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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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II. 5. Die Wiederherstellung des preußischen Staates.

Der Staatskanzler nahm die Opposition der höchsten Provinzialbe-
amten zuerst sehr unwillig auf und nannte im vertrauten Kreise ihr Unter-
fangen geradezu eine Verschwörung. Doch überwand er sich bald, erkannte
einige der Beschwerden als berechtigt an und forderte für andere genaueren
Beweis, worauf die Klagenden selber mehrere ihrer Vorwürfe zurücknehmen
mußten. Auch der König begnügte sich mit einem milden Tadel gegen die
Uebertreibungen der Denkschrift, dankte den Unterzeichnern für diesen neuen
Beweis ihres Diensteifers und kündigte ihnen an, daß er den Klagen über
die allzu straffe Centralisation soeben abgeholfen habe.*) In der That
erließ der Monarch, um den Wirkungskreis der Provinzialbehörden endlich
klar abzugrenzen, am 23. Oktober 1817 die Instruktionen für die Ober-
präsidenten und die Regierungen, zwei seit Langem vorbereitete treffliche
Gesetze, welche den Neubau der oberen Verwaltung zum Abschluß brachten
und die Grundsätze des Verwaltungsrechts auf ein halbes Jahrhundert
hinaus feststellten. Geheilt von seiner Vorliebe für die napoleonische Ver-
waltung kehrte Hardenberg jetzt zu den Gedanken Steins zurück. Das
neue Verwaltungsrecht schloß sich eng, oft wörtlich an die Gesetzgebung
des Jahres 1808 an. Die Oberpräsidenten sollten mindestens einmal jähr-
lich die ganze Provinz bereisen, überall aus eigener Anschauung den Mängeln
und Beschwerden abhelfen; sie erhielten ein so weites Gebiet selbständiger
Thätigkeit angewiesen, daß Vincke in Westphalen, Merckel in Schlesien,
Sack in Pommern bald fast wie Landesväter verehrt wurden und in dem
gesammten öffentlichen Leben ihrer Provinzen die dauernden Spuren ihres
Wirkens hinterlassen konnten. Als Hardenberg aber im Juni 1818 die hohen
Verwaltungsbeamten der Provinzen zu freimüthigen Gutachten über die
Wirkung der neuen Instruktionen aufforderte, da gingen die Erwiderungen
noch nach allen Richtungen der Windrose auseinander. Schön schalt nach
seiner Weise über die bureaukratische Mißgeburt; er und Vincke sahen nur
noch Rettung in der Wiederherstellung der Provinzialminister. Motz da-
gegen empfahl den Uebergang zu einem gemäßigten Präfektursystem; die
collegialische Verwaltung passe nur für rein monarchische Staaten, Preußen
aber stehe im Begriff sich in einen constitutionellen Staat zu verwandeln. **)
Die Aufgabe, den künstlichen Staat durch eine Verwaltung, die doch nicht
unfrei sein durfte, zusammenzuhalten, erschien dieser Generation bis zur
Unlösbarkeit schwierig. Lange Jahre sollten noch vergehen, bis das Be-
amtenthum selber anerkannte, daß der greise Staatskanzler noch einmal
seinen sicheren politischen Blick bewährt und die feine Mittellinie zwischen
dem bureaukratischen und dem Collegial-System glücklich getroffen hatte. --

Unterdessen ward in dem Ausschuß und im Plenum des Staatsraths

*) Denkschrift der Oberpräsidenten vom 30. Juni 1817, mit Randbemerkungen des
Staatskanzlers. Rechtfertigungsschreiben von Ingersleben 14. Sept., von Auerswald
15. Oktbr. 1818 u. s. w. Kabinetsordre an die Oberpräsidenten, 3. Nov. 1817.
**) Motz, Denkschrift über die Regierungen (an den Staatskanzler), Nov. 1818.
II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates.

