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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Ursprung der süddeutschen Verfassungen.
Staaten keineswegs frei stehe, ob sie dem Bunde beitreten wollten oder
nicht. Die Großmächte berufen sich nicht auf den tausendjährigen, niemals
rechtsgiltig aufgehobenen Bestand des Deutschen Reichs; sie halten sich
an das Nächstliegende, an die Accessionsverträge des vergangenen Jahres:
alle der großen Allianz Beigetretenen seien gebunden an die Kalischer
Proclamation, die dem deutschen Volke die Wiederaufrichtung seiner Ver-
fassung "unter nöthigen Modificationen" zusage. "Die Garantie, welche
die alliirten Mächte über die Souveränität Badens ertheilt haben, kann
nicht auf unbedingte Befugnisse gedeutet werden, welche Seiner K. Hoheit
niemals zugestanden haben und welche mit den Absichten geradezu streiten
würden, welche der deutschen Nation von Seiten der alliirten Mächte
als Zwecke des Kriegs, zu dessen glücklicher Beendigung ihre Vaterlands-
liebe und ihr auf diese Zusicherung gestützter Muth so Vieles beige-
tragen hat, bekannt gemacht worden sind."*) Im letzten Augenblicke
wurde Metternich bedenklich; ein solcher Ton erschien ihm zu schroff.
Man begnügte sich dem badischen Minister mündlich die Meinung der
Großmächte mitzutheilen. Dagegen wurde dem württembergischen Hofe
am 24. November eine gemeinsame Antwort übergeben, welche, obschon
in etwas milderer Form, dem Münster'schen Entwurfe entsprach und sehr
nachdrücklich erklärte: alle deutschen Staaten sind verpflichtet dem Bunde
beizutreten. Es war, als ob Stein selber den Großmächten die Feder
geführt hätte; schade nur, daß weder Metternich noch Münster ernstlich
gewillt war den schönen Reden die That folgen zu lassen.

Die Auflösung des Fünfer-Ausschusses wurde folgenreich für viele
Jahre, denn sie gab den Anlaß für die Begründung der constitutionellen
Staatsformen in Süddeutschland. Aus den gemeinsten Beweggründen,
aus Souveränitätsdünkel und particularistischer Angst vor der Einmischung
der Bundesgewalt entschlossen sich die Cabinette der drei Mittelstaaten
des Südens, auf eigene Faust das Nothwendige zu thun und ihren Lan-
den das Repräsentativsystem zu gewähren. Sie waren dazu auch leichter
im Stande als Preußen, da ihre napoleonische Präfectenverwaltung bereits
zehn Jahre Zeit gehabt hatte um alle Landestheile einer gleichmäßigen
Ordnung zu unterwerfen und jede centrifugale Kraft zu bändigen. König
Max Joseph hatte schon im September eine Durchsicht der papiernen Ver-
fassung von 1808 angeordnet; sobald er dann in Wien wahrnahm, daß die
Großmächte den Souveränen ein Minimum landständischer Rechte von
Bundeswegen auferlegen wollten, befahl er seiner Revisionscommission im
October ihre Arbeiten schleunigst zu beendigen. Friedrich von Württemberg
ließ seine Minister, in einer ungezogenen Replik vom 24. November, die
unantastbare Allmacht der schwäbischen Königskrone nochmals vertheidigen,
er wetterte und tobte wider die Anmaßung der Großmächte und verließ

*) Münsters Entwurf zur Beantwortung der badischen Note vom 16. Nov. 1814.

Urſprung der ſüddeutſchen Verfaſſungen.
Staaten keineswegs frei ſtehe, ob ſie dem Bunde beitreten wollten oder
nicht. Die Großmächte berufen ſich nicht auf den tauſendjährigen, niemals
rechtsgiltig aufgehobenen Beſtand des Deutſchen Reichs; ſie halten ſich
an das Nächſtliegende, an die Acceſſionsverträge des vergangenen Jahres:
alle der großen Allianz Beigetretenen ſeien gebunden an die Kaliſcher
Proclamation, die dem deutſchen Volke die Wiederaufrichtung ſeiner Ver-
faſſung „unter nöthigen Modificationen“ zuſage. „Die Garantie, welche
die alliirten Mächte über die Souveränität Badens ertheilt haben, kann
nicht auf unbedingte Befugniſſe gedeutet werden, welche Seiner K. Hoheit
niemals zugeſtanden haben und welche mit den Abſichten geradezu ſtreiten
würden, welche der deutſchen Nation von Seiten der alliirten Mächte
als Zwecke des Kriegs, zu deſſen glücklicher Beendigung ihre Vaterlands-
liebe und ihr auf dieſe Zuſicherung geſtützter Muth ſo Vieles beige-
tragen hat, bekannt gemacht worden ſind.“*) Im letzten Augenblicke
wurde Metternich bedenklich; ein ſolcher Ton erſchien ihm zu ſchroff.
Man begnügte ſich dem badiſchen Miniſter mündlich die Meinung der
Großmächte mitzutheilen. Dagegen wurde dem württembergiſchen Hofe
am 24. November eine gemeinſame Antwort übergeben, welche, obſchon
in etwas milderer Form, dem Münſter’ſchen Entwurfe entſprach und ſehr
nachdrücklich erklärte: alle deutſchen Staaten ſind verpflichtet dem Bunde
beizutreten. Es war, als ob Stein ſelber den Großmächten die Feder
geführt hätte; ſchade nur, daß weder Metternich noch Münſter ernſtlich
gewillt war den ſchönen Reden die That folgen zu laſſen.

