nur mühsam ihren Ernst behaupten, wenn er in seinen gelehrten, von Citaten und Anspielungen strotzenden Reden alle die reichspatriotischen Phrasen der Regensburger Tage wieder ausspielte, alle die Schnirkel und Schnörkel des heiligen Reichsrechts, bis herab zu dem großen gebratenen Ochsen des Krönungsfestes, zur Schau stellte. Kein Mißerfolg störte den Gutmüthigen in der Zuversicht seiner patriotischen Hoffnungen. Als der Bundestag im Sommer 1817 zum ersten male seine Ferien begann, hielt der luxemburgische Gesandte eine hochpathetische Schlußrede zum Preise der Bundesverfassung und rief begeistert: "Dieser Bund ist minder fürch- tend als furchtbar!" Den unzufriedenen Liberalen hielt er die Frage ent- gegen: "Was wir gewonnen haben? Daß die Mutter das Kind heiterer unter ihrem Herzen trägt, der Sorge und Angst enthoben einen Sklaven zu erziehen, sondern im Vorgefühle, daß sie einen freien Mann dem Vater- lande darbringen wird!" Ludens Nemesis aber antwortete mit der bitteren Gegenfrage: "Was wir verloren haben? Den Glauben an die Redlichkeit aller Häupter und Führer!"
Es konnte nicht fehlen, daß die nebelhafte Begeisterung des Reichs- patrioten zuweilen mit der handfesten Wirklichkeit des deutschen Particu- larismus hart zusammenstieß. So bei der Besprechung des Art. 18 der Bundesakte. Der Artikel verhieß den deutschen Unterthanen die Frei- zügigkeit, vorausgesetzt, daß "ein anderer Bundesstaat sie erweislich zu Unterthanen annehmen wolle". Von dieser leeren Phrase, die in der That wie Hohn klang, behauptete Gagern, sie begründe ein allgemeines deutsches Bürgerrecht; dies Bürgerrecht sei aber nur dann gesichert, wenn alle Deutschen ihrer Wehrpflicht in diesem oder jenem Bundesstaate genügen dürften: "das Vaterland wird hier wie dort vertheidigt!" Welch eine Zumuthung an Preußen, so lange hier allgemeine Wehrpflicht, dort Stell- vertretung oder Werbung, hier neunzehnjährige, dort sechsjährige Dienst- zeit galt! Da Goltz diese Bedenken hervorhob, erwiderte Gagern harmlos: warum solle der Bund nicht bestimmen, daß etwa mit dem vollendeten siebenundzwanzigsten Jahre die Hauptkriegspflicht jedes Deutschen als er- füllt zu betrachten sei? -- und fügte dann mit dem ganzen Stolze eines Luxemburgers hinzu: "die Abänderung dieser oder jener Special-Muster- rolle steht fürwahr in keiner Vergleichung mit den wesentlichsten National- berechtigungen!" Natürlich blieb Goltz standhaft, und der in kindlicher Unschuld unternommene Angriff auf die Grundfesten der preußischen Heeres- verfassung ward abgeschlagen. Trotz Alledem betrachtete Hardenberg seinen alten Wiener Genossen noch immer mit behaglicher Ironie und befahl dem Grafen Goltz mehrmals, den ehrlichen Patrioten schonend zu be- handeln, da er doch keinen ernsten Schaden stifte.*)
Die anderen Höfe dachten weniger vornehm. Als Gagern wiederholt
*) Weisungen an Goltz, 21. April, 12. Juli 1817.
12*
Gagerns Abberufung.
nur mühſam ihren Ernſt behaupten, wenn er in ſeinen gelehrten, von Citaten und Anſpielungen ſtrotzenden Reden alle die reichspatriotiſchen Phraſen der Regensburger Tage wieder ausſpielte, alle die Schnirkel und Schnörkel des heiligen Reichsrechts, bis herab zu dem großen gebratenen Ochſen des Krönungsfeſtes, zur Schau ſtellte. Kein Mißerfolg ſtörte den Gutmüthigen in der Zuverſicht ſeiner patriotiſchen Hoffnungen. Als der Bundestag im Sommer 1817 zum erſten male ſeine Ferien begann, hielt der luxemburgiſche Geſandte eine hochpathetiſche Schlußrede zum Preiſe der Bundesverfaſſung und rief begeiſtert: „Dieſer Bund iſt minder fürch- tend als furchtbar!“ Den unzufriedenen Liberalen hielt er die Frage ent- gegen: „Was wir gewonnen haben? Daß die Mutter das Kind heiterer unter ihrem Herzen trägt, der Sorge und Angſt enthoben einen Sklaven zu erziehen, ſondern im Vorgefühle, daß ſie einen freien Mann dem Vater- lande darbringen wird!“ Ludens Nemeſis aber antwortete mit der bitteren Gegenfrage: „Was wir verloren haben? Den Glauben an die Redlichkeit aller Häupter und Führer!“
Es konnte nicht fehlen, daß die nebelhafte Begeiſterung des Reichs- patrioten zuweilen mit der handfeſten Wirklichkeit des deutſchen Particu- larismus hart zuſammenſtieß. So bei der Beſprechung des Art. 18 der Bundesakte. Der Artikel verhieß den deutſchen Unterthanen die Frei- zügigkeit, vorausgeſetzt, daß „ein anderer Bundesſtaat ſie erweislich zu Unterthanen annehmen wolle“. Von dieſer leeren Phraſe, die in der That wie Hohn klang, behauptete Gagern, ſie begründe ein allgemeines deutſches Bürgerrecht; dies Bürgerrecht ſei aber nur dann geſichert, wenn alle Deutſchen ihrer Wehrpflicht in dieſem oder jenem Bundesſtaate genügen dürften: „das Vaterland wird hier wie dort vertheidigt!“ Welch eine Zumuthung an Preußen, ſo lange hier allgemeine Wehrpflicht, dort Stell- vertretung oder Werbung, hier neunzehnjährige, dort ſechsjährige Dienſt- zeit galt! Da Goltz dieſe Bedenken hervorhob, erwiderte Gagern harmlos: warum ſolle der Bund nicht beſtimmen, daß etwa mit dem vollendeten ſiebenundzwanzigſten Jahre die Hauptkriegspflicht jedes Deutſchen als er- füllt zu betrachten ſei? — und fügte dann mit dem ganzen Stolze eines Luxemburgers hinzu: „die Abänderung dieſer oder jener Special-Muſter- rolle ſteht fürwahr in keiner Vergleichung mit den weſentlichſten National- berechtigungen!“ Natürlich blieb Goltz ſtandhaft, und der in kindlicher Unſchuld unternommene Angriff auf die Grundfeſten der preußiſchen Heeres- verfaſſung ward abgeſchlagen. Trotz Alledem betrachtete Hardenberg ſeinen alten Wiener Genoſſen noch immer mit behaglicher Ironie und befahl dem Grafen Goltz mehrmals, den ehrlichen Patrioten ſchonend zu be- handeln, da er doch keinen ernſten Schaden ſtifte.*)
Die anderen Höfe dachten weniger vornehm. Als Gagern wiederholt
*) Weiſungen an Goltz, 21. April, 12. Juli 1817.
