I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
in der Schwere ihrer Pflichten suchte: "Der Fürst soll Kopf und Herz des Staates sein, er ist das Oberhaupt der bürgerlichen Religion seines Landes."
An Friedrichs Beispiel und an den menschenfreundlichen Gedan- ken der neuen Aufklärung bildete sich das heranwachsende Geschlecht des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gehaust, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflicht- getreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Christian von Sachsen. Schon geschah es häufiger, daß die Prinzen nach preußischer Weise eine militärische Erziehung erhielten; kirchliche Duldsamkeit, För- derung des Wohlstandes und der Schulen galten als Fürstenpflicht; einzelne Kleinstaaten, wie Braunschweig, gewährten der Presse noch größere Freiheit als Preußen selber. Selbst in einigen geistlichen Gebieten trat eine Wendung zum Besseren ein, das Münsterland pries die milde und sorgsame Verwaltung seines Fürstenberg. Nicht überall freilich und nicht mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürst- lichen Despotismus verschwinden; die alte Unsitte des Soldatenhandels erreichte eben jetzt, während des amerikanischen Krieges, den Gipfelpunkt ihrer Ruchlosigkeit und zeigte, wessen das deutsche Kleinfürstenthum fähig war. Das fridericianische System der Völkerbeglückung von Oben führte in der Enge der Kleinstaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender Bevormundung. Der badische Markgraf nannte seine Hofkammer kurzweg "die natürliche Vormünderin unserer Unterthanen"; mancher wohldenkende kleine Herr mißhandelte sein Ländchen durch das neumodische physio- kratische Steuersystem, durch allerhand unreife philanthropische Experi- mente, und das fürstlich Oettingen-Oettingen'sche Landesdirectorium mußte dem wißbegierigen Landesherrn über "Namen, Gattung, Gebrauch und äußerliche Gestalt" sämmtlicher in fürstlichen Landen befindlichen Hunde genauen Bericht erstatten nebst beigefügtem ohnmaßgeblichen aller- unterthänigsten Gutachten. Doch im Ganzen war die Fürstengeneration der achtziger Jahre die ehrenwertheste, die seit Langem auf den deutschen Thronen gesessen. Wo er nur konnte trat der König den Ausschreitungen seiner Standesgenossen entgegen, befreite den alten Moser aus dem Kerker, sicherte den Württembergern den Bestand ihrer Verfassung. Das Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen seiner Glieder pulste wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.
Und weit hinaus über Deutschlands Grenzen wirkte das Vorbild Friedrichs. Maria Theresia wurde seine gelehrigste Schülerin, sie hat den Gedanken der fridericianischen Monarchie in der katholischen Welt verbreitet. Von schwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Oester- reich bisher sorglos und schläfrig dahingelebt; erst das Erstarken des ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiserstaat seine Kräfte tapfer anzuspannen. Der Norddeutsche Haugwitz gestaltete die Ver-
I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
in der Schwere ihrer Pflichten ſuchte: „Der Fürſt ſoll Kopf und Herz des Staates ſein, er iſt das Oberhaupt der bürgerlichen Religion ſeines Landes.“
An Friedrichs Beiſpiel und an den menſchenfreundlichen Gedan- ken der neuen Aufklärung bildete ſich das heranwachſende Geſchlecht des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich Wilhelms I. gehauſt, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflicht- getreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Chriſtian von Sachſen. Schon geſchah es häufiger, daß die Prinzen nach preußiſcher Weiſe eine militäriſche Erziehung erhielten; kirchliche Duldſamkeit, För- derung des Wohlſtandes und der Schulen galten als Fürſtenpflicht; einzelne Kleinſtaaten, wie Braunſchweig, gewährten der Preſſe noch größere Freiheit als Preußen ſelber. Selbſt in einigen geiſtlichen Gebieten trat eine Wendung zum Beſſeren ein, das Münſterland pries die milde und ſorgſame Verwaltung ſeines Fürſtenberg. Nicht überall freilich und nicht mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürſt- lichen Despotismus verſchwinden; die alte Unſitte des Soldatenhandels erreichte eben jetzt, während des amerikaniſchen Krieges, den Gipfelpunkt ihrer Ruchloſigkeit und zeigte, weſſen das deutſche Kleinfürſtenthum fähig war. Das fridericianiſche Syſtem der Völkerbeglückung von Oben führte in der Enge der Kleinſtaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender Bevormundung. Der badiſche Markgraf nannte ſeine Hofkammer kurzweg „die natürliche Vormünderin unſerer Unterthanen“; mancher wohldenkende kleine Herr mißhandelte ſein Ländchen durch das neumodiſche phyſio- kratiſche Steuerſyſtem, durch allerhand unreife philanthropiſche Experi- mente, und das fürſtlich Oettingen-Oettingen’ſche Landesdirectorium mußte dem wißbegierigen Landesherrn über „Namen, Gattung, Gebrauch und äußerliche Geſtalt“ ſämmtlicher in fürſtlichen Landen befindlichen Hunde genauen Bericht erſtatten nebſt beigefügtem ohnmaßgeblichen aller- unterthänigſten Gutachten. Doch im Ganzen war die Fürſtengeneration der achtziger Jahre die ehrenwertheſte, die ſeit Langem auf den deutſchen Thronen geſeſſen. Wo er nur konnte trat der König den Ausſchreitungen ſeiner Standesgenoſſen entgegen, befreite den alten Moſer aus dem Kerker, ſicherte den Württembergern den Beſtand ihrer Verfaſſung. Das Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen ſeiner Glieder pulſte wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.
