zu einem Vergleiche -- und dieser Ausgang war der wahrscheinlichere, da weder Oesterreich noch England in jenem Augenblicke einen Krieg wünschte: dann war mit Sicherheit vorauszusehen, daß Alexander, erbittert über Preußens Widerstand, die sächsischen Ansprüche des preußischen Hofes nicht mehr unterstützte; von allen Seiten preisgegeben, hätte unser Staat, wenn er nicht einen Kampf gegen ganz Europa wagen wollte, sich mit einem Landstrich an der Warthe und etwa mit einigen Stücken der Lausitz begnügen müssen. So einfach stand die Rechnung. Für Metternich ergab sich zunächst die Aufgabe, den Staatskanzler über den untrennbaren Zu- sammenhang der polnischen und der sächsischen Sache zu täuschen, die Lösung der sächsischen Frage hinauszuschieben und vorderhand mit Preußen und England vereint den Plänen Alexanders zu widersprechen; dann war das Bündniß zwischen Rußland und Preußen gesprengt und die De- müthigung der norddeutschen Großmacht sicher. Die Falle war erstaun- lich plump. Schon im September schrieb Gentz hoffnungsvoll an Ka- radja: wenn es nur gelinge, die Vergrößerung Rußlands im vormals preußischen Polen zu ermäßigen, so falle der einzige Grund für die Ein- verleibung Sachsens hinweg!
In der That wurde die Aufmerksamkeit der preußischen Staats- männer fast gänzlich durch die polnischen Angelegenheiten in Anspruch genommen. Die Generale verlangten einmüthig eine militärisch haltbare Ostgrenze. Humboldt forderte, daß Preußen für das bedrohte Gleichgewicht Europas eintrete. Stein sagte dem Czaren mit genialer Sicherheit voraus, daß die Errichtung eines polnischen Königreichs unter russischem Scepter entweder zur Losreißung von Rußland oder zur gänzlichen Unterwerfung der Polen führen werde. In Hardenbergs Umgebung ließen sich auch be- redte Freunde der Polen vernehmen: so der liebenswürdige Fürst Anton Radziwill und der Geheimrath Zerboni, ein geistreicher Liberaler und schwärmerischer Bewunderer der sarmatischen Freiheit. Dem Staatskanzler selber schien das Vorrücken Rußlands gegen Westen weniger gefährlich als die Wiederherstellung des Königreichs Polen und die drohende polnische Propaganda. Alle diese Bestrebungen, grundverschieden unter sich, trafen doch zusammen in dem Gedanken, daß man Alexanders Pläne bekämpfen müsse; die Frage, wie dann Preußens eigene Ansprüche zu sichern seien, ward noch kaum ernstlich aufgeworfen.
Der Czar war in Petersburg über den einmüthigen Widerspruch seines gesammten Hofes doch etwas erschrocken und begann zu zweifeln, ob er die Vereinigung Litthauens mit Polen seinen Russen zumuthen dürfe; indeß an der Wiederaufrichtung des polnischen Königthums hielt er hartnäckig fest. In Wien trat er sogleich offen heraus mit dem Vorschlage, daß ganz Warschau bis zur Prosna, mit Einschluß von Thorn und Krakau, als ein selbständiges Königreich dem Czarenhause überlassen werden sollte. Zugleich unterstützte er auf das Wärmste die Ansprüche Preußens auf
Die Verhandlungen über Polen.
zu einem Vergleiche — und dieſer Ausgang war der wahrſcheinlichere, da weder Oeſterreich noch England in jenem Augenblicke einen Krieg wünſchte: dann war mit Sicherheit vorauszuſehen, daß Alexander, erbittert über Preußens Widerſtand, die ſächſiſchen Anſprüche des preußiſchen Hofes nicht mehr unterſtützte; von allen Seiten preisgegeben, hätte unſer Staat, wenn er nicht einen Kampf gegen ganz Europa wagen wollte, ſich mit einem Landſtrich an der Warthe und etwa mit einigen Stücken der Lauſitz begnügen müſſen. So einfach ſtand die Rechnung. Für Metternich ergab ſich zunächſt die Aufgabe, den Staatskanzler über den untrennbaren Zu- ſammenhang der polniſchen und der ſächſiſchen Sache zu täuſchen, die Löſung der ſächſiſchen Frage hinauszuſchieben und vorderhand mit Preußen und England vereint den Plänen Alexanders zu widerſprechen; dann war das Bündniß zwiſchen Rußland und Preußen geſprengt und die De- müthigung der norddeutſchen Großmacht ſicher. Die Falle war erſtaun- lich plump. Schon im September ſchrieb Gentz hoffnungsvoll an Ka- radja: wenn es nur gelinge, die Vergrößerung Rußlands im vormals preußiſchen Polen zu ermäßigen, ſo falle der einzige Grund für die Ein- verleibung Sachſens hinweg!
