in Paris weilten, über Südfrankreich die Raserei des weißen Schreckens herein: der katholische Pöbel stürmte die Häuser der Protestanten und mordete die Ketzer unter dem Rufe: laßt uns Würste machen aus Cal- vins Blute!
Bei so günstigem Winde fuhr das Schifflein Petri wieder mit vollen Segeln daher. Die Natur der Dinge zwang den römischen Stuhl, trotz der Sanftmuth des Papstes und trotz der Klugheit seines Staatssekretärs Consalvi, Schritt für Schritt zu den Gedanken des Zeitalters der Gegen- reformation zurückzukehren. In Deutschland nisteten sich in aller Stille die ersten Jesuiten wieder ein, und bald ward auch die zweischneidige Wir- kung der Secularisationen fühlbar. Der heranwachsende plebejische Clerus war besitz- und heimathlos, nicht mehr, wie die reichen adlichen Domkapitel der alten Zeit, durch politische Interessen mit dem Vaterlande verbunden. Als Helfferich und die beiden anderen Oratoren der katholischen Kirche auf dem Wiener Congresse ihre ultramontanen Ansichten aussprachen, fanden sie noch wenig Anklang beim deutschen Clerus; doch seitdem wuchs die clericale Partei von Jahr zu Jahr unmerklich an. Sie trat noch sehr behutsam auf, da das Beamtenthum in allen deutschen Staaten sie mit Mißtrauen betrachtete; selbst Kaiser Franz und Metternich schätzten zwar den streitbaren Katholicismus als den natürlichen Bundesgenossen der österreichischen Partei draußen im Reiche, jedoch von der Selbständigkeit der Kirche wollten sie als strenge Absolutisten nichts wissen. Um sich bei den Höfen einzuschmeicheln, frischte der Jesuitismus zunächst jene jakobitischen Lehren wieder auf, welche einst das Haus Stuart in's Verderben gestürzt hatten: die Reformation sei der letzte Quell aller Revolutionen, die Kirche der Hort und Halt des Königthums, denn sie predige den leidenden Ge- horsam, sie entbinde durch ihre mystische Weihe den König von Gottes Gnaden aller Pflichten gegen seine Unterthanen.
Die eifrigsten Anhänger der ultramontanen Partei waren die zahl- reichen Proselyten, welche die Romantik in das römische Lager hinüber- geführt hatte: so die geistreichen Gebrüder Schlosser in Frankfurt, so die Grafen Stolberg in Holstein, die mit den Clericalen des Münsterlandes in enger Verbindung standen, so vor Allen jene mächtige Convertitenschaar, die von Wien ihre rührigen Sendboten in's Reich ausschickte. Welch ein klägliches Bild geistigen Verfalles bot jetzt Friedrich Schlegel! In seinem ästhetischen Hochmuth hatte er sich einst vermessen: "ich denke eine neue Religion zu stiften, es ist an der Zeit!" Derselbe ästhetische Rausch hatte ihn sodann, als die neue Religion sich nicht finden wollte, mitsammt seiner geistreichen Frau Dorothea Mendelssohn und ihrem Sohne dem naza- renischen Maler Veit, in die Arme der römischen Kirche getrieben; nun war er längst schon eingerostet in den Angeln eines fertigen Systems, das auf jede Frage eine Antwort bereit hielt. Wilhelm Humboldt sah mit Entsetzen, wie in diesem einst so beweglichen Geiste jetzt Alles abgeschlossen
Die ultramontane Partei.
in Paris weilten, über Südfrankreich die Raſerei des weißen Schreckens herein: der katholiſche Pöbel ſtürmte die Häuſer der Proteſtanten und mordete die Ketzer unter dem Rufe: laßt uns Würſte machen aus Cal- vins Blute!
Bei ſo günſtigem Winde fuhr das Schifflein Petri wieder mit vollen Segeln daher. Die Natur der Dinge zwang den römiſchen Stuhl, trotz der Sanftmuth des Papſtes und trotz der Klugheit ſeines Staatsſekretärs Conſalvi, Schritt für Schritt zu den Gedanken des Zeitalters der Gegen- reformation zurückzukehren. In Deutſchland niſteten ſich in aller Stille die erſten Jeſuiten wieder ein, und bald ward auch die zweiſchneidige Wir- kung der Seculariſationen fühlbar. Der heranwachſende plebejiſche Clerus war beſitz- und heimathlos, nicht mehr, wie die reichen adlichen Domkapitel der alten Zeit, durch politiſche Intereſſen mit dem Vaterlande verbunden. Als Helfferich und die beiden anderen Oratoren der katholiſchen Kirche auf dem Wiener Congreſſe ihre ultramontanen Anſichten ausſprachen, fanden ſie noch wenig Anklang beim deutſchen Clerus; doch ſeitdem wuchs die clericale Partei von Jahr zu Jahr unmerklich an. Sie trat noch ſehr behutſam auf, da das Beamtenthum in allen deutſchen Staaten ſie mit Mißtrauen betrachtete; ſelbſt Kaiſer Franz und Metternich ſchätzten zwar den ſtreitbaren Katholicismus als den natürlichen Bundesgenoſſen der öſterreichiſchen Partei draußen im Reiche, jedoch von der Selbſtändigkeit der Kirche wollten ſie als ſtrenge Abſolutiſten nichts wiſſen. Um ſich bei den Höfen einzuſchmeicheln, friſchte der Jeſuitismus zunächſt jene jakobitiſchen Lehren wieder auf, welche einſt das Haus Stuart in’s Verderben geſtürzt hatten: die Reformation ſei der letzte Quell aller Revolutionen, die Kirche der Hort und Halt des Königthums, denn ſie predige den leidenden Ge- horſam, ſie entbinde durch ihre myſtiſche Weihe den König von Gottes Gnaden aller Pflichten gegen ſeine Unterthanen.
