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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Haß der Deutschen gegen Preußen.
er so dastand, eine jugendlich unreife Gestalt, knochig und sehnig, Kraft
und Trotz im Blicke, aber unschön, ohne die Fülle der Formen, aller
Anmuth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutschen gegen das
vordringliche Brandenburg wurde durch die böotische Rauheit Friedrich
Wilhelms I. bis zu leidenschaftlichem Widerwillen gesteigert. Dem Histo-
riker ziemt es nicht, die erschreckend grellen Farben unserer neuen Geschichte
mit weichem Pinsel zu verwischen; es ist nicht wahr, daß dieser tiefe Haß
der Nation nur verhaltene Liebe gewesen sei. Damals bildete sich in der
öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falschem seltsam gemischte
Ansicht vom Wesen des preußischen Staates, die in den Kreisen der
deutschen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrscht hat und noch
heutzutage in der Geschichtschreibung des Auslands die Oberhand be-
hauptet. Dies Land der Waffen erschien den Deutschen wie eine weite
Kaserne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Riesengarde,
der barsche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeschrei der
durch die Gasse gejagten Deserteure klang aus der dumpfen Stille des
großen Kerkers ins Reich hinüber; von den Segenswünschen, welche der
dankbare litthauische Bauer für seinen gestrengen König zum Himmel
schickte, hörte Deutschland nichts. Der Adel im Reich sah eben jetzt
goldene Tage. In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände
schrankenlos, seit der Kurfürst im fernen England weilte; das sächsische
Junkerthum benutzte den Uebertritt seines Polenkönigs zur römischen Kirche
um sich neue ständische Privilegien zu erringen und tummelte sich in
Saus und Braus an dem schamlosen Hofe der albertinischen Landver-
derber; zornig zugleich und geringschätzig schauten die stolzen Geschlechter
der Nachbarlande auf den bürgerlich-soldatischen Despotismus der Hohen-
zollern, der die fröhliche Zeit der Adelsherrschaft so gewaltsam störte.

Auch der Bürgersmann wollte sich zu dem preußischen Wesen kein
Herz fassen. Er betrachtete bald mit ironischem Mitleid bald mit scheuer
Furcht den eisernen Fleiß und die unbestechliche Strenge der preußischen
Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue
Verwaltung, in beständigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten
Freiheitsbriefe der Landschaften und Communen rücksichtslos hinweg-
schreiten sah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten
ward, nur das wimmelnde Leben der Verwesung war. Mit besserem
Rechte zürnten die Gelehrten. Die gesammte akademische Welt fühlte sich
schmählich beleidigt, als der rohe König mit dem ehrwürdigen J. J. Moser
und den Frankfurter Professoren seine höhnischen Possen trieb. Wie der
Anblick der steifen trocknen soldatischen Ordnung auf reiche Künstler-
seelen wirkte, das bekundet uns noch der überströmende Haß, welchen der
größte Preuße jener Tage seinem Vaterlande widmete. Mit glühender
Sehnsucht strebte Winkelmann hinaus aus der schweren und erstickenden
Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt-

Haß der Deutſchen gegen Preußen.
er ſo daſtand, eine jugendlich unreife Geſtalt, knochig und ſehnig, Kraft
und Trotz im Blicke, aber unſchön, ohne die Fülle der Formen, aller
Anmuth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutſchen gegen das
vordringliche Brandenburg wurde durch die böotiſche Rauheit Friedrich
Wilhelms I. bis zu leidenſchaftlichem Widerwillen geſteigert. Dem Hiſto-
riker ziemt es nicht, die erſchreckend grellen Farben unſerer neuen Geſchichte
mit weichem Pinſel zu verwiſchen; es iſt nicht wahr, daß dieſer tiefe Haß
der Nation nur verhaltene Liebe geweſen ſei. Damals bildete ſich in der
öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falſchem ſeltſam gemiſchte
Anſicht vom Weſen des preußiſchen Staates, die in den Kreiſen der
deutſchen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrſcht hat und noch
heutzutage in der Geſchichtſchreibung des Auslands die Oberhand be-
hauptet. Dies Land der Waffen erſchien den Deutſchen wie eine weite
Kaſerne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Rieſengarde,
der barſche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeſchrei der
durch die Gaſſe gejagten Deſerteure klang aus der dumpfen Stille des
großen Kerkers ins Reich hinüber; von den Segenswünſchen, welche der
dankbare litthauiſche Bauer für ſeinen geſtrengen König zum Himmel
ſchickte, hörte Deutſchland nichts. Der Adel im Reich ſah eben jetzt
goldene Tage. In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände
ſchrankenlos, ſeit der Kurfürſt im fernen England weilte; das ſächſiſche
Junkerthum benutzte den Uebertritt ſeines Polenkönigs zur römiſchen Kirche
um ſich neue ſtändiſche Privilegien zu erringen und tummelte ſich in
Saus und Braus an dem ſchamloſen Hofe der albertiniſchen Landver-
derber; zornig zugleich und geringſchätzig ſchauten die ſtolzen Geſchlechter
der Nachbarlande auf den bürgerlich-ſoldatiſchen Despotismus der Hohen-
zollern, der die fröhliche Zeit der Adelsherrſchaft ſo gewaltſam ſtörte.

