dem Großherzog Ludwig von Darmstadt, als dieser das Bündniß auf- kündigte.
Die Drohungen des Imperators verfehlten ihren Zweck nicht, sie lähmten die Thatkraft auch der besser gesinnten Rheinbundsfürsten. Eine Volksbewaffnung nach preußischer Weise war in der Mehrzahl dieser Länder ohnehin unmöglich, da die Gewalthaber ihrem eigenen Volke nicht trauten. In Baiern wurden die Freiwilligen von den Behörden mit Hohn heimgeschickt. In Württemberg wollte der König weder Freiwillige noch eine Landwehr dulden; die Bildung des Landsturms benutzte er nur als einen willkommenen Vorwand um seine Unterthanen zu entwaffnen und bei Zuchthausstrafe die Einlieferung aller Gewehre anzubefehlen. Niemand war bei diesen Höfen schlimmer verrufen als Stein; wußten sie doch, daß der Freiherr soeben in Frankfurt beantragt hatte, ihre Re- gierungsgewalt vorläufig zu suspendiren. Auch die trefflichen Männer, die er in seiner deutschen Centralverwaltung anstellte, hießen bald alle- sammt moskowitische Jacobiner: die Preußen Friesen und Eichhorn, der Russe Turgeniew, der Leiter des Hospitalwesens Graf Solms-Laubach, der Organisator der Volksbewaffnung Rühle von Lilienstern. Tagaus tagein versuchten der particularistische Dünkel und die Niedertracht der süd- deutschen Cabinette die Wirksamkeit der Centralverwaltung zu durchkreuzen. Montgelas bedrohte Steins Beamte mit Ausweisung, als sie sich von dem Zustande der bairischen Lazarethe überzeugen wollten. Friedrich von Würt- temberg weigerte sich "ausländische" Verwundete in seine Hospitäler aufzu- nehmen; als die Oesterreicher ihre Kranken aus dem überfüllten Villingen nach Rottweil hinüberbrachten, ließen die württembergischen Behörden die Jammernden auf der Straße liegen, bis man mit Gewalt die Thüren des Krankenhauses öffnete. So erprobte sich die bundesfreundliche Gesinnung jener Höfe, denen Oesterreich bedingungslos die Souveränität zurückgab. Stein selber meinte jetzt traurig, man thue besser, die Verhandlungen über Deutschlands Verfassung bis zum Frieden zu vertagen, sonst könne die lockere Coalition sich leicht ganz auflösen. Um aber die Nation über die Denkweise ihrer Gewalthaber zu belehren, ließ er seinen treuen Eichhorn eine Schrift über die Centralverwaltung veröffentlichen, welche ohne Um- schweife die Sünden der Kleinkönige aufdeckte. Seitdem kannte der Haß der rheinbündischen Höfe gegen das preußische Deutschthum keine Grenzen mehr.
Auch das Volk des Südens wurde von dem Sturme der Begeiste- rung, der über Norddeutschland dahin brauste, nur obenhin berührt, ob- gleich sich überall ehrlicher Wille zeigte und viele junge Männer aus den gebildeten Ständen auf Arndts und Görres' Worte schworen. So tief wie in Preußen hatte der Haß gegen die Fremdherrschaft hier niemals Wurzeln schlagen können, denn hier war kein verlorener Ruhm zurück- zugewinnen. Als die Stunde der Befreiung schlug, thaten zwar die
Stimmung in Süddeutſchland.
dem Großherzog Ludwig von Darmſtadt, als dieſer das Bündniß auf- kündigte.
Die Drohungen des Imperators verfehlten ihren Zweck nicht, ſie lähmten die Thatkraft auch der beſſer geſinnten Rheinbundsfürſten. Eine Volksbewaffnung nach preußiſcher Weiſe war in der Mehrzahl dieſer Länder ohnehin unmöglich, da die Gewalthaber ihrem eigenen Volke nicht trauten. In Baiern wurden die Freiwilligen von den Behörden mit Hohn heimgeſchickt. In Württemberg wollte der König weder Freiwillige noch eine Landwehr dulden; die Bildung des Landſturms benutzte er nur als einen willkommenen Vorwand um ſeine Unterthanen zu entwaffnen und bei Zuchthausſtrafe die Einlieferung aller Gewehre anzubefehlen. Niemand war bei dieſen Höfen ſchlimmer verrufen als Stein; wußten ſie doch, daß der Freiherr ſoeben in Frankfurt beantragt hatte, ihre Re- gierungsgewalt vorläufig zu ſuspendiren. Auch die trefflichen Männer, die er in ſeiner deutſchen Centralverwaltung anſtellte, hießen bald alle- ſammt moskowitiſche Jacobiner: die Preußen Frieſen und Eichhorn, der Ruſſe Turgeniew, der Leiter des Hospitalweſens Graf Solms-Laubach, der Organiſator der Volksbewaffnung Rühle von Lilienſtern. Tagaus tagein verſuchten der particulariſtiſche Dünkel und die Niedertracht der ſüd- deutſchen Cabinette die Wirkſamkeit der Centralverwaltung zu durchkreuzen. Montgelas bedrohte Steins Beamte mit Ausweiſung, als ſie ſich von dem Zuſtande der bairiſchen Lazarethe überzeugen wollten. Friedrich von Würt- temberg weigerte ſich „ausländiſche“ Verwundete in ſeine Hospitäler aufzu- nehmen; als die Oeſterreicher ihre Kranken aus dem überfüllten Villingen nach Rottweil hinüberbrachten, ließen die württembergiſchen Behörden die Jammernden auf der Straße liegen, bis man mit Gewalt die Thüren des Krankenhauſes öffnete. So erprobte ſich die bundesfreundliche Geſinnung jener Höfe, denen Oeſterreich bedingungslos die Souveränität zurückgab. Stein ſelber meinte jetzt traurig, man thue beſſer, die Verhandlungen über Deutſchlands Verfaſſung bis zum Frieden zu vertagen, ſonſt könne die lockere Coalition ſich leicht ganz auflöſen. Um aber die Nation über die Denkweiſe ihrer Gewalthaber zu belehren, ließ er ſeinen treuen Eichhorn eine Schrift über die Centralverwaltung veröffentlichen, welche ohne Um- ſchweife die Sünden der Kleinkönige aufdeckte. Seitdem kannte der Haß der rheinbündiſchen Höfe gegen das preußiſche Deutſchthum keine Grenzen mehr.
