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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Nochmals das Comite der Vier.
revolutionären Dynastien sind alle verschwunden bis auf die eine, die in
Neapel haust, die legitimen alle wiederhergestellt bis auf die eine des un-
glücklichen Königs von Sachsen; "die Revolution ist also noch nicht ge-
schlossen;" und Frankreich erwartet, daß der Congreß seine Pflicht erfülle.
-- Schon die nächsten Tage lehrten, daß Frankreichs Vertragsbruch den
österreichischen wie den englischen Staatsmännern hochwillkommen kam.
Die drei Mächte waren einig; bereits am 14. December hielt Metternich
die werdende Tripel-Allianz für so gesichert, daß er den sächsischen Agen-
ten Schulenburg beauftragte, er möge seinem königlichen Herrn schreiben:
Sachsen ist gerettet! --

Da die formlosen Verhandlungen nicht zum Ziele führten, so beschloß
man endlich, das Comite der Vier wieder einzuberufen und die Gebiets-
fragen feierlich vor dem Forum der vier verbündeten Großmächte zu er-
ledigen. Am 29. December begann dies Comite aufs Neue zu tagen.
Der Verlauf war wie zu erwarten stand: über Mainz war alle Welt
einig, desgleichen über die Hauptpunkte der polnischen Angelegenheit; nur
die sächsische Frage rückte nicht von der Stelle. Eine neue Note Harden-
bergs an Metternich (v. 29. Dec.) fragte die Gegner: "will man Preußen
in die Nothwendigkeit setzen, in Zukunft nach Vergrößerungen zu streben?"
Sie erregte einen Sturm der Entrüstung, da man die Wahrheit des Vor-
wurfs fühlte. Auch eine Denkschrift Steins (v. 20. Dec.) konnte den
österreichischen Minister nur in seiner Ansicht bestärken. Der edle Mann
sagte voraus, das wiederhergestellte Sachsen werde im Norden eine ebenso
gefährliche Macht der Zwietracht sein wie Baiern im Süden; er ahnte
nicht, daß die Hofburg nichts sehnlicher wünschte als ein norddeutsches
Baiern.

Die Hintergedanken Oesterreichs verriethen sich schon in der ersten
Sitzung der Vier, als Metternich den Eintritt Talleyrands in das Comite
beantragte; zugleich erklärte er, ohne die Genehmigung Friedrich Augusts
könne die sächsische Frage nicht entschieden werden. Castlereagh unter-
stützte seinen Freund. Nach der wunderbaren Logik dieses Kopfes war die
Zulassung Frankreichs schon darum nothwendig, "weil die Verträge von
Kalisch und Reichenbach nach dem geheimen Artikel des Pariser Friedens
auch für Frankreich rechtsverbindlich seien" -- und doch schloß jener selbe
Artikel Frankreich von jeder Mitwirkung bei den Gebietsverhandlungen
ausdrücklich aus. Solchen Zumuthungen traten Rußland und Preußen
mit wiederholten scharfen Erwiderungen entgegen; sie wollten Friedrich
August unter keinen Umständen und auch Talleyrand erst dann in das
Comite einlassen, wenn die vier Mächte sich bereits geeinigt hätten. Es
fielen bittere Worte, ernste Drohungen. Unter dem Eindruck dieser leiden-
schaftlichen Auftritte verfiel Lord Castlereagh zuerst auf den unseligen Ge-
danken, welchen Talleyrand seit Monaten schürend und hetzend vorbereitet
hatte: er beantragte insgeheim ein Kriegsbündniß zwischen England, Oester-

Nochmals das Comité der Vier.
revolutionären Dynaſtien ſind alle verſchwunden bis auf die eine, die in
Neapel hauſt, die legitimen alle wiederhergeſtellt bis auf die eine des un-
glücklichen Königs von Sachſen; „die Revolution iſt alſo noch nicht ge-
ſchloſſen;“ und Frankreich erwartet, daß der Congreß ſeine Pflicht erfülle.
— Schon die nächſten Tage lehrten, daß Frankreichs Vertragsbruch den
öſterreichiſchen wie den engliſchen Staatsmännern hochwillkommen kam.
Die drei Mächte waren einig; bereits am 14. December hielt Metternich
die werdende Tripel-Allianz für ſo geſichert, daß er den ſächſiſchen Agen-
ten Schulenburg beauftragte, er möge ſeinem königlichen Herrn ſchreiben:
Sachſen iſt gerettet! —

Da die formloſen Verhandlungen nicht zum Ziele führten, ſo beſchloß
man endlich, das Comité der Vier wieder einzuberufen und die Gebiets-
fragen feierlich vor dem Forum der vier verbündeten Großmächte zu er-
ledigen. Am 29. December begann dies Comité aufs Neue zu tagen.
Der Verlauf war wie zu erwarten ſtand: über Mainz war alle Welt
einig, desgleichen über die Hauptpunkte der polniſchen Angelegenheit; nur
die ſächſiſche Frage rückte nicht von der Stelle. Eine neue Note Harden-
bergs an Metternich (v. 29. Dec.) fragte die Gegner: „will man Preußen
in die Nothwendigkeit ſetzen, in Zukunft nach Vergrößerungen zu ſtreben?“
Sie erregte einen Sturm der Entrüſtung, da man die Wahrheit des Vor-
wurfs fühlte. Auch eine Denkſchrift Steins (v. 20. Dec.) konnte den
öſterreichiſchen Miniſter nur in ſeiner Anſicht beſtärken. Der edle Mann
ſagte voraus, das wiederhergeſtellte Sachſen werde im Norden eine ebenſo
gefährliche Macht der Zwietracht ſein wie Baiern im Süden; er ahnte
nicht, daß die Hofburg nichts ſehnlicher wünſchte als ein norddeutſches
Baiern.

