Als endlich auf einen neuen königlichen Befehl am 2. Mai die Theilung der Armee angeordnet wurde, da brach die so lange von Dresden her ge- schürte und unzweifelhaft auch durch einzelne gewissenlose Offiziere genährte Erbitterung der Mannschaft furchtbar aus. Trunkene Soldatenhaufen stürmten unter dem Rufe "wir lassen uns nicht theilen" das Haus des Feldherrn. Der alte Held mußte fliehen vor seinen eigenen Soldaten; nur durch die Tapferkeit seiner sächsischen Wachen entging er dem Tode. Auf die Willenskraft und das sittliche Ansehen der Offiziere kommt bei solchen Aus- brüchen der Roheit Alles an. Die sächsische Wache vor Blüchers Thür that ehrenvoll ihre Soldatenpflicht; die Reiterei und die Artillerie hielten sich dem wüsten Treiben ganz fern. Auch unter dem Fußvolk blieb die Mann- schaft überall da ruhig, wo die Führer sie zu beherrschen verstanden; selbst solche Offiziere, die sich bereits für den preußischen Dienst gemeldet hatten, behaupteten ihr Ansehen, wenn sie nur tüchtig waren. Jenes Bataillon dagegen, das schon zur Zeit der Dennewitzer Schlacht, früher als die anderen Sachsen, zu den Preußen übergegangen war, zeichnete sich in Lüttich durch seine Zuchtlosigkeit traurig aus*).
Nachsicht gegen diese fast im Angesichte des Feindes begangene Meuterei wäre schimpfliche Schwäche gewesen. Das Kriegsrecht nahm seinen Gang, die Rädelsführer wurden erschossen, die Fahne der sächsischen Garde vor der Front verbrannt. General Borstell, der sich aus Mitleid mit den Unglücklichen geweigert hatte, die Verbrennung der Fahne vorzunehmen, büßte seinen Ungehorsam auf der Festung; an seiner Stelle übernahm General Pirch den Befehl über das zweite Armeecorps. Dann mußte das sächsische Corps den Rückmarsch in die Heimath antreten, da die preußischen Soldaten, wüthend über die dem Marschall Vorwärts an- gethane Schmach, mit den Sachsen nicht zusammen fechten wollten, und Wellington sich weigerte die meuterische Truppe in sein Heer aufzunehmen. Schuldige und Unschuldige gingen des Schlachtenruhms von Ligny und Belle Alliance verlustig. Auf dem Rückmarsch erfuhren die Sachsen viel- leicht das Entsetzlichste, was jemals deutsche Krieger ertragen haben. Ueberall am Rhein und in Westphalen grimmiger Haß und Abscheu gegen die Meuterer; in Aachen besetzten bewaffnete Bürger argwöhnisch die Wachen und Thore, als die sächsischen Regimenter vorbeikamen. Ueberall jubelte das Volk über den neuen strahlenden Sieg Blüchers und Gneisenaus. Die preußischen Freiwilligen, welche dem siegreichen Heere nachzogen, konnten ihre Verachtung gegen "die sächsischen Hunde" nicht bemeistern; nach wie- derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landstraße ver- meiden um schmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der grade für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß sie an dem Kampfe
*) Ich benutze hier u. A. die Aufzeichnungen meines Vaters, der als blutjunger Offizier bei einem sächsischen Regimente in der Nähe von Lüttich stand und seine Leute im Zaume zu halten wußte.
Menterei in Lüttich.
Als endlich auf einen neuen königlichen Befehl am 2. Mai die Theilung der Armee angeordnet wurde, da brach die ſo lange von Dresden her ge- ſchürte und unzweifelhaft auch durch einzelne gewiſſenloſe Offiziere genährte Erbitterung der Mannſchaft furchtbar aus. Trunkene Soldatenhaufen ſtürmten unter dem Rufe „wir laſſen uns nicht theilen“ das Haus des Feldherrn. Der alte Held mußte fliehen vor ſeinen eigenen Soldaten; nur durch die Tapferkeit ſeiner ſächſiſchen Wachen entging er dem Tode. Auf die Willenskraft und das ſittliche Anſehen der Offiziere kommt bei ſolchen Aus- brüchen der Roheit Alles an. Die ſächſiſche Wache vor Blüchers Thür that ehrenvoll ihre Soldatenpflicht; die Reiterei und die Artillerie hielten ſich dem wüſten Treiben ganz fern. Auch unter dem Fußvolk blieb die Mann- ſchaft überall da ruhig, wo die Führer ſie zu beherrſchen verſtanden; ſelbſt ſolche Offiziere, die ſich bereits für den preußiſchen Dienſt gemeldet hatten, behaupteten ihr Anſehen, wenn ſie nur tüchtig waren. Jenes Bataillon dagegen, das ſchon zur Zeit der Dennewitzer Schlacht, früher als die anderen Sachſen, zu den Preußen übergegangen war, zeichnete ſich in Lüttich durch ſeine Zuchtloſigkeit traurig aus*).
