lag, jene beiden Humboldt'schen Entwürfe vom December, an den öster- reichischen Minister zu übersenden. In einer begleitenden Note wieder- holten sie nochmals alle die in Humboldts vertraulichen Denkschriften ausgesprochenen Bedenken für und wider die Kreisverfassung und erboten sich bereitwillig zu jeder Abänderung -- mit einziger Ausnahme jener drei unantastbaren Punkte: Kriegsgewalt, Bundesgericht und landständische Verfassungen. Durch diese entgegenkommende Haltung hofften sie um so sicherer eine rasche Verständigung mit der Hofburg zu erreichen, da ja Humboldts beide Entwürfe nichts weiter enthielten als eine gründlichere Ausarbeitung jener Zwölf Artikel, welche Metternich selbst im October dem Fünfer-Ausschuß mit vorgelegt hatte. Sehr willkommen war es ihnen daher, daß sich im nämlichen Augenblicke auch der Verein der deutschen Fürsten und Städte wieder rührte. Durch den Zutritt Badens und einiger Kleinen bis auf zweiunddreißig Mitglieder verstärkt, bat er am 2. Februar die beiden führenden Mächte um schleunige Eröffnung der Berathungen Aller. Hardenberg und Humboldt erklärten sich sofort bereit, und da auch Metternich zustimmte, so ließen sie nunmehr, am 10. Februar, ihre Note mit den beiden Denkschriften an das österreichische Cabinet abgehen.
Aber der österreichische Staatsmann, der im Herbst so gefällig mit Preußen zusammengegangen war, fand jetzt der Bedenken kein Ende: er hatte während der sächsischen Händel die Mittelstaaten als brauchbare Bundesgenossen gegen den norddeutschen Nebenbuhler schätzen gelernt und wollte durchaus Alles vermeiden was ihren Souveränitätsdünkel verletzen konnte. Wie man sich in der Hofburg den Deutschen Bund vorstellte, das hatte Freiherr von Wessenberg schon im December in einem neuen Bundesplane verrathen. Es war bereits der fünfte Entwurf, der in dieser trostlosen Verhandlung zur Sprache kam. Dies geistlose Machwerk lud die deutschen Staaten ein, sich nach Gefallen einem Bunde anzuschließen, der die gemeinsame äußere und innere Sicherheit erhalten sollte; wer eintritt, darf ohne Zustimmung der Genossen nicht wieder ausscheiden. Alle Bundesstaaten haben als solche gleiche Rechte. Ein permanenter Bundesrath wird aus den Gesandten aller Staaten gebildet, Oesterreich führt den Vorsitz. Keine Spur von einer wirklichen Bundeskriegsgewalt; der Bundesrath hat lediglich "darauf zu sehen", daß jeder Staat sein Contingent vollständig erhält. Die Ausgaben werden durch Matrikularbei- träge bestritten. Die auswärtige Politik bleibt den Bundesstaaten unge- schmälert, nur dürfen ihre Verbindungen mit Auswärtigen nicht gegen den Bund selber gerichtet sein. Landstände sind binnen Jahr und Tag einzuberufen, doch wird ihre Einrichtung den Landesherren überlassen. Dazu noch ein Artikel über die Mediatisirten und einige, sehr bescheidene, Unterthanenrechte, wozu aber die Preßfreiheit nicht gehört; endlich noch die Zusage, daß der Bund für die Freiheit des Handels und der Schiff-
II. 1. Der Wiener Congreß.
lag, jene beiden Humboldt’ſchen Entwürfe vom December, an den öſter- reichiſchen Miniſter zu überſenden. In einer begleitenden Note wieder- holten ſie nochmals alle die in Humboldts vertraulichen Denkſchriften ausgeſprochenen Bedenken für und wider die Kreisverfaſſung und erboten ſich bereitwillig zu jeder Abänderung — mit einziger Ausnahme jener drei unantaſtbaren Punkte: Kriegsgewalt, Bundesgericht und landſtändiſche Verfaſſungen. Durch dieſe entgegenkommende Haltung hofften ſie um ſo ſicherer eine raſche Verſtändigung mit der Hofburg zu erreichen, da ja Humboldts beide Entwürfe nichts weiter enthielten als eine gründlichere Ausarbeitung jener Zwölf Artikel, welche Metternich ſelbſt im October dem Fünfer-Ausſchuß mit vorgelegt hatte. Sehr willkommen war es ihnen daher, daß ſich im nämlichen Augenblicke auch der Verein der deutſchen Fürſten und Städte wieder rührte. Durch den Zutritt Badens und einiger Kleinen bis auf zweiunddreißig Mitglieder verſtärkt, bat er am 2. Februar die beiden führenden Mächte um ſchleunige Eröffnung der Berathungen Aller. Hardenberg und Humboldt erklärten ſich ſofort bereit, und da auch Metternich zuſtimmte, ſo ließen ſie nunmehr, am 10. Februar, ihre Note mit den beiden Denkſchriften an das öſterreichiſche Cabinet abgehen.