Die Hintergedanken Oeſterreichs verriethen ſich ſchon in der erſten
Sitzung der Vier, als Metternich den Eintritt Talleyrands in das Comité
beantragte; zugleich erklärte er, ohne die Genehmigung Friedrich Auguſts
könne die ſächſiſche Frage nicht entſchieden werden. Caſtlereagh unter-
ſtützte ſeinen Freund. Nach der wunderbaren Logik dieſes Kopfes war die
Zulaſſung Frankreichs ſchon darum nothwendig, „weil die Verträge von
Kaliſch und Reichenbach nach dem geheimen Artikel des Pariſer Friedens
auch für Frankreich rechtsverbindlich ſeien“ — und doch ſchloß jener ſelbe
Artikel Frankreich von jeder Mitwirkung bei den Gebietsverhandlungen
ausdrücklich aus. Solchen Zumuthungen traten Rußland und Preußen
mit wiederholten ſcharfen Erwiderungen entgegen; ſie wollten Friedrich
Auguſt unter keinen Umſtänden und auch Talleyrand erſt dann in das
Comité einlaſſen, wenn die vier Mächte ſich bereits geeinigt hätten. Es
fielen bittere Worte, ernſte Drohungen. Unter dem Eindruck dieſer leiden-
ſchaftlichen Auftritte verfiel Lord Caſtlereagh zuerſt auf den unſeligen Ge-
danken, welchen Talleyrand ſeit Monaten ſchürend und hetzend vorbereitet
hatte: er beantragte insgeheim ein Kriegsbündniß zwiſchen England, Oeſter-

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[651/0667] Nochmals das Comité der Vier. revolutionären Dynaſtien ſind alle verſchwunden bis auf die eine, die in Neapel hauſt, die legitimen alle wiederhergeſtellt bis auf die eine des un- glücklichen Königs von Sachſen; „die Revolution iſt alſo noch nicht ge- ſchloſſen;“ und Frankreich erwartet, daß der Congreß ſeine Pflicht erfülle. — Schon die nächſten Tage lehrten, daß Frankreichs Vertragsbruch den öſterreichiſchen wie den engliſchen Staatsmännern hochwillkommen kam. Die drei Mächte waren einig; bereits am 14. December hielt Metternich die werdende Tripel-Allianz für ſo geſichert, daß er den ſächſiſchen Agen- ten Schulenburg beauftragte, er möge ſeinem königlichen Herrn ſchreiben: Sachſen iſt gerettet! — Da die formloſen Verhandlungen nicht zum Ziele führten, ſo beſchloß man endlich, das Comité der Vier wieder einzuberufen und die Gebiets- fragen feierlich vor dem Forum der vier verbündeten Großmächte zu er- ledigen. Am 29. December begann dies Comité aufs Neue zu tagen. Der Verlauf war wie zu erwarten ſtand: über Mainz war alle Welt einig, desgleichen über die Hauptpunkte der polniſchen Angelegenheit; nur die ſächſiſche Frage rückte nicht von der Stelle. Eine neue Note Harden- bergs an Metternich (v. 29. Dec.) fragte die Gegner: „will man Preußen in die Nothwendigkeit ſetzen, in Zukunft nach Vergrößerungen zu ſtreben?“ Sie erregte einen Sturm der Entrüſtung, da man die Wahrheit des Vor- wurfs fühlte. Auch eine Denkſchrift Steins (v. 20. Dec.) konnte den öſterreichiſchen Miniſter nur in ſeiner Anſicht beſtärken. Der edle Mann ſagte voraus, das wiederhergeſtellte Sachſen werde im Norden eine ebenſo gefährliche Macht der Zwietracht ſein wie Baiern im Süden; er ahnte nicht, daß die Hofburg nichts ſehnlicher wünſchte als ein norddeutſches Baiern. Die Hintergedanken Oeſterreichs verriethen ſich ſchon in der erſten Sitzung der Vier, als Metternich den Eintritt Talleyrands in das Comité beantragte; zugleich erklärte er, ohne die Genehmigung Friedrich Auguſts könne die ſächſiſche Frage nicht entſchieden werden. Caſtlereagh unter- ſtützte ſeinen Freund. Nach der wunderbaren Logik dieſes Kopfes war die Zulaſſung Frankreichs ſchon darum nothwendig, „weil die Verträge von Kaliſch und Reichenbach nach dem geheimen Artikel des Pariſer Friedens auch für Frankreich rechtsverbindlich ſeien“ — und doch ſchloß jener ſelbe Artikel Frankreich von jeder Mitwirkung bei den Gebietsverhandlungen ausdrücklich aus. Solchen Zumuthungen traten Rußland und Preußen mit wiederholten ſcharfen Erwiderungen entgegen; ſie wollten Friedrich Auguſt unter keinen Umſtänden und auch Talleyrand erſt dann in das Comité einlaſſen, wenn die vier Mächte ſich bereits geeinigt hätten. Es fielen bittere Worte, ernſte Drohungen. Unter dem Eindruck dieſer leiden- ſchaftlichen Auftritte verfiel Lord Caſtlereagh zuerſt auf den unſeligen Ge- danken, welchen Talleyrand ſeit Monaten ſchürend und hetzend vorbereitet hatte: er beantragte insgeheim ein Kriegsbündniß zwiſchen England, Oeſter-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/667>, abgerufen am 22.11.2024.