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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
wacht als in den Provinzen. Die so lange entschlummerte Lust an Kritik
und Widerspruch wurde wieder rege, die Reden der Opposition im Gesetz-
gebenden Körper fanden lauten Widerhall, die constitutionellen Ideen aus
den Anfängen der Revolution lebten auf, das geistreiche Volk begann die
dumpfe Stille, die über seinem öffentlichen Leben lag, als einen unnatür-
lichen Zwang zu empfinden. Der Imperator hatte mit wunderbarer
Kenntniß des Volkscharakters die nationale Staatsform des neuen Frank-
reichs, den centralisirten Beamtenstaat auf viele Menschenalter hinaus fest
begründet. Die Spitze dieses mächtigen Gebäudes blieb gleichwohl unge-
sichert. Sobald das Glück den Herrscher floh mußte er empfinden, daß
er doch nur der Erwählte des Volkes und den Millionen persönlich ver-
antwortlich war; auf Treue konnte ein Regiment nicht rechnen, das
grundsätzlich nur den gemeinen Ehrgeiz benutzte. Schon als man im
Februar die Gefangenen von den Schlachtfeldern der Champagne durch die
Pariser Straßen führte, wurden sie nicht mehr wie sonst mit triumphi-
renden Rufen, sondern mit Bedauern und Mitleid empfangen. Seit den
Niederlagen des März vollendete sich die Umstimmung der Hauptstadt,
ein Gesinnungswechsel so jäh, so durchgreifend, so übermächtig wie vor
Zeiten als Heinrich IV. seinen Frieden mit der alten Kirche schloß und
das katholische Paris sich mit einem male jauchzend in die Arme des ver-
haßten Ketzers stürzte.

Mit richtigem Instinkte begriff das Volk, daß nunmehr nur die alte
Dynastie noch möglich war; nicht Royalisten, sondern Männer der Re-
volution und des Kaiserreichs erhoben am Lautesten ihre Stimme für die
vergessenen und verlachten Bourbonen. Bei ihrem Einzuge bemerkten die
Verbündeten mit Verwunderung, wie die Massen versuchten das Bild des
glorreichen Imperators von der Vendomesäule herabzustürzen, wie National-
gardisten den vielgefeierten Stern der Ehrenlegion ihren Rossen an den
Schweif banden. Schon sah man an vielen Hüten die weiße Kokarde.
Ueberall Verwünschungen gegen den Tyrannen, donnernde Jubelrufe für
die Befreier. Die französische Eitelkeit ließ sich's nicht nehmen, daß die
weiße Armbinde, welche die buntscheckigen Kriegsvölker des alten Europas
als Erkennungszeichen trugen, eine Huldigung sei für Frankreichs Könige;
die Alliirten erschienen den Erregten wie ein royalistisches Kreuzfahrer-
heer, das im Namen und Auftrag der französischen Nation das Urtheil
an dem Tyrannen vollstreckte. Den König von Preußen begrüßte im
Theater das Lied: Vive Guillaume et ses guerriers vaillants, de ce
royaume il sauve les enfants!
Der schlichte Friedrich Wilhelm war,
wie Frau von Stael sagte, ganz erstaunt, daß es diesen Leuten so viel
Vergnügen machte besiegt zu sein. In seinem Heere ward der alte Na-
tionalhaß durch den Anblick solcher Untreue nur verschärft. Mit tiefer
Geringschätzung sprachen alle Norddeutschen von dieser herzlosesten aller
Nationen. Für die unverwüstliche elastische Lebenskraft, die in dem beweg-

I. 5. Ende der Kriegszeit.
wacht als in den Provinzen. Die ſo lange entſchlummerte Luſt an Kritik
und Widerſpruch wurde wieder rege, die Reden der Oppoſition im Geſetz-
gebenden Körper fanden lauten Widerhall, die conſtitutionellen Ideen aus
den Anfängen der Revolution lebten auf, das geiſtreiche Volk begann die
dumpfe Stille, die über ſeinem öffentlichen Leben lag, als einen unnatür-
lichen Zwang zu empfinden. Der Imperator hatte mit wunderbarer
Kenntniß des Volkscharakters die nationale Staatsform des neuen Frank-
reichs, den centraliſirten Beamtenſtaat auf viele Menſchenalter hinaus feſt
begründet. Die Spitze dieſes mächtigen Gebäudes blieb gleichwohl unge-
ſichert. Sobald das Glück den Herrſcher floh mußte er empfinden, daß
er doch nur der Erwählte des Volkes und den Millionen perſönlich ver-
antwortlich war; auf Treue konnte ein Regiment nicht rechnen, das
grundſätzlich nur den gemeinen Ehrgeiz benutzte. Schon als man im
Februar die Gefangenen von den Schlachtfeldern der Champagne durch die
Pariſer Straßen führte, wurden ſie nicht mehr wie ſonſt mit triumphi-
renden Rufen, ſondern mit Bedauern und Mitleid empfangen. Seit den
Niederlagen des März vollendete ſich die Umſtimmung der Hauptſtadt,
ein Geſinnungswechſel ſo jäh, ſo durchgreifend, ſo übermächtig wie vor
Zeiten als Heinrich IV. ſeinen Frieden mit der alten Kirche ſchloß und
das katholiſche Paris ſich mit einem male jauchzend in die Arme des ver-
haßten Ketzers ſtürzte.