Auch der Bürgersmann wollte ſich zu dem preußiſchen Weſen kein
Herz faſſen. Er betrachtete bald mit ironiſchem Mitleid bald mit ſcheuer
Furcht den eiſernen Fleiß und die unbeſtechliche Strenge der preußiſchen
Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue
Verwaltung, in beſtändigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten
Freiheitsbriefe der Landſchaften und Communen rückſichtslos hinweg-
ſchreiten ſah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten
ward, nur das wimmelnde Leben der Verweſung war. Mit beſſerem
Rechte zürnten die Gelehrten. Die geſammte akademiſche Welt fühlte ſich
ſchmählich beleidigt, als der rohe König mit dem ehrwürdigen J. J. Moſer
und den Frankfurter Profeſſoren ſeine höhniſchen Poſſen trieb. Wie der
Anblick der ſteifen trocknen ſoldatiſchen Ordnung auf reiche Künſtler-
ſeelen wirkte, das bekundet uns noch der überſtrömende Haß, welchen der
größte Preuße jener Tage ſeinem Vaterlande widmete. Mit glühender
Sehnſucht ſtrebte Winkelmann hinaus aus der ſchweren und erſtickenden
Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt-

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[47/0063] Haß der Deutſchen gegen Preußen. er ſo daſtand, eine jugendlich unreife Geſtalt, knochig und ſehnig, Kraft und Trotz im Blicke, aber unſchön, ohne die Fülle der Formen, aller Anmuth, alles Adels baar. Die alte Abneigung der Deutſchen gegen das vordringliche Brandenburg wurde durch die böotiſche Rauheit Friedrich Wilhelms I. bis zu leidenſchaftlichem Widerwillen geſteigert. Dem Hiſto- riker ziemt es nicht, die erſchreckend grellen Farben unſerer neuen Geſchichte mit weichem Pinſel zu verwiſchen; es iſt nicht wahr, daß dieſer tiefe Haß der Nation nur verhaltene Liebe geweſen ſei. Damals bildete ſich in der öffentlichen Meinung jene aus Wahrem und Falſchem ſeltſam gemiſchte Anſicht vom Weſen des preußiſchen Staates, die in den Kreiſen der deutſchen Halbbildung an hundert Jahre lang geherrſcht hat und noch heutzutage in der Geſchichtſchreibung des Auslands die Oberhand be- hauptet. Dies Land der Waffen erſchien den Deutſchen wie eine weite Kaſerne. Nur der dröhnende Gleichtritt der Potsdamer Rieſengarde, der barſche Commandoruf der Offiziere und das Jammergeſchrei der durch die Gaſſe gejagten Deſerteure klang aus der dumpfen Stille des großen Kerkers ins Reich hinüber; von den Segenswünſchen, welche der dankbare litthauiſche Bauer für ſeinen geſtrengen König zum Himmel ſchickte, hörte Deutſchland nichts. Der Adel im Reich ſah eben jetzt goldene Tage. In Hannover waltete das Regiment der Herren Stände ſchrankenlos, ſeit der Kurfürſt im fernen England weilte; das ſächſiſche Junkerthum benutzte den Uebertritt ſeines Polenkönigs zur römiſchen Kirche um ſich neue ſtändiſche Privilegien zu erringen und tummelte ſich in Saus und Braus an dem ſchamloſen Hofe der albertiniſchen Landver- derber; zornig zugleich und geringſchätzig ſchauten die ſtolzen Geſchlechter der Nachbarlande auf den bürgerlich-ſoldatiſchen Despotismus der Hohen- zollern, der die fröhliche Zeit der Adelsherrſchaft ſo gewaltſam ſtörte. Auch der Bürgersmann wollte ſich zu dem preußiſchen Weſen kein Herz faſſen. Er betrachtete bald mit ironiſchem Mitleid bald mit ſcheuer Furcht den eiſernen Fleiß und die unbeſtechliche Strenge der preußiſchen Beamten; er meinte alle Heiligkeit des Rechtes bedroht, wenn er die neue Verwaltung, in beſtändigem Kampfe mit den Gerichten, über die alten Freiheitsbriefe der Landſchaften und Communen rückſichtslos hinweg- ſchreiten ſah, und ahnte nicht, daß dies alte Leben, das hier zertreten ward, nur das wimmelnde Leben der Verweſung war. Mit beſſerem Rechte zürnten die Gelehrten. Die geſammte akademiſche Welt fühlte ſich ſchmählich beleidigt, als der rohe König mit dem ehrwürdigen J. J. Moſer und den Frankfurter Profeſſoren ſeine höhniſchen Poſſen trieb. Wie der Anblick der ſteifen trocknen ſoldatiſchen Ordnung auf reiche Künſtler- ſeelen wirkte, das bekundet uns noch der überſtrömende Haß, welchen der größte Preuße jener Tage ſeinem Vaterlande widmete. Mit glühender Sehnſucht ſtrebte Winkelmann hinaus aus der ſchweren und erſtickenden Luft des vermaledeiten Landes, und als er endlich den Staub der alt-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/63>, abgerufen am 24.11.2024.