schleunigten diese Schwenkung. Castlereagh erhielt aus der Heimath den Befehl die preußische Sache gänzlich aufzugeben, und er ist sich in seiner Beschränktheit des begangenen Verrathes niemals klar bewußt geworden. Auch im Parlamente wußte der edle Lord späterhin zur Entschuldigung seines Gesinnungswechsels nur das Eine vorzubringen: die öffentliche Meinung Deutschlands sei der Einverleibung Sachsens entschieden un- günstig gewesen -- eine wundersame Behauptung im Munde dieser Hoch- torys, welche sonst die Geringschätzung der Wünsche der Völker geflissentlich zur Schau trugen.
Nur Castlereaghs Gedankenlosigkeit und Metternichs Arglist erklären das Räthsel, daß England und Oesterreich jetzt plötzlich Alles für schwarz erklärten was sie bisher für weiß gehalten. Die von ihnen so lange be- kämpfte polnische Königskrone Alexanders erschien ihnen nunmehr als eine "Falle", welche der Czar sich zum eigenen Schaden stelle, und die Ein- verleibung Sachsens, der sie beide mit halben Worten zugestimmt, galt nun als eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Man hatte erkannt, daß Rußland ohne einen Krieg von seinen polnischen Plänen nicht abzubringen sei; "die polnische Angelegenheit, schrieb Gagern schon am 1. December, ist beinah beendigt, aus Mangel an Kämpfern." Um so fester rechnete Metternich auf die Vereitelung der so ungleich schlechter gesicherten preu- ßischen Ansprüche. Er stand jetzt mit Talleyrand in herzlichem Vereine, prüfte und genehmigte mit dem Franzosen gemeinsam eine neue Rechts- verwahrung des gefangenen Königs.
Solcher Erfolge froh trat Talleyrand täglich herausfordernder auf, ließ durch Dalberg und La Besnardiere eine Apologie des Albertiners verfassen, versicherte dem getreuen Gagern: niemals werde Frankreich die Preußen weder am linken Rheinufer noch in Sachsen dulden. Eine "Denkschrift über Sachsen vom französischen Gesichtspunkte" zählte Preu- ßens Sünden gegen das deutsche Vaterland auf: den Baseler Frieden, den Reichsdeputationshauptschluß, die Neutralität von 1805 -- Alles Sünden vom französischen Gesichtspunkte! Der Moniteur verkündete feierlich: "der einzige Fürst, der vielleicht berechtigt wäre, über Friedrich August zu urtheilen, der König von Frankreich spricht den Gefangenen frei!" -- und pries begeistert die ewige Zersplitterung als die glorreiche Eigenthümlichkeit der deutschen Nation: "im deutschen Charakter liegt die Anhänglichkeit an heilige Gewohnheiten; die heiligste darunter ist: beson- deren Fürsten zu gehorchen."
Diese princes particuliers waren mit der Geschichtsphilosophie des Moniteurs ganz einverstanden; sie zeigten sich bereit, auf Talleyrands Aufforderung einen gemeinsamen Protest gegen die Einverleibung Sachsens zu unterzeichnen, nur eine drohende Warnung des Czaren hintertrieb das Unternehmen. Der Franzose hatte für jeden der kleinen Herrn lockende Versprechungen bereit, und jeder von ihnen hoffte doch noch auf der großen
Oeſterreich und England gegen Preußen.
ſchleunigten dieſe Schwenkung. Caſtlereagh erhielt aus der Heimath den Befehl die preußiſche Sache gänzlich aufzugeben, und er iſt ſich in ſeiner Beſchränktheit des begangenen Verrathes niemals klar bewußt geworden. Auch im Parlamente wußte der edle Lord ſpäterhin zur Entſchuldigung ſeines Geſinnungswechſels nur das Eine vorzubringen: die öffentliche Meinung Deutſchlands ſei der Einverleibung Sachſens entſchieden un- günſtig geweſen — eine wunderſame Behauptung im Munde dieſer Hoch- torys, welche ſonſt die Geringſchätzung der Wünſche der Völker gefliſſentlich zur Schau trugen.
Nur Caſtlereaghs Gedankenloſigkeit und Metternichs Argliſt erklären das Räthſel, daß England und Oeſterreich jetzt plötzlich Alles für ſchwarz erklärten was ſie bisher für weiß gehalten. Die von ihnen ſo lange be- kämpfte polniſche Königskrone Alexanders erſchien ihnen nunmehr als eine „Falle“, welche der Czar ſich zum eigenen Schaden ſtelle, und die Ein- verleibung Sachſens, der ſie beide mit halben Worten zugeſtimmt, galt nun als eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts. Man hatte erkannt, daß Rußland ohne einen Krieg von ſeinen polniſchen Plänen nicht abzubringen ſei; „die polniſche Angelegenheit, ſchrieb Gagern ſchon am 1. December, iſt beinah beendigt, aus Mangel an Kämpfern.“ Um ſo feſter rechnete Metternich auf die Vereitelung der ſo ungleich ſchlechter geſicherten preu- ßiſchen Anſprüche. Er ſtand jetzt mit Talleyrand in herzlichem Vereine, prüfte und genehmigte mit dem Franzoſen gemeinſam eine neue Rechts- verwahrung des gefangenen Königs.
