Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

I. 3. Preußens Erhebung.
angenehmen und vortheilhaften Dienst zu erweisen. Was hinderte, solche
Eintagsgebilde politischer Laune wieder nach Laune zu zerstören? Ein
Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Festung Erfurt im
Herzen Deutschlands für sich behielt und sie niemals einem seiner Sa-
trapen anvertrauen wollte. In den Pariser Salons war man über das
künftige Schicksal der Rheinbundstaaten nicht im Zweifel und begrüßte
die Unterthanen des Königs Jerome, wenn sie an die Seine kamen,
scherzend als Francais futurs.

Die Stämme im Süden und Westen Deutschlands ließen sich von
solchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß
der Code Napoleon von tüchtigen deutschen Juristen, wie Daniels und
Strombeck wissenschaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht
des Rheinbundes, das immer ein todter Buchstabe blieb, reizte den Scharf-
sinn unterthäniger deutscher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo
Zachariä. Während Napoleon selbst alle die föderalistischen Pläne des
getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: "ich lege keinen Werth
auf den Bund als solchen, nur auf seine einzelnen Fürsten und ihre
Unabhängigkeit" -- entstand in Deutschland eine ganze Literatur, die mit
liebevollem Fleiße jede Controverse dieses unfindbaren Bundesrechts er-
örterte.

Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotische Jugend des Nor-
dens über den Lügengeist der neuen Zeit, denn niemals früher war in
den deutschen Kleinstaaten eine solche Fülle gehässiger Lügen über "den
Borussismus" verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn-
horsts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit
hatte der preußische Staat unter der katholisch-kaiserlichen Partei seine
leidenschaftlichsten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die
Münsterländer über den Untergang des preußischen Ketzerregiments; doch
traten nunmehr, namentlich in den Kreisen der bairischen Beamten, auch
modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe französischer Auf-
klärung herunter hochmüthig absprachen über die finstere Macht des slavi-
schen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu-
rückgebliebene Oesterreich und Preußen mit einer Verfassung nach gallischem
Muster zu segnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die
Erstlinge jener neuen napoleonisch-particularistischen Literatur, die seitdem
durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutschen Süden geblieben
ist. Der Vielgewandte verstand sehr geschickt, zugleich den altbairischen
Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen
Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei
und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der
römischen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armseligen
Zeitungen des Rheinbunds von den preußischen Reformen nichts erzählten
und die hirnverbrannten teutonomanischen Tugendbündler Stein und

I. 3. Preußens Erhebung.
angenehmen und vortheilhaften Dienſt zu erweiſen. Was hinderte, ſolche
Eintagsgebilde politiſcher Laune wieder nach Laune zu zerſtören? Ein
Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Feſtung Erfurt im
Herzen Deutſchlands für ſich behielt und ſie niemals einem ſeiner Sa-
trapen anvertrauen wollte. In den Pariſer Salons war man über das
künftige Schickſal der Rheinbundſtaaten nicht im Zweifel und begrüßte
die Unterthanen des Königs Jerome, wenn ſie an die Seine kamen,
ſcherzend als Français futurs.

Die Stämme im Süden und Weſten Deutſchlands ließen ſich von
ſolchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß
der Code Napoleon von tüchtigen deutſchen Juriſten, wie Daniels und
Strombeck wiſſenſchaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht
des Rheinbundes, das immer ein todter Buchſtabe blieb, reizte den Scharf-
ſinn unterthäniger deutſcher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo
Zachariä. Während Napoleon ſelbſt alle die föderaliſtiſchen Pläne des
getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: „ich lege keinen Werth
auf den Bund als ſolchen, nur auf ſeine einzelnen Fürſten und ihre
Unabhängigkeit“ — entſtand in Deutſchland eine ganze Literatur, die mit
liebevollem Fleiße jede Controverſe dieſes unfindbaren Bundesrechts er-
örterte.

Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotiſche Jugend des Nor-
dens über den Lügengeiſt der neuen Zeit, denn niemals früher war in
den deutſchen Kleinſtaaten eine ſolche Fülle gehäſſiger Lügen über „den
Boruſſismus“ verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn-
horſts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit
hatte der preußiſche Staat unter der katholiſch-kaiſerlichen Partei ſeine
leidenſchaftlichſten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die
Münſterländer über den Untergang des preußiſchen Ketzerregiments; doch
traten nunmehr, namentlich in den Kreiſen der bairiſchen Beamten, auch
modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzöſiſcher Auf-
klärung herunter hochmüthig abſprachen über die finſtere Macht des ſlavi-
ſchen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu-
rückgebliebene Oeſterreich und Preußen mit einer Verfaſſung nach galliſchem
Muſter zu ſegnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die
Erſtlinge jener neuen napoleoniſch-particulariſtiſchen Literatur, die ſeitdem
durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutſchen Süden geblieben
iſt. Der Vielgewandte verſtand ſehr geſchickt, zugleich den altbairiſchen
Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen
Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei
und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der
römiſchen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armſeligen
Zeitungen des Rheinbunds von den preußiſchen Reformen nichts erzählten
und die hirnverbrannten teutonomaniſchen Tugendbündler Stein und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0370" n="354"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> 3. Preußens Erhebung.</fw><lb/>
angenehmen und vortheilhaften Dien&#x017F;t zu erwei&#x017F;en. Was hinderte, &#x017F;olche<lb/>
Eintagsgebilde politi&#x017F;cher Laune wieder nach Laune zu zer&#x017F;tören? Ein<lb/>
Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Fe&#x017F;tung Erfurt im<lb/>
Herzen Deut&#x017F;chlands für &#x017F;ich behielt und &#x017F;ie niemals einem &#x017F;einer Sa-<lb/>
trapen anvertrauen wollte. In den Pari&#x017F;er Salons war man über das<lb/>
künftige Schick&#x017F;al der Rheinbund&#x017F;taaten nicht im Zweifel und begrüßte<lb/>
die Unterthanen des Königs Jerome, wenn &#x017F;ie an die Seine kamen,<lb/>
&#x017F;cherzend als <hi rendition="#aq">Français futurs.</hi></p><lb/>
            <p>Die Stämme im Süden und We&#x017F;ten Deut&#x017F;chlands ließen &#x017F;ich von<lb/>
&#x017F;olchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß<lb/>
der Code Napoleon von tüchtigen deut&#x017F;chen Juri&#x017F;ten, wie Daniels und<lb/>
Strombeck wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht<lb/>
des Rheinbundes, das immer ein todter Buch&#x017F;tabe blieb, reizte den Scharf-<lb/>
&#x017F;inn unterthäniger deut&#x017F;cher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo<lb/>
Zachariä. Während Napoleon &#x017F;elb&#x017F;t alle die föderali&#x017F;ti&#x017F;chen Pläne des<lb/>
getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: &#x201E;ich lege keinen Werth<lb/>
auf den Bund als &#x017F;olchen, nur auf &#x017F;eine einzelnen Für&#x017F;ten und ihre<lb/>
Unabhängigkeit&#x201C; &#x2014; ent&#x017F;tand in Deut&#x017F;chland eine ganze Literatur, die mit<lb/>
liebevollem Fleiße jede Controver&#x017F;e die&#x017F;es unfindbaren Bundesrechts er-<lb/>
örterte.</p><lb/>
            <p>Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patrioti&#x017F;che Jugend des Nor-<lb/>
dens über den Lügengei&#x017F;t der neuen Zeit, denn niemals früher war in<lb/>
den deut&#x017F;chen Klein&#x017F;taaten eine &#x017F;olche Fülle gehä&#x017F;&#x017F;iger Lügen über &#x201E;den<lb/>
Boru&#x017F;&#x017F;ismus&#x201C; verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn-<lb/>
hor&#x017F;ts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit<lb/>
hatte der preußi&#x017F;che Staat unter der katholi&#x017F;ch-kai&#x017F;erlichen Partei &#x017F;eine<lb/>
leiden&#x017F;chaftlich&#x017F;ten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die<lb/>
Mün&#x017F;terländer über den Untergang des preußi&#x017F;chen Ketzerregiments; doch<lb/>
traten nunmehr, namentlich in den Krei&#x017F;en der bairi&#x017F;chen Beamten, auch<lb/>
modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzö&#x017F;i&#x017F;cher Auf-<lb/>
klärung herunter hochmüthig ab&#x017F;prachen über die fin&#x017F;tere Macht des &#x017F;lavi-<lb/>
&#x017F;chen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu-<lb/>
rückgebliebene Oe&#x017F;terreich und Preußen mit einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung nach galli&#x017F;chem<lb/>
Mu&#x017F;ter zu &#x017F;egnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die<lb/>
Er&#x017F;tlinge jener neuen napoleoni&#x017F;ch-particulari&#x017F;ti&#x017F;chen Literatur, die &#x017F;eitdem<lb/>
durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deut&#x017F;chen Süden geblieben<lb/>
i&#x017F;t. Der Vielgewandte ver&#x017F;tand &#x017F;ehr ge&#x017F;chickt, zugleich den altbairi&#x017F;chen<lb/>
Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen<lb/>
Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei<lb/>
und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der<lb/>
römi&#x017F;chen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die arm&#x017F;eligen<lb/>
Zeitungen des Rheinbunds von den preußi&#x017F;chen Reformen nichts erzählten<lb/>
und die hirnverbrannten teutonomani&#x017F;chen Tugendbündler Stein und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0370] I. 3. Preußens Erhebung. angenehmen und vortheilhaften Dienſt zu erweiſen. Was hinderte, ſolche Eintagsgebilde politiſcher Laune wieder nach Laune zu zerſtören? Ein Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Feſtung Erfurt im Herzen Deutſchlands für ſich behielt und ſie niemals einem ſeiner Sa- trapen anvertrauen wollte. In den Pariſer Salons war man über das künftige Schickſal der Rheinbundſtaaten nicht im Zweifel und begrüßte die Unterthanen des Königs Jerome, wenn ſie an die Seine kamen, ſcherzend als Français futurs. Die Stämme im Süden und Weſten Deutſchlands ließen ſich von ſolchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß der Code Napoleon von tüchtigen deutſchen Juriſten, wie Daniels und Strombeck wiſſenſchaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht des Rheinbundes, das immer ein todter Buchſtabe blieb, reizte den Scharf- ſinn unterthäniger deutſcher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo Zachariä. Während Napoleon ſelbſt alle die föderaliſtiſchen Pläne des getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: „ich lege keinen Werth auf den Bund als ſolchen, nur auf ſeine einzelnen Fürſten und ihre Unabhängigkeit“ — entſtand in Deutſchland eine ganze Literatur, die mit liebevollem Fleiße jede Controverſe dieſes unfindbaren Bundesrechts er- örterte. Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotiſche Jugend des Nor- dens über den Lügengeiſt der neuen Zeit, denn niemals früher war in den deutſchen Kleinſtaaten eine ſolche Fülle gehäſſiger Lügen über „den Boruſſismus“ verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn- horſts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit hatte der preußiſche Staat unter der katholiſch-kaiſerlichen Partei ſeine leidenſchaftlichſten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die Münſterländer über den Untergang des preußiſchen Ketzerregiments; doch traten nunmehr, namentlich in den Kreiſen der bairiſchen Beamten, auch modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzöſiſcher Auf- klärung herunter hochmüthig abſprachen über die finſtere Macht des ſlavi- ſchen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu- rückgebliebene Oeſterreich und Preußen mit einer Verfaſſung nach galliſchem Muſter zu ſegnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die Erſtlinge jener neuen napoleoniſch-particulariſtiſchen Literatur, die ſeitdem durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutſchen Süden geblieben iſt. Der Vielgewandte verſtand ſehr geſchickt, zugleich den altbairiſchen Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der römiſchen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armſeligen Zeitungen des Rheinbunds von den preußiſchen Reformen nichts erzählten und die hirnverbrannten teutonomaniſchen Tugendbündler Stein und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/370
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/370>, abgerufen am 26.11.2024.