Umtaufung der preußischen Judenschaft. Die Levi, Cohn und Jacobsohn behielten ihre semitischen Namen bei, die Wolf und Kuh begnügten sich mit den Spottnamen, welche ihnen der grausame Volkshumor der Ger- manen angehängt, die Zwickauer und Bamberger nannten sich einfach nach ihrer Heimath; jene sinnigen Naturen aber, die der sanfte Hauch dieser sentimentalen Epoche angeweht hatte, wählten holdere Namen um die Schönheit ihrer Seele getreulich auszudrücken, also daß die Thüren unserer Börsen noch heute von Blümchen, Veilchen, Nelken und Rosen- zweigen dicht umrankt sind.
In diesen nothwendigen socialen Neuerungen lag die Größe der Hardenbergischen Reformen. In seinen Finanzmaßregeln dagegen blieb er nach wie vor unglücklich. Den Verkauf der Domänen betrieb er mit lebhaftem Eifer, theils weil er baarer Mittel bedurfte, theils weil ihn seine doctrinären Rathgeber von der Verwerflichkeit alles Staatsgrundbe- sitzes überzeugt hatten: in Absicht der Domänen, schrieb F. v. Raumer kurzab, ist von den Briten nur zu lernen, daß man keine haben muß! Doch woher sollten die Käufer kommen in dem verarmten Lande? Nach fünftehalb Jahren, bis zum Juni 1813 waren für verkaufte Staatsgüter nur 786,000 Thlr. baar eingegangen, dazu über 61/2 Mill. in werth- losen Papieren. Da auch die Consumtionssteuer wenig einbrachte und bald zum Theil wieder zurückgenommen wurde, so konnte Hardenberg, der mit so hoffnungsvollen Finanzplänen begonnen, von der französischen Schuld nicht mehr abtragen als sein schwerfälliger Vorgänger Altenstein: im April 1811 war noch fast die Hälfte der Contribution, etwa 59 Mill. Fr. ungetilgt. Die neuen schweren Kriegslasten des Jahres 1812 nöthigten den Staatskanzler endlich -- gegen seine theoretischen Ueberzeugungen -- eine harte Vermögens- und Einkommensteuer auszuschreiben, die vom Vermögen 3 Procent, vom Einkommen 1 bis 5 Procent in Anspruch nahm. Aber auch diesmal hatte er die trostlose wirthschaftliche Erschöp- fung des Landes nicht richtig geschätzt. Das Edict mußte schon nach wenigen Wochen für Altpreußen außer Kraft gesetzt werden, da diese Provinz durch den Marsch der großen Armee völlig ausgesogen wurde, und statt der gehofften 25 Mill. Thlr. kamen nur 41/2 Mill. ein, davon 4 Mill. baar.
Obgleich die socialen Reformen Hardenbergs nur durch den Willen des absoluten Königthums durchgesetzt werden konnten, so war die Krone doch nicht in der Lage, auf den Beistand popularer Kräfte ganz zu ver- zichten. Sie hatte bereits im October 1810, in dem verheißungsreichen Edict über die Finanzen, versprochen, daß eine durch Repräsentanten der Communen und Provinzen verstärkte General-Commission über die Re- gulirung der Kriegsschulden berathen solle. Die Landesdeputirten, nament- lich die Vertreter des Bürger- und Bauernstandes verlangten lebhaft die Einlösung dieses Wortes. Darum erklärte der König *): "seine Absicht
*) Cabinets-Ordre v. 6. Sept. 1811.
Die Nationalrepräſentation.
Umtaufung der preußiſchen Judenſchaft. Die Levi, Cohn und Jacobſohn behielten ihre ſemitiſchen Namen bei, die Wolf und Kuh begnügten ſich mit den Spottnamen, welche ihnen der grauſame Volkshumor der Ger- manen angehängt, die Zwickauer und Bamberger nannten ſich einfach nach ihrer Heimath; jene ſinnigen Naturen aber, die der ſanfte Hauch dieſer ſentimentalen Epoche angeweht hatte, wählten holdere Namen um die Schönheit ihrer Seele getreulich auszudrücken, alſo daß die Thüren unſerer Börſen noch heute von Blümchen, Veilchen, Nelken und Roſen- zweigen dicht umrankt ſind.
In dieſen nothwendigen ſocialen Neuerungen lag die Größe der Hardenbergiſchen Reformen. In ſeinen Finanzmaßregeln dagegen blieb er nach wie vor unglücklich. Den Verkauf der Domänen betrieb er mit lebhaftem Eifer, theils weil er baarer Mittel bedurfte, theils weil ihn ſeine doctrinären Rathgeber von der Verwerflichkeit alles Staatsgrundbe- ſitzes überzeugt hatten: in Abſicht der Domänen, ſchrieb F. v. Raumer kurzab, iſt von den Briten nur zu lernen, daß man keine haben muß! Doch woher ſollten die Käufer kommen in dem verarmten Lande? Nach fünftehalb Jahren, bis zum Juni 1813 waren für verkaufte Staatsgüter nur 786,000 Thlr. baar eingegangen, dazu über 6½ Mill. in werth- loſen Papieren. Da auch die Conſumtionsſteuer wenig einbrachte und bald zum Theil wieder zurückgenommen wurde, ſo konnte Hardenberg, der mit ſo hoffnungsvollen Finanzplänen begonnen, von der franzöſiſchen Schuld nicht mehr abtragen als ſein ſchwerfälliger Vorgänger Altenſtein: im April 1811 war noch faſt die Hälfte der Contribution, etwa 59 Mill. Fr. ungetilgt. Die neuen ſchweren Kriegslaſten des Jahres 1812 nöthigten den Staatskanzler endlich — gegen ſeine theoretiſchen Ueberzeugungen — eine harte Vermögens- und Einkommenſteuer auszuſchreiben, die vom Vermögen 3 Procent, vom Einkommen 1 bis 5 Procent in Anſpruch nahm. Aber auch diesmal hatte er die troſtloſe wirthſchaftliche Erſchöp- fung des Landes nicht richtig geſchätzt. Das Edict mußte ſchon nach wenigen Wochen für Altpreußen außer Kraft geſetzt werden, da dieſe Provinz durch den Marſch der großen Armee völlig ausgeſogen wurde, und ſtatt der gehofften 25 Mill. Thlr. kamen nur 4½ Mill. ein, davon 4 Mill. baar.