Die eifrigſten Anhänger der ultramontanen Partei waren die zahl- reichen Proſelyten, welche die Romantik in das römiſche Lager hinüber- geführt hatte: ſo die geiſtreichen Gebrüder Schloſſer in Frankfurt, ſo die Grafen Stolberg in Holſtein, die mit den Clericalen des Münſterlandes in enger Verbindung ſtanden, ſo vor Allen jene mächtige Convertitenſchaar, die von Wien ihre rührigen Sendboten in’s Reich ausſchickte. Welch ein klägliches Bild geiſtigen Verfalles bot jetzt Friedrich Schlegel! In ſeinem äſthetiſchen Hochmuth hatte er ſich einſt vermeſſen: „ich denke eine neue Religion zu ſtiften, es iſt an der Zeit!“ Derſelbe äſthetiſche Rauſch hatte ihn ſodann, als die neue Religion ſich nicht finden wollte, mitſammt ſeiner geiſtreichen Frau Dorothea Mendelsſohn und ihrem Sohne dem naza- reniſchen Maler Veit, in die Arme der römiſchen Kirche getrieben; nun war er längſt ſchon eingeroſtet in den Angeln eines fertigen Syſtems, das auf jede Frage eine Antwort bereit hielt. Wilhelm Humboldt ſah mit Entſetzen, wie in dieſem einſt ſo beweglichen Geiſte jetzt Alles abgeſchloſſen
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[95/0109]
Die ultramontane Partei.
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herein: der katholiſche Pöbel ſtürmte die Häuſer der Proteſtanten und
mordete die Ketzer unter dem Rufe: laßt uns Würſte machen aus Cal-
vins Blute!
Bei ſo günſtigem Winde fuhr das Schifflein Petri wieder mit vollen
Segeln daher. Die Natur der Dinge zwang den römiſchen Stuhl, trotz
der Sanftmuth des Papſtes und trotz der Klugheit ſeines Staatsſekretärs
Conſalvi, Schritt für Schritt zu den Gedanken des Zeitalters der Gegen-
reformation zurückzukehren. In Deutſchland niſteten ſich in aller Stille
die erſten Jeſuiten wieder ein, und bald ward auch die zweiſchneidige Wir-
kung der Seculariſationen fühlbar. Der heranwachſende plebejiſche Clerus
war beſitz- und heimathlos, nicht mehr, wie die reichen adlichen Domkapitel
der alten Zeit, durch politiſche Intereſſen mit dem Vaterlande verbunden.
Als Helfferich und die beiden anderen Oratoren der katholiſchen Kirche
auf dem Wiener Congreſſe ihre ultramontanen Anſichten ausſprachen,
fanden ſie noch wenig Anklang beim deutſchen Clerus; doch ſeitdem wuchs
die clericale Partei von Jahr zu Jahr unmerklich an. Sie trat noch ſehr
behutſam auf, da das Beamtenthum in allen deutſchen Staaten ſie mit
Mißtrauen betrachtete; ſelbſt Kaiſer Franz und Metternich ſchätzten zwar
den ſtreitbaren Katholicismus als den natürlichen Bundesgenoſſen der
öſterreichiſchen Partei draußen im Reiche, jedoch von der Selbſtändigkeit der
Kirche wollten ſie als ſtrenge Abſolutiſten nichts wiſſen. Um ſich bei den
Höfen einzuſchmeicheln, friſchte der Jeſuitismus zunächſt jene jakobitiſchen
Lehren wieder auf, welche einſt das Haus Stuart in’s Verderben geſtürzt
hatten: die Reformation ſei der letzte Quell aller Revolutionen, die Kirche
der Hort und Halt des Königthums, denn ſie predige den leidenden Ge-
horſam, ſie entbinde durch ihre myſtiſche Weihe den König von Gottes
Gnaden aller Pflichten gegen ſeine Unterthanen.
Die eifrigſten Anhänger der ultramontanen Partei waren die zahl-
reichen Proſelyten, welche die Romantik in das römiſche Lager hinüber-
geführt hatte: ſo die geiſtreichen Gebrüder Schloſſer in Frankfurt, ſo die
Grafen Stolberg in Holſtein, die mit den Clericalen des Münſterlandes
in enger Verbindung ſtanden, ſo vor Allen jene mächtige Convertitenſchaar,
die von Wien ihre rührigen Sendboten in’s Reich ausſchickte. Welch ein
klägliches Bild geiſtigen Verfalles bot jetzt Friedrich Schlegel! In ſeinem
äſthetiſchen Hochmuth hatte er ſich einſt vermeſſen: „ich denke eine neue
Religion zu ſtiften, es iſt an der Zeit!“ Derſelbe äſthetiſche Rauſch hatte
ihn ſodann, als die neue Religion ſich nicht finden wollte, mitſammt ſeiner
geiſtreichen Frau Dorothea Mendelsſohn und ihrem Sohne dem naza-
reniſchen Maler Veit, in die Arme der römiſchen Kirche getrieben; nun
war er längſt ſchon eingeroſtet in den Angeln eines fertigen Syſtems, das
auf jede Frage eine Antwort bereit hielt. Wilhelm Humboldt ſah mit
Entſetzen, wie in dieſem einſt ſo beweglichen Geiſte jetzt Alles abgeſchloſſen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 2: Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. Leipzig, 1882, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte02_1882/109>, abgerufen am 28.11.2024.
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