Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Wellingtons Versprechungen.
nungen rein unmöglich war. Am 16. vor Tagesanbruch verließ er selbst
das glänzende Ballfest, das die Herzogin von Richmond den englischen
Offizieren gab, warf sich aufs Pferd, und eilte auf der Straße nach Char-
leroi südwärts bis über Quatrebras hinaus auf die Höhen von Frasnes,
dicht gegenüber dem linken Flügel der Franzosen. Von dort schrieb er
um 101/2 Uhr früh an Blücher: um 12 Uhr würden seine Reserven in
Genappe, nur eine halbe Meile hinter Quatrebras eintreffen, die englische
Reiterei in Nivelles, 1 1/3 Meile westlich von Quatrebras. War dies
richtig, so durfte Blücher mit Sicherheit auf die Unterstützung der Eng-
länder am Nachmittage zählen. Um 1 Uhr hielten die beiden Feld-
herren auf dem Windmühlenhügel von Bussy, im Rücken der preußischen
Aufstellung eine Zusammenkunft, und hier versprach Wellington, daß er
Nachmittags in die Schlacht eingreifen, die Franzosen je nach Umständen
über Marbais oder Frasnes im Rücken oder in der Flanke anfallen
werde. Mit den Worten "um 4 Uhr werde ich hier sein" trennte sich
der Herzog von dem preußischen Feldherrn.

Im Vertrauen auf diese Zusage beschlossen Blücher und Gneisenau
die Schlacht anzunehmen. Die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch
standen mit der Front nach Süden auf dem Höhenzuge von Brye und
weiter vorwärts in dem tiefen feuchten Wiesengrunde des Lignebaches,
der sich zu den Füßen dieser sanften Bodenerhebung ausdehnt; hier am
Bache waren die Dörfer St. Amand la Haye rechts und Ligny links
stark besetzt. Thielmann mit dem dritten Armeecorps traf erst um Mittag
nach angestrengtem Marsche auf dem Schlachtfelde ein und stellte seine
Truppen zwischen Sombreffe und Tongrinne als linken Flügel mit der
Front nach Westen auf, so daß die Linien des Centrums und des linken
Flügels fast senkrecht aufeinander stießen und die Schlachtstellung einen
nach Süden geöffneten Haken bildete. Der äußerste rechte Flügel bei
Wagnelee stand überdies völlig ungedeckt, falls etwa vom Westen her,
aus der Gegend von Frasnes ein Angriff erfolgte. Nur die bestimmte
Erwartung, daß Wellington rechtzeitig zur Unterstützung des rechten Flü-
gels herankommen werde, bewog die preußischen Heerführer, sich in so un-
vortheilhafter Stellung auf eine Schlacht einzulassen; sie hofften das
Gefecht den Nachmittag über hinzuhalten, bis gegen Abend 40,000 Mann
vom englischen Heere die Entscheidung brächten.

Aber der englische Feldherr konnte sein Wort nicht halten. Er sah sich
selbst bei Quatrebras mit überlegener Macht angegriffen und hatte dort
noch um 3 Uhr Nachmittags nur 7000 Mann zur Stelle; dann erst trafen
neue Zuzüge ein. Erst am späten Abend standen etwas über 30,000 Mann
bei Quatrebras versammelt, grade genug um den Angriff nothdürftig ab-
zuschlagen; an die verheißene Unterstützung war also nicht mehr zu denken.
Wellington hatte das Unmögliche versprochen, sicherlich nur aus Irrthum,
in gutem Glauben; aber was verschlug es ihm auch, wenn er sein Wort

