Auch die Minister sahen keinen anderen Ausweg mehr, sie kamen zurück auf jenen verzweifelten Gedanken einer neuen Gebietsverkleinerung, wel- chen Schoen bereits vor dritthalb Jahren ausgesprochen hatte. Am 10. März 1810 gestand Altenstein dem Fürsten Wittgenstein, der Staat sei verloren, wenn man nicht auf einen Theil von Schlesien verzichte. Der alte Fürst war ein Hofmann des gemeinen Schlages, ängstlich, glatt, schlau und frivol, ein abgesagter Gegner Steins. Die Ehrlosigkeit dieses Vorschlags brachte ihn doch in Harnisch; entrüstet berichtete er Alles seinem könig- lichen Herrn und machte dringende Gegenvorstellungen. Dem Könige, der dies unfähige Ministerium nie sonderlich geachtet, riß die Geduld: er war sofort entschlossen seine Räthe zu entlassen. Seinem klugen Ober- kammerherrn hat er diese patriotische That nie vergessen; seit jenen Tagen besaß Wittgenstein einen mächtigen stillen Einfluß, der sich noch oft, und meist zum Schaden der Monarchie zeigen sollte. Darauf verständigte sich Friedrich Wilhelm mit Hardenberg, und nach langen Verhandlungen in Paris ließ sich auch Napoleon herbei, den Wiedereintritt des verfehmten Staatsmannes zu gestatten. Er mußte einsehen, daß bei dem entschiedenen Widerwillen des Königs die friedliche Erwerbung von Schlesien unmöglich war; genug vorderhand, wenn ein fähiger Mann die Leitung der preußi- schen Finanzen übernahm und die pünktliche Abzahlung der Contribution verbürgte. Zu Anfang Juni 1810 erhielt Altenstein den Abschied, und Hardenberg trat in das Amt. Die zweite Epoche der preußischen Re- formen begann. --
Während das preußische Volk mit zorniger Ungeduld der Stunde der Befreiung entgegensah, wurde im rheinbündischen Deutschland die Schande des Vaterlandes nur in einigen Landstrichen und in vereinzelten patriotischen Kreisen tief und bitter empfunden, am lebhaftesten im prote- stantischen Norden und vor Allem in den abgetretenen preußischen Pro- vinzen. Wie ein Mann hielt das treue Volk der Grafschaft Mark zu- sammen unter der Herrschaft des Großherzogs von Berg; man that was man nicht lassen durfte, unterwürfige Schmeichelei kam den Fremden hier nie entgegen. Ueberall in diesen Landschaften fanden sich einzelne treue Beamte der alten Zeit, die sich im Grunde des Herzens noch als preu- ßische Staatsdiener und die neue Ordnung der Dinge nur als eine flüch- tige Episode betrachteten: so der treffliche Jurist Sethe in Münster und der junge Motz auf dem Eichsfelde. Der alte Präsident Rumann in Celle trat sein westphälisches Amt erst an als ihm sein König Georg III. die förmliche Erlaubniß gegeben hatte. Nur sehr Wenige von den preußi- schen höheren Beamten gingen ohne zwingenden Grund in die Dienste rheinbündischer Fürsten, und sie verfielen der allgemeinen Verachtung:
I. 3. Preußens Erhebung.
Auch die Miniſter ſahen keinen anderen Ausweg mehr, ſie kamen zurück auf jenen verzweifelten Gedanken einer neuen Gebietsverkleinerung, wel- chen Schoen bereits vor dritthalb Jahren ausgeſprochen hatte. Am 10. März 1810 geſtand Altenſtein dem Fürſten Wittgenſtein, der Staat ſei verloren, wenn man nicht auf einen Theil von Schleſien verzichte. Der alte Fürſt war ein Hofmann des gemeinen Schlages, ängſtlich, glatt, ſchlau und frivol, ein abgeſagter Gegner Steins. Die Ehrloſigkeit dieſes Vorſchlags brachte ihn doch in Harniſch; entrüſtet berichtete er Alles ſeinem könig- lichen Herrn und machte dringende Gegenvorſtellungen. Dem Könige, der dies unfähige Miniſterium nie ſonderlich geachtet, riß die Geduld: er war ſofort entſchloſſen ſeine Räthe zu entlaſſen. Seinem klugen Ober- kammerherrn hat er dieſe patriotiſche That nie vergeſſen; ſeit jenen Tagen beſaß Wittgenſtein einen mächtigen ſtillen Einfluß, der ſich noch oft, und meiſt zum Schaden der Monarchie zeigen ſollte. Darauf verſtändigte ſich Friedrich Wilhelm mit Hardenberg, und nach langen Verhandlungen in Paris ließ ſich auch Napoleon herbei, den Wiedereintritt des verfehmten Staatsmannes zu geſtatten. Er mußte einſehen, daß bei dem entſchiedenen Widerwillen des Königs die friedliche Erwerbung von Schleſien unmöglich war; genug vorderhand, wenn ein fähiger Mann die Leitung der preußi- ſchen Finanzen übernahm und die pünktliche Abzahlung der Contribution verbürgte. Zu Anfang Juni 1810 erhielt Altenſtein den Abſchied, und Hardenberg trat in das Amt. Die zweite Epoche der preußiſchen Re- formen begann. —
