Polen arbeitete den Deutſchen in die Hände. Der
Statthalter hatte verſprochen, daß den Eingebornen bei gleicher Befähigung
der nächſte Anſpruch auf die Aemter der Provinz zuſtehen ſolle. Statt
dieſe unbedachte Zuſage auszunutzen und ſich in Breslau, der Landes-
univerſität der neuen Provinz, für den Staatsdienſt vorzubereiten, ver-
geudete die polniſche Jugend ihre Kraft in den ſchlechen Künſten der Ge-
heimbünde. So geſchah es, daß der Nachwuchs der Behörden faſt allein
aus Deutſchen beſtand und die unfähigen Warſchauer Beamten allmählich
zur Seite geſchoben wurden.

Die Maſſe des Volkes nahm an den Umtrieben des Adels geringen
Antheil. Der polniſche Bauer wußte wohl, daß ſein Stand noch niemals
ſeit es ein Polen gab glücklichere Tage geſehen hatte; dem adlichen Pan
traute er nicht, der grauſame Vogt der alten Zeit und die Karbatſche mit
dem eingeknoteten Blei blieben ihm unvergeſſen. Nur der confeſſionelle
Haß entfremdete das gutmüthig harmloſe Volk den preußiſchen Beamten.
Denn der Clerus begegnete der ketzeriſchen Regierung von Haus aus mit
ſtillem Groll; er verzieh ihr nicht, daß ſie die Klöſter den ſtrengen Vor-
ſchriften des Landrechts unterwarf, daß ſie überall Volksſchulen anlegte, die
in den katholiſchen Dörfern bisher faſt unbekannt geweſen, und für die
Bildung der jungen Prieſter durch neue Lehranſtalten ſorgte. Die Ein-

*) Adreſſe des Adels im Großherzogthum Poſen an den König, dem Miniſter
v. Klewiz übergeben Sept. 1817.
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[249/0263] Das Deutſchthum in Poſen. wickeln.“ *) Die Regulirung der bäuerlichen Laſten ward durchgeführt, zum Vortheil des Adels ſelber, der ſich jetzt genöthigt ſah aus ſeiner rohen Naturalwirthſchaft zur Geldwirthſchaft überzugehen und dabei durch die neue landwirthſchaftliche Creditanſtalt (1817) eine wirkſame Hilfe erhielt. Von einem kräftigen Bürgerthum fanden ſich kaum Spuren in dieſer ſtädtereichſten Provinz der Monarchie; ſelbſt die Stadt Poſen war ein öder ungepflaſterter Ort, ein Gewirr von niederen ſchindelgedeckten Häuschen, wie ſie heute nur noch die Walliſchei-Vorſtadt zieren, mitten darunter ver- fallene Kirchen und unſaubere Adelspaläſte. Auch dies begann ſich zu ändern, ſeit die deutſchen Bürger ſich von Jahr zu Jahr vermehrten und in den zahlreichen neugegründeten Unterrichtsanſtalten eine Stütze ihres Volksthums fanden. Das polniſche Gneſen wurde nach einem furchtbaren Brande großentheils auf Koſten des Staates ſtattlicher wieder aufgebaut und ehrte ſeinen königlichen Reſtaurator durch eine Denkmünze; noch ſchneller hob ſich das deutſche Bromberg ſeit der Verkehr auf dem Netze- Canal wieder frei ward. Während die Deutſchen andern Nachbarvölkern gegenüber nur zu oft eine haltloſe Empfänglichkeit zeigten, fühlten ſie ſich hier im Slavenlande alleſammt ſtolz als Herrſcher und Lehrer, als Träger einer überlegenen Geſittung; kein Deutſcher lernte polniſch wenn er nicht mußte, denn was hatte dieſe arme Literatur ihm zu bieten? Auch der verblendete Trotz der Polen arbeitete den Deutſchen in die Hände. Der Statthalter hatte verſprochen, daß den Eingebornen bei gleicher Befähigung der nächſte Anſpruch auf die Aemter der Provinz zuſtehen ſolle. Statt dieſe unbedachte Zuſage auszunutzen und ſich in Breslau, der Landes- univerſität der neuen Provinz, für den Staatsdienſt vorzubereiten, ver- geudete die polniſche Jugend ihre Kraft in den ſchlechen Künſten der Ge- heimbünde. So geſchah es, daß der Nachwuchs der Behörden faſt allein aus Deutſchen beſtand und die unfähigen Warſchauer Beamten allmählich zur Seite geſchoben wurden. Die Maſſe des Volkes nahm an den Umtrieben des Adels geringen Antheil. Der polniſche Bauer wußte wohl, daß ſein Stand noch niemals ſeit es ein Polen gab glücklichere Tage geſehen hatte; dem adlichen Pan traute er nicht, der grauſame Vogt der alten Zeit und die Karbatſche mit dem eingeknoteten Blei blieben ihm unvergeſſen. Nur der confeſſionelle Haß entfremdete das gutmüthig harmloſe Volk den preußiſchen Beamten. Denn der Clerus begegnete der ketzeriſchen Regierung von Haus aus mit ſtillem Groll; er verzieh ihr nicht, daß ſie die Klöſter den ſtrengen Vor- ſchriften des Landrechts unterwarf, daß ſie überall Volksſchulen anlegte, die in den katholiſchen Dörfern bisher faſt unbekannt geweſen, und für die Bildung der jungen Prieſter durch neue Lehranſtalten ſorgte. Die Ein- *) Adreſſe des Adels im Großherzogthum Poſen an den König, dem Miniſter v. Klewiz übergeben Sept. 1817.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/263>, abgerufen am 24.11.2024.