Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

Boyen über die deutsche Kriegsverfassung.
sein Werk aufsaßte, wie treu er die Ueberlieferungen der Stein-Scharn-
horstischen Tage in seinem Feuergeiste bewahrte, das hat der anspruchslose
Mann erst nach Jahren öffentlich ausgesprochen, als er zum fünfundzwan-
zigjährigen Jubelfeste der Landwehr jenen Ausspruch Gneisenaus über den
dreifachen Primat in poetischer Form wiederholte und die Verse schrieb:
"Der Preußen Losung ist die Drei -- Recht, Licht und Schwert!"

Der Schweigsame liebte Deutschland mit der ganzen tiefen, verhaltenen
Leidenschaftlichkeit des echten Ostpreußen; um seines Vaterlandes willen war
er einst unter die Verschwörer des Tugendbundes und nach Rußland auf die
Wanderschaft gegangen. Aber dem unbestimmten Idealbilde einer deutschen
Bundeskriegsverfassung wollte er das eigenartige Wesen seines preußischen
Volksheeres nicht opfern. In einer ausführlichen Denkschrift*) schilderte
er dem Staatskanzler, wie in Deutschland vier grundverschiedene Systeme
der Kriegsverfassung beständen: das österreichische, das rheinbündisch-fran-
zösische, das englisch-hannoversche und das preußische; nimmermehr dürfe
Preußen den deutschen Charakter seines Heeres einem Compromisse mit
diesen ausländischen Systemen zum Opfer bringen. "Man wird doch
nicht, weil der leibeigene Böhme, Raize, Bukowiner, der Landesmeinung
wegen, nach harten Gesetzen behandelt werden soll, den Pommern und
Brandenburger, blos um der lieben Uebereinstimmung willen, strengeren
Vorschriften unterwerfen wollen? Preußen kann seinen Standpunkt in
Europa nur behaupten, wenn es die größere Uebereinstimmung seiner
Einwohner, die bessere Bildung seines Adels und Bürgerstandes auf
das Kräftigste zu einem eigenen Kriegssysteme benutzt. Wer diese na-
tionalen Vorzüge einer augenblicklichen philanthropischen Idee aufopfern
wollte, wäre nicht allein ein Feind Preußens, sondern er vernichtete
auch die Willenskraft, durch die sich Preußen seit dem großen Kurfürsten
in Europa hielt." Darum mag der künftige deutsche Bund wohl den
größeren Fürsten, den Kreisobersten, die militärische Führung ihrer
Kreise anvertrauen und von allen Bundesgliedern sehr große militärische
Leistungen verlangen: "Preußen hat in diesem Kriege 60,000 Mann von
der Million gegeben. Dies sei der Maßstab! Wer mehr geben will,
wird belobt." Aber in die Organisation unseres Heeres darf sich der
Bund nicht einmischen. "Wer mehr in die deutsche Kriegsverfassung
legen will, schadet sich und auch Deutschland."

So die Meinung des berechtigten preußischen Particularismus, der
zugleich bewußte deutsche Gesinnung war. Mochten die Kleinstaaten noch
eine Weile ihre französischen und englischen Institutionen behalten, da
sie doch vorderhand weder die Kraft noch den Willen besaßen die Ge-
schenke der Fremden aufzugeben. Unterdessen wuchs und reifte in Preußen

*) Boyens Denkschrift über die deutsche Kriegsverfassung (undatirt, während des
Congresses dem Staatskanzler übergeben).

Boyen über die deutſche Kriegsverfaſſung.
ſein Werk aufſaßte, wie treu er die Ueberlieferungen der Stein-Scharn-
horſtiſchen Tage in ſeinem Feuergeiſte bewahrte, das hat der anſpruchsloſe
Mann erſt nach Jahren öffentlich ausgeſprochen, als er zum fünfundzwan-
zigjährigen Jubelfeſte der Landwehr jenen Ausſpruch Gneiſenaus über den
dreifachen Primat in poetiſcher Form wiederholte und die Verſe ſchrieb:
„Der Preußen Loſung iſt die Drei — Recht, Licht und Schwert!“