Treitschke, Deutsche Geschichte. I. 47

Wellingtons Verſprechungen.
nungen rein unmöglich war. Am 16. vor Tagesanbruch verließ er ſelbſt
das glänzende Ballfeſt, das die Herzogin von Richmond den engliſchen
Offizieren gab, warf ſich aufs Pferd, und eilte auf der Straße nach Char-
leroi ſüdwärts bis über Quatrebras hinaus auf die Höhen von Frasnes,
dicht gegenüber dem linken Flügel der Franzoſen. Von dort ſchrieb er
um 10½ Uhr früh an Blücher: um 12 Uhr würden ſeine Reſerven in
Genappe, nur eine halbe Meile hinter Quatrebras eintreffen, die engliſche
Reiterei in Nivelles, 1⅓ Meile weſtlich von Quatrebras. War dies
richtig, ſo durfte Blücher mit Sicherheit auf die Unterſtützung der Eng-
länder am Nachmittage zählen. Um 1 Uhr hielten die beiden Feld-
herren auf dem Windmühlenhügel von Buſſy, im Rücken der preußiſchen
Aufſtellung eine Zuſammenkunft, und hier verſprach Wellington, daß er
Nachmittags in die Schlacht eingreifen, die Franzoſen je nach Umſtänden
über Marbais oder Frasnes im Rücken oder in der Flanke anfallen
werde. Mit den Worten „um 4 Uhr werde ich hier ſein“ trennte ſich
der Herzog von dem preußiſchen Feldherrn.

Im Vertrauen auf dieſe Zuſage beſchloſſen Blücher und Gneiſenau
die Schlacht anzunehmen. Die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch
ſtanden mit der Front nach Süden auf dem Höhenzuge von Brye und
weiter vorwärts in dem tiefen feuchten Wieſengrunde des Lignebaches,
der ſich zu den Füßen dieſer ſanften Bodenerhebung ausdehnt; hier am
Bache waren die Dörfer St. Amand la Haye rechts und Ligny links
ſtark beſetzt. Thielmann mit dem dritten Armeecorps traf erſt um Mittag
nach angeſtrengtem Marſche auf dem Schlachtfelde ein und ſtellte ſeine
Truppen zwiſchen Sombreffe und Tongrinne als linken Flügel mit der
Front nach Weſten auf, ſo daß die Linien des Centrums und des linken
Flügels faſt ſenkrecht aufeinander ſtießen und die Schlachtſtellung einen
nach Süden geöffneten Haken bildete. Der äußerſte rechte Flügel bei
Wagnelée ſtand überdies völlig ungedeckt, falls etwa vom Weſten her,
aus der Gegend von Frasnes ein Angriff erfolgte. Nur die beſtimmte
Erwartung, daß Wellington rechtzeitig zur Unterſtützung des rechten Flü-
gels herankommen werde, bewog die preußiſchen Heerführer, ſich in ſo un-
vortheilhafter Stellung auf eine Schlacht einzulaſſen; ſie hofften das
Gefecht den Nachmittag über hinzuhalten, bis gegen Abend 40,000 Mann
vom engliſchen Heere die Entſcheidung brächten.

Aber der engliſche Feldherr konnte ſein Wort nicht halten. Er ſah ſich
ſelbſt bei Quatrebras mit überlegener Macht angegriffen und hatte dort
noch um 3 Uhr Nachmittags nur 7000 Mann zur Stelle; dann erſt trafen
neue Zuzüge ein. Erſt am ſpäten Abend ſtanden etwas über 30,000 Mann
bei Quatrebras verſammelt, grade genug um den Angriff nothdürftig ab-
zuſchlagen; an die verheißene Unterſtützung war alſo nicht mehr zu denken.
Wellington hatte das Unmögliche verſprochen, ſicherlich nur aus Irrthum,
in gutem Glauben; aber was verſchlug es ihm auch, wenn er ſein Wort

