In der zweiten Woche des Juni führte Napoleon seine Feldarmee, den Marsch geschickt verdeckend, gegen die belgische Grenze um bei Charleroi die Sambre zu überschreiten. Von dort geht eine Straße nordwärts über Quatrebras nach Brüssel, eine zweite ostwärts in einem großen Bogen über Sombreffe nach Namur. Der Imperator wußte über die Aufstellung der Verbündeten ungefähr, daß Wellingtons Heer in der Gegend von Brüssel, das preußische bei Namur stand. Das Dreieck zwischen Charleroi, Quatrebras und Sombreffe bildete also den natür- lichen Platz für die Vereinigung der verbündeten Armeen; gelang diese Vereinigung rechtzeitig, so war den 210,000 Mann der beiden Feldherren der Sieg über die 128,000 Franzosen von vornherein gesichert. Daher beschloß Napoleon hier zwischen die beiden Heere einzubrechen um sie dann getrennt zu schlagen. Obwohl er sich durch die Gährung in Frankreich, durch die fast hoffnungslose Schwierigkeit seiner militärischen Lage lebhaft beunruhigt fühlte und während dieses Feldzugs nach seinem eigenen Ge- ständniß die gewohnte kalte Sicherheit nicht immer bewahrte, so war ihm doch die alte hochmüthige Geringschätzung des Gegners geblieben. Er hoffte, sein plötzliches Erscheinen werde genügen um Blücher gegen Osten abzudrängen, Wellington zum Rückzug nordwärts zu bewegen, so daß der Zwischenraum zwischen Beiden sich erweiterte. Daß die Preußen sogleich, dicht an der Grenze, eine Schlacht annehmen würden, erwartete er nicht. Aber dies Unerwartete geschah. Sobald Gneisenau das Anrücken des Feindes gegen Charleroi erfuhr, befahl er sofort, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni, die Concentration des gesammten Heeres bei Som- breffe, die am 16. vollendet sein sollte. Am 15. bei Morgengrauen begann der Anmarsch der Franzosen. Ihr rechter Flügel wendete sich gegen das Armeecorps Zietens, das unter blutigen Gefechten auf der Straße nach Sombreffe zurückging.
Schon bei diesen ersten Kämpfen zeigte sich die furchtbare Erbitterung der beiden Nationen. Wie oft hatten im vorigen Jahre die aus den deutschen Festungen heimkehrenden napoleonischen Veteranen in blinder Wuth Raufhändel begonnen, wenn sie unterwegs preußischen Regimentern begegneten; jetzt galt es Rache zu nehmen an diesen preußischen Hunden, die ihrerseits den Haß nicht minder herzhaft erwiderten. Gleichzeitig ging Napo- leons linker Flügel nordwärts auf der Straße nach Quatrebras vor und gelangte, da die Spitzen der englischen Armee um eine bedeutende Strecke weiter zurückstanden als die Preußen, mit leichter Mühe bis nach Frasnes. Die Stellung des preußischen Heeres bei Sombreffe wurde dadurch in der rechten Flanke bedroht. Zudem ward auch schon zweifelhaft, ob Bülows Corps am nächsten Tage rechtzeitig bei der Armee eintreffen würde. Um die Empfindlichkeit des älteren Generals zu schonen hatte Gneisenau dem Marschbefehle an Bülow eine so höfliche Fassung gegeben, daß er fast wie ein unmaßgeblicher Vorschlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen-
Napoleons Anmarſch.
In der zweiten Woche des Juni führte Napoleon ſeine Feldarmee, den Marſch geſchickt verdeckend, gegen die belgiſche Grenze um bei Charleroi die Sambre zu überſchreiten. Von dort geht eine Straße nordwärts über Quatrebras nach Brüſſel, eine zweite oſtwärts in einem großen Bogen über Sombreffe nach Namur. Der Imperator wußte über die Aufſtellung der Verbündeten ungefähr, daß Wellingtons Heer in der Gegend von Brüſſel, das preußiſche bei Namur ſtand. Das Dreieck zwiſchen Charleroi, Quatrebras und Sombreffe bildete alſo den natür- lichen Platz für die Vereinigung der verbündeten Armeen; gelang dieſe Vereinigung rechtzeitig, ſo war den 210,000 Mann der beiden Feldherren der Sieg über die 128,000 Franzoſen von vornherein geſichert. Daher beſchloß Napoleon hier zwiſchen die beiden Heere einzubrechen um ſie dann getrennt zu ſchlagen. Obwohl er ſich durch die Gährung in Frankreich, durch die faſt hoffnungsloſe Schwierigkeit ſeiner militäriſchen Lage lebhaft beunruhigt fühlte und während dieſes Feldzugs nach ſeinem eigenen Ge- ſtändniß die gewohnte kalte Sicherheit nicht immer bewahrte, ſo war ihm doch die alte hochmüthige Geringſchätzung des Gegners geblieben. Er hoffte, ſein plötzliches Erſcheinen werde genügen um Blücher gegen Oſten abzudrängen, Wellington zum Rückzug nordwärts zu bewegen, ſo daß der Zwiſchenraum zwiſchen Beiden ſich erweiterte. Daß die Preußen ſogleich, dicht an der Grenze, eine Schlacht annehmen würden, erwartete er nicht. Aber dies Unerwartete geſchah. Sobald Gneiſenau das Anrücken des Feindes gegen Charleroi erfuhr, befahl er ſofort, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni, die Concentration des geſammten Heeres bei Som- breffe, die am 16. vollendet ſein ſollte. Am 15. bei Morgengrauen begann der Anmarſch der Franzoſen. Ihr rechter Flügel wendete ſich gegen das Armeecorps Zietens, das unter blutigen Gefechten auf der Straße nach Sombreffe zurückging.