Solcher Erfolge froh trat Talleyrand täglich herausfordernder auf, ließ durch Dalberg und La Besnardiere eine Apologie des Albertiners verfaſſen, verſicherte dem getreuen Gagern: niemals werde Frankreich die Preußen weder am linken Rheinufer noch in Sachſen dulden. Eine „Denkſchrift über Sachſen vom franzöſiſchen Geſichtspunkte“ zählte Preu- ßens Sünden gegen das deutſche Vaterland auf: den Baſeler Frieden, den Reichsdeputationshauptſchluß, die Neutralität von 1805 — Alles Sünden vom franzöſiſchen Geſichtspunkte! Der Moniteur verkündete feierlich: „der einzige Fürſt, der vielleicht berechtigt wäre, über Friedrich Auguſt zu urtheilen, der König von Frankreich ſpricht den Gefangenen frei!“ — und pries begeiſtert die ewige Zerſplitterung als die glorreiche Eigenthümlichkeit der deutſchen Nation: „im deutſchen Charakter liegt die Anhänglichkeit an heilige Gewohnheiten; die heiligſte darunter iſt: beſon- deren Fürſten zu gehorchen.“
Dieſe princes particuliers waren mit der Geſchichtsphiloſophie des Moniteurs ganz einverſtanden; ſie zeigten ſich bereit, auf Talleyrands Aufforderung einen gemeinſamen Proteſt gegen die Einverleibung Sachſens zu unterzeichnen, nur eine drohende Warnung des Czaren hintertrieb das Unternehmen. Der Franzoſe hatte für jeden der kleinen Herrn lockende Verſprechungen bereit, und jeder von ihnen hoffte doch noch auf der großen
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Oeſterreich und England gegen Preußen.
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Befehl die preußiſche Sache gänzlich aufzugeben, und er iſt ſich in ſeiner
Beſchränktheit des begangenen Verrathes niemals klar bewußt geworden.
Auch im Parlamente wußte der edle Lord ſpäterhin zur Entſchuldigung
ſeines Geſinnungswechſels nur das Eine vorzubringen: die öffentliche
Meinung Deutſchlands ſei der Einverleibung Sachſens entſchieden un-
günſtig geweſen — eine wunderſame Behauptung im Munde dieſer Hoch-
torys, welche ſonſt die Geringſchätzung der Wünſche der Völker gefliſſentlich
zur Schau trugen.
Nur Caſtlereaghs Gedankenloſigkeit und Metternichs Argliſt erklären
das Räthſel, daß England und Oeſterreich jetzt plötzlich Alles für ſchwarz
erklärten was ſie bisher für weiß gehalten. Die von ihnen ſo lange be-
kämpfte polniſche Königskrone Alexanders erſchien ihnen nunmehr als eine
„Falle“, welche der Czar ſich zum eigenen Schaden ſtelle, und die Ein-
verleibung Sachſens, der ſie beide mit halben Worten zugeſtimmt, galt
nun als eine ſchwere Verletzung des Völkerrechts. Man hatte erkannt, daß
Rußland ohne einen Krieg von ſeinen polniſchen Plänen nicht abzubringen
ſei; „die polniſche Angelegenheit, ſchrieb Gagern ſchon am 1. December,
iſt beinah beendigt, aus Mangel an Kämpfern.“ Um ſo feſter rechnete
Metternich auf die Vereitelung der ſo ungleich ſchlechter geſicherten preu-
ßiſchen Anſprüche. Er ſtand jetzt mit Talleyrand in herzlichem Vereine,
prüfte und genehmigte mit dem Franzoſen gemeinſam eine neue Rechts-
verwahrung des gefangenen Königs.
Solcher Erfolge froh trat Talleyrand täglich herausfordernder auf,
ließ durch Dalberg und La Besnardiere eine Apologie des Albertiners
verfaſſen, verſicherte dem getreuen Gagern: niemals werde Frankreich
die Preußen weder am linken Rheinufer noch in Sachſen dulden. Eine
„Denkſchrift über Sachſen vom franzöſiſchen Geſichtspunkte“ zählte Preu-
ßens Sünden gegen das deutſche Vaterland auf: den Baſeler Frieden,
den Reichsdeputationshauptſchluß, die Neutralität von 1805 — Alles
Sünden vom franzöſiſchen Geſichtspunkte! Der Moniteur verkündete
feierlich: „der einzige Fürſt, der vielleicht berechtigt wäre, über Friedrich
Auguſt zu urtheilen, der König von Frankreich ſpricht den Gefangenen
frei!“ — und pries begeiſtert die ewige Zerſplitterung als die glorreiche
Eigenthümlichkeit der deutſchen Nation: „im deutſchen Charakter liegt die
Anhänglichkeit an heilige Gewohnheiten; die heiligſte darunter iſt: beſon-
deren Fürſten zu gehorchen.“
Dieſe princes particuliers waren mit der Geſchichtsphiloſophie des
Moniteurs ganz einverſtanden; ſie zeigten ſich bereit, auf Talleyrands
Aufforderung einen gemeinſamen Proteſt gegen die Einverleibung Sachſens
zu unterzeichnen, nur eine drohende Warnung des Czaren hintertrieb das
Unternehmen. Der Franzoſe hatte für jeden der kleinen Herrn lockende
Verſprechungen bereit, und jeder von ihnen hoffte doch noch auf der großen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 645. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/661>, abgerufen am 22.11.2024.
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