Während das preußiſche Volk mit zorniger Ungeduld der Stunde der Befreiung entgegenſah, wurde im rheinbündiſchen Deutſchland die Schande des Vaterlandes nur in einigen Landſtrichen und in vereinzelten patriotiſchen Kreiſen tief und bitter empfunden, am lebhafteſten im prote- ſtantiſchen Norden und vor Allem in den abgetretenen preußiſchen Pro- vinzen. Wie ein Mann hielt das treue Volk der Grafſchaft Mark zu- ſammen unter der Herrſchaft des Großherzogs von Berg; man that was man nicht laſſen durfte, unterwürfige Schmeichelei kam den Fremden hier nie entgegen. Ueberall in dieſen Landſchaften fanden ſich einzelne treue Beamte der alten Zeit, die ſich im Grunde des Herzens noch als preu- ßiſche Staatsdiener und die neue Ordnung der Dinge nur als eine flüch- tige Epiſode betrachteten: ſo der treffliche Juriſt Sethe in Münſter und der junge Motz auf dem Eichsfelde. Der alte Präſident Rumann in Celle trat ſein weſtphäliſches Amt erſt an als ihm ſein König Georg III. die förmliche Erlaubniß gegeben hatte. Nur ſehr Wenige von den preußi- ſchen höheren Beamten gingen ohne zwingenden Grund in die Dienſte rheinbündiſcher Fürſten, und ſie verfielen der allgemeinen Verachtung:
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I. 3. Preußens Erhebung.
Auch die Miniſter ſahen keinen anderen Ausweg mehr, ſie kamen zurück
auf jenen verzweifelten Gedanken einer neuen Gebietsverkleinerung, wel-
chen Schoen bereits vor dritthalb Jahren ausgeſprochen hatte. Am 10.
März 1810 geſtand Altenſtein dem Fürſten Wittgenſtein, der Staat ſei
verloren, wenn man nicht auf einen Theil von Schleſien verzichte. Der alte
Fürſt war ein Hofmann des gemeinen Schlages, ängſtlich, glatt, ſchlau und
frivol, ein abgeſagter Gegner Steins. Die Ehrloſigkeit dieſes Vorſchlags
brachte ihn doch in Harniſch; entrüſtet berichtete er Alles ſeinem könig-
lichen Herrn und machte dringende Gegenvorſtellungen. Dem Könige,
der dies unfähige Miniſterium nie ſonderlich geachtet, riß die Geduld: er
war ſofort entſchloſſen ſeine Räthe zu entlaſſen. Seinem klugen Ober-
kammerherrn hat er dieſe patriotiſche That nie vergeſſen; ſeit jenen Tagen
beſaß Wittgenſtein einen mächtigen ſtillen Einfluß, der ſich noch oft, und
meiſt zum Schaden der Monarchie zeigen ſollte. Darauf verſtändigte ſich
Friedrich Wilhelm mit Hardenberg, und nach langen Verhandlungen in
Paris ließ ſich auch Napoleon herbei, den Wiedereintritt des verfehmten
Staatsmannes zu geſtatten. Er mußte einſehen, daß bei dem entſchiedenen
Widerwillen des Königs die friedliche Erwerbung von Schleſien unmöglich
war; genug vorderhand, wenn ein fähiger Mann die Leitung der preußi-
ſchen Finanzen übernahm und die pünktliche Abzahlung der Contribution
verbürgte. Zu Anfang Juni 1810 erhielt Altenſtein den Abſchied, und
Hardenberg trat in das Amt. Die zweite Epoche der preußiſchen Re-
formen begann. —
Während das preußiſche Volk mit zorniger Ungeduld der Stunde
der Befreiung entgegenſah, wurde im rheinbündiſchen Deutſchland die
Schande des Vaterlandes nur in einigen Landſtrichen und in vereinzelten
patriotiſchen Kreiſen tief und bitter empfunden, am lebhafteſten im prote-
ſtantiſchen Norden und vor Allem in den abgetretenen preußiſchen Pro-
vinzen. Wie ein Mann hielt das treue Volk der Grafſchaft Mark zu-
ſammen unter der Herrſchaft des Großherzogs von Berg; man that was
man nicht laſſen durfte, unterwürfige Schmeichelei kam den Fremden hier
nie entgegen. Ueberall in dieſen Landſchaften fanden ſich einzelne treue
Beamte der alten Zeit, die ſich im Grunde des Herzens noch als preu-
ßiſche Staatsdiener und die neue Ordnung der Dinge nur als eine flüch-
tige Epiſode betrachteten: ſo der treffliche Juriſt Sethe in Münſter und
der junge Motz auf dem Eichsfelde. Der alte Präſident Rumann in
Celle trat ſein weſtphäliſches Amt erſt an als ihm ſein König Georg III.
die förmliche Erlaubniß gegeben hatte. Nur ſehr Wenige von den preußi-
ſchen höheren Beamten gingen ohne zwingenden Grund in die Dienſte
rheinbündiſcher Fürſten, und ſie verfielen der allgemeinen Verachtung:
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/368>, abgerufen am 23.07.2024.
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