nannte er sich nur einen vom Glücke begünstigten Soldaten; aber ein- mal doch mußte der Unmuth heraus. In höchster Leidenschaft schrieb er dem Staatskanzler an einem Tage drei Briefe voll heftiger Anklagen, beschuldigte in seinem Zorne selbst Stein und Blücher des Undanks.*) Die Gerechtigkeit des Königs gab ihm bald Genugthuung; er trug nach- her den Ordensstern, der im Wagen Napoleons gefunden worden. Doch über den historischen Ruhm, der ihm gebührte, ist die Mehrzahl der Zeit- genossen nie ins Klare gekommen; erst ein späteres Geschlecht seiner Landsleute ward seiner Größe gerecht, und die Franzosen wissen bis zum heutigen Tage noch nicht, wer der erste Feldherr des verbündeten Euro- pas war.
Der Unmuth zog nur wie ein flüchtiges Gewölk über Gneisenaus freie Stirne hin. Noch an dem nämlichen 30. Juni war der Held wie- der ganz bei der Sache, legte den beiden Heerführern seinen Plan für die Einnahme der Hauptstadt vor. Während Bülow die leidlich befestigte Nordseite von Paris durch Scheinangriffe beschäftigte, marschirte Blücher mit der übrigen Armee rechtsab, überschritt die Seine unterhalb der Stadt und schickte sich an, den Platz vom Süden her anzugreifen; am 2. Juli wurde Bülow von den nachrückenden Engländern abgelöst und folgte dem Feldmarschall. Die letzten Kämpfe an der offenen Südseite fielen wieder allein den Preußen zur Last. Umsonst versuchte Davoust in einem be- weglichen Briefe Waffenruhe zu erbitten. Die Behauptung des Marschalls, nach dem Sturze Napoleons bestehe kein Grund mehr zum Kriege, klang dem deutschen Feldherrn wie Hohn; in einer geharnischten Antwort forderte er den verhaßten Peiniger der deutschen Bürger zur Capitulation auf: "wollen Sie die Verwünschungen von Paris ebenso wie die von Hamburg auf sich laden?" Ein unglückliches Gefecht seiner Lieblings- waffe erschütterte den Alten tief. Die alterprobten brandenburgischen und pommerschen Husaren, 650 Pferde unter der Führung des kühnen Sohr, geriethen bei Versailles plötzlich in einen Hinterhalt, unter die elf Reiterregimenter des Generals Excelmans; als sie zurücksprengten, verirrten sie sich in dem Dorfe Chesnoy zwischen die hohen Mauern einer Sackgasse. Ein Drittel schlug sich durch, die Anderen wurden größtentheils niedergehauen. Unter ihnen auch der blutjunge Freiwillige Heinrich von York, der Lieblingssohn des Generals; der rief, als die Feinde ihm Pardon anboten: "ich heiße York!" und hieb um sich bis er zusammen- brach. So mußte der eiserne Mann, der einst den deutschen Krieg be- gonnen, dicht vor dem letzten Siege noch einmal mit seinem Herzblute zahlen.
Am 2. Juli drang das Corps Zietens nach einem heftigen Ge- fechte bis auf die Hochebene von Meudon vor. Als der wilde Van-
*) Gneisenau an Hardenberg, drei Briefe aus Gonesse 30. Juni 1815.
II. 2. Belle Alliance.
nannte er ſich nur einen vom Glücke begünſtigten Soldaten; aber ein- mal doch mußte der Unmuth heraus. In höchſter Leidenſchaft ſchrieb er dem Staatskanzler an einem Tage drei Briefe voll heftiger Anklagen, beſchuldigte in ſeinem Zorne ſelbſt Stein und Blücher des Undanks.*) Die Gerechtigkeit des Königs gab ihm bald Genugthuung; er trug nach- her den Ordensſtern, der im Wagen Napoleons gefunden worden. Doch über den hiſtoriſchen Ruhm, der ihm gebührte, iſt die Mehrzahl der Zeit- genoſſen nie ins Klare gekommen; erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſeiner Landsleute ward ſeiner Größe gerecht, und die Franzoſen wiſſen bis zum heutigen Tage noch nicht, wer der erſte Feldherr des verbündeten Euro- pas war.