Schon bei dieſen erſten Kämpfen zeigte ſich die furchtbare Erbitterung der beiden Nationen. Wie oft hatten im vorigen Jahre die aus den deutſchen Feſtungen heimkehrenden napoleoniſchen Veteranen in blinder Wuth Raufhändel begonnen, wenn ſie unterwegs preußiſchen Regimentern begegneten; jetzt galt es Rache zu nehmen an dieſen preußiſchen Hunden, die ihrerſeits den Haß nicht minder herzhaft erwiderten. Gleichzeitig ging Napo- leons linker Flügel nordwärts auf der Straße nach Quatrebras vor und gelangte, da die Spitzen der engliſchen Armee um eine bedeutende Strecke weiter zurückſtanden als die Preußen, mit leichter Mühe bis nach Frasnes. Die Stellung des preußiſchen Heeres bei Sombreffe wurde dadurch in der rechten Flanke bedroht. Zudem ward auch ſchon zweifelhaft, ob Bülows Corps am nächſten Tage rechtzeitig bei der Armee eintreffen würde. Um die Empfindlichkeit des älteren Generals zu ſchonen hatte Gneiſenau dem Marſchbefehle an Bülow eine ſo höfliche Faſſung gegeben, daß er faſt wie ein unmaßgeblicher Vorſchlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0751"n="735"/><fwplace="top"type="header">Napoleons Anmarſch.</fw><lb/><p>In der zweiten Woche des Juni führte Napoleon ſeine Feldarmee,<lb/>
den Marſch geſchickt verdeckend, gegen die belgiſche Grenze um bei<lb/>
Charleroi die Sambre zu überſchreiten. Von dort geht eine Straße<lb/>
nordwärts über Quatrebras nach Brüſſel, eine zweite oſtwärts in einem<lb/>
großen Bogen über Sombreffe nach Namur. Der Imperator wußte<lb/>
über die Aufſtellung der Verbündeten ungefähr, daß Wellingtons Heer<lb/>
in der Gegend von Brüſſel, das preußiſche bei Namur ſtand. Das Dreieck<lb/>
zwiſchen Charleroi, Quatrebras und Sombreffe bildete alſo den natür-<lb/>
lichen Platz für die Vereinigung der verbündeten Armeen; gelang dieſe<lb/>
Vereinigung rechtzeitig, ſo war den 210,000 Mann der beiden Feldherren<lb/>
der Sieg über die 128,000 Franzoſen von vornherein geſichert. Daher<lb/>
beſchloß Napoleon hier zwiſchen die beiden Heere einzubrechen um ſie dann<lb/>
getrennt zu ſchlagen. Obwohl er ſich durch die Gährung in Frankreich,<lb/>
durch die faſt hoffnungsloſe Schwierigkeit ſeiner militäriſchen Lage lebhaft<lb/>
beunruhigt fühlte und während dieſes Feldzugs nach ſeinem eigenen Ge-<lb/>ſtändniß die gewohnte kalte Sicherheit nicht immer bewahrte, ſo war ihm<lb/>
doch die alte hochmüthige Geringſchätzung des Gegners geblieben. Er<lb/>
hoffte, ſein plötzliches Erſcheinen werde genügen um Blücher gegen Oſten<lb/>
abzudrängen, Wellington zum Rückzug nordwärts zu bewegen, ſo daß der<lb/>
Zwiſchenraum zwiſchen Beiden ſich erweiterte. Daß die Preußen ſogleich,<lb/>
dicht an der Grenze, eine Schlacht annehmen würden, erwartete er nicht.<lb/>
Aber dies Unerwartete geſchah. Sobald Gneiſenau das Anrücken des<lb/>
Feindes gegen Charleroi erfuhr, befahl er ſofort, in der Nacht vom 14.<lb/>
auf den 15. Juni, die Concentration des geſammten Heeres bei Som-<lb/>
breffe, die am 16. vollendet ſein ſollte. Am 15. bei Morgengrauen begann<lb/>
der Anmarſch der Franzoſen. Ihr rechter Flügel wendete ſich gegen das<lb/>
Armeecorps Zietens, das unter blutigen Gefechten auf der Straße nach<lb/>
Sombreffe zurückging.</p><lb/><p>Schon bei dieſen erſten Kämpfen zeigte ſich die furchtbare Erbitterung<lb/>
der beiden Nationen. Wie oft hatten im vorigen Jahre die aus den<lb/>
deutſchen Feſtungen heimkehrenden napoleoniſchen Veteranen in blinder<lb/>
Wuth Raufhändel begonnen, wenn ſie unterwegs preußiſchen Regimentern<lb/>
begegneten; jetzt galt es Rache zu nehmen an dieſen preußiſchen Hunden, die<lb/>
ihrerſeits den Haß nicht minder herzhaft erwiderten. Gleichzeitig ging Napo-<lb/>
leons linker Flügel nordwärts auf der Straße nach Quatrebras vor und<lb/>
gelangte, da die Spitzen der engliſchen Armee um eine bedeutende Strecke<lb/>
weiter zurückſtanden als die Preußen, mit leichter Mühe bis nach Frasnes.<lb/>
Die Stellung des preußiſchen Heeres bei Sombreffe wurde dadurch in<lb/>
der rechten Flanke bedroht. Zudem ward auch ſchon zweifelhaft, ob Bülows<lb/>
Corps am nächſten Tage rechtzeitig bei der Armee eintreffen würde. Um<lb/>
die Empfindlichkeit des älteren Generals zu ſchonen hatte Gneiſenau dem<lb/>
Marſchbefehle an Bülow eine ſo höfliche Faſſung gegeben, daß er faſt<lb/>
wie ein unmaßgeblicher Vorſchlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[735/0751]
Napoleons Anmarſch.
