Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Wellingtons Kriegsweise.
als die spanischen Guerillas, welche sich auf dem Schlachtfelde so oft un-
brauchbar erwiesen, und niemals wollte er zugeben, daß der Erfolg des
Halbinselfeldzuges doch nicht möglich gewesen wäre ohne den Fanatismus
jener zuchtlosen Banden, die den Feind im Rücken durch die Schrecken
des kleinen Kriegs ermüdeten und schwächten. "Der Enthusiasmus,
schrieb er in seiner ungelenken Weise an Castlereagh, ist in der That
keine Hilfe um irgend ein Ding zu vollbringen und ist nur eine Ent-
schuldigung für die Unordnung, womit jedes Ding gethan wird, und für
den Mangel an Mannszucht und Gehorsam in den Heeren." Aus diesen
militärischen Ansichten sprach zugleich die antirevolutionäre Gesinnung des
Hochtorys. Wellington hat in späteren Jahren, sobald sein sicherer Sol-
datenblick die unaufhaltsame Nothwendigkeit einer Reform erkannte, mehr-
mals gewagt sich von seinen politischen Freunden zu trennen und, unbe-
kümmert um den Zorn der Partei, selber mit starker Hand vollendet was
er bisher als gefährliche Neuerung bekämpft. Im Alter stand der Ruhm-
gekrönte hoch genug um allein dem Ganzen zu leben, allein der Stimme
seines lauteren Patriotismus zu folgen: "ich gäbe, sagte er einst, willig
mein Leben dahin, wenn ich meinem Lande damit einen Monat bürger-
lichen Krieges ersparen könnte." Im Jahre 1815 war er durchaus noch
ein hochconservativer Parteimann; der Weltkrieg jener Tage erschien ihm
einfach als ein Kampf der legitimen Obrigkeit gegen die Revolution.

Die nationalen Leidenschaften, die in den Völkern des Festlandes
brandeten, betrachtete er halb mit Argwohn halb mit Verachtung. Unter
Iren, Hindus, Spaniern und Portugiesen hatte er den größten Theil
seines Lebens verbracht; nach solchen Erfahrungen stand ihm die Mei-
nung fest, daß keine andere Nation sich den Briten auch nur von fern
vergleichen dürfe. Die altenglische Sünde der Geringschätzung fremden
Volksthums zeigte sich bei diesem trockenen unliebenswürdigen Helden in
so beleidigenden, kalt hochmüthigen Formen, daß selbst die Spanier, die
ihm so viel verdankten, ihn aus Herzensgrunde haßten. Ganz wie sein
Freund Castlereagh blieb er der Ansicht, daß die parlamentarische Freiheit
ein ausschließliches Besitzthum des bevorzugten englischen Stammes sei
und für die Unreife der Continentalen nicht tauge. Wie er schon in
Indien und Spanien die staatsmännische Thätigkeit mit der militärischen
verbunden hatte, so war er nach dem Frieden in Paris und Wien als
Gesandter wirksam und wurde von den Ministern so tief ins Vertrauen
gezogen, daß man ihn geradezu wie ein Mitglied des Cabinets betrachtete.
Er theilte das Mißtrauen der Torys gegen die aufstrebenden Mächte
Preußen und Rußland, war in den Geheimnissen der Cabinette weit
gründlicher bewandert als das Blücher'sche Hauptquartier und übernahm
sein Commando sogleich mit einem festen, klar durchdachten politischen
Plane -- mit der Absicht den legitimen König wieder in das Schloß
seiner Väter zurückzuführen.

Wellingtons Kriegsweiſe.
