Gegensatze zur preußischen Knechtschaft; die treffende Widerlegung, welche Friedrich von Bülow, aus gründlicher Kenntniß beider Staaten heraus, veröffentlichte, wurde von Niemand beachtet. So hatte sich auch Münster seinen Begriff vom preußischen Staate allein aus dem landläufigen Ge- rede und vielleicht aus Wilhelminens Memoiren gebildet; mit unendlicher Verachtung äußerte er sich über die Misere der Berliner Corporalswirth- schaft. Wie er im Jahre 1803 aus kleinlichem Mißtrauen die preußische Occupation, welche seine Heimath vielleicht noch retten konnte, hintertrieb, so glaubte er beim Ausbruche des Befreiungskrieges, Preußen lebe nur noch in der Erinnerung, und jetzt da dieser holde Traum verflogen war, schrieb er schwer besorgt an Gagern: seit Oesterreich sich im Osten abrundet und halb aus Deutschland ausscheidet ist Preußens Vergrößerung für uns die schwerste Gefahr. Angst und Scheelsucht blieben die treibenden Kräfte in der deutschen Politik dieser Ministeriunculi, wie Stein sie verächtlich nannte. In Wien hielt sich Münster vorerst noch zurück; er wollte, so meldete er dem Prinzregenten, die preußischen Staatsmänner nicht er- bittern um die schwebenden Verhandlungen über die Abrundung des Welfenreichs nicht zu erschweren. Eine läßliche Dilettantennatur, war "der Maler", wie er bei seinen Freunden hieß, ohnehin wenig geneigt zu nachhaltiger Thätigkeit, auch fesselte ihn jetzt eine Krankheit lange an das Zimmer. Wo sich aber die Gelegenheit bot, da arbeitete er emsig gegen Preußen und leider war er über die Gedanken des Staatskanzlers nur zu genau unterrichtet durch jenen bösen Zwischenträger, den Hannovera- ner Hardenberg.
Wieder eine andere Spielart kleinstaatlicher Ausländerei verkörperte sich in dem liberalen Foederalisten Hans von Gagern. Wer kannte ihn nicht, den Hans in allen Gassen, den rastlos beweglichen kleinen Herrn mit den munter blitzenden Augen und dem gewinnenden Lächeln um den geistreichen Mund? Ueberall mußte er mit dabei sein, wo gespielt und dinirt und über Land und Leute verhandelt wurde; völlig unberufen mischte er sich in alle Geschäfte des Congresses, unerschöpflich in großen Worten vom europäischen Gleichgewicht und vom Schutze der Minder- mächtigen. Der berühmte Weinkeller des Hauses Nassau und die Freund- schaft Talleyrands boten ihm die Mittel sich zwischen den Gesandten der Großmächte festzunisten. Vor Jahren hatte der vielgeschäftige Reichsritter für das heilige Reich geschwärmt, nachher, immer mit der gleichen vater- ländischen Begeisterung, dem Rheinbunde gedient und ein reichliches Dutzend verurtheilter Kleinfürsten menschenfreundlich vom Galgen abge- schnitten. Jetzt empfahl er eine Foederation von völlig gleichberechtigten Königen, Groß- und anderen Herzögen unter dem Schutze der österreichi- schen Kaiserkrone, aber auch ein hohes Maß von Grundrechten für das deutsche Volk, denn ein ehrlicher Liberaler blieb dieser wunderliche Jünger der französischen Aufklärung immer.
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Hans von Gagern.
Gegenſatze zur preußiſchen Knechtſchaft; die treffende Widerlegung, welche Friedrich von Bülow, aus gründlicher Kenntniß beider Staaten heraus, veröffentlichte, wurde von Niemand beachtet. So hatte ſich auch Münſter ſeinen Begriff vom preußiſchen Staate allein aus dem landläufigen Ge- rede und vielleicht aus Wilhelminens Memoiren gebildet; mit unendlicher Verachtung äußerte er ſich über die Miſere der Berliner Corporalswirth- ſchaft. Wie er im Jahre 1803 aus kleinlichem Mißtrauen die preußiſche Occupation, welche ſeine Heimath vielleicht noch retten konnte, hintertrieb, ſo glaubte er beim Ausbruche des Befreiungskrieges, Preußen lebe nur noch in der Erinnerung, und jetzt da dieſer holde Traum verflogen war, ſchrieb er ſchwer beſorgt an Gagern: ſeit Oeſterreich ſich im Oſten abrundet und halb aus Deutſchland ausſcheidet iſt Preußens Vergrößerung für uns die ſchwerſte Gefahr. Angſt und Scheelſucht blieben die treibenden Kräfte in der deutſchen Politik dieſer Ministeriunculi, wie Stein ſie verächtlich nannte. In Wien hielt ſich Münſter vorerſt noch zurück; er wollte, ſo meldete er dem Prinzregenten, die preußiſchen Staatsmänner nicht er- bittern um die ſchwebenden Verhandlungen über die Abrundung des Welfenreichs nicht zu erſchweren. Eine läßliche Dilettantennatur, war „der Maler“, wie er bei ſeinen Freunden hieß, ohnehin wenig geneigt zu nachhaltiger Thätigkeit, auch feſſelte ihn jetzt eine Krankheit lange an das Zimmer. Wo ſich aber die Gelegenheit bot, da arbeitete er emſig gegen Preußen und leider war er über die Gedanken des Staatskanzlers nur zu genau unterrichtet durch jenen böſen Zwiſchenträger, den Hannovera- ner Hardenberg.
