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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Gneisenaus Pläne für den 18. Juni.
die Räder der Kanonen durch den tiefen Schlamm. Auf der Beiwacht
war der Schlaf fast unmöglich, und doch blieb der frohe Muth unver-
wüstlich; am Morgen des 18. sah man die schlesischen Füsiliere nach den
Klängen der Feldmusik einen lustigen Walzer tanzen. Ein warmer Auf-
ruf des Feldmarschalls mahnte die Truppen ihre letzte Kraft aufzubieten
für den neuen Kampf: "vergesset nicht, daß Ihr Preußen seid, daß Sieg
oder Tod unsere Losung ist!"

In seinem Berichte an den König sprach Gneisenau offen die An-
klage aus, daß Wellington "wider Vermuthen und Zusage" seine Armee
nicht rechtzeitig concentrirt habe, und in vertrauten Briefen äußerte er
sich noch weit schärfer. Jedoch in dem veröffentlichten Berichte des Blü-
cher'schen Hauptquartiers wurde die peinliche Frage schonend übergangen,
und auch nach dem Kriege verschmähte Gneisenau, um der Bundesfreund-
schaft willen, hochherzig jeden Federkrieg, obgleich die unaufrichtigen
Erzählungen des Briten sein reizbares militärisches Ehrgefühl geradezu
zum Widerspruche herausforderten. Erst zwanzig Jahre später wurde
durch ein nachgelassenes Geschichtswerk von Clausewitz, der unzweifelhaft
die Mittheilungen seines Freundes Gneisenau benutzt hatte, die geheime
Geschichte dieses Feldzugs aufgeklärt. In jenem Augenblicke vollends
lag dem kühnen Manne nichts ferner als ein unfruchtbares Hadern um
vergangene Fehler; er meldete dem Könige, eine Schlacht mit getheilten
Kräften sei jetzt nicht mehr möglich, und traf sofort seine Vorbereitungen
für die Vereinigung mit dem englischen Heere. Die Stimmung im Haupt-
quartiere ward mit jeder Stunde zuversichtlicher, da die zuwartende Hal-
tung des Feindes deutlich bewies, daß das Ergebniß des 16. Juni zwar
eine verlorene Schlacht, aber keine Niederlage war. Blücher fühlte sich
des Erfolges völlig sicher; er wollte, falls Napoleon die Engländer nicht
angriffe, selber mit Wellington vereint dem Feinde alsbald die Schlacht
anbieten und hieß das wilde Regenwetter, "unseren alten Alliirten von
der Katzbach", hochwillkommen. Der russische Militärbevollmächtigte Toll
kam übel an, als er für nöthig hielt diese stolzen Preußen zu trösten
und beschwichtigend sagte, die große Armee unter Schwarzenberg werde
Alles wieder gut machen. Blüchers Adjutant Nostitz erwiderte scharf: "ehe
Sie zu Ihrem Kaiser zurückkehren, ist entweder der belgische Feldzug
ganz verloren oder wir haben die zweite Schlacht gewonnen, und dann
brauchen wir Eure große Armee nicht mehr!"

Auf Blüchers Anfrage erklärte sich der englische Feldherr bereit, am
18. an der Brüsseler Straße eine neue Schlacht anzunehmen, wenn er
auf die Hilfe von etwa 25,000 Preußen zählen könne. Der Alte erwi-
derte, er werde kommen und hoffentlich mit seiner ganzen Armee. Nach
einem kurzen glänzenden Reitergefechte, wobei Lord Uxbridge mit den
Riesen der englischen Garde-Cavallerie die französischen Lanciers buchstäblich
niederritt, ging Wellington am Nachmittage nordwärts zurück und ver-

Gneiſenaus Pläne für den 18. Juni.
die Räder der Kanonen durch den tiefen Schlamm. Auf der Beiwacht
war der Schlaf faſt unmöglich, und doch blieb der frohe Muth unver-
wüſtlich; am Morgen des 18. ſah man die ſchleſiſchen Füſiliere nach den
Klängen der Feldmuſik einen luſtigen Walzer tanzen. Ein warmer Auf-
ruf des Feldmarſchalls mahnte die Truppen ihre letzte Kraft aufzubieten
für den neuen Kampf: „vergeſſet nicht, daß Ihr Preußen ſeid, daß Sieg
oder Tod unſere Loſung iſt!“

