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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
trotz der Warnungen der Aerzte, selber nach Wien zu gehen um durch
persönliche Ueberredung den österreichischen Staatsmännern den entschei-
denden Entschluß zu entreißen. Unterwegs verschlimmerte sich die Wunde.
Während er in Böhmen einsam auf dem Krankenbette lag, schweiften
seine Gedanken hinüber zu dem vaterländischen Heere. So viel herrliche
Kraft war vergeudet durch die Fehler der russischen Heeresleitung; er
hatte die Preußen gerüstet und fühlte, daß er sie zum Siege führen
würde wenn man ihn frei gewähren ließ an Blüchers Seite. Der ster-
bende Mann konnte den großen Ehrgeiz, der ihn verzehrte, nicht länger
in seiner verschlossenen Brust verbergen und schrieb an seine Tochter --
nur für sie, damit sie wisse "wie Dein Vater dachte, wenn ich einst nicht
mehr da sein sollte: An Distinctionen ist mir nichts gelegen. Da ich die
nicht erhalte, welche ich verdiene, so ist mir jede andere eine Beleidigung,
und ich würde mich verachten wenn ich anders dächte. Alle Orden und
mein Leben gäbe ich für das Commando eines Tages!" Es sollte nicht
sein. Am 28. Juni erlag er seiner Wunde; seine letzten Worte weissagten
den Deutschen die Freiheit. Tragischer hat Keiner geendet von den
schöpferischen Geistern unserer Geschichte. Ohne Scharnhorst kein Leipzig,
kein Belle-Alliance, kein Sedan, und der die Saat so vieler Siege streute
sollte selber Preußens Fahnen niemals glücklich sehen! Erschütternd trat
das große Räthsel des Menschenschicksals den Ueberlebenden vor die Seele;
immer wieder, wenn sie dieses Todten gedachten, überkam sie die Ahnung,
daß unser Leben nicht abschließt mit dem letzten Athemzuge. Wie oft hat
Blücher nach erfochtenem Siege in feuriger Rede den Schatten seines
Scharnhorst angerufen, er solle niederschauen auf die Vollendung seines
Werkes! Dem Dichter aber erschien der Gefallene wie ein Siegesbote,
den die befreiten Germanen ihren Ahnen nach Walhalla sendeten:

"Nur ein Held darf Helden Botschaft tragen.
Darum muß Germaniens bester Mann,
Scharnhorst muß die Botschaft tragen:
Unser Joch das wollen wir zerschlagen,
Und der Rache Tag bricht an!"

So viel Ehre die Schlacht von Großgörschen den jungen preußischen
Truppen brachte, sie war doch eine Niederlage, verhängnißvoll durch ihre
politischen Folgen. Der Ruf der napoleonischen Unüberwindlichkeit stand
nunmehr wieder aufrecht; kein Gedanke mehr an einen Abfall der rhein-
bündischen Höfe. Auf die Nachricht von Napoleons Siege kehrte Friedrich
August von Sachsen sofort, noch bevor eine drohende Mahnung des Pro-
tectors ihn ereilte, wieder zu den Fahnen zurück, denen sein Herz immer
angehangen; hatte er doch schon vor Wochen seinen Obersten Odeleben
in das französische Hauptquartier gesendet um dem Imperator als Führer
durch Thüringen zu dienen! Senfft, der Vertreter der Neutralitätspolitik,
ward entlassen, die Armee und das Land dem Großen Alliirten zur Ver-

I. 4. Der Befreiungskrieg.
trotz der Warnungen der Aerzte, ſelber nach Wien zu gehen um durch
perſönliche Ueberredung den öſterreichiſchen Staatsmännern den entſchei-
denden Entſchluß zu entreißen. Unterwegs verſchlimmerte ſich die Wunde.
Während er in Böhmen einſam auf dem Krankenbette lag, ſchweiften
ſeine Gedanken hinüber zu dem vaterländiſchen Heere. So viel herrliche
Kraft war vergeudet durch die Fehler der ruſſiſchen Heeresleitung; er
hatte die Preußen gerüſtet und fühlte, daß er ſie zum Siege führen
würde wenn man ihn frei gewähren ließ an Blüchers Seite. Der ſter-
bende Mann konnte den großen Ehrgeiz, der ihn verzehrte, nicht länger
in ſeiner verſchloſſenen Bruſt verbergen und ſchrieb an ſeine Tochter —
nur für ſie, damit ſie wiſſe „wie Dein Vater dachte, wenn ich einſt nicht
mehr da ſein ſollte: An Diſtinctionen iſt mir nichts gelegen. Da ich die
nicht erhalte, welche ich verdiene, ſo iſt mir jede andere eine Beleidigung,
und ich würde mich verachten wenn ich anders dächte. Alle Orden und
mein Leben gäbe ich für das Commando eines Tages!“ Es ſollte nicht
ſein. Am 28. Juni erlag er ſeiner Wunde; ſeine letzten Worte weiſſagten
den Deutſchen die Freiheit. Tragiſcher hat Keiner geendet von den
ſchöpferiſchen Geiſtern unſerer Geſchichte. Ohne Scharnhorſt kein Leipzig,
kein Belle-Alliance, kein Sedan, und der die Saat ſo vieler Siege ſtreute
ſollte ſelber Preußens Fahnen niemals glücklich ſehen! Erſchütternd trat
das große Räthſel des Menſchenſchickſals den Ueberlebenden vor die Seele;
immer wieder, wenn ſie dieſes Todten gedachten, überkam ſie die Ahnung,
daß unſer Leben nicht abſchließt mit dem letzten Athemzuge. Wie oft hat
Blücher nach erfochtenem Siege in feuriger Rede den Schatten ſeines
Scharnhorſt angerufen, er ſolle niederſchauen auf die Vollendung ſeines
Werkes! Dem Dichter aber erſchien der Gefallene wie ein Siegesbote,
den die befreiten Germanen ihren Ahnen nach Walhalla ſendeten:

