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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
den Berathungen. Zur selben Zeit, da der Fürst-Primas in der alten
Heimath deutscher zünftiger Rechtsgelahrtheit, in Wetzlar eine juristische
Fachschule nach napoleonischem Modell eröffnete, traute der preußische
Idealist seinem erschöpften Staate die Kraft zu, jetzt in Berlin zu vollenden
was in Halle zerstört war und "der deutschen Wissenschaft eine vielleicht
kaum jetzt noch gehoffte Freistatt zu eröffnen".

Die neue Stiftung sollte "durchaus etwas Anderes sein als eine bloße
Landesuniversität", nicht in der Vorbereitung für praktische Berufe, son-
dern in der Wissenschaft selber den Zweck der wissenschaftlichen Arbeit
suchen und daher, vornehmlich für ihre philosophische Facultät, die besten
Kräfte Deutschlands an sich ziehen. "Wir wollen Euch zu lernen lehren"
-- sagte Clemens Brentano bezeichnend in dem Festliede zur Eröffnungs-
feier. Für die Verfassung der Universität fand Humboldt, Altes und
Neues mit glücklichem Takte verbindend, jene einfachen und freien Formen,
die seitdem allen deutschen Hochschulen zum Vorbilde gedient haben. Er
gab ihr nicht die gefährliche Stellung eines Staates im Staate, sondern
stellte sie als eine Staatsanstalt auf den Boden des gemeinen Rechts.
Dagegen blieben die alten Facultäten erhalten, desgleichen was Schleier-
macher soeben in einer köstlichen Schrift als das eigentliche Wesen der
"Universitäten im deutschen Sinne" bezeichnet hatte: die unbeschränkte
Freiheit des Lernens und des Lehrens. Die radicaleren Pläne Fichte's
wurden verworfen; Humboldt fühlte heraus, daß der freie Sinn der
deutschen Jugend den klösterlichen Zwang einer neuen platonischen Aka-
demie, wie sie der begeisterte Philosoph vorschlug, nicht ertragen würde.
Es war die erste königlich preußische Universität, und doch eine Stiftung
für das gesammte Vaterland, das Werk einer freien und großen natio-
nalen Gesinnung, welche die alten durch römisch-kaiserliche Privilegien ge-
stifteten Universitäten so nicht kannten. Als die neue Hochschule in ihr
stattliches Prinzenschloß, dem Palaste des Königs gegenüber einzog, da
bekannte der preußische Staat, daß er fortan die deutsche Wissenschaft in
sein Herz schließen und sich nicht mehr von ihr trennen wolle. Edler,
würdiger konnte er seine geistige Ueberlegenheit dem prahlerischen Sieger
nicht zeigen. Wo war in der großen Wüstenei des Imperatorenreichs ein
Verein von Denkern, wie er sich hier um die Wiege der neuen Stiftung
schaarte: die Theologen Schleiermacher und Marheineke, die Juristen
Savigny und Eichhorn, der Arzt Hufeland, der Landwirth Thaer, in
der philosophischen Facultät Fichte, Böckh, Buttmann und vor allen An-
deren doch Niebuhr, der mit seinen Vorlesungen über römische Geschichte
dem Berliner akademischen Leben ein für allemal das Gepräge sittlichen
Ernstes und wissenschaftlicher Strenge gab.

Als Humboldt, erbittert über die Unfähigkeit des Ministeriums, seine
Stellung aufgab und wieder in die diplomatische Laufbahn eintrat, die
ihm mehr Muße gewährte sich selber zu leben, da blieben doch einige

I. 3. Preußens Erhebung.
den Berathungen. Zur ſelben Zeit, da der Fürſt-Primas in der alten
Heimath deutſcher zünftiger Rechtsgelahrtheit, in Wetzlar eine juriſtiſche
Fachſchule nach napoleoniſchem Modell eröffnete, traute der preußiſche
Idealiſt ſeinem erſchöpften Staate die Kraft zu, jetzt in Berlin zu vollenden
was in Halle zerſtört war und „der deutſchen Wiſſenſchaft eine vielleicht
kaum jetzt noch gehoffte Freiſtatt zu eröffnen“.

