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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 1. Deutschland nach dem Westphälischen Frieden.
dem Elb- und Odergebiete, zwischen den schwächlichen Kleinstaaten Mecklen-
burgs, Pommerns und Schlesiens eine Großmacht des Nordostens zu
errichten. Noch größer schien sich das Schicksal der Marken zu gestalten,
als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I.
war der Führer der deutschen Fürsten bei der Reformbewegung in Reich
und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels
in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine
kühne und feste monarchische Politik. Früher als das heilige Reich er-
hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in
anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates gesetzlich
ausgesprochen durch die Gesetze Albrecht Achills. Adel und Städte
beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei ersten Hohen-
zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entsprach der Fortgang nicht.
Die Nachfolger jener hochstrebenden Helden sanken bald zurück in die be-
queme Enge deutscher Kleinfürstenpolitik. Sie verloren die kaum errungene
landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten
mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, suchten
wie alle mächtigeren Reichsfürsten Verwaltung und Rechtspflege ihres
Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei
dem Kaiserhause hold und gewärtig; sie traten spät und zögernd in
die lutherische Kirche ein, überließen die Führung der protestantischen
Parteien gemächlich an Kursachsen und Kurpfalz.

Mit gutem Grunde sagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten
seines Hauses: wie ein Fluß erst werthvoll werde, wenn er schiffbar sei,
so gewinne die Geschichte Brandenburgs erst gegen Anfang des siebzehnten
Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erst unter Kurfürst Johann Sigismund
traten drei entscheidende Ereignisse ein, welche den Marken eine große
Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverschiedene
Entwicklung verhießen: die Vereinigung des secularisirten Deutsch-
Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürstenhauses zur
reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheinischen Grenz-
lande.

Auch andere Reichsfürsten, Katholiken wie Protestanten, hatten ihre
Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande
aber wagte die Politik der deutschen Protestanten ihren verwegensten
Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römischen
Kirche das größte ihrer geistlichen Territorien. Das gesammte Gebiet
des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des
Papstes Bann und des Kaisers Acht trafen den abtrünnigen Fürsten.
Niemals wollte der römische Stuhl diesen Raub anerkennen. Indem die
märkischen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußischen Vettern mit
ihrem Kurhute verbanden, brachen sie für immer mit der römischen Kirche;
ihr Staat stand und fiel fortan mit dem Protestantismus. Zur selben

I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden.
dem Elb- und Odergebiete, zwiſchen den ſchwächlichen Kleinſtaaten Mecklen-
burgs, Pommerns und Schleſiens eine Großmacht des Nordoſtens zu
errichten. Noch größer ſchien ſich das Schickſal der Marken zu geſtalten,
als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I.
war der Führer der deutſchen Fürſten bei der Reformbewegung in Reich
und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels
in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine
kühne und feſte monarchiſche Politik. Früher als das heilige Reich er-
hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in
anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates geſetzlich
ausgeſprochen durch die Geſetze Albrecht Achills. Adel und Städte
beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei erſten Hohen-
zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entſprach der Fortgang nicht.
Die Nachfolger jener hochſtrebenden Helden ſanken bald zurück in die be-
queme Enge deutſcher Kleinfürſtenpolitik. Sie verloren die kaum errungene
landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten
mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, ſuchten
wie alle mächtigeren Reichsfürſten Verwaltung und Rechtspflege ihres
Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei
dem Kaiſerhauſe hold und gewärtig; ſie traten ſpät und zögernd in
die lutheriſche Kirche ein, überließen die Führung der proteſtantiſchen
Parteien gemächlich an Kurſachſen und Kurpfalz.

Mit gutem Grunde ſagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten
ſeines Hauſes: wie ein Fluß erſt werthvoll werde, wenn er ſchiffbar ſei,
ſo gewinne die Geſchichte Brandenburgs erſt gegen Anfang des ſiebzehnten
Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erſt unter Kurfürſt Johann Sigismund
traten drei entſcheidende Ereigniſſe ein, welche den Marken eine große
Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverſchiedene
Entwicklung verhießen: die Vereinigung des ſeculariſirten Deutſch-
Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürſtenhauſes zur
reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheiniſchen Grenz-
lande.