als die ſpaniſchen Guerillas, welche ſich auf dem Schlachtfelde ſo oft un-
brauchbar erwieſen, und niemals wollte er zugeben, daß der Erfolg des
Halbinſelfeldzuges doch nicht möglich geweſen wäre ohne den Fanatismus
jener zuchtloſen Banden, die den Feind im Rücken durch die Schrecken
des kleinen Kriegs ermüdeten und ſchwächten. „Der Enthuſiasmus,
ſchrieb er in ſeiner ungelenken Weiſe an Caſtlereagh, iſt in der That
keine Hilfe um irgend ein Ding zu vollbringen und iſt nur eine Ent-
ſchuldigung für die Unordnung, womit jedes Ding gethan wird, und für
den Mangel an Mannszucht und Gehorſam in den Heeren.“ Aus dieſen
militäriſchen Anſichten ſprach zugleich die antirevolutionäre Geſinnung des
Hochtorys. Wellington hat in ſpäteren Jahren, ſobald ſein ſicherer Sol-
datenblick die unaufhaltſame Nothwendigkeit einer Reform erkannte, mehr-
mals gewagt ſich von ſeinen politiſchen Freunden zu trennen und, unbe-
kümmert um den Zorn der Partei, ſelber mit ſtarker Hand vollendet was
er bisher als gefährliche Neuerung bekämpft. Im Alter ſtand der Ruhm-
gekrönte hoch genug um allein dem Ganzen zu leben, allein der Stimme
ſeines lauteren Patriotismus zu folgen: „ich gäbe, ſagte er einſt, willig
mein Leben dahin, wenn ich meinem Lande damit einen Monat bürger-
lichen Krieges erſparen könnte.“ Im Jahre 1815 war er durchaus noch
ein hochconſervativer Parteimann; der Weltkrieg jener Tage erſchien ihm
einfach als ein Kampf der legitimen Obrigkeit gegen die Revolution.

Die nationalen Leidenſchaften, die in den Völkern des Feſtlandes
brandeten, betrachtete er halb mit Argwohn halb mit Verachtung. Unter
Iren, Hindus, Spaniern und Portugieſen hatte er den größten Theil
ſeines Lebens verbracht; nach ſolchen Erfahrungen ſtand ihm die Mei-
nung feſt, daß keine andere Nation ſich den Briten auch nur von fern
vergleichen dürfe. Die altengliſche Sünde der Geringſchätzung fremden
Volksthums zeigte ſich bei dieſem trockenen unliebenswürdigen Helden in
ſo beleidigenden, kalt hochmüthigen Formen, daß ſelbſt die Spanier, die
ihm ſo viel verdankten, ihn aus Herzensgrunde haßten. Ganz wie ſein
Freund Caſtlereagh blieb er der Anſicht, daß die parlamentariſche Freiheit
ein ausſchließliches Beſitzthum des bevorzugten engliſchen Stammes ſei
und für die Unreife der Continentalen nicht tauge. Wie er ſchon in
Indien und Spanien die ſtaatsmänniſche Thätigkeit mit der militäriſchen
verbunden hatte, ſo war er nach dem Frieden in Paris und Wien als
Geſandter wirkſam und wurde von den Miniſtern ſo tief ins Vertrauen
gezogen, daß man ihn geradezu wie ein Mitglied des Cabinets betrachtete.
Er theilte das Mißtrauen der Torys gegen die aufſtrebenden Mächte
Preußen und Rußland, war in den Geheimniſſen der Cabinette weit
gründlicher bewandert als das Blücher’ſche Hauptquartier und übernahm
ſein Commando ſogleich mit einem feſten, klar durchdachten politiſchen
Plane — mit der Abſicht den legitimen König wieder in das Schloß
ſeiner Väter zurückzuführen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0743" n="727"/><fw place="top" type="header">Wellingtons Kriegswei&#x017F;e.</fw><lb/>
als die &#x017F;pani&#x017F;chen Guerillas, welche &#x017F;ich auf dem Schlachtfelde &#x017F;o oft un-<lb/>
brauchbar erwie&#x017F;en, und niemals wollte er zugeben, daß der Erfolg des<lb/>
Halbin&#x017F;elfeldzuges doch nicht möglich gewe&#x017F;en wäre ohne den Fanatismus<lb/>