Mit richtigem Inſtinkte begriff das Volk, daß nunmehr nur die alte
Dynaſtie noch möglich war; nicht Royaliſten, ſondern Männer der Re-
volution und des Kaiſerreichs erhoben am Lauteſten ihre Stimme für die
vergeſſenen und verlachten Bourbonen. Bei ihrem Einzuge bemerkten die
Verbündeten mit Verwunderung, wie die Maſſen verſuchten das Bild des
glorreichen Imperators von der Vendomeſäule herabzuſtürzen, wie National-
gardiſten den vielgefeierten Stern der Ehrenlegion ihren Roſſen an den
Schweif banden. Schon ſah man an vielen Hüten die weiße Kokarde.
Ueberall Verwünſchungen gegen den Tyrannen, donnernde Jubelrufe für
die Befreier. Die franzöſiſche Eitelkeit ließ ſich’s nicht nehmen, daß die
weiße Armbinde, welche die buntſcheckigen Kriegsvölker des alten Europas
als Erkennungszeichen trugen, eine Huldigung ſei für Frankreichs Könige;
die Alliirten erſchienen den Erregten wie ein royaliſtiſches Kreuzfahrer-
heer, das im Namen und Auftrag der franzöſiſchen Nation das Urtheil
an dem Tyrannen vollſtreckte. Den König von Preußen begrüßte im
Theater das Lied: Vive Guillaume et ses guerriers vaillants, de ce
royaume il sauve les enfants!
Der ſchlichte Friedrich Wilhelm war,
wie Frau von Staël ſagte, ganz erſtaunt, daß es dieſen Leuten ſo viel
Vergnügen machte beſiegt zu ſein. In ſeinem Heere ward der alte Na-
tionalhaß durch den Anblick ſolcher Untreue nur verſchärft. Mit tiefer
Geringſchätzung ſprachen alle Norddeutſchen von dieſer herzloſeſten aller
Nationen. Für die unverwüſtliche elaſtiſche Lebenskraft, die in dem beweg-

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[552/0568] I. 5. Ende der Kriegszeit. wacht als in den Provinzen. Die ſo lange entſchlummerte Luſt an Kritik und Widerſpruch wurde wieder rege, die Reden der Oppoſition im Geſetz- gebenden Körper fanden lauten Widerhall, die conſtitutionellen Ideen aus den Anfängen der Revolution lebten auf, das geiſtreiche Volk begann die dumpfe Stille, die über ſeinem öffentlichen Leben lag, als einen unnatür- lichen Zwang zu empfinden. Der Imperator hatte mit wunderbarer Kenntniß des Volkscharakters die nationale Staatsform des neuen Frank- reichs, den centraliſirten Beamtenſtaat auf viele Menſchenalter hinaus feſt begründet. Die Spitze dieſes mächtigen Gebäudes blieb gleichwohl unge- ſichert. Sobald das Glück den Herrſcher floh mußte er empfinden, daß er doch nur der Erwählte des Volkes und den Millionen perſönlich ver- antwortlich war; auf Treue konnte ein Regiment nicht rechnen, das grundſätzlich nur den gemeinen Ehrgeiz benutzte. Schon als man im Februar die Gefangenen von den Schlachtfeldern der Champagne durch die Pariſer Straßen führte, wurden ſie nicht mehr wie ſonſt mit triumphi- renden Rufen, ſondern mit Bedauern und Mitleid empfangen. Seit den Niederlagen des März vollendete ſich die Umſtimmung der Hauptſtadt, ein Geſinnungswechſel ſo jäh, ſo durchgreifend, ſo übermächtig wie vor Zeiten als Heinrich IV. ſeinen Frieden mit der alten Kirche ſchloß und das katholiſche Paris ſich mit einem male jauchzend in die Arme des ver- haßten Ketzers ſtürzte. Mit richtigem Inſtinkte begriff das Volk, daß nunmehr nur die alte Dynaſtie noch möglich war; nicht Royaliſten, ſondern Männer der Re- volution und des Kaiſerreichs erhoben am Lauteſten ihre Stimme für die vergeſſenen und verlachten Bourbonen. Bei ihrem Einzuge bemerkten die Verbündeten mit Verwunderung, wie die Maſſen verſuchten das Bild des glorreichen Imperators von der Vendomeſäule herabzuſtürzen, wie National- gardiſten den vielgefeierten Stern der Ehrenlegion ihren Roſſen an den Schweif banden. Schon ſah man an vielen Hüten die weiße Kokarde. Ueberall Verwünſchungen gegen den Tyrannen, donnernde Jubelrufe für die Befreier. Die franzöſiſche Eitelkeit ließ ſich’s nicht nehmen, daß die weiße Armbinde, welche die buntſcheckigen Kriegsvölker des alten Europas als Erkennungszeichen trugen, eine Huldigung ſei für Frankreichs Könige; die Alliirten erſchienen den Erregten wie ein royaliſtiſches Kreuzfahrer- heer, das im Namen und Auftrag der franzöſiſchen Nation das Urtheil an dem Tyrannen vollſtreckte. Den König von Preußen begrüßte im Theater das Lied: Vive Guillaume et ses guerriers vaillants, de ce royaume il sauve les enfants! Der ſchlichte Friedrich Wilhelm war, wie Frau von Staël ſagte, ganz erſtaunt, daß es dieſen Leuten ſo viel Vergnügen machte beſiegt zu ſein. In ſeinem Heere ward der alte Na- tionalhaß durch den Anblick ſolcher Untreue nur verſchärft. Mit tiefer Geringſchätzung ſprachen alle Norddeutſchen von dieſer herzloſeſten aller Nationen. Für die unverwüſtliche elaſtiſche Lebenskraft, die in dem beweg-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/568>, abgerufen am 22.11.2024.