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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
bairischen Staate, der ihm stets verdächtig blieb, eine hochgefährliche Ver-
größerung gestatten: durch den Besitz der badischen Pfalz schnitt Baiern
die kleinen süddeutschen Staaten gänzlich von dem Norden ab, der Süden
wurde unbedingt von Oesterreich und Baiern abhängig. Die patriotische
Absicht dieser thörichten Pläne war die Hoffnung, Oesterreich vielleicht
dereinst für die Wiedereroberung des Elsasses zu gewinnen; wußte man
doch, daß der mächtige Adel des Oberlandes auf beiden Ufern des Rheines
begütert war und noch ganz in österreichischen Erinnerungen lebte. Die
Vergrößerung Baierns schien ungefährlich, wenn ein österreichisches Vor-
land zwischen Baiern und Frankreich eingeschoben wurde.

Zum Glück für Deutschland versagte sich Oesterreich selbst den frei-
gebigen Absichten seines preußischen Freundes. Metternich blieb bei seiner
Ansicht, daß man die süddeutschen Nachbarn nicht erschrecken dürfe. In
der preußischen Denkschrift fand er schlechterdings nichts was seiner eigenen
Ansicht entsprach; er wollte weder Rußland so weit in Polen eindringen
noch Preußen südwärts über die Mosellinie vorrücken lassen und am
Allerwenigsten die Albertiner den Hohenzollern preisgeben. Daher er-
widerte er, die Frage könne erst auf dem großen Congresse, der binnen
zwei Monaten zusammentreten sollte, ihre Erledigung finden. In der
Stille aber traf er bereits seine Anstalten um die Mainzer Festung den
Händen Preußens zu entwinden und schloß am 3. Juni mit Wrede einen
Vertrag zur Ausführung der Rieder Verabredungen: Baiern sollte Mainz
und ein möglichst großes Gebiet auf dem linken Rheinufer erhalten, dazu
die badische Pfalz und die zur Verbindung mit dem Hauptlande nöthigen
Gebiete. Deutschlands wichtigste Festung, der Schlüssel der Rheinlande
war also dem Staate versprochen, der noch unter Montgelas' Leitung
stand und in Berlin mit Recht als ein geheimer Bundesgenosse Frank-
reichs beargwöhnt wurde. Selbstverständlich durfte Preußen von diesem
Abkommen nichts erfahren. Seinen englischen Freunden aber gestand
Metternich offen: er wünsche möglichst viele deutsche Staaten im Rhein-
thale anzusiedeln und also zur Vertheidigung des Stromes zu zwingen;
nimmermehr könnten Oesterreich und Baiern das feste Mainz und damit
"die Herrschaft über ihren einzigen großen Strom", den Main, an Preußen
geben, das schon Rhein und Elbe, Oder und Weichsel beherrsche. Die
Hochtorys gingen, wie gewöhnlich, bereitwillig auf Metternichs Ansichten
ein; sie glaubten ihm aufs Wort, daß der Main ein österreichischer Strom
sei, und wollten sich ebenfalls in Paris auf keine Verhandlung über
Preußens Ansprüche einlassen.

Auch der Czar war der gleichen Ansicht, obgleich Stein sich warm
für die Vorschläge des Staatskanzlers verwendete und dringend vorstellte:
die preußisch-russischen Forderungen müßten jetzt ins Reine gebracht wer-
den, so lange Frankreich sich noch nicht erholt und Oesterreich sein Heer
nicht verstärkt habe. Alexander wünschte nicht, sich jetzt schon über seine

I. 5. Ende der Kriegszeit.
bairiſchen Staate, der ihm ſtets verdächtig blieb, eine hochgefährliche Ver-
größerung geſtatten: durch den Beſitz der badiſchen Pfalz ſchnitt Baiern
die kleinen ſüddeutſchen Staaten gänzlich von dem Norden ab, der Süden
wurde unbedingt von Oeſterreich und Baiern abhängig. Die patriotiſche
Abſicht dieſer thörichten Pläne war die Hoffnung, Oeſterreich vielleicht
dereinſt für die Wiedereroberung des Elſaſſes zu gewinnen; wußte man
doch, daß der mächtige Adel des Oberlandes auf beiden Ufern des Rheines
begütert war und noch ganz in öſterreichiſchen Erinnerungen lebte. Die
Vergrößerung Baierns ſchien ungefährlich, wenn ein öſterreichiſches Vor-
land zwiſchen Baiern und Frankreich eingeſchoben wurde.