In der zweiten Woche des Juni führte Napoleon ſeine Feldarmee,
den Marſch geſchickt verdeckend, gegen die belgiſche Grenze um bei
Charleroi die Sambre zu überſchreiten. Von dort geht eine Straße
nordwärts über Quatrebras nach Brüſſel, eine zweite oſtwärts in einem
großen Bogen über Sombreffe nach Namur. Der Imperator wußte
über die Aufſtellung der Verbündeten ungefähr, daß Wellingtons Heer
in der Gegend von Brüſſel, das preußiſche bei Namur ſtand. Das Dreieck
zwiſchen Charleroi, Quatrebras und Sombreffe bildete alſo den natür-
lichen Platz für die Vereinigung der verbündeten Armeen; gelang dieſe
Vereinigung rechtzeitig, ſo war den 210,000 Mann der beiden Feldherren
der Sieg über die 128,000 Franzoſen von vornherein geſichert. Daher
beſchloß Napoleon hier zwiſchen die beiden Heere einzubrechen um ſie dann
getrennt zu ſchlagen. Obwohl er ſich durch die Gährung in Frankreich,
durch die faſt hoffnungsloſe Schwierigkeit ſeiner militäriſchen Lage lebhaft
beunruhigt fühlte und während dieſes Feldzugs nach ſeinem eigenen Ge-
ſtändniß die gewohnte kalte Sicherheit nicht immer bewahrte, ſo war ihm
doch die alte hochmüthige Geringſchätzung des Gegners geblieben. Er
hoffte, ſein plötzliches Erſcheinen werde genügen um Blücher gegen Oſten
abzudrängen, Wellington zum Rückzug nordwärts zu bewegen, ſo daß der
Zwiſchenraum zwiſchen Beiden ſich erweiterte. Daß die Preußen ſogleich,
dicht an der Grenze, eine Schlacht annehmen würden, erwartete er nicht.
Aber dies Unerwartete geſchah. Sobald Gneiſenau das Anrücken des
Feindes gegen Charleroi erfuhr, befahl er ſofort, in der Nacht vom 14.
auf den 15. Juni, die Concentration des geſammten Heeres bei Som-
breffe, die am 16. vollendet ſein ſollte. Am 15. bei Morgengrauen begann
der Anmarſch der Franzoſen. Ihr rechter Flügel wendete ſich gegen das
Armeecorps Zietens, das unter blutigen Gefechten auf der Straße nach
Sombreffe zurückging.
Schon bei dieſen erſten Kämpfen zeigte ſich die furchtbare Erbitterung
der beiden Nationen. Wie oft hatten im vorigen Jahre die aus den
deutſchen Feſtungen heimkehrenden napoleoniſchen Veteranen in blinder
Wuth Raufhändel begonnen, wenn ſie unterwegs preußiſchen Regimentern
begegneten; jetzt galt es Rache zu nehmen an dieſen preußiſchen Hunden, die
ihrerſeits den Haß nicht minder herzhaft erwiderten. Gleichzeitig ging Napo-
leons linker Flügel nordwärts auf der Straße nach Quatrebras vor und
gelangte, da die Spitzen der engliſchen Armee um eine bedeutende Strecke
weiter zurückſtanden als die Preußen, mit leichter Mühe bis nach Frasnes.
Die Stellung des preußiſchen Heeres bei Sombreffe wurde dadurch in
der rechten Flanke bedroht. Zudem ward auch ſchon zweifelhaft, ob Bülows
Corps am nächſten Tage rechtzeitig bei der Armee eintreffen würde. Um
die Empfindlichkeit des älteren Generals zu ſchonen hatte Gneiſenau dem
Marſchbefehle an Bülow eine ſo höfliche Faſſung gegeben, daß er faſt
wie ein unmaßgeblicher Vorſchlag klang. Bülow, immer geneigt zu eigen-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 735. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/751>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.