jener zuchtlo&#x017F;en Banden, die den Feind im Rücken durch die Schrecken<lb/>
des kleinen Kriegs ermüdeten und &#x017F;chwächten. &#x201E;Der Enthu&#x017F;iasmus,<lb/>
&#x017F;chrieb er in &#x017F;einer ungelenken Wei&#x017F;e an Ca&#x017F;tlereagh, i&#x017F;t in der That<lb/>
keine Hilfe um irgend ein Ding zu vollbringen und i&#x017F;t nur eine Ent-<lb/>
&#x017F;chuldigung für die Unordnung, womit jedes Ding gethan wird, und für<lb/>
den Mangel an Mannszucht und Gehor&#x017F;am in den Heeren.&#x201C; Aus die&#x017F;en<lb/>
militäri&#x017F;chen An&#x017F;ichten &#x017F;prach zugleich die antirevolutionäre Ge&#x017F;innung des<lb/>
Hochtorys. Wellington hat in &#x017F;päteren Jahren, &#x017F;obald &#x017F;ein &#x017F;icherer Sol-<lb/>
datenblick die unaufhalt&#x017F;ame Nothwendigkeit einer Reform erkannte, mehr-<lb/>
mals gewagt &#x017F;ich von &#x017F;einen politi&#x017F;chen Freunden zu trennen und, unbe-<lb/>
kümmert um den Zorn der Partei, &#x017F;elber mit &#x017F;tarker Hand vollendet was<lb/>
er bisher als gefährliche Neuerung bekämpft. Im Alter &#x017F;tand der Ruhm-<lb/>
gekrönte hoch genug um allein dem Ganzen zu leben, allein der Stimme<lb/>
&#x017F;eines lauteren Patriotismus zu folgen: &#x201E;ich gäbe, &#x017F;agte er ein&#x017F;t, willig<lb/>
mein Leben dahin, wenn ich meinem Lande damit einen Monat bürger-<lb/>
lichen Krieges er&#x017F;paren könnte.&#x201C; Im Jahre 1815 war er durchaus noch<lb/>
ein hochcon&#x017F;ervativer Parteimann; der Weltkrieg jener Tage er&#x017F;chien ihm<lb/>
einfach als ein Kampf der legitimen Obrigkeit gegen die Revolution.</p><lb/>
            <p>Die nationalen Leiden&#x017F;chaften, die in den Völkern des Fe&#x017F;tlandes<lb/>
brandeten, betrachtete er halb mit Argwohn halb mit Verachtung. Unter<lb/>
Iren, Hindus, Spaniern und Portugie&#x017F;en hatte er den größten Theil<lb/>
&#x017F;eines Lebens verbracht; nach &#x017F;olchen Erfahrungen &#x017F;tand ihm die Mei-<lb/>
nung fe&#x017F;t, daß keine andere Nation &#x017F;ich den Briten auch nur von fern<lb/>
vergleichen dürfe. Die altengli&#x017F;che Sünde der Gering&#x017F;chätzung fremden<lb/>
Volksthums zeigte &#x017F;ich bei die&#x017F;em trockenen unliebenswürdigen Helden in<lb/>
&#x017F;o beleidigenden, kalt hochmüthigen Formen, daß &#x017F;elb&#x017F;t die Spanier, die<lb/>
ihm &#x017F;o viel verdankten, ihn aus Herzensgrunde haßten. Ganz wie &#x017F;ein<lb/>
Freund Ca&#x017F;tlereagh blieb er der An&#x017F;icht, daß die parlamentari&#x017F;che Freiheit<lb/>
ein aus&#x017F;chließliches Be&#x017F;itzthum des bevorzugten engli&#x017F;chen Stammes &#x017F;ei<lb/>
und für die Unreife der Continentalen nicht tauge. Wie er &#x017F;chon in<lb/>
Indien und Spanien die &#x017F;taatsmänni&#x017F;che Thätigkeit mit der militäri&#x017F;chen<lb/>
verbunden hatte, &#x017F;o war er nach dem Frieden in Paris und Wien als<lb/>
Ge&#x017F;andter wirk&#x017F;am und wurde von den Mini&#x017F;tern &#x017F;o tief ins Vertrauen<lb/>
gezogen, daß man ihn geradezu wie ein Mitglied des Cabinets betrachtete.<lb/>
Er theilte das Mißtrauen der Torys gegen die auf&#x017F;trebenden Mächte<lb/>
Preußen und Rußland, war in den Geheimni&#x017F;&#x017F;en der Cabinette weit<lb/>
gründlicher bewandert als das Blücher&#x2019;&#x017F;che Hauptquartier und übernahm<lb/>
&#x017F;ein Commando &#x017F;ogleich mit einem fe&#x017F;ten, klar durchdachten politi&#x017F;chen<lb/>