Der Schweigſame liebte Deutſchland mit der ganzen tiefen, verhaltenen
Leidenſchaftlichkeit des echten Oſtpreußen; um ſeines Vaterlandes willen war
er einſt unter die Verſchwörer des Tugendbundes und nach Rußland auf die
Wanderſchaft gegangen. Aber dem unbeſtimmten Idealbilde einer deutſchen
Bundeskriegsverfaſſung wollte er das eigenartige Weſen ſeines preußiſchen
Volksheeres nicht opfern. In einer ausführlichen Denkſchrift*) ſchilderte
er dem Staatskanzler, wie in Deutſchland vier grundverſchiedene Syſteme
der Kriegsverfaſſung beſtänden: das öſterreichiſche, das rheinbündiſch-fran-
zöſiſche, das engliſch-hannoverſche und das preußiſche; nimmermehr dürfe
Preußen den deutſchen Charakter ſeines Heeres einem Compromiſſe mit
dieſen ausländiſchen Syſtemen zum Opfer bringen. „Man wird doch
nicht, weil der leibeigene Böhme, Raize, Bukowiner, der Landesmeinung
wegen, nach harten Geſetzen behandelt werden ſoll, den Pommern und
Brandenburger, blos um der lieben Uebereinſtimmung willen, ſtrengeren
Vorſchriften unterwerfen wollen? Preußen kann ſeinen Standpunkt in
Europa nur behaupten, wenn es die größere Uebereinſtimmung ſeiner
Einwohner, die beſſere Bildung ſeines Adels und Bürgerſtandes auf
das Kräftigſte zu einem eigenen Kriegsſyſteme benutzt. Wer dieſe na-
tionalen Vorzüge einer augenblicklichen philanthropiſchen Idee aufopfern
wollte, wäre nicht allein ein Feind Preußens, ſondern er vernichtete
auch die Willenskraft, durch die ſich Preußen ſeit dem großen Kurfürſten
in Europa hielt.“ Darum mag der künftige deutſche Bund wohl den
größeren Fürſten, den Kreisoberſten, die militäriſche Führung ihrer
Kreiſe anvertrauen und von allen Bundesgliedern ſehr große militäriſche
Leiſtungen verlangen: „Preußen hat in dieſem Kriege 60,000 Mann von
der Million gegeben. Dies ſei der Maßſtab! Wer mehr geben will,
wird belobt.“ Aber in die Organiſation unſeres Heeres darf ſich der
Bund nicht einmiſchen. „Wer mehr in die deutſche Kriegsverfaſſung
legen will, ſchadet ſich und auch Deutſchland.“

So die Meinung des berechtigten preußiſchen Particularismus, der
zugleich bewußte deutſche Geſinnung war. Mochten die Kleinſtaaten noch
eine Weile ihre franzöſiſchen und engliſchen Inſtitutionen behalten, da
ſie doch vorderhand weder die Kraft noch den Willen beſaßen die Ge-
ſchenke der Fremden aufzugeben. Unterdeſſen wuchs und reifte in Preußen