In ſeinem Berichte an den König ſprach Gneiſenau offen die An-
klage aus, daß Wellington „wider Vermuthen und Zuſage“ ſeine Armee
nicht rechtzeitig concentrirt habe, und in vertrauten Briefen äußerte er
ſich noch weit ſchärfer. Jedoch in dem veröffentlichten Berichte des Blü-
cher’ſchen Hauptquartiers wurde die peinliche Frage ſchonend übergangen,
und auch nach dem Kriege verſchmähte Gneiſenau, um der Bundesfreund-
ſchaft willen, hochherzig jeden Federkrieg, obgleich die unaufrichtigen
Erzählungen des Briten ſein reizbares militäriſches Ehrgefühl geradezu
zum Widerſpruche herausforderten. Erſt zwanzig Jahre ſpäter wurde
durch ein nachgelaſſenes Geſchichtswerk von Clauſewitz, der unzweifelhaft
die Mittheilungen ſeines Freundes Gneiſenau benutzt hatte, die geheime
Geſchichte dieſes Feldzugs aufgeklärt. In jenem Augenblicke vollends
lag dem kühnen Manne nichts ferner als ein unfruchtbares Hadern um
vergangene Fehler; er meldete dem Könige, eine Schlacht mit getheilten
Kräften ſei jetzt nicht mehr möglich, und traf ſofort ſeine Vorbereitungen
für die Vereinigung mit dem engliſchen Heere. Die Stimmung im Haupt-
quartiere ward mit jeder Stunde zuverſichtlicher, da die zuwartende Hal-
tung des Feindes deutlich bewies, daß das Ergebniß des 16. Juni zwar
eine verlorene Schlacht, aber keine Niederlage war. Blücher fühlte ſich
des Erfolges völlig ſicher; er wollte, falls Napoleon die Engländer nicht
angriffe, ſelber mit Wellington vereint dem Feinde alsbald die Schlacht
anbieten und hieß das wilde Regenwetter, „unſeren alten Alliirten von
der Katzbach“, hochwillkommen. Der ruſſiſche Militärbevollmächtigte Toll
kam übel an, als er für nöthig hielt dieſe ſtolzen Preußen zu tröſten
und beſchwichtigend ſagte, die große Armee unter Schwarzenberg werde
Alles wieder gut machen. Blüchers Adjutant Noſtitz erwiderte ſcharf: „ehe
Sie zu Ihrem Kaiſer zurückkehren, iſt entweder der belgiſche Feldzug
ganz verloren oder wir haben die zweite Schlacht gewonnen, und dann
brauchen wir Eure große Armee nicht mehr!“

Auf Blüchers Anfrage erklärte ſich der engliſche Feldherr bereit, am
18. an der Brüſſeler Straße eine neue Schlacht anzunehmen, wenn er
auf die Hilfe von etwa 25,000 Preußen zählen könne. Der Alte erwi-
derte, er werde kommen und hoffentlich mit ſeiner ganzen Armee. Nach
einem kurzen glänzenden Reitergefechte, wobei Lord Uxbridge mit den
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[745/0761] Gneiſenaus Pläne für den 18. Juni. die Räder der Kanonen durch den tiefen Schlamm. Auf der Beiwacht war der Schlaf faſt unmöglich, und doch blieb der frohe Muth unver- wüſtlich; am Morgen des 18. ſah man die ſchleſiſchen Füſiliere nach den Klängen der Feldmuſik einen luſtigen Walzer tanzen. Ein warmer Auf- ruf des Feldmarſchalls mahnte die Truppen ihre letzte Kraft aufzubieten für den neuen Kampf: „vergeſſet nicht, daß Ihr Preußen ſeid, daß Sieg oder Tod unſere Loſung iſt!“ In ſeinem Berichte an den König ſprach Gneiſenau offen die An- klage aus, daß Wellington „wider Vermuthen und Zuſage“ ſeine Armee nicht rechtzeitig concentrirt habe, und in vertrauten Briefen äußerte er ſich noch weit ſchärfer. Jedoch in dem veröffentlichten Berichte des Blü- cher’ſchen Hauptquartiers wurde die peinliche Frage ſchonend übergangen, und auch nach dem Kriege verſchmähte Gneiſenau, um der Bundesfreund- ſchaft willen, hochherzig jeden Federkrieg, obgleich die unaufrichtigen Erzählungen des Briten ſein reizbares militäriſches Ehrgefühl geradezu zum Widerſpruche herausforderten. Erſt zwanzig Jahre ſpäter wurde durch ein nachgelaſſenes Geſchichtswerk von Clauſewitz, der unzweifelhaft die Mittheilungen ſeines Freundes Gneiſenau benutzt hatte, die geheime Geſchichte dieſes Feldzugs aufgeklärt. In jenem Augenblicke vollends lag dem kühnen Manne nichts ferner als ein unfruchtbares Hadern um vergangene Fehler; er meldete dem Könige, eine Schlacht mit getheilten Kräften ſei jetzt nicht mehr möglich, und traf ſofort ſeine Vorbereitungen für die Vereinigung mit dem engliſchen Heere. Die Stimmung im Haupt- quartiere ward mit jeder Stunde zuverſichtlicher, da die zuwartende Hal- tung des Feindes deutlich bewies, daß das Ergebniß des 16. Juni zwar eine verlorene Schlacht, aber keine Niederlage war. Blücher fühlte ſich des Erfolges völlig ſicher; er wollte, falls Napoleon die Engländer nicht angriffe, ſelber mit Wellington vereint dem Feinde alsbald die Schlacht anbieten und hieß das wilde Regenwetter, „unſeren alten Alliirten von der Katzbach“, hochwillkommen. Der ruſſiſche Militärbevollmächtigte Toll kam übel an, als er für nöthig hielt dieſe ſtolzen Preußen zu tröſten und beſchwichtigend ſagte, die große Armee unter Schwarzenberg werde Alles wieder gut machen. Blüchers Adjutant Noſtitz erwiderte ſcharf: „ehe Sie zu Ihrem Kaiſer zurückkehren, iſt entweder der belgiſche Feldzug ganz verloren oder wir haben die zweite Schlacht gewonnen, und dann brauchen wir Eure große Armee nicht mehr!“ Auf Blüchers Anfrage erklärte ſich der engliſche Feldherr bereit, am 18. an der Brüſſeler Straße eine neue Schlacht anzunehmen, wenn er auf die Hilfe von etwa 25,000 Preußen zählen könne. Der Alte erwi- derte, er werde kommen und hoffentlich mit ſeiner ganzen Armee. Nach einem kurzen glänzenden Reitergefechte, wobei Lord Uxbridge mit den Rieſen der engliſchen Garde-Cavallerie die franzöſiſchen Lanciers buchſtäblich niederritt, ging Wellington am Nachmittage nordwärts zurück und ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/761>, abgerufen am 05.05.2024.