Obgleich die ſocialen Reformen Hardenbergs nur durch den Willen des abſoluten Königthums durchgeſetzt werden konnten, ſo war die Krone doch nicht in der Lage, auf den Beiſtand popularer Kräfte ganz zu ver- zichten. Sie hatte bereits im October 1810, in dem verheißungsreichen Edict über die Finanzen, verſprochen, daß eine durch Repräſentanten der Communen und Provinzen verſtärkte General-Commiſſion über die Re- gulirung der Kriegsſchulden berathen ſolle. Die Landesdeputirten, nament- lich die Vertreter des Bürger- und Bauernſtandes verlangten lebhaft die Einlöſung dieſes Wortes. Darum erklärte der König *): „ſeine Abſicht
*) Cabinets-Ordre v. 6. Sept. 1811.
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Die Nationalrepräſentation.
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behielten ihre ſemitiſchen Namen bei, die Wolf und Kuh begnügten ſich
mit den Spottnamen, welche ihnen der grauſame Volkshumor der Ger-
manen angehängt, die Zwickauer und Bamberger nannten ſich einfach
nach ihrer Heimath; jene ſinnigen Naturen aber, die der ſanfte Hauch
dieſer ſentimentalen Epoche angeweht hatte, wählten holdere Namen um
die Schönheit ihrer Seele getreulich auszudrücken, alſo daß die Thüren
unſerer Börſen noch heute von Blümchen, Veilchen, Nelken und Roſen-
zweigen dicht umrankt ſind.
In dieſen nothwendigen ſocialen Neuerungen lag die Größe der
Hardenbergiſchen Reformen. In ſeinen Finanzmaßregeln dagegen blieb
er nach wie vor unglücklich. Den Verkauf der Domänen betrieb er mit
lebhaftem Eifer, theils weil er baarer Mittel bedurfte, theils weil ihn
ſeine doctrinären Rathgeber von der Verwerflichkeit alles Staatsgrundbe-
ſitzes überzeugt hatten: in Abſicht der Domänen, ſchrieb F. v. Raumer
kurzab, iſt von den Briten nur zu lernen, daß man keine haben muß!
Doch woher ſollten die Käufer kommen in dem verarmten Lande? Nach
fünftehalb Jahren, bis zum Juni 1813 waren für verkaufte Staatsgüter
nur 786,000 Thlr. baar eingegangen, dazu über 6½ Mill. in werth-
loſen Papieren. Da auch die Conſumtionsſteuer wenig einbrachte und bald
zum Theil wieder zurückgenommen wurde, ſo konnte Hardenberg, der mit
ſo hoffnungsvollen Finanzplänen begonnen, von der franzöſiſchen Schuld
nicht mehr abtragen als ſein ſchwerfälliger Vorgänger Altenſtein: im April
1811 war noch faſt die Hälfte der Contribution, etwa 59 Mill. Fr.
ungetilgt. Die neuen ſchweren Kriegslaſten des Jahres 1812 nöthigten
den Staatskanzler endlich — gegen ſeine theoretiſchen Ueberzeugungen —
eine harte Vermögens- und Einkommenſteuer auszuſchreiben, die vom
Vermögen 3 Procent, vom Einkommen 1 bis 5 Procent in Anſpruch
nahm. Aber auch diesmal hatte er die troſtloſe wirthſchaftliche Erſchöp-
fung des Landes nicht richtig geſchätzt. Das Edict mußte ſchon nach
wenigen Wochen für Altpreußen außer Kraft geſetzt werden, da dieſe Provinz
durch den Marſch der großen Armee völlig ausgeſogen wurde, und ſtatt der
gehofften 25 Mill. Thlr. kamen nur 4½ Mill. ein, davon 4 Mill. baar.
Obgleich die ſocialen Reformen Hardenbergs nur durch den Willen
des abſoluten Königthums durchgeſetzt werden konnten, ſo war die Krone
doch nicht in der Lage, auf den Beiſtand popularer Kräfte ganz zu ver-
zichten. Sie hatte bereits im October 1810, in dem verheißungsreichen
Edict über die Finanzen, verſprochen, daß eine durch Repräſentanten der
Communen und Provinzen verſtärkte General-Commiſſion über die Re-
gulirung der Kriegsſchulden berathen ſolle. Die Landesdeputirten, nament-
lich die Vertreter des Bürger- und Bauernſtandes verlangten lebhaft die
Einlöſung dieſes Wortes. Darum erklärte der König *): „ſeine Abſicht
*) Cabinets-Ordre v. 6. Sept. 1811.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/393>, abgerufen am 22.11.2024.
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