*) Boyens Denkſchrift über die deutſche Kriegsverfaſſung (undatirt, während des
Congreſſes dem Staatskanzler übergeben).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0607" n="591"/><fw place="top" type="header">Boyen über die deut&#x017F;che Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung.</fw><lb/>
&#x017F;ein Werk auf&#x017F;aßte, wie treu er die Ueberlieferungen der Stein-Scharn-<lb/>
hor&#x017F;ti&#x017F;chen Tage in &#x017F;einem Feuergei&#x017F;te bewahrte, das hat der an&#x017F;pruchslo&#x017F;e<lb/>
Mann er&#x017F;t nach Jahren öffentlich ausge&#x017F;prochen, als er zum fünfundzwan-<lb/>
zigjährigen Jubelfe&#x017F;te der Landwehr jenen Aus&#x017F;pruch Gnei&#x017F;enaus über den<lb/>
dreifachen Primat in poeti&#x017F;cher Form wiederholte und die Ver&#x017F;e &#x017F;chrieb:<lb/>
&#x201E;Der Preußen Lo&#x017F;ung i&#x017F;t die Drei &#x2014; Recht, Licht und Schwert!&#x201C;</p><lb/>
            <p>Der Schweig&#x017F;ame liebte Deut&#x017F;chland mit der ganzen tiefen, verhaltenen<lb/>
Leiden&#x017F;chaftlichkeit des echten O&#x017F;tpreußen; um &#x017F;eines Vaterlandes willen war<lb/>
er ein&#x017F;t unter die Ver&#x017F;chwörer des Tugendbundes und nach Rußland auf die<lb/>
Wander&#x017F;chaft gegangen. Aber dem unbe&#x017F;timmten Idealbilde einer deut&#x017F;chen<lb/>
Bundeskriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung wollte er das eigenartige We&#x017F;en &#x017F;eines preußi&#x017F;chen<lb/>
Volksheeres nicht opfern. In einer ausführlichen Denk&#x017F;chrift<note place="foot" n="*)">Boyens Denk&#x017F;chrift über die deut&#x017F;che Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung (undatirt, während des<lb/>
Congre&#x017F;&#x017F;es dem Staatskanzler übergeben).</note> &#x017F;childerte<lb/>
er dem Staatskanzler, wie in Deut&#x017F;chland vier grundver&#x017F;chiedene Sy&#x017F;teme<lb/>
der Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung be&#x017F;tänden: das ö&#x017F;terreichi&#x017F;che, das rheinbündi&#x017F;ch-fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;che, das engli&#x017F;ch-hannover&#x017F;che und das preußi&#x017F;che; nimmermehr dürfe<lb/>
Preußen den deut&#x017F;chen Charakter &#x017F;eines Heeres einem Compromi&#x017F;&#x017F;e mit<lb/>
die&#x017F;en ausländi&#x017F;chen Sy&#x017F;temen zum Opfer bringen. &#x201E;Man wird doch<lb/>
nicht, weil der leibeigene Böhme, Raize, Bukowiner, der Landesmeinung<lb/>
wegen, nach harten Ge&#x017F;etzen behandelt werden &#x017F;oll, den Pommern und<lb/>
Brandenburger, blos um der lieben Ueberein&#x017F;timmung willen, &#x017F;trengeren<lb/>
Vor&#x017F;chriften unterwerfen wollen? Preußen kann &#x017F;einen Standpunkt in<lb/>
Europa nur behaupten, wenn es die größere Ueberein&#x017F;timmung &#x017F;einer<lb/>
Einwohner, die be&#x017F;&#x017F;ere Bildung &#x017F;eines Adels und Bürger&#x017F;tandes auf<lb/>
das Kräftig&#x017F;te zu einem eigenen Kriegs&#x017F;y&#x017F;teme benutzt. Wer die&#x017F;e na-<lb/>
tionalen Vorzüge einer augenblicklichen philanthropi&#x017F;chen Idee aufopfern<lb/>
wollte, wäre nicht allein ein Feind Preußens, &#x017F;ondern er vernichtete<lb/>
auch die Willenskraft, durch die &#x017F;ich Preußen &#x017F;eit dem großen Kurfür&#x017F;ten<lb/>
in Europa hielt.&#x201C; Darum mag der künftige deut&#x017F;che Bund wohl den<lb/>
größeren Für&#x017F;ten, den Kreisober&#x017F;ten, die militäri&#x017F;che Führung ihrer<lb/>
Krei&#x017F;e anvertrauen und von allen Bundesgliedern &#x017F;ehr große militäri&#x017F;che<lb/>
Lei&#x017F;tungen verlangen: &#x201E;Preußen hat in die&#x017F;em Kriege 60,000 Mann von<lb/>
der Million gegeben. Dies &#x017F;ei der Maß&#x017F;tab! Wer mehr geben will,<lb/>
wird belobt.&#x201C; Aber in die Organi&#x017F;ation un&#x017F;eres Heeres darf &#x017F;ich der<lb/>