Auch andere Reichsfürſten, Katholiken wie Proteſtanten, hatten ihre
Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande
aber wagte die Politik der deutſchen Proteſtanten ihren verwegenſten
Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römiſchen
Kirche das größte ihrer geiſtlichen Territorien. Das geſammte Gebiet
des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des
Papſtes Bann und des Kaiſers Acht trafen den abtrünnigen Fürſten.
Niemals wollte der römiſche Stuhl dieſen Raub anerkennen. Indem die
märkiſchen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußiſchen Vettern mit
ihrem Kurhute verbanden, brachen ſie für immer mit der römiſchen Kirche;
ihr Staat ſtand und fiel fortan mit dem Proteſtantismus. Zur ſelben

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[26/0042] I. 1. Deutſchland nach dem Weſtphäliſchen Frieden. dem Elb- und Odergebiete, zwiſchen den ſchwächlichen Kleinſtaaten Mecklen- burgs, Pommerns und Schleſiens eine Großmacht des Nordoſtens zu errichten. Noch größer ſchien ſich das Schickſal der Marken zu geſtalten, als die Burggrafen von Nürnberg den Kurhut empfingen: Friedrich I. war der Führer der deutſchen Fürſten bei der Reformbewegung in Reich und Kirche, Albrecht Achill der bewunderte Held des ritterlichen Adels in den Kämpfen gegen die Städte. Zugleich begann im Innern eine kühne und feſte monarchiſche Politik. Früher als das heilige Reich er- hielt die Mark ihren Landfrieden, durch Friedrich I.; früher als in anderen Reichslanden wurde hier die Untheilbarkeit des Staates geſetzlich ausgeſprochen durch die Geſetze Albrecht Achills. Adel und Städte beugten ihren trotzigen Nacken vor der Willenskraft der drei erſten Hohen- zollern. Aber dem vielverheißenden Anlaufe entſprach der Fortgang nicht. Die Nachfolger jener hochſtrebenden Helden ſanken bald zurück in die be- queme Enge deutſcher Kleinfürſtenpolitik. Sie verloren die kaum errungene landesherrliche Gewalt zum guten Theile wieder an den Landtag, hielten mit ihren übermüthigen Herren Ständen wohl oder übel Haus, ſuchten wie alle mächtigeren Reichsfürſten Verwaltung und Rechtspflege ihres Landes vor jedem Eingriff der Reichsgewalt zu behüten und blieben dabei dem Kaiſerhauſe hold und gewärtig; ſie traten ſpät und zögernd in die lutheriſche Kirche ein, überließen die Führung der proteſtantiſchen Parteien gemächlich an Kurſachſen und Kurpfalz. Mit gutem Grunde ſagt König Friedrich in den Denkwürdigkeiten ſeines Hauſes: wie ein Fluß erſt werthvoll werde, wenn er ſchiffbar ſei, ſo gewinne die Geſchichte Brandenburgs erſt gegen Anfang des ſiebzehnten Jahrhunderts tiefere Bedeutung. Erſt unter Kurfürſt Johann Sigismund traten drei entſcheidende Ereigniſſe ein, welche den Marken eine große Zukunft, eine von dem Leben der übrigen Reichsländer grundverſchiedene Entwicklung verhießen: die Vereinigung des ſeculariſirten Deutſch- Ordenslandes mit Brandenburg, der Uebertritt des Fürſtenhauſes zur reformirten Kirche, endlich die Erwerbung der niederrheiniſchen Grenz- lande. Auch andere Reichsfürſten, Katholiken wie Proteſtanten, hatten ihre Macht durch die Güter der alten Kirche erweitert. Im Ordenslande aber wagte die Politik der deutſchen Proteſtanten ihren verwegenſten Griff; auf Luthers Rath entriß der Hohenzoller Albrecht der römiſchen Kirche das größte ihrer geiſtlichen Territorien. Das geſammte Gebiet des neuen Herzogthums Preußen war entfremdetes Kirchengut; des Papſtes Bann und des Kaiſers Acht trafen den abtrünnigen Fürſten. Niemals wollte der römiſche Stuhl dieſen Raub anerkennen. Indem die märkiſchen Hohenzollern die Herzogskrone ihrer preußiſchen Vettern mit ihrem Kurhute verbanden, brachen ſie für immer mit der römiſchen Kirche; ihr Staat ſtand und fiel fortan mit dem Proteſtantismus. Zur ſelben

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/42>, abgerufen am 18.04.2024.