angenehmen und vortheilhaften Dienst zu erweisen. Was hinderte, solche Eintagsgebilde politischer Laune wieder nach Laune zu zerstören? Ein Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Festung Erfurt im Herzen Deutschlands für sich behielt und sie niemals einem seiner Sa- trapen anvertrauen wollte. In den Pariser Salons war man über das künftige Schicksal der Rheinbundstaaten nicht im Zweifel und begrüßte die Unterthanen des Königs Jerome, wenn sie an die Seine kamen, scherzend als Francais futurs.
Die Stämme im Süden und Westen Deutschlands ließen sich von solchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß der Code Napoleon von tüchtigen deutschen Juristen, wie Daniels und Strombeck wissenschaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht des Rheinbundes, das immer ein todter Buchstabe blieb, reizte den Scharf- sinn unterthäniger deutscher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo Zachariä. Während Napoleon selbst alle die föderalistischen Pläne des getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: "ich lege keinen Werth auf den Bund als solchen, nur auf seine einzelnen Fürsten und ihre Unabhängigkeit" -- entstand in Deutschland eine ganze Literatur, die mit liebevollem Fleiße jede Controverse dieses unfindbaren Bundesrechts er- örterte.
Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotische Jugend des Nor- dens über den Lügengeist der neuen Zeit, denn niemals früher war in den deutschen Kleinstaaten eine solche Fülle gehässiger Lügen über "den Borussismus" verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn- horsts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit hatte der preußische Staat unter der katholisch-kaiserlichen Partei seine leidenschaftlichsten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die Münsterländer über den Untergang des preußischen Ketzerregiments; doch traten nunmehr, namentlich in den Kreisen der bairischen Beamten, auch modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe französischer Auf- klärung herunter hochmüthig absprachen über die finstere Macht des slavi- schen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu- rückgebliebene Oesterreich und Preußen mit einer Verfassung nach gallischem Muster zu segnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die Erstlinge jener neuen napoleonisch-particularistischen Literatur, die seitdem durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutschen Süden geblieben ist. Der Vielgewandte verstand sehr geschickt, zugleich den altbairischen Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der römischen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armseligen Zeitungen des Rheinbunds von den preußischen Reformen nichts erzählten und die hirnverbrannten teutonomanischen Tugendbündler Stein und
I. 3. Preußens Erhebung.
angenehmen und vortheilhaften Dienſt zu erweiſen. Was hinderte, ſolche Eintagsgebilde politiſcher Laune wieder nach Laune zu zerſtören? Ein Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Feſtung Erfurt im Herzen Deutſchlands für ſich behielt und ſie niemals einem ſeiner Sa- trapen anvertrauen wollte. In den Pariſer Salons war man über das künftige Schickſal der Rheinbundſtaaten nicht im Zweifel und begrüßte die Unterthanen des Königs Jerome, wenn ſie an die Seine kamen, ſcherzend als Français futurs.
Die Stämme im Süden und Weſten Deutſchlands ließen ſich von ſolchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß der Code Napoleon von tüchtigen deutſchen Juriſten, wie Daniels und Strombeck wiſſenſchaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht des Rheinbundes, das immer ein todter Buchſtabe blieb, reizte den Scharf- ſinn unterthäniger deutſcher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo Zachariä. Während Napoleon ſelbſt alle die föderaliſtiſchen Pläne des getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: „ich lege keinen Werth auf den Bund als ſolchen, nur auf ſeine einzelnen Fürſten und ihre Unabhängigkeit“ — entſtand in Deutſchland eine ganze Literatur, die mit liebevollem Fleiße jede Controverſe dieſes unfindbaren Bundesrechts er- örterte.
Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotiſche Jugend des Nor- dens über den Lügengeiſt der neuen Zeit, denn niemals früher war in den deutſchen Kleinſtaaten eine ſolche Fülle gehäſſiger Lügen über „den Boruſſismus“ verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn- horſts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit hatte der preußiſche Staat unter der katholiſch-kaiſerlichen Partei ſeine leidenſchaftlichſten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die Münſterländer über den Untergang des preußiſchen Ketzerregiments; doch traten nunmehr, namentlich in den Kreiſen der bairiſchen Beamten, auch modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzöſiſcher Auf- klärung herunter hochmüthig abſprachen über die finſtere Macht des ſlavi- ſchen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu- rückgebliebene Oeſterreich und Preußen mit einer Verfaſſung nach galliſchem Muſter zu ſegnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die Erſtlinge jener neuen napoleoniſch-particulariſtiſchen Literatur, die ſeitdem durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutſchen Süden geblieben iſt. Der Vielgewandte verſtand ſehr geſchickt, zugleich den altbairiſchen Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der römiſchen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armſeligen Zeitungen des Rheinbunds von den preußiſchen Reformen nichts erzählten und die hirnverbrannten teutonomaniſchen Tugendbündler Stein und
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I. 3. Preußens Erhebung.
