geschürt und den Kampf verschärft. In ihnen sammelte sich auch das ganze Rüstzeug jener vergifteten Waffen an, welche seitdem während eines Menschenalters gegen Preußen geschwungen wurden; schon jetzt verrieth sich das nachher in den Tagen der Demagogenverfolgung mit so reichem Erfolge gekrönte Bestreben, den Befreiungskrieg und seine Helden vor der Krone Preußen zu verdächtigen. Mit Gentzens Freunde Adam Müller, dem Herausgeber des ultramontanen "Tyroler Boten", wetteiferte der Welfe Sartorius. Der gelehrte Göttinger Historiker verfaßte, während er zu Wien in den Vorzimmern der Diplomaten umherschlich und ver- traulich mit Gentz verkehrte, unter dem Namen eines "preußischen Pa- trioten" die Flugschrift "über die Vereinigung Sachsens mit Preußen" und schilderte mit dem ganzen Kummer eines beschämten treuen Preußen- herzens: im Lande geht das Gerücht, daß verblendete Rathgeber die Hände des Königs mit gestohlenem Gute beflecken wollen; die Verführung lauert, der Staat steht am Scheidewege; soll denn nochmals, wie einst in Schle- sien, Westpreußen, Hannover, das suum cuique rapit der Sinnspruch unseres Adlers sein? Die Augsburger Allgemeine Zeitung stand, wie in jeder großen Krisis unserer neueren Geschichte, auch diesmal unter den Feinden Preußens.
Noch handfester sprachen Aretin und Hörmann, die beiden alterprob- ten Schergen des Bonapartismus, in der Münchener Alemannia. Aretins Schrift "Sachsen und Preußen" führte den Gedanken aus, der seitdem ein Lieblingssatz unserer Foederalisten wurde: der aufgeblasene preußische Frosch müsse eine Macht zweiten Ranges bleiben; werde er zu einer "Primär-Macht", so gehe die Ruhe und das Gleichgewicht Europas unter; dazu die herkömmliche Versicherung, daß die preußische Ländergier auch nach Hamburg, nach Böhmen und Mähren trachte. Gleichfalls aus den Kreisen Montgelas' und der bairischen Regierung stammt die Flugschrift "Preußen und Teutschland", die nach einer Fluth wüster Schmähreden schließlich die "Sachsen, Rheinländer und Mainzer" feierlich aufruft, ihre Freiheit gegen die Fänge des preußischen Adlers zu vertheidigen. Die Krone dieser Literatur bilden die in Baiern heimlich gedruckten "Sächsischen Actenstücke aus der Dresdener ungeschriebenen Zeitung" -- eine Fälschung von solcher Plumpheit, daß wir heute kaum noch begreifen, wie sie jemals gläubige Leser finden konnte. Da verwendet sich Herzog Ernst von Co- burg für seinen gefangenen Verwandten in einem rührenden Briefe, welchen nachweislich La Besnardiere auf Talleyrands Befehl angefertigt hat. Da richten die preußischen Generale (York, Bülow, Kleist, Gneisenau und Massenbach bunt durch einander) eine drohende Adresse an den Staats- kanzler und verlangen säbelrasselnd die sofortige Einverleibung Sachsens: "wo wäre die preußische Monarchie, wenn wir dem behutsamen Cabinette blind gehorcht hätten?" Da warnt eine Denkschrift Hardenbergs den König vor dem zügellosen Geiste des Heeres und den gefährlichen Umtrieben
II. 1. Der Wiener Congreß.
geſchürt und den Kampf verſchärft. In ihnen ſammelte ſich auch das ganze Rüſtzeug jener vergifteten Waffen an, welche ſeitdem während eines Menſchenalters gegen Preußen geſchwungen wurden; ſchon jetzt verrieth ſich das nachher in den Tagen der Demagogenverfolgung mit ſo reichem Erfolge gekrönte Beſtreben, den Befreiungskrieg und ſeine Helden vor der Krone Preußen zu verdächtigen. Mit Gentzens Freunde Adam Müller, dem Herausgeber des ultramontanen „Tyroler Boten“, wetteiferte der Welfe Sartorius. Der gelehrte Göttinger Hiſtoriker verfaßte, während er zu Wien in den Vorzimmern der Diplomaten umherſchlich und ver- traulich mit Gentz verkehrte, unter dem Namen eines „preußiſchen Pa- trioten“ die Flugſchrift „über die Vereinigung Sachſens mit Preußen“ und ſchilderte mit dem ganzen Kummer eines beſchämten treuen Preußen- herzens: im Lande geht das Gerücht, daß verblendete Rathgeber die Hände des Königs mit geſtohlenem Gute beflecken wollen; die Verführung lauert, der Staat ſteht am Scheidewege; ſoll denn nochmals, wie einſt in Schle- ſien, Weſtpreußen, Hannover, das suum cuique rapit der Sinnſpruch unſeres Adlers ſein? Die Augsburger Allgemeine Zeitung ſtand, wie in jeder großen Kriſis unſerer neueren Geſchichte, auch diesmal unter den Feinden Preußens.
