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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882.

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Rußland und England.
barn preisgeben.*) Inzwischen wuchsen die Besorgnisse des österreichischen
Hofes von Monat zu Monat, und um Neujahr 1818 stellte Metternich
dem Vertrauten Hardenbergs, Geh. Rath v. Jordan, der wegen der deut-
schen Bundesangelegenheiten in Wien verweilte, geradezu den Antrag:
Preußen möge mit Oesterreich ein geheimes Vertheidigungsbündniß für den
Fall eines russischen Angriffs abschließen. Hardenberg fand sich sofort
dazu bereit, da ihm die Freundschaft Oesterreichs über allen anderen Rück-
sichten stand. Der König aber widersprach: warum sollte Preußen, den
unbestimmten Befürchtungen der Hofburg zu Lieb', seinen alten Bundes-
genossen verlassen, der überdies die geheimen Pläne Metternichs bereits
durchschaut hatte? Mit bitterem Unmuth nahm der Staatskanzler diese
abschlägige Antwort entgegen; er meinte nach seiner eigenrichtigen Art,
Friedrich Wilhelm spiele wieder eine ähnliche Rolle wie in der traurigen
Epoche von 1805. Umsonst rief er den Fürsten Wittgenstein, den unbe-
dingten Anhänger Oesterreichs, zu Hilfe; umsonst beschwerte er sich, daß
ihm sein königlicher Herr so wenig Vertrauen zeige. Der Monarch blieb
fest, und am 2. Mai mußte Hardenberg das österreichische Anerbieten ab-
lehnen.**)

Dem englischen Hofe blieb namentlich das vielgeschäftige Treiben der
russischen Diplomatie in Spanien hochbedenklich. Hier wie in Frankreich
bemühten sich die vier Mächte ernstlich, das wiederhergestellte alte König-
thum in den Schranken der Mäßigung zu halten, soweit die Scheu vor dem
reizbaren spanischen Nationalstolze dies gestattete. Sie fühlten alle, wie
schwer die gemeinsame Sache der europäischen Restauration durch die Sün-
den König Ferdinands geschädigt wurde. Die ganze liberale Welt gerieth in
Aufruhr und Lord Byron sang flammende Verse wider den katholischen Mo-
loch, als der verworfenste der europäischen Fürsten sogleich nach seiner Rück-
kehr die Inquisition wiederherstellte, als er die Helden jenes Volkskrieges, der
den Bourbonen ihren Thron zurückgegeben, mit grausamen Strafen ver-
folgte, als aus den Reihen seiner mönchischen Anhänger der wahnwitzige
Ruf erklang: es leben die Ketten, es lebe der Druck, es lebe König Fer-
dinand, es sterbe die Nation! Aber während alle Mächte in der Verur-
theilung dieser Regierung einig waren, versuchte Rußland zugleich die
Machtstellung zu untergraben, welche England während des Unabhängig-
keitskrieges auf der Halbinsel errungen hatte. Der Gesandte des Czaren
Tatischtschew gewann in Madrid allmählich noch größeren Einfluß als Pozzo
di Borgo in Paris. Man bemerkte bald, daß Rußland die Erneuerung
des alten bourbonischen Familienvertrags wünschte um dereinst die See-
macht der beiden Kronen gegen England verwenden zu können. Der uner-

*) Denkschrift der englischen Regierung über die Lage Europas; Metternichs Apercu
sur le memoire anglais
(im August und Oktober 1816 von Krusemark an Hardenberg
gesendet).
**) Hardenbergs Tagebuch 14. Jan., 12. März, 2. Mai 1818.

Rußland und England.
barn preisgeben.*) Inzwiſchen wuchſen die Beſorgniſſe des öſterreichiſchen
Hofes von Monat zu Monat, und um Neujahr 1818 ſtellte Metternich
dem Vertrauten Hardenbergs, Geh. Rath v. Jordan, der wegen der deut-
ſchen Bundesangelegenheiten in Wien verweilte, geradezu den Antrag:
Preußen möge mit Oeſterreich ein geheimes Vertheidigungsbündniß für den
Fall eines ruſſiſchen Angriffs abſchließen. Hardenberg fand ſich ſofort
dazu bereit, da ihm die Freundſchaft Oeſterreichs über allen anderen Rück-
ſichten ſtand. Der König aber widerſprach: warum ſollte Preußen, den
unbeſtimmten Befürchtungen der Hofburg zu Lieb’, ſeinen alten Bundes-
genoſſen verlaſſen, der überdies die geheimen Pläne Metternichs bereits
durchſchaut hatte? Mit bitterem Unmuth nahm der Staatskanzler dieſe
abſchlägige Antwort entgegen; er meinte nach ſeiner eigenrichtigen Art,
Friedrich Wilhelm ſpiele wieder eine ähnliche Rolle wie in der traurigen
Epoche von 1805. Umſonſt rief er den Fürſten Wittgenſtein, den unbe-
dingten Anhänger Oeſterreichs, zu Hilfe; umſonſt beſchwerte er ſich, daß
ihm ſein königlicher Herr ſo wenig Vertrauen zeige. Der Monarch blieb
feſt, und am 2. Mai mußte Hardenberg das öſterreichiſche Anerbieten ab-
lehnen.**)

