in Paris als bei dem Heere; er fragte seine Generale, was wohl die Ja- cobiner nach diesem neuen Siege des Kaiserreichs thun würden. Erst um Mittag befahl er dem Marschall Grouchy den Preußen zu folgen, in der Richtung ostwärts nach Gembloux und der Maas, sie nicht aus den Augen zu lassen und ihre Niederlage zu vollenden; für diesen Zweck gab er dem Marschall 33,000 Mann, eine Macht zu stark für ein Beobachtungscorps, zu schwach um eine Schlacht gegen das gesammte preußische Heer zu wagen. Grouchy zog während der zweiten Hälfte des Tages nach Osten in die Irre ohne der Preußen gewahr zu werden. Erst am Morgen des 18. fand er ihre Spur und wendete sich gegen Wavre; aber von Gneisenaus Plänen ahnte er nichts, sondern vermuthete nunmehr die preußische Armee auf dem Rückzuge nach Brüssel. Er so wenig wie sein Kaiser hielt für denkbar, daß ein geschlagenes Heer sich sogleich nach der Schlacht wieder ordnen und zu einem neuen Angriffe rüsten könnte. Der Gedanke sich zwischen die beiden Heere der Coalition einzuschieben, kam dem Imperator jetzt nicht mehr in den Sinn, da die Möglichkeit des Rückzuges der Preußen nach Norden durchaus außerhalb seiner Berechnungen lag. Er selber vereinigte sich am Nachmittage des 17. in der Nähe von Quatrebras mit der Armee Neys, zog dann in voller Sicherheit nordwärts auf der Brüsseler Straße den Engländern nach, um sie morgen oder übermorgen diesseits oder jenseits von Brüssel zur Schlacht zu zwingen.
So verworren und unfertig die Doppelschlacht am 16. Juni verlaufen war, ebenso einfach großartig gestaltete sich der Gang der Ereignisse am 18. Wellington hatte mit Kennerblick eine feste defensive Stellung gewählt, wie er sie von Spanien her liebte. Sein Heer hielt auf einem lang- gestreckten niederen Höhenzuge, der von Westen nach Osten streichend, etwa in der Mitte, bei dem Dorfe Mont St. Jean von der wohlge- pflasterten Brüsseler Landstraße senkrecht durchschnitten wird. Auf diesem engen Raume von kaum 5000 Schritt Länge standen die Truppen dicht zusammengedrängt, mehr als 30,000 Deutsche, 24,000 Engländer, über 13,000 Niederländer, zusammen 68,000 Mann, auf der Rechten Lord Hill, im Centrum der Prinz von Oranien, auf dem linken Flügel General Picton. Ein tief eingeschnittener, von Hecken eingefaßter Querweg lief der Front entlang. Im Rücken des Heeres fiel der Boden sanft ab, so daß die Mehrzahl der Regimenter dem anrückenden Feinde verborgen blieb; weiter nördlich lag an der Landstraße der lichte, von zahlreichen Wegen durchzogene Wald von Soignes, der für den Fall des Rückzugs eine gute Deckung bot. Der Herzog blieb während vieler Stunden im Centrum bei Mont St. Jean; hier unter einer Ulme, auf einer Boden- welle neben der Landstraße konnte er fast die ganze Aufstellung über- blicken und nach seiner Gewohnheit Alles unmittelbar leiten. Einige hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Festung drei
Schlachtfeld von Belle Alliance.
in Paris als bei dem Heere; er fragte ſeine Generale, was wohl die Ja- cobiner nach dieſem neuen Siege des Kaiſerreichs thun würden. Erſt um Mittag befahl er dem Marſchall Grouchy den Preußen zu folgen, in der Richtung oſtwärts nach Gembloux und der Maas, ſie nicht aus den Augen zu laſſen und ihre Niederlage zu vollenden; für dieſen Zweck gab er dem Marſchall 33,000 Mann, eine Macht zu ſtark für ein Beobachtungscorps, zu ſchwach um eine Schlacht gegen das geſammte preußiſche Heer zu wagen. Grouchy zog während der zweiten Hälfte des Tages nach Oſten in die Irre ohne der Preußen gewahr zu werden. Erſt am Morgen des 18. fand er ihre Spur und wendete ſich gegen Wavre; aber von Gneiſenaus Plänen ahnte er nichts, ſondern vermuthete nunmehr die preußiſche Armee auf dem Rückzuge nach Brüſſel. Er ſo wenig wie ſein Kaiſer hielt für denkbar, daß ein geſchlagenes Heer ſich ſogleich nach der Schlacht wieder ordnen und zu einem neuen Angriffe rüſten könnte. Der Gedanke ſich zwiſchen die beiden Heere der Coalition einzuſchieben, kam dem Imperator jetzt nicht mehr in den Sinn, da die Möglichkeit des Rückzuges der Preußen nach Norden durchaus außerhalb ſeiner Berechnungen lag. Er ſelber vereinigte ſich am Nachmittage des 17. in der Nähe von Quatrebras mit der Armee Neys, zog dann in voller Sicherheit nordwärts auf der Brüſſeler Straße den Engländern nach, um ſie morgen oder übermorgen dieſſeits oder jenſeits von Brüſſel zur Schlacht zu zwingen.