Auch das Volk des Südens wurde von dem Sturme der Begeiſte- rung, der über Norddeutſchland dahin brauſte, nur obenhin berührt, ob- gleich ſich überall ehrlicher Wille zeigte und viele junge Männer aus den gebildeten Ständen auf Arndts und Görres’ Worte ſchworen. So tief wie in Preußen hatte der Haß gegen die Fremdherrſchaft hier niemals Wurzeln ſchlagen können, denn hier war kein verlorener Ruhm zurück- zugewinnen. Als die Stunde der Befreiung ſchlug, thaten zwar die
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Stimmung in Süddeutſchland.
dem Großherzog Ludwig von Darmſtadt, als dieſer das Bündniß auf-
kündigte.
Die Drohungen des Imperators verfehlten ihren Zweck nicht, ſie
lähmten die Thatkraft auch der beſſer geſinnten Rheinbundsfürſten. Eine
Volksbewaffnung nach preußiſcher Weiſe war in der Mehrzahl dieſer
Länder ohnehin unmöglich, da die Gewalthaber ihrem eigenen Volke nicht
trauten. In Baiern wurden die Freiwilligen von den Behörden mit
Hohn heimgeſchickt. In Württemberg wollte der König weder Freiwillige
noch eine Landwehr dulden; die Bildung des Landſturms benutzte er nur
als einen willkommenen Vorwand um ſeine Unterthanen zu entwaffnen
und bei Zuchthausſtrafe die Einlieferung aller Gewehre anzubefehlen.
Niemand war bei dieſen Höfen ſchlimmer verrufen als Stein; wußten
ſie doch, daß der Freiherr ſoeben in Frankfurt beantragt hatte, ihre Re-
gierungsgewalt vorläufig zu ſuspendiren. Auch die trefflichen Männer,
die er in ſeiner deutſchen Centralverwaltung anſtellte, hießen bald alle-
ſammt moskowitiſche Jacobiner: die Preußen Frieſen und Eichhorn, der
Ruſſe Turgeniew, der Leiter des Hospitalweſens Graf Solms-Laubach,
der Organiſator der Volksbewaffnung Rühle von Lilienſtern. Tagaus
tagein verſuchten der particulariſtiſche Dünkel und die Niedertracht der ſüd-
deutſchen Cabinette die Wirkſamkeit der Centralverwaltung zu durchkreuzen.
Montgelas bedrohte Steins Beamte mit Ausweiſung, als ſie ſich von dem
Zuſtande der bairiſchen Lazarethe überzeugen wollten. Friedrich von Würt-
temberg weigerte ſich „ausländiſche“ Verwundete in ſeine Hospitäler aufzu-
nehmen; als die Oeſterreicher ihre Kranken aus dem überfüllten Villingen
nach Rottweil hinüberbrachten, ließen die württembergiſchen Behörden die
Jammernden auf der Straße liegen, bis man mit Gewalt die Thüren des
Krankenhauſes öffnete. So erprobte ſich die bundesfreundliche Geſinnung
jener Höfe, denen Oeſterreich bedingungslos die Souveränität zurückgab.
Stein ſelber meinte jetzt traurig, man thue beſſer, die Verhandlungen
über Deutſchlands Verfaſſung bis zum Frieden zu vertagen, ſonſt könne
die lockere Coalition ſich leicht ganz auflöſen. Um aber die Nation über die
Denkweiſe ihrer Gewalthaber zu belehren, ließ er ſeinen treuen Eichhorn
eine Schrift über die Centralverwaltung veröffentlichen, welche ohne Um-
ſchweife die Sünden der Kleinkönige aufdeckte. Seitdem kannte der Haß
der rheinbündiſchen Höfe gegen das preußiſche Deutſchthum keine Grenzen
mehr.
Auch das Volk des Südens wurde von dem Sturme der Begeiſte-
rung, der über Norddeutſchland dahin brauſte, nur obenhin berührt, ob-
gleich ſich überall ehrlicher Wille zeigte und viele junge Männer aus den
gebildeten Ständen auf Arndts und Görres’ Worte ſchworen. So tief
wie in Preußen hatte der Haß gegen die Fremdherrſchaft hier niemals
Wurzeln ſchlagen können, denn hier war kein verlorener Ruhm zurück-
zugewinnen. Als die Stunde der Befreiung ſchlug, thaten zwar die
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/535>, abgerufen am 22.11.2024.
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