Der Staatskanzler nahm die Oppoſition der höchſten Provinzialbe-
amten zuerſt ſehr unwillig auf und nannte im vertrauten Kreiſe ihr Unter-
fangen geradezu eine Verſchwörung. Doch überwand er ſich bald, erkannte
einige der Beſchwerden als berechtigt an und forderte für andere genaueren
Beweis, worauf die Klagenden ſelber mehrere ihrer Vorwürfe zurücknehmen
mußten. Auch der König begnügte ſich mit einem milden Tadel gegen die
Uebertreibungen der Denkſchrift, dankte den Unterzeichnern für dieſen neuen
Beweis ihres Dienſteifers und kündigte ihnen an, daß er den Klagen über
die allzu ſtraffe Centraliſation ſoeben abgeholfen habe.*) In der That
erließ der Monarch, um den Wirkungskreis der Provinzialbehörden endlich
klar abzugrenzen, am 23. Oktober 1817 die Inſtruktionen für die Ober-
präſidenten und die Regierungen, zwei ſeit Langem vorbereitete treffliche
Geſetze, welche den Neubau der oberen Verwaltung zum Abſchluß brachten
und die Grundſätze des Verwaltungsrechts auf ein halbes Jahrhundert
hinaus feſtſtellten. Geheilt von ſeiner Vorliebe für die napoleoniſche Ver-
waltung kehrte Hardenberg jetzt zu den Gedanken Steins zurück. Das
neue Verwaltungsrecht ſchloß ſich eng, oft wörtlich an die Geſetzgebung
des Jahres 1808 an. Die Oberpräſidenten ſollten mindeſtens einmal jähr-
lich die ganze Provinz bereiſen, überall aus eigener Anſchauung den Mängeln
und Beſchwerden abhelfen; ſie erhielten ein ſo weites Gebiet ſelbſtändiger
Thätigkeit angewieſen, daß Vincke in Weſtphalen, Merckel in Schleſien,
Sack in Pommern bald faſt wie Landesväter verehrt wurden und in dem
geſammten öffentlichen Leben ihrer Provinzen die dauernden Spuren ihres
Wirkens hinterlaſſen konnten. Als Hardenberg aber im Juni 1818 die hohen
Verwaltungsbeamten der Provinzen zu freimüthigen Gutachten über die
Wirkung der neuen Inſtruktionen aufforderte, da gingen die Erwiderungen
noch nach allen Richtungen der Windroſe auseinander. Schön ſchalt nach
ſeiner Weiſe über die bureaukratiſche Mißgeburt; er und Vincke ſahen nur
noch Rettung in der Wiederherſtellung der Provinzialminiſter. Motz da-
gegen empfahl den Uebergang zu einem gemäßigten Präfekturſyſtem; die
collegialiſche Verwaltung paſſe nur für rein monarchiſche Staaten, Preußen
aber ſtehe im Begriff ſich in einen conſtitutionellen Staat zu verwandeln. **)
Die Aufgabe, den künſtlichen Staat durch eine Verwaltung, die doch nicht
unfrei ſein durfte, zuſammenzuhalten, erſchien dieſer Generation bis zur
Unlösbarkeit ſchwierig. Lange Jahre ſollten noch vergehen, bis das Be-
amtenthum ſelber anerkannte, daß der greiſe Staatskanzler noch einmal
ſeinen ſicheren politiſchen Blick bewährt und die feine Mittellinie zwiſchen
dem bureaukratiſchen und dem Collegial-Syſtem glücklich getroffen hatte. —

