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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Ankunft der Monarchen.
nächst unter sich einigten und dann den Bourbonen in das verkleinerte
Königreich zurückriefen; sie war unerreichbar wenn man darüber mit einem
befreundeten Könige verhandeln mußte. Mit gutem Grunde klagte Harden-
berg, das eigenmächtige Verfahren der Briten habe die Coalition in einen
"amphibischen Zustand" versetzt.*)

Die beiden Kaiser wurden durch den glänzenden Erfolg des belgischen
Feldzugs keineswegs angenehm überrascht. Das Heer des Czaren kam
gar nicht mehr ins Feuer. Die Oesterreicher und die Süddeutschen be-
gannen, nach einem unbedeutenden Gefechte bei Straßburg, einen sehr
matten Belagerungskrieg gegen die elsässischen Festungen; Erzherzog Johann
ward, von wegen der fast unblutigen Eroberung von Hüningen, durch
die dankbaren Baseler wie ein anderer Napoleon gefeiert. Die anderen
Plätze hielten sich sämmtlich. Das Volk bethätigte überall fanatischen Haß;
mancher Nachzügler der verbündeten Heere ward unter unmenschlichen
Martern umgebracht. In den Vogesen rotteten sich die Gebirgsschützen
zusammen; die Schlettstätter ließen nachher die äußerst harmlosen Gräuel
der Belagerung auf ihrem Rathhause in pathetischen Bildern verherrlichen.
Genug, der österreichische Kriegsruhm hielt sich in den bescheidensten
Grenzen. Kaiser Franz sagte zu den Offizieren des Blücher'schen Haupt-
quartiers in seiner anbiedernden Weise: "Ihr Herren Preußen seid doch
Taifelskerle;" und Metternich gestand dem Freiherrn vom Stein, ein
österreichisches Heer hätte nach der Schlacht von Ligny mindestens sechs
Wochen gebraucht um sich zu erholen -- worauf Stein nachdrücklich er-
widerte: "da sehen Sie was die sittliche Kraft vermag." Getreuer als in
solchen Artigkeiten bekundete sich die wirkliche Stimmung der Hofburg in
den hämischen Briefen Adam Müllers, der nicht genug witzeln konnte
über die auf den Boulevards berlinisirenden Blücher'schen Römer.

Auch der Czar verbarg kaum, wie tief es ihn wurmte, daß die Bundes-
genossen ihm allen Kriegsruhm vorweg genommen hatten. Sobald er sah,
daß an der Herstellung der Bourbonen nichts mehr zu ändern war, gab
er seine orleanistischen Pläne sofort auf, hieß Pozzo di Borgo's eigen-
mächtiges Verfahren nachträglich gut und bemühte sich wieder, durch
Großmuth gegen Frankreich dem englischen Nebenbuhler den Rang abzu-
laufen. Das hochherzige Pathos, worin er sich gefiel, zeigte jetzt eine
eigenthümlich mystische Färbung. Unterwegs, in Heidelberg war er in die
Netze der bigotten Schwärmerin Frau von Krüdener gerathen, die ihn seit-
dem nicht mehr los ließ. Die vielgefeierte Prophetin war im Grunde
eine flache Natur; der alte Goethe meinte, als sie starb: "So ein Leben,
wie Hobelspäne! Nicht einmal ein Häufchen Asche ist daraus zu gewinnen
zum Seifensieden!" Aber sie verstand sich in der Modesprache und den
Modegefühlen der romantischen Zeit mit Anmuth zu bewegen, und Alexan-

*) Hardenbergs Tagebuch 3. Juli 1815.

Ankunft der Monarchen.
nächſt unter ſich einigten und dann den Bourbonen in das verkleinerte
Königreich zurückriefen; ſie war unerreichbar wenn man darüber mit einem
befreundeten Könige verhandeln mußte. Mit gutem Grunde klagte Harden-
berg, das eigenmächtige Verfahren der Briten habe die Coalition in einen
„amphibiſchen Zuſtand“ verſetzt.*)

Die beiden Kaiſer wurden durch den glänzenden Erfolg des belgiſchen
Feldzugs keineswegs angenehm überraſcht. Das Heer des Czaren kam
gar nicht mehr ins Feuer. Die Oeſterreicher und die Süddeutſchen be-
gannen, nach einem unbedeutenden Gefechte bei Straßburg, einen ſehr
matten Belagerungskrieg gegen die elſäſſiſchen Feſtungen; Erzherzog Johann
ward, von wegen der faſt unblutigen Eroberung von Hüningen, durch
die dankbaren Baſeler wie ein anderer Napoleon gefeiert. Die anderen
Plätze hielten ſich ſämmtlich. Das Volk bethätigte überall fanatiſchen Haß;
mancher Nachzügler der verbündeten Heere ward unter unmenſchlichen
Martern umgebracht. In den Vogeſen rotteten ſich die Gebirgsſchützen
zuſammen; die Schlettſtätter ließen nachher die äußerſt harmloſen Gräuel
der Belagerung auf ihrem Rathhauſe in pathetiſchen Bildern verherrlichen.
Genug, der öſterreichiſche Kriegsruhm hielt ſich in den beſcheidenſten
Grenzen. Kaiſer Franz ſagte zu den Offizieren des Blücher’ſchen Haupt-
quartiers in ſeiner anbiedernden Weiſe: „Ihr Herren Preußen ſeid doch
Taifelskerle;“ und Metternich geſtand dem Freiherrn vom Stein, ein
öſterreichiſches Heer hätte nach der Schlacht von Ligny mindeſtens ſechs
Wochen gebraucht um ſich zu erholen — worauf Stein nachdrücklich er-
widerte: „da ſehen Sie was die ſittliche Kraft vermag.“ Getreuer als in
ſolchen Artigkeiten bekundete ſich die wirkliche Stimmung der Hofburg in
den hämiſchen Briefen Adam Müllers, der nicht genug witzeln konnte
über die auf den Boulevards berliniſirenden Blücher’ſchen Römer.