Aber der öſterreichiſche Staatsmann, der im Herbſt ſo gefällig mit Preußen zuſammengegangen war, fand jetzt der Bedenken kein Ende: er hatte während der ſächſiſchen Händel die Mittelſtaaten als brauchbare Bundesgenoſſen gegen den norddeutſchen Nebenbuhler ſchätzen gelernt und wollte durchaus Alles vermeiden was ihren Souveränitätsdünkel verletzen konnte. Wie man ſich in der Hofburg den Deutſchen Bund vorſtellte, das hatte Freiherr von Weſſenberg ſchon im December in einem neuen Bundesplane verrathen. Es war bereits der fünfte Entwurf, der in dieſer troſtloſen Verhandlung zur Sprache kam. Dies geiſtloſe Machwerk lud die deutſchen Staaten ein, ſich nach Gefallen einem Bunde anzuſchließen, der die gemeinſame äußere und innere Sicherheit erhalten ſollte; wer eintritt, darf ohne Zuſtimmung der Genoſſen nicht wieder ausſcheiden. Alle Bundesſtaaten haben als ſolche gleiche Rechte. Ein permanenter Bundesrath wird aus den Geſandten aller Staaten gebildet, Oeſterreich führt den Vorſitz. Keine Spur von einer wirklichen Bundeskriegsgewalt; der Bundesrath hat lediglich „darauf zu ſehen“, daß jeder Staat ſein Contingent vollſtändig erhält. Die Ausgaben werden durch Matrikularbei- träge beſtritten. Die auswärtige Politik bleibt den Bundesſtaaten unge- ſchmälert, nur dürfen ihre Verbindungen mit Auswärtigen nicht gegen den Bund ſelber gerichtet ſein. Landſtände ſind binnen Jahr und Tag einzuberufen, doch wird ihre Einrichtung den Landesherren überlaſſen. Dazu noch ein Artikel über die Mediatiſirten und einige, ſehr beſcheidene, Unterthanenrechte, wozu aber die Preßfreiheit nicht gehört; endlich noch die Zuſage, daß der Bund für die Freiheit des Handels und der Schiff-
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lag, jene beiden Humboldt’ſchen Entwürfe vom December, an den öſter-
reichiſchen Miniſter zu überſenden. In einer begleitenden Note wieder-
holten ſie nochmals alle die in Humboldts vertraulichen Denkſchriften
ausgeſprochenen Bedenken für und wider die Kreisverfaſſung und erboten
ſich bereitwillig zu jeder Abänderung — mit einziger Ausnahme jener
drei unantaſtbaren Punkte: Kriegsgewalt, Bundesgericht und landſtändiſche
Verfaſſungen. Durch dieſe entgegenkommende Haltung hofften ſie um ſo
ſicherer eine raſche Verſtändigung mit der Hofburg zu erreichen, da ja
Humboldts beide Entwürfe nichts weiter enthielten als eine gründlichere
Ausarbeitung jener Zwölf Artikel, welche Metternich ſelbſt im October
dem Fünfer-Ausſchuß mit vorgelegt hatte. Sehr willkommen war es
ihnen daher, daß ſich im nämlichen Augenblicke auch der Verein der
deutſchen Fürſten und Städte wieder rührte. Durch den Zutritt Badens
und einiger Kleinen bis auf zweiunddreißig Mitglieder verſtärkt, bat er
am 2. Februar die beiden führenden Mächte um ſchleunige Eröffnung
der Berathungen Aller. Hardenberg und Humboldt erklärten ſich ſofort
bereit, und da auch Metternich zuſtimmte, ſo ließen ſie nunmehr, am
10. Februar, ihre Note mit den beiden Denkſchriften an das öſterreichiſche
Cabinet abgehen.
Aber der öſterreichiſche Staatsmann, der im Herbſt ſo gefällig mit
Preußen zuſammengegangen war, fand jetzt der Bedenken kein Ende: er
hatte während der ſächſiſchen Händel die Mittelſtaaten als brauchbare
Bundesgenoſſen gegen den norddeutſchen Nebenbuhler ſchätzen gelernt und
wollte durchaus Alles vermeiden was ihren Souveränitätsdünkel verletzen
konnte. Wie man ſich in der Hofburg den Deutſchen Bund vorſtellte,
das hatte Freiherr von Weſſenberg ſchon im December in einem neuen
Bundesplane verrathen. Es war bereits der fünfte Entwurf, der in dieſer
troſtloſen Verhandlung zur Sprache kam. Dies geiſtloſe Machwerk lud
die deutſchen Staaten ein, ſich nach Gefallen einem Bunde anzuſchließen,
der die gemeinſame äußere und innere Sicherheit erhalten ſollte; wer
eintritt, darf ohne Zuſtimmung der Genoſſen nicht wieder ausſcheiden.
Alle Bundesſtaaten haben als ſolche gleiche Rechte. Ein permanenter
Bundesrath wird aus den Geſandten aller Staaten gebildet, Oeſterreich
führt den Vorſitz. Keine Spur von einer wirklichen Bundeskriegsgewalt;
der Bundesrath hat lediglich „darauf zu ſehen“, daß jeder Staat ſein
Contingent vollſtändig erhält. Die Ausgaben werden durch Matrikularbei-
träge beſtritten. Die auswärtige Politik bleibt den Bundesſtaaten unge-
ſchmälert, nur dürfen ihre Verbindungen mit Auswärtigen nicht gegen
den Bund ſelber gerichtet ſein. Landſtände ſind binnen Jahr und Tag
einzuberufen, doch wird ihre Einrichtung den Landesherren überlaſſen.
Dazu noch ein Artikel über die Mediatiſirten und einige, ſehr beſcheidene,
Unterthanenrechte, wozu aber die Preßfreiheit nicht gehört; endlich noch
die Zuſage, daß der Bund für die Freiheit des Handels und der Schiff-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/708>, abgerufen am 25.11.2024.
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