angenehmen und vortheilhaften Dienſt zu erweiſen. Was hinderte, ſolche
Eintagsgebilde politiſcher Laune wieder nach Laune zu zerſtören? Ein
Zufall war es doch nicht, daß Napoleon die wichtige Feſtung Erfurt im
Herzen Deutſchlands für ſich behielt und ſie niemals einem ſeiner Sa-
trapen anvertrauen wollte. In den Pariſer Salons war man über das
künftige Schickſal der Rheinbundſtaaten nicht im Zweifel und begrüßte
die Unterthanen des Königs Jerome, wenn ſie an die Seine kamen,
ſcherzend als Français futurs.
Die Stämme im Süden und Weſten Deutſchlands ließen ſich von
ſolchen Befürchtungen nicht anfechten. Es war in der Ordnung, daß
der Code Napoleon von tüchtigen deutſchen Juriſten, wie Daniels und
Strombeck wiſſenſchaftlich bearbeitet wurde; aber auch das Staatsrecht
des Rheinbundes, das immer ein todter Buchſtabe blieb, reizte den Scharf-
ſinn unterthäniger deutſcher Gelehrten, wie Winkopp und Karl Salomo
Zachariä. Während Napoleon ſelbſt alle die föderaliſtiſchen Pläne des
getreuen Dalberg zurückwies und trocken bemerkte: „ich lege keinen Werth
auf den Bund als ſolchen, nur auf ſeine einzelnen Fürſten und ihre
Unabhängigkeit“ — entſtand in Deutſchland eine ganze Literatur, die mit
liebevollem Fleiße jede Controverſe dieſes unfindbaren Bundesrechts er-
örterte.
Mit gutem Grunde wahrlich zürnte die patriotiſche Jugend des Nor-
dens über den Lügengeiſt der neuen Zeit, denn niemals früher war in
den deutſchen Kleinſtaaten eine ſolche Fülle gehäſſiger Lügen über „den
Boruſſismus“ verbreitet worden wie in den Tagen Steins und Scharn-
horſts. Der Preußenhaß nahm neue Formen an. In der alten Zeit
hatte der preußiſche Staat unter der katholiſch-kaiſerlichen Partei ſeine
leidenſchaftlichſten Feinde gefunden, und auch jetzt noch frohlockten die
Münſterländer über den Untergang des preußiſchen Ketzerregiments; doch
traten nunmehr, namentlich in den Kreiſen der bairiſchen Beamten, auch
modern gebildete Männer auf, die von der lichten Höhe franzöſiſcher Auf-
klärung herunter hochmüthig abſprachen über die finſtere Macht des ſlavi-
ſchen Junkerthums in Preußen und den Imperator ermahnten, das zu-
rückgebliebene Oeſterreich und Preußen mit einer Verfaſſung nach galliſchem
Muſter zu ſegnen. Die giftigen Libelle des Baiern Aretin waren die
Erſtlinge jener neuen napoleoniſch-particulariſtiſchen Literatur, die ſeitdem
durch viele Jahre eine Macht des Unheils im deutſchen Süden geblieben
iſt. Der Vielgewandte verſtand ſehr geſchickt, zugleich den altbairiſchen
Ketzerhaß und den Aufklärungsdünkel der neuen Bureaukratie gegen
Preußen aufzuregen: der Staat Friedrichs war das Land der Ketzerei
und der adlichen Privilegien, Napoleon der Held der Freiheit und der
römiſchen Kirche. Solche Märchen fanden Glauben, da die armſeligen
Zeitungen des Rheinbunds von den preußiſchen Reformen nichts erzählten
und die hirnverbrannten teutonomaniſchen Tugendbündler Stein und
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/370>, abgerufen am 26.11.2024.
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