Dem engliſchen Hofe blieb namentlich das vielgeſchäftige Treiben der
ruſſiſchen Diplomatie in Spanien hochbedenklich. Hier wie in Frankreich
bemühten ſich die vier Mächte ernſtlich, das wiederhergeſtellte alte König-
thum in den Schranken der Mäßigung zu halten, ſoweit die Scheu vor dem
reizbaren ſpaniſchen Nationalſtolze dies geſtattete. Sie fühlten alle, wie
ſchwer die gemeinſame Sache der europäiſchen Reſtauration durch die Sün-
den König Ferdinands geſchädigt wurde. Die ganze liberale Welt gerieth in
Aufruhr und Lord Byron ſang flammende Verſe wider den katholiſchen Mo-
loch, als der verworfenſte der europäiſchen Fürſten ſogleich nach ſeiner Rück-
kehr die Inquiſition wiederherſtellte, als er die Helden jenes Volkskrieges, der
den Bourbonen ihren Thron zurückgegeben, mit grauſamen Strafen ver-
folgte, als aus den Reihen ſeiner mönchiſchen Anhänger der wahnwitzige
Ruf erklang: es leben die Ketten, es lebe der Druck, es lebe König Fer-
dinand, es ſterbe die Nation! Aber während alle Mächte in der Verur-
theilung dieſer Regierung einig waren, verſuchte Rußland zugleich die
Machtſtellung zu untergraben, welche England während des Unabhängig-
keitskrieges auf der Halbinſel errungen hatte. Der Geſandte des Czaren
Tatiſchtſchew gewann in Madrid allmählich noch größeren Einfluß als Pozzo
di Borgo in Paris. Man bemerkte bald, daß Rußland die Erneuerung
des alten bourboniſchen Familienvertrags wünſchte um dereinſt die See-
macht der beiden Kronen gegen England verwenden zu können. Der uner-

*) Denkſchrift der engliſchen Regierung über die Lage Europas; Metternichs Aperçu
sur le mémoire anglais
(im Auguſt und Oktober 1816 von Kruſemark an Hardenberg
geſendet).
**) Hardenbergs Tagebuch 14. Jan., 12. März, 2. Mai 1818.
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[123/0137] Rußland und England. barn preisgeben. *) Inzwiſchen wuchſen die Beſorgniſſe des öſterreichiſchen Hofes von Monat zu Monat, und um Neujahr 1818 ſtellte Metternich dem Vertrauten Hardenbergs, Geh. Rath v. Jordan, der wegen der deut- ſchen Bundesangelegenheiten in Wien verweilte, geradezu den Antrag: Preußen möge mit Oeſterreich ein geheimes Vertheidigungsbündniß für den Fall eines ruſſiſchen Angriffs abſchließen. Hardenberg fand ſich ſofort dazu bereit, da ihm die Freundſchaft Oeſterreichs über allen anderen Rück- ſichten ſtand. Der König aber widerſprach: warum ſollte Preußen, den unbeſtimmten Befürchtungen der Hofburg zu Lieb’, ſeinen alten Bundes- genoſſen verlaſſen, der überdies die geheimen Pläne Metternichs bereits durchſchaut hatte? Mit bitterem Unmuth nahm der Staatskanzler dieſe abſchlägige Antwort entgegen; er meinte nach ſeiner eigenrichtigen Art, Friedrich Wilhelm ſpiele wieder eine ähnliche Rolle wie in der traurigen Epoche von 1805. Umſonſt rief er den Fürſten Wittgenſtein, den unbe- dingten Anhänger Oeſterreichs, zu Hilfe; umſonſt beſchwerte er ſich, daß ihm ſein königlicher Herr ſo wenig Vertrauen zeige. Der Monarch blieb feſt, und am 2. Mai mußte Hardenberg das öſterreichiſche Anerbieten ab- lehnen. **) Dem engliſchen Hofe blieb namentlich das vielgeſchäftige Treiben der ruſſiſchen Diplomatie in Spanien hochbedenklich. Hier wie in Frankreich bemühten ſich die vier Mächte ernſtlich, das wiederhergeſtellte alte König- thum in den Schranken der Mäßigung zu halten, ſoweit die Scheu vor dem reizbaren ſpaniſchen Nationalſtolze dies geſtattete. Sie fühlten alle, wie ſchwer die gemeinſame Sache der europäiſchen Reſtauration durch die Sün- den König Ferdinands geſchädigt wurde. Die ganze liberale Welt gerieth in Aufruhr und Lord Byron ſang flammende Verſe wider den katholiſchen Mo- loch, als der verworfenſte der europäiſchen Fürſten ſogleich nach ſeiner Rück- kehr die Inquiſition wiederherſtellte, als er die Helden jenes Volkskrieges, der den Bourbonen ihren Thron zurückgegeben, mit grauſamen Strafen ver- folgte, als aus den Reihen ſeiner mönchiſchen Anhänger der wahnwitzige Ruf erklang: es leben die Ketten, es lebe der Druck, es lebe König Fer- dinand, es ſterbe die Nation! Aber während alle Mächte in der Verur- theilung dieſer Regierung einig waren, verſuchte Rußland zugleich die Machtſtellung zu untergraben, welche England während des Unabhängig- keitskrieges auf der Halbinſel errungen hatte. Der Geſandte des Czaren Tatiſchtſchew gewann in Madrid allmählich noch größeren Einfluß als Pozzo di Borgo in Paris. Man bemerkte bald, daß Rußland die Erneuerung des alten bourboniſchen Familienvertrags wünſchte um dereinſt die See- macht der beiden Kronen gegen England verwenden zu können. Der uner- *) Denkſchrift der engliſchen Regierung über die Lage Europas; Metternichs Aperçu sur le mémoire anglais (im Auguſt und Oktober 1816 von Kruſemark an Hardenberg geſendet). **) Hardenbergs Tagebuch 14. Jan., 12. März, 2. Mai 1818.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/137>, abgerufen am 28.11.2024.