Der Unmuth zog nur wie ein flüchtiges Gewölk über Gneiſenaus freie Stirne hin. Noch an dem nämlichen 30. Juni war der Held wie- der ganz bei der Sache, legte den beiden Heerführern ſeinen Plan für die Einnahme der Hauptſtadt vor. Während Bülow die leidlich befeſtigte Nordſeite von Paris durch Scheinangriffe beſchäftigte, marſchirte Blücher mit der übrigen Armee rechtsab, überſchritt die Seine unterhalb der Stadt und ſchickte ſich an, den Platz vom Süden her anzugreifen; am 2. Juli wurde Bülow von den nachrückenden Engländern abgelöſt und folgte dem Feldmarſchall. Die letzten Kämpfe an der offenen Südſeite fielen wieder allein den Preußen zur Laſt. Umſonſt verſuchte Davouſt in einem be- weglichen Briefe Waffenruhe zu erbitten. Die Behauptung des Marſchalls, nach dem Sturze Napoleons beſtehe kein Grund mehr zum Kriege, klang dem deutſchen Feldherrn wie Hohn; in einer geharniſchten Antwort forderte er den verhaßten Peiniger der deutſchen Bürger zur Capitulation auf: „wollen Sie die Verwünſchungen von Paris ebenſo wie die von Hamburg auf ſich laden?“ Ein unglückliches Gefecht ſeiner Lieblings- waffe erſchütterte den Alten tief. Die alterprobten brandenburgiſchen und pommerſchen Huſaren, 650 Pferde unter der Führung des kühnen Sohr, geriethen bei Verſailles plötzlich in einen Hinterhalt, unter die elf Reiterregimenter des Generals Excelmans; als ſie zurückſprengten, verirrten ſie ſich in dem Dorfe Chesnoy zwiſchen die hohen Mauern einer Sackgaſſe. Ein Drittel ſchlug ſich durch, die Anderen wurden größtentheils niedergehauen. Unter ihnen auch der blutjunge Freiwillige Heinrich von York, der Lieblingsſohn des Generals; der rief, als die Feinde ihm Pardon anboten: „ich heiße York!“ und hieb um ſich bis er zuſammen- brach. So mußte der eiſerne Mann, der einſt den deutſchen Krieg be- gonnen, dicht vor dem letzten Siege noch einmal mit ſeinem Herzblute zahlen.
Am 2. Juli drang das Corps Zietens nach einem heftigen Ge- fechte bis auf die Hochebene von Meudon vor. Als der wilde Van-
*) Gneiſenau an Hardenberg, drei Briefe aus Goneſſe 30. Juni 1815.
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II. 2. Belle Alliance.
nannte er ſich nur einen vom Glücke begünſtigten Soldaten; aber ein-
mal doch mußte der Unmuth heraus. In höchſter Leidenſchaft ſchrieb er
dem Staatskanzler an einem Tage drei Briefe voll heftiger Anklagen,
beſchuldigte in ſeinem Zorne ſelbſt Stein und Blücher des Undanks. *)
Die Gerechtigkeit des Königs gab ihm bald Genugthuung; er trug nach-
her den Ordensſtern, der im Wagen Napoleons gefunden worden. Doch
über den hiſtoriſchen Ruhm, der ihm gebührte, iſt die Mehrzahl der Zeit-
genoſſen nie ins Klare gekommen; erſt ein ſpäteres Geſchlecht ſeiner
Landsleute ward ſeiner Größe gerecht, und die Franzoſen wiſſen bis zum
heutigen Tage noch nicht, wer der erſte Feldherr des verbündeten Euro-
pas war.
Der Unmuth zog nur wie ein flüchtiges Gewölk über Gneiſenaus
freie Stirne hin. Noch an dem nämlichen 30. Juni war der Held wie-
der ganz bei der Sache, legte den beiden Heerführern ſeinen Plan für die
Einnahme der Hauptſtadt vor. Während Bülow die leidlich befeſtigte
Nordſeite von Paris durch Scheinangriffe beſchäftigte, marſchirte Blücher
mit der übrigen Armee rechtsab, überſchritt die Seine unterhalb der Stadt
und ſchickte ſich an, den Platz vom Süden her anzugreifen; am 2. Juli
wurde Bülow von den nachrückenden Engländern abgelöſt und folgte dem
Feldmarſchall. Die letzten Kämpfe an der offenen Südſeite fielen wieder
allein den Preußen zur Laſt. Umſonſt verſuchte Davouſt in einem be-
weglichen Briefe Waffenruhe zu erbitten. Die Behauptung des Marſchalls,
nach dem Sturze Napoleons beſtehe kein Grund mehr zum Kriege, klang
dem deutſchen Feldherrn wie Hohn; in einer geharniſchten Antwort
forderte er den verhaßten Peiniger der deutſchen Bürger zur Capitulation
auf: „wollen Sie die Verwünſchungen von Paris ebenſo wie die von
Hamburg auf ſich laden?“ Ein unglückliches Gefecht ſeiner Lieblings-
waffe erſchütterte den Alten tief. Die alterprobten brandenburgiſchen
und pommerſchen Huſaren, 650 Pferde unter der Führung des kühnen
Sohr, geriethen bei Verſailles plötzlich in einen Hinterhalt, unter die
elf Reiterregimenter des Generals Excelmans; als ſie zurückſprengten,
verirrten ſie ſich in dem Dorfe Chesnoy zwiſchen die hohen Mauern
einer Sackgaſſe. Ein Drittel ſchlug ſich durch, die Anderen wurden
größtentheils niedergehauen. Unter ihnen auch der blutjunge Freiwillige
Heinrich von York, der Lieblingsſohn des Generals; der rief, als die Feinde
ihm Pardon anboten: „ich heiße York!“ und hieb um ſich bis er zuſammen-
brach. So mußte der eiſerne Mann, der einſt den deutſchen Krieg be-
gonnen, dicht vor dem letzten Siege noch einmal mit ſeinem Herzblute
zahlen.
Am 2. Juli drang das Corps Zietens nach einem heftigen Ge-
fechte bis auf die Hochebene von Meudon vor. Als der wilde Van-
*) Gneiſenau an Hardenberg, drei Briefe aus Goneſſe 30. Juni 1815.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/780>, abgerufen am 22.11.2024.
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