Noch handfeſter ſprachen Aretin und Hörmann, die beiden alterprob- ten Schergen des Bonapartismus, in der Münchener Alemannia. Aretins Schrift „Sachſen und Preußen“ führte den Gedanken aus, der ſeitdem ein Lieblingsſatz unſerer Foederaliſten wurde: der aufgeblaſene preußiſche Froſch müſſe eine Macht zweiten Ranges bleiben; werde er zu einer „Primär-Macht“, ſo gehe die Ruhe und das Gleichgewicht Europas unter; dazu die herkömmliche Verſicherung, daß die preußiſche Ländergier auch nach Hamburg, nach Böhmen und Mähren trachte. Gleichfalls aus den Kreiſen Montgelas’ und der bairiſchen Regierung ſtammt die Flugſchrift „Preußen und Teutſchland“, die nach einer Fluth wüſter Schmähreden ſchließlich die „Sachſen, Rheinländer und Mainzer“ feierlich aufruft, ihre Freiheit gegen die Fänge des preußiſchen Adlers zu vertheidigen. Die Krone dieſer Literatur bilden die in Baiern heimlich gedruckten „Sächſiſchen Actenſtücke aus der Dresdener ungeſchriebenen Zeitung“ — eine Fälſchung von ſolcher Plumpheit, daß wir heute kaum noch begreifen, wie ſie jemals gläubige Leſer finden konnte. Da verwendet ſich Herzog Ernſt von Co- burg für ſeinen gefangenen Verwandten in einem rührenden Briefe, welchen nachweislich La Besnardiere auf Talleyrands Befehl angefertigt hat. Da richten die preußiſchen Generale (York, Bülow, Kleiſt, Gneiſenau und Maſſenbach bunt durch einander) eine drohende Adreſſe an den Staats- kanzler und verlangen ſäbelraſſelnd die ſofortige Einverleibung Sachſens: „wo wäre die preußiſche Monarchie, wenn wir dem behutſamen Cabinette blind gehorcht hätten?“ Da warnt eine Denkſchrift Hardenbergs den König vor dem zügelloſen Geiſte des Heeres und den gefährlichen Umtrieben
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II. 1. Der Wiener Congreß.
geſchürt und den Kampf verſchärft. In ihnen ſammelte ſich auch das
ganze Rüſtzeug jener vergifteten Waffen an, welche ſeitdem während eines
Menſchenalters gegen Preußen geſchwungen wurden; ſchon jetzt verrieth
ſich das nachher in den Tagen der Demagogenverfolgung mit ſo reichem
Erfolge gekrönte Beſtreben, den Befreiungskrieg und ſeine Helden vor der
Krone Preußen zu verdächtigen. Mit Gentzens Freunde Adam Müller,
dem Herausgeber des ultramontanen „Tyroler Boten“, wetteiferte der
Welfe Sartorius. Der gelehrte Göttinger Hiſtoriker verfaßte, während
er zu Wien in den Vorzimmern der Diplomaten umherſchlich und ver-
traulich mit Gentz verkehrte, unter dem Namen eines „preußiſchen Pa-
trioten“ die Flugſchrift „über die Vereinigung Sachſens mit Preußen“
und ſchilderte mit dem ganzen Kummer eines beſchämten treuen Preußen-
herzens: im Lande geht das Gerücht, daß verblendete Rathgeber die Hände
des Königs mit geſtohlenem Gute beflecken wollen; die Verführung lauert,
der Staat ſteht am Scheidewege; ſoll denn nochmals, wie einſt in Schle-
ſien, Weſtpreußen, Hannover, das suum cuique rapit der Sinnſpruch
unſeres Adlers ſein? Die Augsburger Allgemeine Zeitung ſtand, wie in
jeder großen Kriſis unſerer neueren Geſchichte, auch diesmal unter den
Feinden Preußens.
Noch handfeſter ſprachen Aretin und Hörmann, die beiden alterprob-
ten Schergen des Bonapartismus, in der Münchener Alemannia. Aretins
Schrift „Sachſen und Preußen“ führte den Gedanken aus, der ſeitdem
ein Lieblingsſatz unſerer Foederaliſten wurde: der aufgeblaſene preußiſche
Froſch müſſe eine Macht zweiten Ranges bleiben; werde er zu einer
„Primär-Macht“, ſo gehe die Ruhe und das Gleichgewicht Europas unter;
dazu die herkömmliche Verſicherung, daß die preußiſche Ländergier auch
nach Hamburg, nach Böhmen und Mähren trachte. Gleichfalls aus den
Kreiſen Montgelas’ und der bairiſchen Regierung ſtammt die Flugſchrift
„Preußen und Teutſchland“, die nach einer Fluth wüſter Schmähreden
ſchließlich die „Sachſen, Rheinländer und Mainzer“ feierlich aufruft, ihre
Freiheit gegen die Fänge des preußiſchen Adlers zu vertheidigen. Die
Krone dieſer Literatur bilden die in Baiern heimlich gedruckten „Sächſiſchen
Actenſtücke aus der Dresdener ungeſchriebenen Zeitung“ — eine Fälſchung
von ſolcher Plumpheit, daß wir heute kaum noch begreifen, wie ſie jemals
gläubige Leſer finden konnte. Da verwendet ſich Herzog Ernſt von Co-
burg für ſeinen gefangenen Verwandten in einem rührenden Briefe,
welchen nachweislich La Besnardiere auf Talleyrands Befehl angefertigt
hat. Da richten die preußiſchen Generale (York, Bülow, Kleiſt, Gneiſenau
und Maſſenbach bunt durch einander) eine drohende Adreſſe an den Staats-
kanzler und verlangen ſäbelraſſelnd die ſofortige Einverleibung Sachſens:
„wo wäre die preußiſche Monarchie, wenn wir dem behutſamen Cabinette
blind gehorcht hätten?“ Da warnt eine Denkſchrift Hardenbergs den König
vor dem zügelloſen Geiſte des Heeres und den gefährlichen Umtrieben
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 640. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/656>, abgerufen am 02.05.2024.
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