Wieder eine andere Spielart kleinſtaatlicher Ausländerei verkörperte ſich in dem liberalen Foederaliſten Hans von Gagern. Wer kannte ihn nicht, den Hans in allen Gaſſen, den raſtlos beweglichen kleinen Herrn mit den munter blitzenden Augen und dem gewinnenden Lächeln um den geiſtreichen Mund? Ueberall mußte er mit dabei ſein, wo geſpielt und dinirt und über Land und Leute verhandelt wurde; völlig unberufen miſchte er ſich in alle Geſchäfte des Congreſſes, unerſchöpflich in großen Worten vom europäiſchen Gleichgewicht und vom Schutze der Minder- mächtigen. Der berühmte Weinkeller des Hauſes Naſſau und die Freund- ſchaft Talleyrands boten ihm die Mittel ſich zwiſchen den Geſandten der Großmächte feſtzuniſten. Vor Jahren hatte der vielgeſchäftige Reichsritter für das heilige Reich geſchwärmt, nachher, immer mit der gleichen vater- ländiſchen Begeiſterung, dem Rheinbunde gedient und ein reichliches Dutzend verurtheilter Kleinfürſten menſchenfreundlich vom Galgen abge- ſchnitten. Jetzt empfahl er eine Foederation von völlig gleichberechtigten Königen, Groß- und anderen Herzögen unter dem Schutze der öſterreichi- ſchen Kaiſerkrone, aber auch ein hohes Maß von Grundrechten für das deutſche Volk, denn ein ehrlicher Liberaler blieb dieſer wunderliche Jünger der franzöſiſchen Aufklärung immer.
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Hans von Gagern.
Gegenſatze zur preußiſchen Knechtſchaft; die treffende Widerlegung, welche
Friedrich von Bülow, aus gründlicher Kenntniß beider Staaten heraus,
veröffentlichte, wurde von Niemand beachtet. So hatte ſich auch Münſter
ſeinen Begriff vom preußiſchen Staate allein aus dem landläufigen Ge-
rede und vielleicht aus Wilhelminens Memoiren gebildet; mit unendlicher
Verachtung äußerte er ſich über die Miſere der Berliner Corporalswirth-
ſchaft. Wie er im Jahre 1803 aus kleinlichem Mißtrauen die preußiſche
Occupation, welche ſeine Heimath vielleicht noch retten konnte, hintertrieb, ſo
glaubte er beim Ausbruche des Befreiungskrieges, Preußen lebe nur noch
in der Erinnerung, und jetzt da dieſer holde Traum verflogen war, ſchrieb
er ſchwer beſorgt an Gagern: ſeit Oeſterreich ſich im Oſten abrundet und
halb aus Deutſchland ausſcheidet iſt Preußens Vergrößerung für uns
die ſchwerſte Gefahr. Angſt und Scheelſucht blieben die treibenden Kräfte
in der deutſchen Politik dieſer Ministeriunculi, wie Stein ſie verächtlich
nannte. In Wien hielt ſich Münſter vorerſt noch zurück; er wollte, ſo
meldete er dem Prinzregenten, die preußiſchen Staatsmänner nicht er-
bittern um die ſchwebenden Verhandlungen über die Abrundung des
Welfenreichs nicht zu erſchweren. Eine läßliche Dilettantennatur, war
„der Maler“, wie er bei ſeinen Freunden hieß, ohnehin wenig geneigt zu
nachhaltiger Thätigkeit, auch feſſelte ihn jetzt eine Krankheit lange an das
Zimmer. Wo ſich aber die Gelegenheit bot, da arbeitete er emſig gegen
Preußen und leider war er über die Gedanken des Staatskanzlers nur
zu genau unterrichtet durch jenen böſen Zwiſchenträger, den Hannovera-
ner Hardenberg.
Wieder eine andere Spielart kleinſtaatlicher Ausländerei verkörperte
ſich in dem liberalen Foederaliſten Hans von Gagern. Wer kannte ihn
nicht, den Hans in allen Gaſſen, den raſtlos beweglichen kleinen Herrn
mit den munter blitzenden Augen und dem gewinnenden Lächeln um den
geiſtreichen Mund? Ueberall mußte er mit dabei ſein, wo geſpielt und
dinirt und über Land und Leute verhandelt wurde; völlig unberufen
miſchte er ſich in alle Geſchäfte des Congreſſes, unerſchöpflich in großen
Worten vom europäiſchen Gleichgewicht und vom Schutze der Minder-
mächtigen. Der berühmte Weinkeller des Hauſes Naſſau und die Freund-
ſchaft Talleyrands boten ihm die Mittel ſich zwiſchen den Geſandten der
Großmächte feſtzuniſten. Vor Jahren hatte der vielgeſchäftige Reichsritter
für das heilige Reich geſchwärmt, nachher, immer mit der gleichen vater-
ländiſchen Begeiſterung, dem Rheinbunde gedient und ein reichliches
Dutzend verurtheilter Kleinfürſten menſchenfreundlich vom Galgen abge-
ſchnitten. Jetzt empfahl er eine Foederation von völlig gleichberechtigten
Königen, Groß- und anderen Herzögen unter dem Schutze der öſterreichi-
ſchen Kaiſerkrone, aber auch ein hohes Maß von Grundrechten für das
deutſche Volk, denn ein ehrlicher Liberaler blieb dieſer wunderliche Jünger
der franzöſiſchen Aufklärung immer.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/627>, abgerufen am 23.07.2024.
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