So verworren und unfertig die Doppelſchlacht am 16. Juni verlaufen war, ebenſo einfach großartig geſtaltete ſich der Gang der Ereigniſſe am 18. Wellington hatte mit Kennerblick eine feſte defenſive Stellung gewählt, wie er ſie von Spanien her liebte. Sein Heer hielt auf einem lang- geſtreckten niederen Höhenzuge, der von Weſten nach Oſten ſtreichend, etwa in der Mitte, bei dem Dorfe Mont St. Jean von der wohlge- pflaſterten Brüſſeler Landſtraße ſenkrecht durchſchnitten wird. Auf dieſem engen Raume von kaum 5000 Schritt Länge ſtanden die Truppen dicht zuſammengedrängt, mehr als 30,000 Deutſche, 24,000 Engländer, über 13,000 Niederländer, zuſammen 68,000 Mann, auf der Rechten Lord Hill, im Centrum der Prinz von Oranien, auf dem linken Flügel General Picton. Ein tief eingeſchnittener, von Hecken eingefaßter Querweg lief der Front entlang. Im Rücken des Heeres fiel der Boden ſanft ab, ſo daß die Mehrzahl der Regimenter dem anrückenden Feinde verborgen blieb; weiter nördlich lag an der Landſtraße der lichte, von zahlreichen Wegen durchzogene Wald von Soignes, der für den Fall des Rückzugs eine gute Deckung bot. Der Herzog blieb während vieler Stunden im Centrum bei Mont St. Jean; hier unter einer Ulme, auf einer Boden- welle neben der Landſtraße konnte er faſt die ganze Aufſtellung über- blicken und nach ſeiner Gewohnheit Alles unmittelbar leiten. Einige hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Feſtung drei
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[747/0763]
Schlachtfeld von Belle Alliance.
in Paris als bei dem Heere; er fragte ſeine Generale, was wohl die Ja-
cobiner nach dieſem neuen Siege des Kaiſerreichs thun würden. Erſt
um Mittag befahl er dem Marſchall Grouchy den Preußen zu folgen,
in der Richtung oſtwärts nach Gembloux und der Maas, ſie nicht aus
den Augen zu laſſen und ihre Niederlage zu vollenden; für dieſen
Zweck gab er dem Marſchall 33,000 Mann, eine Macht zu ſtark für ein
Beobachtungscorps, zu ſchwach um eine Schlacht gegen das geſammte
preußiſche Heer zu wagen. Grouchy zog während der zweiten Hälfte des
Tages nach Oſten in die Irre ohne der Preußen gewahr zu werden.
Erſt am Morgen des 18. fand er ihre Spur und wendete ſich gegen
Wavre; aber von Gneiſenaus Plänen ahnte er nichts, ſondern vermuthete
nunmehr die preußiſche Armee auf dem Rückzuge nach Brüſſel. Er ſo
wenig wie ſein Kaiſer hielt für denkbar, daß ein geſchlagenes Heer ſich
ſogleich nach der Schlacht wieder ordnen und zu einem neuen Angriffe
rüſten könnte. Der Gedanke ſich zwiſchen die beiden Heere der Coalition
einzuſchieben, kam dem Imperator jetzt nicht mehr in den Sinn, da die
Möglichkeit des Rückzuges der Preußen nach Norden durchaus außerhalb
ſeiner Berechnungen lag. Er ſelber vereinigte ſich am Nachmittage des
17. in der Nähe von Quatrebras mit der Armee Neys, zog dann in
voller Sicherheit nordwärts auf der Brüſſeler Straße den Engländern
nach, um ſie morgen oder übermorgen dieſſeits oder jenſeits von Brüſſel
zur Schlacht zu zwingen.
So verworren und unfertig die Doppelſchlacht am 16. Juni verlaufen
war, ebenſo einfach großartig geſtaltete ſich der Gang der Ereigniſſe am 18.
Wellington hatte mit Kennerblick eine feſte defenſive Stellung gewählt,
wie er ſie von Spanien her liebte. Sein Heer hielt auf einem lang-
geſtreckten niederen Höhenzuge, der von Weſten nach Oſten ſtreichend,
etwa in der Mitte, bei dem Dorfe Mont St. Jean von der wohlge-
pflaſterten Brüſſeler Landſtraße ſenkrecht durchſchnitten wird. Auf dieſem
engen Raume von kaum 5000 Schritt Länge ſtanden die Truppen dicht
zuſammengedrängt, mehr als 30,000 Deutſche, 24,000 Engländer, über
13,000 Niederländer, zuſammen 68,000 Mann, auf der Rechten Lord
Hill, im Centrum der Prinz von Oranien, auf dem linken Flügel General
Picton. Ein tief eingeſchnittener, von Hecken eingefaßter Querweg lief
der Front entlang. Im Rücken des Heeres fiel der Boden ſanft ab,
ſo daß die Mehrzahl der Regimenter dem anrückenden Feinde verborgen
blieb; weiter nördlich lag an der Landſtraße der lichte, von zahlreichen
Wegen durchzogene Wald von Soignes, der für den Fall des Rückzugs
eine gute Deckung bot. Der Herzog blieb während vieler Stunden im
Centrum bei Mont St. Jean; hier unter einer Ulme, auf einer Boden-
welle neben der Landſtraße konnte er faſt die ganze Aufſtellung über-
blicken und nach ſeiner Gewohnheit Alles unmittelbar leiten. Einige
hundert Schritt vor der Front lagen wie die Vorwerke einer Feſtung drei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 747. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/763>, abgerufen am 16.02.2025.
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