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0753" n="737"/><fw place="top" type="header">Wellingtons Ver&#x017F;prechungen.</fw><lb/>
nungen rein unmöglich war. Am 16. vor Tagesanbruch verließ er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
das glänzende Ballfe&#x017F;t, das die Herzogin von Richmond den engli&#x017F;chen<lb/>
Offizieren gab, warf &#x017F;ich aufs Pferd, und eilte auf der Straße nach Char-<lb/>
leroi &#x017F;üdwärts bis über Quatrebras hinaus auf die Höhen von Frasnes,<lb/>
dicht gegenüber dem linken Flügel der Franzo&#x017F;en. Von dort &#x017F;chrieb er<lb/>
um 10½ Uhr früh an Blücher: um 12 Uhr würden &#x017F;eine Re&#x017F;erven in<lb/>
Genappe, nur eine halbe Meile hinter Quatrebras eintreffen, die engli&#x017F;che<lb/>
Reiterei in Nivelles, 1&#x2153; Meile we&#x017F;tlich von Quatrebras. War dies<lb/>
richtig, &#x017F;o durfte Blücher mit Sicherheit auf die Unter&#x017F;tützung der Eng-<lb/>
länder am Nachmittage zählen. Um 1 Uhr hielten die beiden Feld-<lb/>
herren auf dem Windmühlenhügel von Bu&#x017F;&#x017F;y, im Rücken der preußi&#x017F;chen<lb/>
Auf&#x017F;tellung eine Zu&#x017F;ammenkunft, und hier ver&#x017F;prach Wellington, daß er<lb/>
Nachmittags in die Schlacht eingreifen, die Franzo&#x017F;en je nach Um&#x017F;tänden<lb/>
über Marbais oder Frasnes im Rücken oder in der Flanke anfallen<lb/>
werde. Mit den Worten &#x201E;um 4 Uhr werde ich hier &#x017F;ein&#x201C; trennte &#x017F;ich<lb/>
der Herzog von dem preußi&#x017F;chen Feldherrn.</p><lb/>
            <p>Im Vertrauen auf die&#x017F;e Zu&#x017F;age be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en Blücher und Gnei&#x017F;enau<lb/>
die Schlacht anzunehmen. Die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch<lb/>
&#x017F;tanden mit der Front nach Süden auf dem Höhenzuge von Brye und<lb/>
weiter vorwärts in dem tiefen feuchten Wie&#x017F;engrunde des Lignebaches,<lb/>
der &#x017F;ich zu den Füßen die&#x017F;er &#x017F;anften Bodenerhebung ausdehnt; hier am<lb/>
Bache waren die Dörfer St. Amand la Haye rechts und Ligny links<lb/>
&#x017F;tark be&#x017F;etzt. Thielmann mit dem dritten Armeecorps traf er&#x017F;t um Mittag<lb/>
nach ange&#x017F;trengtem Mar&#x017F;che auf dem Schlachtfelde ein und &#x017F;tellte &#x017F;eine<lb/>
Truppen zwi&#x017F;chen Sombreffe und Tongrinne als linken Flügel mit der<lb/>
Front nach We&#x017F;ten auf, &#x017F;o daß die Linien des Centrums und des linken<lb/>
Flügels fa&#x017F;t &#x017F;enkrecht aufeinander &#x017F;tießen und die Schlacht&#x017F;tellung einen<lb/>
nach Süden geöffneten Haken bildete. Der äußer&#x017F;te rechte Flügel bei<lb/>
Wagnel<hi rendition="#aq">é</hi>e &#x017F;tand überdies völlig ungedeckt, falls etwa vom We&#x017F;ten her,<lb/>
aus der Gegend von Frasnes ein Angriff erfolgte. Nur die be&#x017F;timmte<lb/>
Erwartung, daß Wellington rechtzeitig zur Unter&#x017F;tützung des rechten Flü-<lb/>
gels herankommen werde, bewog die preußi&#x017F;chen Heerführer, &#x017F;ich in &#x017F;o un-<lb/>
vortheilhafter Stellung auf eine Schlacht einzula&#x017F;&#x017F;en; &#x017F;ie hofften das<lb/>
Gefecht den Nachmittag über hinzuhalten, bis gegen Abend 40,000 Mann<lb/>
vom engli&#x017F;chen Heere die Ent&#x017F;cheidung brächten.</p><lb/>
            <p>Aber der engli&#x017F;che Feldherr konnte &#x017F;ein Wort nicht halten. Er &#x017F;ah &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bei Quatrebras mit überlegener Macht angegriffen und hatte dort<lb/>
noch um 3 Uhr Nachmittags nur 7000 Mann zur Stelle; dann er&#x017F;t trafen<lb/>
neue Zuzüge ein. Er&#x017F;t am &#x017F;päten Abend &#x017F;tanden etwas über 30,000 Mann<lb/>
bei Quatrebras ver&#x017F;ammelt, grade genug um den Angriff nothdürftig ab-<lb/>