Plane &#x2014; mit der Ab&#x017F;icht den legitimen König wieder in das Schloß<lb/>
&#x017F;einer Väter zurückzuführen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[727/0743] Wellingtons Kriegsweiſe. als die ſpaniſchen Guerillas, welche ſich auf dem Schlachtfelde ſo oft un- brauchbar erwieſen, und niemals wollte er zugeben, daß der Erfolg des Halbinſelfeldzuges doch nicht möglich geweſen wäre ohne den Fanatismus jener zuchtloſen Banden, die den Feind im Rücken durch die Schrecken des kleinen Kriegs ermüdeten und ſchwächten. „Der Enthuſiasmus, ſchrieb er in ſeiner ungelenken Weiſe an Caſtlereagh, iſt in der That keine Hilfe um irgend ein Ding zu vollbringen und iſt nur eine Ent- ſchuldigung für die Unordnung, womit jedes Ding gethan wird, und für den Mangel an Mannszucht und Gehorſam in den Heeren.“ Aus dieſen militäriſchen Anſichten ſprach zugleich die antirevolutionäre Geſinnung des Hochtorys. Wellington hat in ſpäteren Jahren, ſobald ſein ſicherer Sol- datenblick die unaufhaltſame Nothwendigkeit einer Reform erkannte, mehr- mals gewagt ſich von ſeinen politiſchen Freunden zu trennen und, unbe- kümmert um den Zorn der Partei, ſelber mit ſtarker Hand vollendet was er bisher als gefährliche Neuerung bekämpft. Im Alter ſtand der Ruhm- gekrönte hoch genug um allein dem Ganzen zu leben, allein der Stimme ſeines lauteren Patriotismus zu folgen: „ich gäbe, ſagte er einſt, willig mein Leben dahin, wenn ich meinem Lande damit einen Monat bürger- lichen Krieges erſparen könnte.“ Im Jahre 1815 war er durchaus noch ein hochconſervativer Parteimann; der Weltkrieg jener Tage erſchien ihm einfach als ein Kampf der legitimen Obrigkeit gegen die Revolution. Die nationalen Leidenſchaften, die in den Völkern des Feſtlandes brandeten, betrachtete er halb mit Argwohn halb mit Verachtung. Unter Iren, Hindus, Spaniern und Portugieſen hatte er den größten Theil ſeines Lebens verbracht; nach ſolchen Erfahrungen ſtand ihm die Mei- nung feſt, daß keine andere Nation ſich den Briten auch nur von fern vergleichen dürfe. Die altengliſche Sünde der Geringſchätzung fremden Volksthums zeigte ſich bei dieſem trockenen unliebenswürdigen Helden in ſo beleidigenden, kalt hochmüthigen Formen, daß ſelbſt die Spanier, die ihm ſo viel verdankten, ihn aus Herzensgrunde haßten. Ganz wie ſein Freund Caſtlereagh blieb er der Anſicht, daß die parlamentariſche Freiheit ein ausſchließliches Beſitzthum des bevorzugten engliſchen Stammes ſei und für die Unreife der Continentalen nicht tauge. Wie er ſchon in Indien und Spanien die ſtaatsmänniſche Thätigkeit mit der militäriſchen verbunden hatte, ſo war er nach dem Frieden in Paris und Wien als Geſandter wirkſam und wurde von den Miniſtern ſo tief ins Vertrauen gezogen, daß man ihn geradezu wie ein Mitglied des Cabinets betrachtete. Er theilte das Mißtrauen der Torys gegen die aufſtrebenden Mächte Preußen und Rußland, war in den Geheimniſſen der Cabinette weit gründlicher bewandert als das Blücher’ſche Hauptquartier und übernahm ſein Commando ſogleich mit einem feſten, klar durchdachten politiſchen Plane — mit der Abſicht den legitimen König wieder in das Schloß ſeiner Väter zurückzuführen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/743
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 727. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/743>, abgerufen am 05.05.2024.