Nachſicht gegen dieſe faſt im Angeſichte des Feindes begangene Meuterei wäre ſchimpfliche Schwäche geweſen. Das Kriegsrecht nahm ſeinen Gang, die Rädelsführer wurden erſchoſſen, die Fahne der ſächſiſchen Garde vor der Front verbrannt. General Borſtell, der ſich aus Mitleid mit den Unglücklichen geweigert hatte, die Verbrennung der Fahne vorzunehmen, büßte ſeinen Ungehorſam auf der Feſtung; an ſeiner Stelle übernahm General Pirch den Befehl über das zweite Armeecorps. Dann mußte das ſächſiſche Corps den Rückmarſch in die Heimath antreten, da die preußiſchen Soldaten, wüthend über die dem Marſchall Vorwärts an- gethane Schmach, mit den Sachſen nicht zuſammen fechten wollten, und Wellington ſich weigerte die meuteriſche Truppe in ſein Heer aufzunehmen. Schuldige und Unſchuldige gingen des Schlachtenruhms von Ligny und Belle Alliance verluſtig. Auf dem Rückmarſch erfuhren die Sachſen viel- leicht das Entſetzlichſte, was jemals deutſche Krieger ertragen haben. Ueberall am Rhein und in Weſtphalen grimmiger Haß und Abſcheu gegen die Meuterer; in Aachen beſetzten bewaffnete Bürger argwöhniſch die Wachen und Thore, als die ſächſiſchen Regimenter vorbeikamen. Ueberall jubelte das Volk über den neuen ſtrahlenden Sieg Blüchers und Gneiſenaus. Die preußiſchen Freiwilligen, welche dem ſiegreichen Heere nachzogen, konnten ihre Verachtung gegen „die ſächſiſchen Hunde“ nicht bemeiſtern; nach wie- derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landſtraße ver- meiden um ſchmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der grade für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß ſie an dem Kampfe
*) Ich benutze hier u. A. die Aufzeichnungen meines Vaters, der als blutjunger Offizier bei einem ſächſiſchen Regimente in der Nähe von Lüttich ſtand und ſeine Leute im Zaume zu halten wußte.
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Menterei in Lüttich.
Als endlich auf einen neuen königlichen Befehl am 2. Mai die Theilung
der Armee angeordnet wurde, da brach die ſo lange von Dresden her ge-
ſchürte und unzweifelhaft auch durch einzelne gewiſſenloſe Offiziere genährte
Erbitterung der Mannſchaft furchtbar aus. Trunkene Soldatenhaufen
ſtürmten unter dem Rufe „wir laſſen uns nicht theilen“ das Haus des
Feldherrn. Der alte Held mußte fliehen vor ſeinen eigenen Soldaten; nur
durch die Tapferkeit ſeiner ſächſiſchen Wachen entging er dem Tode. Auf die
Willenskraft und das ſittliche Anſehen der Offiziere kommt bei ſolchen Aus-
brüchen der Roheit Alles an. Die ſächſiſche Wache vor Blüchers Thür that
ehrenvoll ihre Soldatenpflicht; die Reiterei und die Artillerie hielten ſich
dem wüſten Treiben ganz fern. Auch unter dem Fußvolk blieb die Mann-
ſchaft überall da ruhig, wo die Führer ſie zu beherrſchen verſtanden; ſelbſt
ſolche Offiziere, die ſich bereits für den preußiſchen Dienſt gemeldet hatten,
behaupteten ihr Anſehen, wenn ſie nur tüchtig waren. Jenes Bataillon
dagegen, das ſchon zur Zeit der Dennewitzer Schlacht, früher als die
anderen Sachſen, zu den Preußen übergegangen war, zeichnete ſich in
Lüttich durch ſeine Zuchtloſigkeit traurig aus *).
Nachſicht gegen dieſe faſt im Angeſichte des Feindes begangene Meuterei
wäre ſchimpfliche Schwäche geweſen. Das Kriegsrecht nahm ſeinen Gang,
die Rädelsführer wurden erſchoſſen, die Fahne der ſächſiſchen Garde vor
der Front verbrannt. General Borſtell, der ſich aus Mitleid mit den
Unglücklichen geweigert hatte, die Verbrennung der Fahne vorzunehmen,
büßte ſeinen Ungehorſam auf der Feſtung; an ſeiner Stelle übernahm
General Pirch den Befehl über das zweite Armeecorps. Dann mußte
das ſächſiſche Corps den Rückmarſch in die Heimath antreten, da die
preußiſchen Soldaten, wüthend über die dem Marſchall Vorwärts an-
gethane Schmach, mit den Sachſen nicht zuſammen fechten wollten, und
Wellington ſich weigerte die meuteriſche Truppe in ſein Heer aufzunehmen.
Schuldige und Unſchuldige gingen des Schlachtenruhms von Ligny und
Belle Alliance verluſtig. Auf dem Rückmarſch erfuhren die Sachſen viel-
leicht das Entſetzlichſte, was jemals deutſche Krieger ertragen haben.
Ueberall am Rhein und in Weſtphalen grimmiger Haß und Abſcheu gegen
die Meuterer; in Aachen beſetzten bewaffnete Bürger argwöhniſch die Wachen
und Thore, als die ſächſiſchen Regimenter vorbeikamen. Ueberall jubelte
das Volk über den neuen ſtrahlenden Sieg Blüchers und Gneiſenaus. Die
preußiſchen Freiwilligen, welche dem ſiegreichen Heere nachzogen, konnten
ihre Verachtung gegen „die ſächſiſchen Hunde“ nicht bemeiſtern; nach wie-
derholten blutigen Raufhändeln mußte man mehrmals die Landſtraße ver-
meiden um ſchmählichen Begegnungen auszuweichen. Und dazu der grade
für die ehrenhaften Offiziere empörende Gedanke, daß ſie an dem Kampfe
*) Ich benutze hier u. A. die Aufzeichnungen meines Vaters, der als blutjunger
Offizier bei einem ſächſiſchen Regimente in der Nähe von Lüttich ſtand und ſeine Leute
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/749>, abgerufen am 22.11.2024.
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