zu&#x017F;chlagen; an die verheißene Unter&#x017F;tützung war al&#x017F;o nicht mehr zu denken.<lb/>
Wellington hatte das Unmögliche ver&#x017F;prochen, &#x017F;icherlich nur aus Irrthum,<lb/>
in gutem Glauben; aber was ver&#x017F;chlug es ihm auch, wenn er &#x017F;ein Wort<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Treit&#x017F;chke</hi>, Deut&#x017F;che Ge&#x017F;chichte. <hi rendition="#aq">I.</hi> 47</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[737/0753] Wellingtons Verſprechungen. nungen rein unmöglich war. Am 16. vor Tagesanbruch verließ er ſelbſt das glänzende Ballfeſt, das die Herzogin von Richmond den engliſchen Offizieren gab, warf ſich aufs Pferd, und eilte auf der Straße nach Char- leroi ſüdwärts bis über Quatrebras hinaus auf die Höhen von Frasnes, dicht gegenüber dem linken Flügel der Franzoſen. Von dort ſchrieb er um 10½ Uhr früh an Blücher: um 12 Uhr würden ſeine Reſerven in Genappe, nur eine halbe Meile hinter Quatrebras eintreffen, die engliſche Reiterei in Nivelles, 1⅓ Meile weſtlich von Quatrebras. War dies richtig, ſo durfte Blücher mit Sicherheit auf die Unterſtützung der Eng- länder am Nachmittage zählen. Um 1 Uhr hielten die beiden Feld- herren auf dem Windmühlenhügel von Buſſy, im Rücken der preußiſchen Aufſtellung eine Zuſammenkunft, und hier verſprach Wellington, daß er Nachmittags in die Schlacht eingreifen, die Franzoſen je nach Umſtänden über Marbais oder Frasnes im Rücken oder in der Flanke anfallen werde. Mit den Worten „um 4 Uhr werde ich hier ſein“ trennte ſich der Herzog von dem preußiſchen Feldherrn. Im Vertrauen auf dieſe Zuſage beſchloſſen Blücher und Gneiſenau die Schlacht anzunehmen. Die beiden Armeecorps von Zieten und Pirch ſtanden mit der Front nach Süden auf dem Höhenzuge von Brye und weiter vorwärts in dem tiefen feuchten Wieſengrunde des Lignebaches, der ſich zu den Füßen dieſer ſanften Bodenerhebung ausdehnt; hier am Bache waren die Dörfer St. Amand la Haye rechts und Ligny links ſtark beſetzt. Thielmann mit dem dritten Armeecorps traf erſt um Mittag nach angeſtrengtem Marſche auf dem Schlachtfelde ein und ſtellte ſeine Truppen zwiſchen Sombreffe und Tongrinne als linken Flügel mit der Front nach Weſten auf, ſo daß die Linien des Centrums und des linken Flügels faſt ſenkrecht aufeinander ſtießen und die Schlachtſtellung einen nach Süden geöffneten Haken bildete. Der äußerſte rechte Flügel bei Wagnelée ſtand überdies völlig ungedeckt, falls etwa vom Weſten her, aus der Gegend von Frasnes ein Angriff erfolgte. Nur die beſtimmte Erwartung, daß Wellington rechtzeitig zur Unterſtützung des rechten Flü- gels herankommen werde, bewog die preußiſchen Heerführer, ſich in ſo un- vortheilhafter Stellung auf eine Schlacht einzulaſſen; ſie hofften das Gefecht den Nachmittag über hinzuhalten, bis gegen Abend 40,000 Mann vom engliſchen Heere die Entſcheidung brächten. Aber der engliſche Feldherr konnte ſein Wort nicht halten. Er ſah ſich ſelbſt bei Quatrebras mit überlegener Macht angegriffen und hatte dort noch um 3 Uhr Nachmittags nur 7000 Mann zur Stelle; dann erſt trafen neue Zuzüge ein. Erſt am ſpäten Abend ſtanden etwas über 30,000 Mann bei Quatrebras verſammelt, grade genug um den Angriff nothdürftig ab- zuſchlagen; an die verheißene Unterſtützung war alſo nicht mehr zu denken. Wellington hatte das Unmögliche verſprochen, ſicherlich nur aus Irrthum, in gutem Glauben; aber was verſchlug es ihm auch, wenn er ſein Wort Treitſchke, Deutſche Geſchichte. I. 47

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/753
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 737. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/753>, abgerufen am 05.05.2024.