Auch der Czar verbarg kaum, wie tief es ihn wurmte, daß die Bundes-
genoſſen ihm allen Kriegsruhm vorweg genommen hatten. Sobald er ſah,
daß an der Herſtellung der Bourbonen nichts mehr zu ändern war, gab
er ſeine orleaniſtiſchen Pläne ſofort auf, hieß Pozzo di Borgo’s eigen-
mächtiges Verfahren nachträglich gut und bemühte ſich wieder, durch
Großmuth gegen Frankreich dem engliſchen Nebenbuhler den Rang abzu-
laufen. Das hochherzige Pathos, worin er ſich gefiel, zeigte jetzt eine
eigenthümlich myſtiſche Färbung. Unterwegs, in Heidelberg war er in die
Netze der bigotten Schwärmerin Frau von Krüdener gerathen, die ihn ſeit-
dem nicht mehr los ließ. Die vielgefeierte Prophetin war im Grunde
eine flache Natur; der alte Goethe meinte, als ſie ſtarb: „So ein Leben,
wie Hobelſpäne! Nicht einmal ein Häufchen Aſche iſt daraus zu gewinnen
zum Seifenſieden!“ Aber ſie verſtand ſich in der Modeſprache und den
Modegefühlen der romantiſchen Zeit mit Anmuth zu bewegen, und Alexan-

*) Hardenbergs Tagebuch 3. Juli 1815.
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[767/0783] Ankunft der Monarchen. nächſt unter ſich einigten und dann den Bourbonen in das verkleinerte Königreich zurückriefen; ſie war unerreichbar wenn man darüber mit einem befreundeten Könige verhandeln mußte. Mit gutem Grunde klagte Harden- berg, das eigenmächtige Verfahren der Briten habe die Coalition in einen „amphibiſchen Zuſtand“ verſetzt. *) Die beiden Kaiſer wurden durch den glänzenden Erfolg des belgiſchen Feldzugs keineswegs angenehm überraſcht. Das Heer des Czaren kam gar nicht mehr ins Feuer. Die Oeſterreicher und die Süddeutſchen be- gannen, nach einem unbedeutenden Gefechte bei Straßburg, einen ſehr matten Belagerungskrieg gegen die elſäſſiſchen Feſtungen; Erzherzog Johann ward, von wegen der faſt unblutigen Eroberung von Hüningen, durch die dankbaren Baſeler wie ein anderer Napoleon gefeiert. Die anderen Plätze hielten ſich ſämmtlich. Das Volk bethätigte überall fanatiſchen Haß; mancher Nachzügler der verbündeten Heere ward unter unmenſchlichen Martern umgebracht. In den Vogeſen rotteten ſich die Gebirgsſchützen zuſammen; die Schlettſtätter ließen nachher die äußerſt harmloſen Gräuel der Belagerung auf ihrem Rathhauſe in pathetiſchen Bildern verherrlichen. Genug, der öſterreichiſche Kriegsruhm hielt ſich in den beſcheidenſten Grenzen. Kaiſer Franz ſagte zu den Offizieren des Blücher’ſchen Haupt- quartiers in ſeiner anbiedernden Weiſe: „Ihr Herren Preußen ſeid doch Taifelskerle;“ und Metternich geſtand dem Freiherrn vom Stein, ein öſterreichiſches Heer hätte nach der Schlacht von Ligny mindeſtens ſechs Wochen gebraucht um ſich zu erholen — worauf Stein nachdrücklich er- widerte: „da ſehen Sie was die ſittliche Kraft vermag.“ Getreuer als in ſolchen Artigkeiten bekundete ſich die wirkliche Stimmung der Hofburg in den hämiſchen Briefen Adam Müllers, der nicht genug witzeln konnte über die auf den Boulevards berliniſirenden Blücher’ſchen Römer. Auch der Czar verbarg kaum, wie tief es ihn wurmte, daß die Bundes- genoſſen ihm allen Kriegsruhm vorweg genommen hatten. Sobald er ſah, daß an der Herſtellung der Bourbonen nichts mehr zu ändern war, gab er ſeine orleaniſtiſchen Pläne ſofort auf, hieß Pozzo di Borgo’s eigen- mächtiges Verfahren nachträglich gut und bemühte ſich wieder, durch Großmuth gegen Frankreich dem engliſchen Nebenbuhler den Rang abzu- laufen. Das hochherzige Pathos, worin er ſich gefiel, zeigte jetzt eine eigenthümlich myſtiſche Färbung. Unterwegs, in Heidelberg war er in die Netze der bigotten Schwärmerin Frau von Krüdener gerathen, die ihn ſeit- dem nicht mehr los ließ. Die vielgefeierte Prophetin war im Grunde eine flache Natur; der alte Goethe meinte, als ſie ſtarb: „So ein Leben, wie Hobelſpäne! Nicht einmal ein Häufchen Aſche iſt daraus zu gewinnen zum Seifenſieden!“ Aber ſie verſtand ſich in der Modeſprache und den Modegefühlen der romantiſchen Zeit mit Anmuth zu bewegen, und Alexan- *) Hardenbergs Tagebuch 3. Juli 1815.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 767. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/783>, abgerufen am 23.11.2024.