Und weit hinaus über Deutſchlands Grenzen wirkte das Vorbild Friedrichs. Maria Thereſia wurde ſeine gelehrigſte Schülerin, ſie hat den Gedanken der fridericianiſchen Monarchie in der katholiſchen Welt verbreitet. Von ſchwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Oeſter- reich bisher ſorglos und ſchläfrig dahingelebt; erſt das Erſtarken des ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiſerſtaat ſeine Kräfte tapfer anzuſpannen. Der Norddeutſche Haugwitz geſtaltete die Ver-
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I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
in der Schwere ihrer Pflichten ſuchte: „Der Fürſt ſoll Kopf und Herz
des Staates ſein, er iſt das Oberhaupt der bürgerlichen Religion ſeines
Landes.“
An Friedrichs Beiſpiel und an den menſchenfreundlichen Gedan-
ken der neuen Aufklärung bildete ſich das heranwachſende Geſchlecht
des hohen Adels. Auf die kleinen Sultane, die zur Zeit Friedrich
Wilhelms I. gehauſt, folgte jetzt eine lange Reihe wohlmeinender pflicht-
getreuer Landesväter, wie Karl Friedrich von Baden, Friedrich Chriſtian
von Sachſen. Schon geſchah es häufiger, daß die Prinzen nach preußiſcher
Weiſe eine militäriſche Erziehung erhielten; kirchliche Duldſamkeit, För-
derung des Wohlſtandes und der Schulen galten als Fürſtenpflicht;
einzelne Kleinſtaaten, wie Braunſchweig, gewährten der Preſſe noch größere
Freiheit als Preußen ſelber. Selbſt in einigen geiſtlichen Gebieten trat
eine Wendung zum Beſſeren ein, das Münſterland pries die milde und
ſorgſame Verwaltung ſeines Fürſtenberg. Nicht überall freilich und nicht
mit einem Schlage konnten die tief eingewurzelten Sünden des kleinfürſt-
lichen Despotismus verſchwinden; die alte Unſitte des Soldatenhandels
erreichte eben jetzt, während des amerikaniſchen Krieges, den Gipfelpunkt
ihrer Ruchloſigkeit und zeigte, weſſen das deutſche Kleinfürſtenthum fähig
war. Das fridericianiſche Syſtem der Völkerbeglückung von Oben führte
in der Enge der Kleinſtaaten oft zu leerer Spielerei oder zu erdrückender
Bevormundung. Der badiſche Markgraf nannte ſeine Hofkammer kurzweg
„die natürliche Vormünderin unſerer Unterthanen“; mancher wohldenkende
kleine Herr mißhandelte ſein Ländchen durch das neumodiſche phyſio-
kratiſche Steuerſyſtem, durch allerhand unreife philanthropiſche Experi-
mente, und das fürſtlich Oettingen-Oettingen’ſche Landesdirectorium
mußte dem wißbegierigen Landesherrn über „Namen, Gattung, Gebrauch
und äußerliche Geſtalt“ ſämmtlicher in fürſtlichen Landen befindlichen
Hunde genauen Bericht erſtatten nebſt beigefügtem ohnmaßgeblichen aller-
unterthänigſten Gutachten. Doch im Ganzen war die Fürſtengeneration
der achtziger Jahre die ehrenwertheſte, die ſeit Langem auf den deutſchen
Thronen geſeſſen. Wo er nur konnte trat der König den Ausſchreitungen
ſeiner Standesgenoſſen entgegen, befreite den alten Moſer aus dem
Kerker, ſicherte den Württembergern den Beſtand ihrer Verfaſſung. Das
Reich als Ganzes lag hoffnungslos darnieder, aber in vielen ſeiner
Glieder pulſte wieder ein neues hoffnungsvolles Leben.
Und weit hinaus über Deutſchlands Grenzen wirkte das Vorbild
Friedrichs. Maria Thereſia wurde ſeine gelehrigſte Schülerin, ſie hat
den Gedanken der fridericianiſchen Monarchie in der katholiſchen Welt
verbreitet. Von ſchwachen Nachbarn umgeben hatte das alte Oeſter-
reich bisher ſorglos und ſchläfrig dahingelebt; erſt das Erſtarken des
ehrgeizigen Nebenbuhlers im Norden zwang den Kaiſerſtaat ſeine Kräfte
tapfer anzuſpannen. Der Norddeutſche Haugwitz geſtaltete die Ver-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/88>, abgerufen am 21.11.2024.
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