„Nur ein Held darf Helden Botſchaft tragen.
Darum muß Germaniens beſter Mann,
Scharnhorſt muß die Botſchaft tragen:
Unſer Joch das wollen wir zerſchlagen,
Und der Rache Tag bricht an!“

So viel Ehre die Schlacht von Großgörſchen den jungen preußiſchen
Truppen brachte, ſie war doch eine Niederlage, verhängnißvoll durch ihre
politiſchen Folgen. Der Ruf der napoleoniſchen Unüberwindlichkeit ſtand
nunmehr wieder aufrecht; kein Gedanke mehr an einen Abfall der rhein-
bündiſchen Höfe. Auf die Nachricht von Napoleons Siege kehrte Friedrich
Auguſt von Sachſen ſofort, noch bevor eine drohende Mahnung des Pro-
tectors ihn ereilte, wieder zu den Fahnen zurück, denen ſein Herz immer
angehangen; hatte er doch ſchon vor Wochen ſeinen Oberſten Odeleben
in das franzöſiſche Hauptquartier geſendet um dem Imperator als Führer
durch Thüringen zu dienen! Senfft, der Vertreter der Neutralitätspolitik,
ward entlaſſen, die Armee und das Land dem Großen Alliirten zur Ver-

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[456/0472] I. 4. Der Befreiungskrieg. trotz der Warnungen der Aerzte, ſelber nach Wien zu gehen um durch perſönliche Ueberredung den öſterreichiſchen Staatsmännern den entſchei- denden Entſchluß zu entreißen. Unterwegs verſchlimmerte ſich die Wunde. Während er in Böhmen einſam auf dem Krankenbette lag, ſchweiften ſeine Gedanken hinüber zu dem vaterländiſchen Heere. So viel herrliche Kraft war vergeudet durch die Fehler der ruſſiſchen Heeresleitung; er hatte die Preußen gerüſtet und fühlte, daß er ſie zum Siege führen würde wenn man ihn frei gewähren ließ an Blüchers Seite. Der ſter- bende Mann konnte den großen Ehrgeiz, der ihn verzehrte, nicht länger in ſeiner verſchloſſenen Bruſt verbergen und ſchrieb an ſeine Tochter — nur für ſie, damit ſie wiſſe „wie Dein Vater dachte, wenn ich einſt nicht mehr da ſein ſollte: An Diſtinctionen iſt mir nichts gelegen. Da ich die nicht erhalte, welche ich verdiene, ſo iſt mir jede andere eine Beleidigung, und ich würde mich verachten wenn ich anders dächte. Alle Orden und mein Leben gäbe ich für das Commando eines Tages!“ Es ſollte nicht ſein. Am 28. Juni erlag er ſeiner Wunde; ſeine letzten Worte weiſſagten den Deutſchen die Freiheit. Tragiſcher hat Keiner geendet von den ſchöpferiſchen Geiſtern unſerer Geſchichte. Ohne Scharnhorſt kein Leipzig, kein Belle-Alliance, kein Sedan, und der die Saat ſo vieler Siege ſtreute ſollte ſelber Preußens Fahnen niemals glücklich ſehen! Erſchütternd trat das große Räthſel des Menſchenſchickſals den Ueberlebenden vor die Seele; immer wieder, wenn ſie dieſes Todten gedachten, überkam ſie die Ahnung, daß unſer Leben nicht abſchließt mit dem letzten Athemzuge. Wie oft hat Blücher nach erfochtenem Siege in feuriger Rede den Schatten ſeines Scharnhorſt angerufen, er ſolle niederſchauen auf die Vollendung ſeines Werkes! Dem Dichter aber erſchien der Gefallene wie ein Siegesbote, den die befreiten Germanen ihren Ahnen nach Walhalla ſendeten: „Nur ein Held darf Helden Botſchaft tragen. Darum muß Germaniens beſter Mann, Scharnhorſt muß die Botſchaft tragen: Unſer Joch das wollen wir zerſchlagen, Und der Rache Tag bricht an!“ So viel Ehre die Schlacht von Großgörſchen den jungen preußiſchen Truppen brachte, ſie war doch eine Niederlage, verhängnißvoll durch ihre politiſchen Folgen. Der Ruf der napoleoniſchen Unüberwindlichkeit ſtand nunmehr wieder aufrecht; kein Gedanke mehr an einen Abfall der rhein- bündiſchen Höfe. Auf die Nachricht von Napoleons Siege kehrte Friedrich Auguſt von Sachſen ſofort, noch bevor eine drohende Mahnung des Pro- tectors ihn ereilte, wieder zu den Fahnen zurück, denen ſein Herz immer angehangen; hatte er doch ſchon vor Wochen ſeinen Oberſten Odeleben in das franzöſiſche Hauptquartier geſendet um dem Imperator als Führer durch Thüringen zu dienen! Senfft, der Vertreter der Neutralitätspolitik, ward entlaſſen, die Armee und das Land dem Großen Alliirten zur Ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/472>, abgerufen am 17.05.2024.