In der That wurde die Aufmerkſamkeit der preußiſchen Staats- männer faſt gänzlich durch die polniſchen Angelegenheiten in Anſpruch genommen. Die Generale verlangten einmüthig eine militäriſch haltbare Oſtgrenze. Humboldt forderte, daß Preußen für das bedrohte Gleichgewicht Europas eintrete. Stein ſagte dem Czaren mit genialer Sicherheit voraus, daß die Errichtung eines polniſchen Königreichs unter ruſſiſchem Scepter entweder zur Losreißung von Rußland oder zur gänzlichen Unterwerfung der Polen führen werde. In Hardenbergs Umgebung ließen ſich auch be- redte Freunde der Polen vernehmen: ſo der liebenswürdige Fürſt Anton Radziwill und der Geheimrath Zerboni, ein geiſtreicher Liberaler und ſchwärmeriſcher Bewunderer der ſarmatiſchen Freiheit. Dem Staatskanzler ſelber ſchien das Vorrücken Rußlands gegen Weſten weniger gefährlich als die Wiederherſtellung des Königreichs Polen und die drohende polniſche Propaganda. Alle dieſe Beſtrebungen, grundverſchieden unter ſich, trafen doch zuſammen in dem Gedanken, daß man Alexanders Pläne bekämpfen müſſe; die Frage, wie dann Preußens eigene Anſprüche zu ſichern ſeien, ward noch kaum ernſtlich aufgeworfen.
Der Czar war in Petersburg über den einmüthigen Widerſpruch ſeines geſammten Hofes doch etwas erſchrocken und begann zu zweifeln, ob er die Vereinigung Litthauens mit Polen ſeinen Ruſſen zumuthen dürfe; indeß an der Wiederaufrichtung des polniſchen Königthums hielt er hartnäckig feſt. In Wien trat er ſogleich offen heraus mit dem Vorſchlage, daß ganz Warſchau bis zur Prosna, mit Einſchluß von Thorn und Krakau, als ein ſelbſtändiges Königreich dem Czarenhauſe überlaſſen werden ſollte. Zugleich unterſtützte er auf das Wärmſte die Anſprüche Preußens auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0639"n="623"/><fwplace="top"type="header">Die Verhandlungen über Polen.</fw><lb/>
zu einem Vergleiche — und dieſer Ausgang war der wahrſcheinlichere,<lb/>
da weder Oeſterreich noch England in jenem Augenblicke einen Krieg<lb/>
wünſchte: dann war mit Sicherheit vorauszuſehen, daß Alexander, erbittert<lb/>
über Preußens Widerſtand, die ſächſiſchen Anſprüche des preußiſchen Hofes<lb/>
nicht mehr unterſtützte; von allen Seiten preisgegeben, hätte unſer Staat,<lb/>
wenn er nicht einen Kampf gegen ganz Europa wagen wollte, ſich mit<lb/>
einem Landſtrich an der Warthe und etwa mit einigen Stücken der Lauſitz<lb/>
begnügen müſſen. So einfach ſtand die Rechnung. Für Metternich ergab<lb/>ſich zunächſt die Aufgabe, den Staatskanzler über den untrennbaren Zu-<lb/>ſammenhang der polniſchen und der ſächſiſchen Sache zu täuſchen, die<lb/>
Löſung der ſächſiſchen Frage hinauszuſchieben und vorderhand mit Preußen<lb/>
und England vereint den Plänen Alexanders zu widerſprechen; dann war<lb/>
das Bündniß zwiſchen Rußland und Preußen geſprengt und die De-<lb/>
müthigung der norddeutſchen Großmacht ſicher. Die Falle war erſtaun-<lb/>
lich plump. Schon im September ſchrieb Gentz hoffnungsvoll an Ka-<lb/>
radja: wenn es nur gelinge, die Vergrößerung Rußlands im vormals<lb/>
preußiſchen Polen zu ermäßigen, ſo falle der einzige Grund für die Ein-<lb/>
verleibung Sachſens hinweg!</p><lb/><p>In der That wurde die Aufmerkſamkeit der preußiſchen Staats-<lb/>
männer faſt gänzlich durch die polniſchen Angelegenheiten in Anſpruch<lb/>
genommen. Die Generale verlangten einmüthig eine militäriſch haltbare<lb/>
Oſtgrenze. Humboldt forderte, daß Preußen für das bedrohte Gleichgewicht<lb/>
Europas eintrete. Stein ſagte dem Czaren mit genialer Sicherheit voraus,<lb/>
daß die Errichtung eines polniſchen Königreichs unter ruſſiſchem Scepter<lb/>
entweder zur Losreißung von Rußland oder zur gänzlichen Unterwerfung<lb/>
der Polen führen werde. In Hardenbergs Umgebung ließen ſich auch be-<lb/>
redte Freunde der Polen vernehmen: ſo der liebenswürdige Fürſt Anton<lb/>
Radziwill und der Geheimrath Zerboni, ein geiſtreicher Liberaler und<lb/>ſchwärmeriſcher Bewunderer der ſarmatiſchen Freiheit. Dem Staatskanzler<lb/>ſelber ſchien das Vorrücken Rußlands gegen Weſten weniger gefährlich als<lb/>
die Wiederherſtellung des Königreichs Polen und die drohende polniſche<lb/>
Propaganda. Alle dieſe Beſtrebungen, grundverſchieden unter ſich, trafen<lb/>
doch zuſammen in dem Gedanken, daß man Alexanders Pläne bekämpfen<lb/>
müſſe; die Frage, wie dann Preußens eigene Anſprüche zu ſichern ſeien,<lb/>
ward noch kaum ernſtlich aufgeworfen.</p><lb/><p>Der Czar war in Petersburg über den einmüthigen Widerſpruch ſeines<lb/>
geſammten Hofes doch etwas erſchrocken und begann zu zweifeln, ob er die<lb/>
Vereinigung Litthauens mit Polen ſeinen Ruſſen zumuthen dürfe; indeß<lb/>
an der Wiederaufrichtung des polniſchen Königthums hielt er hartnäckig<lb/>
feſt. In Wien trat er ſogleich offen heraus mit dem Vorſchlage, daß<lb/>
ganz Warſchau bis zur Prosna, mit Einſchluß von Thorn und Krakau,<lb/>
als ein ſelbſtändiges Königreich dem Czarenhauſe überlaſſen werden ſollte.<lb/>
Zugleich unterſtützte er auf das Wärmſte die Anſprüche Preußens auf<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[623/0639]
Die Verhandlungen über Polen.