Die Auflöſung des Fünfer-Ausſchuſſes wurde folgenreich für viele
Jahre, denn ſie gab den Anlaß für die Begründung der conſtitutionellen
Staatsformen in Süddeutſchland. Aus den gemeinſten Beweggründen,
aus Souveränitätsdünkel und particulariſtiſcher Angſt vor der Einmiſchung
der Bundesgewalt entſchloſſen ſich die Cabinette der drei Mittelſtaaten
des Südens, auf eigene Fauſt das Nothwendige zu thun und ihren Lan-
den das Repräſentativſyſtem zu gewähren. Sie waren dazu auch leichter
im Stande als Preußen, da ihre napoleoniſche Präfectenverwaltung bereits
zehn Jahre Zeit gehabt hatte um alle Landestheile einer gleichmäßigen
Ordnung zu unterwerfen und jede centrifugale Kraft zu bändigen. König
Max Joſeph hatte ſchon im September eine Durchſicht der papiernen Ver-
faſſung von 1808 angeordnet; ſobald er dann in Wien wahrnahm, daß die
Großmächte den Souveränen ein Minimum landſtändiſcher Rechte von
Bundeswegen auferlegen wollten, befahl er ſeiner Reviſionscommiſſion im
October ihre Arbeiten ſchleunigſt zu beendigen. Friedrich von Württemberg
ließ ſeine Miniſter, in einer ungezogenen Replik vom 24. November, die
unantaſtbare Allmacht der ſchwäbiſchen Königskrone nochmals vertheidigen,
er wetterte und tobte wider die Anmaßung der Großmächte und verließ

*) Münſters Entwurf zur Beantwortung der badiſchen Note vom 16. Nov. 1814.
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[687/0703] Urſprung der ſüddeutſchen Verfaſſungen. Staaten keineswegs frei ſtehe, ob ſie dem Bunde beitreten wollten oder nicht. Die Großmächte berufen ſich nicht auf den tauſendjährigen, niemals rechtsgiltig aufgehobenen Beſtand des Deutſchen Reichs; ſie halten ſich an das Nächſtliegende, an die Acceſſionsverträge des vergangenen Jahres: alle der großen Allianz Beigetretenen ſeien gebunden an die Kaliſcher Proclamation, die dem deutſchen Volke die Wiederaufrichtung ſeiner Ver- faſſung „unter nöthigen Modificationen“ zuſage. „Die Garantie, welche die alliirten Mächte über die Souveränität Badens ertheilt haben, kann nicht auf unbedingte Befugniſſe gedeutet werden, welche Seiner K. Hoheit niemals zugeſtanden haben und welche mit den Abſichten geradezu ſtreiten würden, welche der deutſchen Nation von Seiten der alliirten Mächte als Zwecke des Kriegs, zu deſſen glücklicher Beendigung ihre Vaterlands- liebe und ihr auf dieſe Zuſicherung geſtützter Muth ſo Vieles beige- tragen hat, bekannt gemacht worden ſind.“ *) Im letzten Augenblicke wurde Metternich bedenklich; ein ſolcher Ton erſchien ihm zu ſchroff. Man begnügte ſich dem badiſchen Miniſter mündlich die Meinung der Großmächte mitzutheilen. Dagegen wurde dem württembergiſchen Hofe am 24. November eine gemeinſame Antwort übergeben, welche, obſchon in etwas milderer Form, dem Münſter’ſchen Entwurfe entſprach und ſehr nachdrücklich erklärte: alle deutſchen Staaten ſind verpflichtet dem Bunde beizutreten. Es war, als ob Stein ſelber den Großmächten die Feder geführt hätte; ſchade nur, daß weder Metternich noch Münſter ernſtlich gewillt war den ſchönen Reden die That folgen zu laſſen. Die Auflöſung des Fünfer-Ausſchuſſes wurde folgenreich für viele Jahre, denn ſie gab den Anlaß für die Begründung der conſtitutionellen Staatsformen in Süddeutſchland. Aus den gemeinſten Beweggründen, aus Souveränitätsdünkel und particulariſtiſcher Angſt vor der Einmiſchung der Bundesgewalt entſchloſſen ſich die Cabinette der drei Mittelſtaaten des Südens, auf eigene Fauſt das Nothwendige zu thun und ihren Lan- den das Repräſentativſyſtem zu gewähren. Sie waren dazu auch leichter im Stande als Preußen, da ihre napoleoniſche Präfectenverwaltung bereits zehn Jahre Zeit gehabt hatte um alle Landestheile einer gleichmäßigen Ordnung zu unterwerfen und jede centrifugale Kraft zu bändigen. König Max Joſeph hatte ſchon im September eine Durchſicht der papiernen Ver- faſſung von 1808 angeordnet; ſobald er dann in Wien wahrnahm, daß die Großmächte den Souveränen ein Minimum landſtändiſcher Rechte von Bundeswegen auferlegen wollten, befahl er ſeiner Reviſionscommiſſion im October ihre Arbeiten ſchleunigſt zu beendigen. Friedrich von Württemberg ließ ſeine Miniſter, in einer ungezogenen Replik vom 24. November, die unantaſtbare Allmacht der ſchwäbiſchen Königskrone nochmals vertheidigen, er wetterte und tobte wider die Anmaßung der Großmächte und verließ *) Münſters Entwurf zur Beantwortung der badiſchen Note vom 16. Nov. 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/703>, abgerufen am 22.11.2024.