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Gagerns Abberufung.
nur mühſam ihren Ernſt behaupten, wenn er in ſeinen gelehrten, von
Citaten und Anſpielungen ſtrotzenden Reden alle die reichspatriotiſchen
Phraſen der Regensburger Tage wieder ausſpielte, alle die Schnirkel und
Schnörkel des heiligen Reichsrechts, bis herab zu dem großen gebratenen
Ochſen des Krönungsfeſtes, zur Schau ſtellte. Kein Mißerfolg ſtörte den
Gutmüthigen in der Zuverſicht ſeiner patriotiſchen Hoffnungen. Als der
Bundestag im Sommer 1817 zum erſten male ſeine Ferien begann, hielt
der luxemburgiſche Geſandte eine hochpathetiſche Schlußrede zum Preiſe
der Bundesverfaſſung und rief begeiſtert: „Dieſer Bund iſt minder fürch-
tend als furchtbar!“ Den unzufriedenen Liberalen hielt er die Frage ent-
gegen: „Was wir gewonnen haben? Daß die Mutter das Kind heiterer
unter ihrem Herzen trägt, der Sorge und Angſt enthoben einen Sklaven
zu erziehen, ſondern im Vorgefühle, daß ſie einen freien Mann dem Vater-
lande darbringen wird!“ Ludens Nemeſis aber antwortete mit der bitteren
Gegenfrage: „Was wir verloren haben? Den Glauben an die Redlichkeit
aller Häupter und Führer!“
Es konnte nicht fehlen, daß die nebelhafte Begeiſterung des Reichs-
patrioten zuweilen mit der handfeſten Wirklichkeit des deutſchen Particu-
larismus hart zuſammenſtieß. So bei der Beſprechung des Art. 18 der
Bundesakte. Der Artikel verhieß den deutſchen Unterthanen die Frei-
zügigkeit, vorausgeſetzt, daß „ein anderer Bundesſtaat ſie erweislich zu
Unterthanen annehmen wolle“. Von dieſer leeren Phraſe, die in der That
wie Hohn klang, behauptete Gagern, ſie begründe ein allgemeines deutſches
Bürgerrecht; dies Bürgerrecht ſei aber nur dann geſichert, wenn alle
Deutſchen ihrer Wehrpflicht in dieſem oder jenem Bundesſtaate genügen
dürften: „das Vaterland wird hier wie dort vertheidigt!“ Welch eine
Zumuthung an Preußen, ſo lange hier allgemeine Wehrpflicht, dort Stell-
vertretung oder Werbung, hier neunzehnjährige, dort ſechsjährige Dienſt-
zeit galt! Da Goltz dieſe Bedenken hervorhob, erwiderte Gagern harmlos:
warum ſolle der Bund nicht beſtimmen, daß etwa mit dem vollendeten
ſiebenundzwanzigſten Jahre die Hauptkriegspflicht jedes Deutſchen als er-
füllt zu betrachten ſei? — und fügte dann mit dem ganzen Stolze eines
Luxemburgers hinzu: „die Abänderung dieſer oder jener Special-Muſter-
rolle ſteht fürwahr in keiner Vergleichung mit den weſentlichſten National-
berechtigungen!“ Natürlich blieb Goltz ſtandhaft, und der in kindlicher
Unſchuld unternommene Angriff auf die Grundfeſten der preußiſchen Heeres-
verfaſſung ward abgeſchlagen. Trotz Alledem betrachtete Hardenberg ſeinen
alten Wiener Genoſſen noch immer mit behaglicher Ironie und befahl
dem Grafen Goltz mehrmals, den ehrlichen Patrioten ſchonend zu be-
handeln, da er doch keinen ernſten Schaden ſtifte. *)
Die anderen Höfe dachten weniger vornehm. Als Gagern wiederholt
*) Weiſungen an Goltz, 21. April, 12. Juli 1817.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/193>, abgerufen am 17.07.2024.
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