Bund nicht einmi&#x017F;chen. &#x201E;Wer mehr in die deut&#x017F;che Kriegsverfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
legen will, &#x017F;chadet &#x017F;ich und auch Deut&#x017F;chland.&#x201C;</p><lb/>
            <p>So die Meinung des berechtigten preußi&#x017F;chen Particularismus, der<lb/>
zugleich bewußte deut&#x017F;che Ge&#x017F;innung war. Mochten die Klein&#x017F;taaten noch<lb/>
eine Weile ihre franzö&#x017F;i&#x017F;chen und engli&#x017F;chen In&#x017F;titutionen behalten, da<lb/>
&#x017F;ie doch vorderhand weder die Kraft noch den Willen be&#x017F;aßen die Ge-<lb/>
&#x017F;chenke der Fremden aufzugeben. Unterde&#x017F;&#x017F;en wuchs und reifte in Preußen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0607] Boyen über die deutſche Kriegsverfaſſung. ſein Werk aufſaßte, wie treu er die Ueberlieferungen der Stein-Scharn- horſtiſchen Tage in ſeinem Feuergeiſte bewahrte, das hat der anſpruchsloſe Mann erſt nach Jahren öffentlich ausgeſprochen, als er zum fünfundzwan- zigjährigen Jubelfeſte der Landwehr jenen Ausſpruch Gneiſenaus über den dreifachen Primat in poetiſcher Form wiederholte und die Verſe ſchrieb: „Der Preußen Loſung iſt die Drei — Recht, Licht und Schwert!“ Der Schweigſame liebte Deutſchland mit der ganzen tiefen, verhaltenen Leidenſchaftlichkeit des echten Oſtpreußen; um ſeines Vaterlandes willen war er einſt unter die Verſchwörer des Tugendbundes und nach Rußland auf die Wanderſchaft gegangen. Aber dem unbeſtimmten Idealbilde einer deutſchen Bundeskriegsverfaſſung wollte er das eigenartige Weſen ſeines preußiſchen Volksheeres nicht opfern. In einer ausführlichen Denkſchrift *) ſchilderte er dem Staatskanzler, wie in Deutſchland vier grundverſchiedene Syſteme der Kriegsverfaſſung beſtänden: das öſterreichiſche, das rheinbündiſch-fran- zöſiſche, das engliſch-hannoverſche und das preußiſche; nimmermehr dürfe Preußen den deutſchen Charakter ſeines Heeres einem Compromiſſe mit dieſen ausländiſchen Syſtemen zum Opfer bringen. „Man wird doch nicht, weil der leibeigene Böhme, Raize, Bukowiner, der Landesmeinung wegen, nach harten Geſetzen behandelt werden ſoll, den Pommern und Brandenburger, blos um der lieben Uebereinſtimmung willen, ſtrengeren Vorſchriften unterwerfen wollen? Preußen kann ſeinen Standpunkt in Europa nur behaupten, wenn es die größere Uebereinſtimmung ſeiner Einwohner, die beſſere Bildung ſeines Adels und Bürgerſtandes auf das Kräftigſte zu einem eigenen Kriegsſyſteme benutzt. Wer dieſe na- tionalen Vorzüge einer augenblicklichen philanthropiſchen Idee aufopfern wollte, wäre nicht allein ein Feind Preußens, ſondern er vernichtete auch die Willenskraft, durch die ſich Preußen ſeit dem großen Kurfürſten in Europa hielt.“ Darum mag der künftige deutſche Bund wohl den größeren Fürſten, den Kreisoberſten, die militäriſche Führung ihrer Kreiſe anvertrauen und von allen Bundesgliedern ſehr große militäriſche Leiſtungen verlangen: „Preußen hat in dieſem Kriege 60,000 Mann von der Million gegeben. Dies ſei der Maßſtab! Wer mehr geben will, wird belobt.“ Aber in die Organiſation unſeres Heeres darf ſich der Bund nicht einmiſchen. „Wer mehr in die deutſche Kriegsverfaſſung legen will, ſchadet ſich und auch Deutſchland.“ So die Meinung des berechtigten preußiſchen Particularismus, der zugleich bewußte deutſche Geſinnung war. Mochten die Kleinſtaaten noch eine Weile ihre franzöſiſchen und engliſchen Inſtitutionen behalten, da ſie doch vorderhand weder die Kraft noch den Willen beſaßen die Ge- ſchenke der Fremden aufzugeben. Unterdeſſen wuchs und reifte in Preußen *) Boyens Denkſchrift über die deutſche Kriegsverfaſſung (undatirt, während des Congreſſes dem Staatskanzler übergeben).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/607
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/607>, abgerufen am 25.11.2024.