Zum Glück für Deutſchland verſagte ſich Oeſterreich ſelbſt den frei-
gebigen Abſichten ſeines preußiſchen Freundes. Metternich blieb bei ſeiner
Anſicht, daß man die ſüddeutſchen Nachbarn nicht erſchrecken dürfe. In
der preußiſchen Denkſchrift fand er ſchlechterdings nichts was ſeiner eigenen
Anſicht entſprach; er wollte weder Rußland ſo weit in Polen eindringen
noch Preußen ſüdwärts über die Moſellinie vorrücken laſſen und am
Allerwenigſten die Albertiner den Hohenzollern preisgeben. Daher er-
widerte er, die Frage könne erſt auf dem großen Congreſſe, der binnen
zwei Monaten zuſammentreten ſollte, ihre Erledigung finden. In der
Stille aber traf er bereits ſeine Anſtalten um die Mainzer Feſtung den
Händen Preußens zu entwinden und ſchloß am 3. Juni mit Wrede einen
Vertrag zur Ausführung der Rieder Verabredungen: Baiern ſollte Mainz
und ein möglichſt großes Gebiet auf dem linken Rheinufer erhalten, dazu
die badiſche Pfalz und die zur Verbindung mit dem Hauptlande nöthigen
Gebiete. Deutſchlands wichtigſte Feſtung, der Schlüſſel der Rheinlande
war alſo dem Staate verſprochen, der noch unter Montgelas’ Leitung
ſtand und in Berlin mit Recht als ein geheimer Bundesgenoſſe Frank-
reichs beargwöhnt wurde. Selbſtverſtändlich durfte Preußen von dieſem
Abkommen nichts erfahren. Seinen engliſchen Freunden aber geſtand
Metternich offen: er wünſche möglichſt viele deutſche Staaten im Rhein-
thale anzuſiedeln und alſo zur Vertheidigung des Stromes zu zwingen;
nimmermehr könnten Oeſterreich und Baiern das feſte Mainz und damit
„die Herrſchaft über ihren einzigen großen Strom“, den Main, an Preußen
geben, das ſchon Rhein und Elbe, Oder und Weichſel beherrſche. Die
Hochtorys gingen, wie gewöhnlich, bereitwillig auf Metternichs Anſichten
ein; ſie glaubten ihm aufs Wort, daß der Main ein öſterreichiſcher Strom
ſei, und wollten ſich ebenfalls in Paris auf keine Verhandlung über
Preußens Anſprüche einlaſſen.

Auch der Czar war der gleichen Anſicht, obgleich Stein ſich warm
für die Vorſchläge des Staatskanzlers verwendete und dringend vorſtellte:
die preußiſch-ruſſiſchen Forderungen müßten jetzt ins Reine gebracht wer-
den, ſo lange Frankreich ſich noch nicht erholt und Oeſterreich ſein Heer
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[564/0580] I. 5. Ende der Kriegszeit. bairiſchen Staate, der ihm ſtets verdächtig blieb, eine hochgefährliche Ver- größerung geſtatten: durch den Beſitz der badiſchen Pfalz ſchnitt Baiern die kleinen ſüddeutſchen Staaten gänzlich von dem Norden ab, der Süden wurde unbedingt von Oeſterreich und Baiern abhängig. Die patriotiſche Abſicht dieſer thörichten Pläne war die Hoffnung, Oeſterreich vielleicht dereinſt für die Wiedereroberung des Elſaſſes zu gewinnen; wußte man doch, daß der mächtige Adel des Oberlandes auf beiden Ufern des Rheines begütert war und noch ganz in öſterreichiſchen Erinnerungen lebte. Die Vergrößerung Baierns ſchien ungefährlich, wenn ein öſterreichiſches Vor- land zwiſchen Baiern und Frankreich eingeſchoben wurde. Zum Glück für Deutſchland verſagte ſich Oeſterreich ſelbſt den frei- gebigen Abſichten ſeines preußiſchen Freundes. Metternich blieb bei ſeiner Anſicht, daß man die ſüddeutſchen Nachbarn nicht erſchrecken dürfe. In der preußiſchen Denkſchrift fand er ſchlechterdings nichts was ſeiner eigenen Anſicht entſprach; er wollte weder Rußland ſo weit in Polen eindringen noch Preußen ſüdwärts über die Moſellinie vorrücken laſſen und am Allerwenigſten die Albertiner den Hohenzollern preisgeben. Daher er- widerte er, die Frage könne erſt auf dem großen Congreſſe, der binnen zwei Monaten zuſammentreten ſollte, ihre Erledigung finden. In der Stille aber traf er bereits ſeine Anſtalten um die Mainzer Feſtung den Händen Preußens zu entwinden und ſchloß am 3. Juni mit Wrede einen Vertrag zur Ausführung der Rieder Verabredungen: Baiern ſollte Mainz und ein möglichſt großes Gebiet auf dem linken Rheinufer erhalten, dazu die badiſche Pfalz und die zur Verbindung mit dem Hauptlande nöthigen Gebiete. Deutſchlands wichtigſte Feſtung, der Schlüſſel der Rheinlande war alſo dem Staate verſprochen, der noch unter Montgelas’ Leitung ſtand und in Berlin mit Recht als ein geheimer Bundesgenoſſe Frank- reichs beargwöhnt wurde. Selbſtverſtändlich durfte Preußen von dieſem Abkommen nichts erfahren. Seinen engliſchen Freunden aber geſtand Metternich offen: er wünſche möglichſt viele deutſche Staaten im Rhein- thale anzuſiedeln und alſo zur Vertheidigung des Stromes zu zwingen; nimmermehr könnten Oeſterreich und Baiern das feſte Mainz und damit „die Herrſchaft über ihren einzigen großen Strom“, den Main, an Preußen geben, das ſchon Rhein und Elbe, Oder und Weichſel beherrſche. Die Hochtorys gingen, wie gewöhnlich, bereitwillig auf Metternichs Anſichten ein; ſie glaubten ihm aufs Wort, daß der Main ein öſterreichiſcher Strom ſei, und wollten ſich ebenfalls in Paris auf keine Verhandlung über Preußens Anſprüche einlaſſen. Auch der Czar war der gleichen Anſicht, obgleich Stein ſich warm für die Vorſchläge des Staatskanzlers verwendete und dringend vorſtellte: die preußiſch-ruſſiſchen Forderungen müßten jetzt ins Reine gebracht wer- den, ſo lange Frankreich ſich noch nicht erholt und Oeſterreich ſein Heer nicht verſtärkt habe. Alexander wünſchte nicht, ſich jetzt ſchon über ſeine

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 564. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/580>, abgerufen am 22.11.2024.