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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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II. 2. Belle Alliance.
der Franzosen sind dann noch vor dem Klange dieser einzigen Trommel
auseinandergelaufen! Die Straße war übersäet mit Waffen, Tornistern
und allerhand Getrümmer, wie einst der Weg von Roßbach nach Erfurt.
Beim Morgengrauen ward das Schlachtfeld von Quatrebras erreicht, aber
erst jenseits, in Frasnes, nach Sonnenaufgang hielten die erschöpften Ver-
folger ein. Sie hatten die Zerrüttung des feindlichen Heeres so bis zur
völligen Auflösung gesteigert, daß sich von den Kämpfern von Belle Al-
liance nur 10,000 Mann, lauter ungeordnete Haufen, nachher in Paris
wieder zusammen fanden.

Mit stolzen Worten dankte Blücher dem unübertrefflichen Heere, das
ermöglicht habe was alle großen Feldherren bisher für unmöglich gehalten
hätten: "So lange es Geschichte giebt wird sie Euer gedenken. Auf Euch,
ihr unerschütterlichen Säulen der preußischen Monarchie, ruht mit Sicher-
heit das Glück Eures Königs und seines Hauses. Nie wird Preußen unter-
gehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen!" An Stein schrieb
er einfach: "Ich hoffe, mein verehrter Freund, Sie sind von mich zufrie-
den" und sprach die Hoffnung aus, seine alten Tage als Steins Nachbar
"in Ruhe aufs Land zu verleben". Er befahl, die Schlacht zu nennen
nach dem sinnvollen Namen des Hofes La Belle Alliance, wo die beiden
Sieger "durch eine anmuthige Gunst des Zufalls" zusammen getroffen
waren -- "zum Andenken des zwischen der britischen und preußischen
Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bündnisses, der
Vereinigung der beiden Armeen und der wechselseitigen Zutraulichkeit der
beiden Feldherren." Wellington ging auf den schönen Gedanken, der beiden
Völkern die verdiente Ehre gab, nicht ein. Die Schlacht sollte als sein
Sieg erscheinen, darum taufte er sie auf den Namen des Dorfes Waterloo,
wo gar nicht gefochten wurde; denn dort hatte er am 17. Juni über-
nachtet und von Spanien her war er gewohnt die Stätten seiner Siege mit
dem Namen seines letzten Hauptquartiers zu bezeichnen. Während Gnei-
senaus Schlachtbericht durchaus ehrlich und bescheiden den wirklichen Her-
gang, so weit er schon bekannt war, erzählte, stellte der Herzog in seinem
Berichte die Ereignisse so dar, als ob sein letzter Scheinangriff die Schlacht
entschieden und die Preußen nur eine immerhin dankenswerthe Hilfe ge-
leistet hätten. Zum Glück wurde von solchen Zügen englischer Bundes-
freundschaft vorderhand noch wenig ruchbar. Das Verhältniß zwischen
den Soldaten der beiden Heere blieb durchaus freundlich; die tapferen
Hochschotten, die auf dem Schlachtfelde den preußischen Vierundzwanzigern
um den Hals fielen und mit ihnen gemeinsam das Heil Dir im Sieger-
kranz! sangen, fragten wenig, wem das höhere Verdienst gebühre.

In der Heimath hatte die Unglückspost von Ligny große Bestürzung
erregt; man sah schon ein neues Zeitalter unendlicher Kriege emporsteigen.
Um so stürmischer nun die Freude über die Siegesbotschaft. Wie war
doch plötzlich das Machtverhältniß zwischen den beiden Nachbarvölkern

II. 2. Belle Alliance.
der Franzoſen ſind dann noch vor dem Klange dieſer einzigen Trommel
auseinandergelaufen! Die Straße war überſäet mit Waffen, Torniſtern
und allerhand Getrümmer, wie einſt der Weg von Roßbach nach Erfurt.
Beim Morgengrauen ward das Schlachtfeld von Quatrebras erreicht, aber
erſt jenſeits, in Frasnes, nach Sonnenaufgang hielten die erſchöpften Ver-
folger ein. Sie hatten die Zerrüttung des feindlichen Heeres ſo bis zur
völligen Auflöſung geſteigert, daß ſich von den Kämpfern von Belle Al-
liance nur 10,000 Mann, lauter ungeordnete Haufen, nachher in Paris
wieder zuſammen fanden.