zu einem Vergleiche — und dieſer Ausgang war der wahrſcheinlichere,
da weder Oeſterreich noch England in jenem Augenblicke einen Krieg
wünſchte: dann war mit Sicherheit vorauszuſehen, daß Alexander, erbittert
über Preußens Widerſtand, die ſächſiſchen Anſprüche des preußiſchen Hofes
nicht mehr unterſtützte; von allen Seiten preisgegeben, hätte unſer Staat,
wenn er nicht einen Kampf gegen ganz Europa wagen wollte, ſich mit
einem Landſtrich an der Warthe und etwa mit einigen Stücken der Lauſitz
begnügen müſſen. So einfach ſtand die Rechnung. Für Metternich ergab
ſich zunächſt die Aufgabe, den Staatskanzler über den untrennbaren Zu-
ſammenhang der polniſchen und der ſächſiſchen Sache zu täuſchen, die
Löſung der ſächſiſchen Frage hinauszuſchieben und vorderhand mit Preußen
und England vereint den Plänen Alexanders zu widerſprechen; dann war
das Bündniß zwiſchen Rußland und Preußen geſprengt und die De-
müthigung der norddeutſchen Großmacht ſicher. Die Falle war erſtaun-
lich plump. Schon im September ſchrieb Gentz hoffnungsvoll an Ka-
radja: wenn es nur gelinge, die Vergrößerung Rußlands im vormals
preußiſchen Polen zu ermäßigen, ſo falle der einzige Grund für die Ein-
verleibung Sachſens hinweg!
In der That wurde die Aufmerkſamkeit der preußiſchen Staats-
männer faſt gänzlich durch die polniſchen Angelegenheiten in Anſpruch
genommen. Die Generale verlangten einmüthig eine militäriſch haltbare
Oſtgrenze. Humboldt forderte, daß Preußen für das bedrohte Gleichgewicht
Europas eintrete. Stein ſagte dem Czaren mit genialer Sicherheit voraus,
daß die Errichtung eines polniſchen Königreichs unter ruſſiſchem Scepter
entweder zur Losreißung von Rußland oder zur gänzlichen Unterwerfung
der Polen führen werde. In Hardenbergs Umgebung ließen ſich auch be-
redte Freunde der Polen vernehmen: ſo der liebenswürdige Fürſt Anton
Radziwill und der Geheimrath Zerboni, ein geiſtreicher Liberaler und
ſchwärmeriſcher Bewunderer der ſarmatiſchen Freiheit. Dem Staatskanzler
ſelber ſchien das Vorrücken Rußlands gegen Weſten weniger gefährlich als
die Wiederherſtellung des Königreichs Polen und die drohende polniſche
Propaganda. Alle dieſe Beſtrebungen, grundverſchieden unter ſich, trafen
doch zuſammen in dem Gedanken, daß man Alexanders Pläne bekämpfen
müſſe; die Frage, wie dann Preußens eigene Anſprüche zu ſichern ſeien,
ward noch kaum ernſtlich aufgeworfen.
Der Czar war in Petersburg über den einmüthigen Widerſpruch ſeines
geſammten Hofes doch etwas erſchrocken und begann zu zweifeln, ob er die
Vereinigung Litthauens mit Polen ſeinen Ruſſen zumuthen dürfe; indeß
an der Wiederaufrichtung des polniſchen Königthums hielt er hartnäckig
feſt. In Wien trat er ſogleich offen heraus mit dem Vorſchlage, daß
ganz Warſchau bis zur Prosna, mit Einſchluß von Thorn und Krakau,
als ein ſelbſtändiges Königreich dem Czarenhauſe überlaſſen werden ſollte.
Zugleich unterſtützte er auf das Wärmſte die Anſprüche Preußens auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/639>, abgerufen am 03.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.