Unterdeſſen ward in dem Ausſchuß und im Plenum des Staatsraths

*) Denkſchrift der Oberpräſidenten vom 30. Juni 1817, mit Randbemerkungen des
Staatskanzlers. Rechtfertigungsſchreiben von Ingersleben 14. Sept., von Auerswald
15. Oktbr. 1818 u. ſ. w. Kabinetsordre an die Oberpräſidenten, 3. Nov. 1817.
**) Motz, Denkſchrift über die Regierungen (an den Staatskanzler), Nov. 1818.
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[202/0216] II. 5. Die Wiederherſtellung des preußiſchen Staates. Der Staatskanzler nahm die Oppoſition der höchſten Provinzialbe- amten zuerſt ſehr unwillig auf und nannte im vertrauten Kreiſe ihr Unter- fangen geradezu eine Verſchwörung. Doch überwand er ſich bald, erkannte einige der Beſchwerden als berechtigt an und forderte für andere genaueren Beweis, worauf die Klagenden ſelber mehrere ihrer Vorwürfe zurücknehmen mußten. Auch der König begnügte ſich mit einem milden Tadel gegen die Uebertreibungen der Denkſchrift, dankte den Unterzeichnern für dieſen neuen Beweis ihres Dienſteifers und kündigte ihnen an, daß er den Klagen über die allzu ſtraffe Centraliſation ſoeben abgeholfen habe. *) In der That erließ der Monarch, um den Wirkungskreis der Provinzialbehörden endlich klar abzugrenzen, am 23. Oktober 1817 die Inſtruktionen für die Ober- präſidenten und die Regierungen, zwei ſeit Langem vorbereitete treffliche Geſetze, welche den Neubau der oberen Verwaltung zum Abſchluß brachten und die Grundſätze des Verwaltungsrechts auf ein halbes Jahrhundert hinaus feſtſtellten. Geheilt von ſeiner Vorliebe für die napoleoniſche Ver- waltung kehrte Hardenberg jetzt zu den Gedanken Steins zurück. Das neue Verwaltungsrecht ſchloß ſich eng, oft wörtlich an die Geſetzgebung des Jahres 1808 an. Die Oberpräſidenten ſollten mindeſtens einmal jähr- lich die ganze Provinz bereiſen, überall aus eigener Anſchauung den Mängeln und Beſchwerden abhelfen; ſie erhielten ein ſo weites Gebiet ſelbſtändiger Thätigkeit angewieſen, daß Vincke in Weſtphalen, Merckel in Schleſien, Sack in Pommern bald faſt wie Landesväter verehrt wurden und in dem geſammten öffentlichen Leben ihrer Provinzen die dauernden Spuren ihres Wirkens hinterlaſſen konnten. Als Hardenberg aber im Juni 1818 die hohen Verwaltungsbeamten der Provinzen zu freimüthigen Gutachten über die Wirkung der neuen Inſtruktionen aufforderte, da gingen die Erwiderungen noch nach allen Richtungen der Windroſe auseinander. Schön ſchalt nach ſeiner Weiſe über die bureaukratiſche Mißgeburt; er und Vincke ſahen nur noch Rettung in der Wiederherſtellung der Provinzialminiſter. Motz da- gegen empfahl den Uebergang zu einem gemäßigten Präfekturſyſtem; die collegialiſche Verwaltung paſſe nur für rein monarchiſche Staaten, Preußen aber ſtehe im Begriff ſich in einen conſtitutionellen Staat zu verwandeln. **) Die Aufgabe, den künſtlichen Staat durch eine Verwaltung, die doch nicht unfrei ſein durfte, zuſammenzuhalten, erſchien dieſer Generation bis zur Unlösbarkeit ſchwierig. Lange Jahre ſollten noch vergehen, bis das Be- amtenthum ſelber anerkannte, daß der greiſe Staatskanzler noch einmal ſeinen ſicheren politiſchen Blick bewährt und die feine Mittellinie zwiſchen dem bureaukratiſchen und dem Collegial-Syſtem glücklich getroffen hatte. — Unterdeſſen ward in dem Ausſchuß und im Plenum des Staatsraths *) Denkſchrift der Oberpräſidenten vom 30. Juni 1817, mit Randbemerkungen des Staatskanzlers. Rechtfertigungsſchreiben von Ingersleben 14. Sept., von Auerswald 15. Oktbr. 1818 u. ſ. w. Kabinetsordre an die Oberpräſidenten, 3. Nov. 1817. **) Motz, Denkſchrift über die Regierungen (an den Staatskanzler), Nov. 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/216>, abgerufen am 24.11.2024.