Mit ſtolzen Worten dankte Blücher dem unübertrefflichen Heere, das
ermöglicht habe was alle großen Feldherren bisher für unmöglich gehalten
hätten: „So lange es Geſchichte giebt wird ſie Euer gedenken. Auf Euch,
ihr unerſchütterlichen Säulen der preußiſchen Monarchie, ruht mit Sicher-
heit das Glück Eures Königs und ſeines Hauſes. Nie wird Preußen unter-
gehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen!“ An Stein ſchrieb
er einfach: „Ich hoffe, mein verehrter Freund, Sie ſind von mich zufrie-
den“ und ſprach die Hoffnung aus, ſeine alten Tage als Steins Nachbar
„in Ruhe aufs Land zu verleben“. Er befahl, die Schlacht zu nennen
nach dem ſinnvollen Namen des Hofes La Belle Alliance, wo die beiden
Sieger „durch eine anmuthige Gunſt des Zufalls“ zuſammen getroffen
waren — „zum Andenken des zwiſchen der britiſchen und preußiſchen
Nation jetzt beſtehenden, von der Natur ſchon gebotenen Bündniſſes, der
Vereinigung der beiden Armeen und der wechſelſeitigen Zutraulichkeit der
beiden Feldherren.“ Wellington ging auf den ſchönen Gedanken, der beiden
Völkern die verdiente Ehre gab, nicht ein. Die Schlacht ſollte als ſein
Sieg erſcheinen, darum taufte er ſie auf den Namen des Dorfes Waterloo,
wo gar nicht gefochten wurde; denn dort hatte er am 17. Juni über-
nachtet und von Spanien her war er gewohnt die Stätten ſeiner Siege mit
dem Namen ſeines letzten Hauptquartiers zu bezeichnen. Während Gnei-
ſenaus Schlachtbericht durchaus ehrlich und beſcheiden den wirklichen Her-
gang, ſo weit er ſchon bekannt war, erzählte, ſtellte der Herzog in ſeinem
Berichte die Ereigniſſe ſo dar, als ob ſein letzter Scheinangriff die Schlacht
entſchieden und die Preußen nur eine immerhin dankenswerthe Hilfe ge-
leiſtet hätten. Zum Glück wurde von ſolchen Zügen engliſcher Bundes-
freundſchaft vorderhand noch wenig ruchbar. Das Verhältniß zwiſchen
den Soldaten der beiden Heere blieb durchaus freundlich; die tapferen
Hochſchotten, die auf dem Schlachtfelde den preußiſchen Vierundzwanzigern
um den Hals fielen und mit ihnen gemeinſam das Heil Dir im Sieger-
kranz! ſangen, fragten wenig, wem das höhere Verdienſt gebühre.

In der Heimath hatte die Unglückspoſt von Ligny große Beſtürzung
erregt; man ſah ſchon ein neues Zeitalter unendlicher Kriege emporſteigen.
Um ſo ſtürmiſcher nun die Freude über die Siegesbotſchaft. Wie war
doch plötzlich das Machtverhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern

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[758/0774] II. 2. Belle Alliance. der Franzoſen ſind dann noch vor dem Klange dieſer einzigen Trommel auseinandergelaufen! Die Straße war überſäet mit Waffen, Torniſtern und allerhand Getrümmer, wie einſt der Weg von Roßbach nach Erfurt. Beim Morgengrauen ward das Schlachtfeld von Quatrebras erreicht, aber erſt jenſeits, in Frasnes, nach Sonnenaufgang hielten die erſchöpften Ver- folger ein. Sie hatten die Zerrüttung des feindlichen Heeres ſo bis zur völligen Auflöſung geſteigert, daß ſich von den Kämpfern von Belle Al- liance nur 10,000 Mann, lauter ungeordnete Haufen, nachher in Paris wieder zuſammen fanden. Mit ſtolzen Worten dankte Blücher dem unübertrefflichen Heere, das ermöglicht habe was alle großen Feldherren bisher für unmöglich gehalten hätten: „So lange es Geſchichte giebt wird ſie Euer gedenken. Auf Euch, ihr unerſchütterlichen Säulen der preußiſchen Monarchie, ruht mit Sicher- heit das Glück Eures Königs und ſeines Hauſes. Nie wird Preußen unter- gehen, wenn Eure Söhne und Enkel Euch gleichen!“ An Stein ſchrieb er einfach: „Ich hoffe, mein verehrter Freund, Sie ſind von mich zufrie- den“ und ſprach die Hoffnung aus, ſeine alten Tage als Steins Nachbar „in Ruhe aufs Land zu verleben“. Er befahl, die Schlacht zu nennen nach dem ſinnvollen Namen des Hofes La Belle Alliance, wo die beiden Sieger „durch eine anmuthige Gunſt des Zufalls“ zuſammen getroffen waren — „zum Andenken des zwiſchen der britiſchen und preußiſchen Nation jetzt beſtehenden, von der Natur ſchon gebotenen Bündniſſes, der Vereinigung der beiden Armeen und der wechſelſeitigen Zutraulichkeit der beiden Feldherren.“ Wellington ging auf den ſchönen Gedanken, der beiden Völkern die verdiente Ehre gab, nicht ein. Die Schlacht ſollte als ſein Sieg erſcheinen, darum taufte er ſie auf den Namen des Dorfes Waterloo, wo gar nicht gefochten wurde; denn dort hatte er am 17. Juni über- nachtet und von Spanien her war er gewohnt die Stätten ſeiner Siege mit dem Namen ſeines letzten Hauptquartiers zu bezeichnen. Während Gnei- ſenaus Schlachtbericht durchaus ehrlich und beſcheiden den wirklichen Her- gang, ſo weit er ſchon bekannt war, erzählte, ſtellte der Herzog in ſeinem Berichte die Ereigniſſe ſo dar, als ob ſein letzter Scheinangriff die Schlacht entſchieden und die Preußen nur eine immerhin dankenswerthe Hilfe ge- leiſtet hätten. Zum Glück wurde von ſolchen Zügen engliſcher Bundes- freundſchaft vorderhand noch wenig ruchbar. Das Verhältniß zwiſchen den Soldaten der beiden Heere blieb durchaus freundlich; die tapferen Hochſchotten, die auf dem Schlachtfelde den preußiſchen Vierundzwanzigern um den Hals fielen und mit ihnen gemeinſam das Heil Dir im Sieger- kranz! ſangen, fragten wenig, wem das höhere Verdienſt gebühre. In der Heimath hatte die Unglückspoſt von Ligny große Beſtürzung erregt; man ſah ſchon ein neues Zeitalter unendlicher Kriege emporſteigen. Um ſo ſtürmiſcher nun die Freude über die Siegesbotſchaft. Wie war doch plötzlich das Machtverhältniß zwiſchen den beiden Nachbarvölkern

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 758. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/774>, abgerufen am 25.11.2024.