Die neue Stiftung ſollte „durchaus etwas Anderes ſein als eine bloße
Landesuniverſität“, nicht in der Vorbereitung für praktiſche Berufe, ſon-
dern in der Wiſſenſchaft ſelber den Zweck der wiſſenſchaftlichen Arbeit
ſuchen und daher, vornehmlich für ihre philoſophiſche Facultät, die beſten
Kräfte Deutſchlands an ſich ziehen. „Wir wollen Euch zu lernen lehren“
— ſagte Clemens Brentano bezeichnend in dem Feſtliede zur Eröffnungs-
feier. Für die Verfaſſung der Univerſität fand Humboldt, Altes und
Neues mit glücklichem Takte verbindend, jene einfachen und freien Formen,
die ſeitdem allen deutſchen Hochſchulen zum Vorbilde gedient haben. Er
gab ihr nicht die gefährliche Stellung eines Staates im Staate, ſondern
ſtellte ſie als eine Staatsanſtalt auf den Boden des gemeinen Rechts.
Dagegen blieben die alten Facultäten erhalten, desgleichen was Schleier-
macher ſoeben in einer köſtlichen Schrift als das eigentliche Weſen der
„Univerſitäten im deutſchen Sinne“ bezeichnet hatte: die unbeſchränkte
Freiheit des Lernens und des Lehrens. Die radicaleren Pläne Fichte’s
wurden verworfen; Humboldt fühlte heraus, daß der freie Sinn der
deutſchen Jugend den klöſterlichen Zwang einer neuen platoniſchen Aka-
demie, wie ſie der begeiſterte Philoſoph vorſchlug, nicht ertragen würde.
Es war die erſte königlich preußiſche Univerſität, und doch eine Stiftung
für das geſammte Vaterland, das Werk einer freien und großen natio-
nalen Geſinnung, welche die alten durch römiſch-kaiſerliche Privilegien ge-
ſtifteten Univerſitäten ſo nicht kannten. Als die neue Hochſchule in ihr
ſtattliches Prinzenſchloß, dem Palaſte des Königs gegenüber einzog, da
bekannte der preußiſche Staat, daß er fortan die deutſche Wiſſenſchaft in
ſein Herz ſchließen und ſich nicht mehr von ihr trennen wolle. Edler,
würdiger konnte er ſeine geiſtige Ueberlegenheit dem prahleriſchen Sieger
nicht zeigen. Wo war in der großen Wüſtenei des Imperatorenreichs ein
Verein von Denkern, wie er ſich hier um die Wiege der neuen Stiftung
ſchaarte: die Theologen Schleiermacher und Marheineke, die Juriſten
Savigny und Eichhorn, der Arzt Hufeland, der Landwirth Thaer, in
der philoſophiſchen Facultät Fichte, Böckh, Buttmann und vor allen An-
deren doch Niebuhr, der mit ſeinen Vorleſungen über römiſche Geſchichte
dem Berliner akademiſchen Leben ein für allemal das Gepräge ſittlichen
Ernſtes und wiſſenſchaftlicher Strenge gab.

Als Humboldt, erbittert über die Unfähigkeit des Miniſteriums, ſeine
Stellung aufgab und wieder in die diplomatiſche Laufbahn eintrat, die
ihm mehr Muße gewährte ſich ſelber zu leben, da blieben doch einige

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[338/0354] I. 3. Preußens Erhebung. den Berathungen. Zur ſelben Zeit, da der Fürſt-Primas in der alten Heimath deutſcher zünftiger Rechtsgelahrtheit, in Wetzlar eine juriſtiſche Fachſchule nach napoleoniſchem Modell eröffnete, traute der preußiſche Idealiſt ſeinem erſchöpften Staate die Kraft zu, jetzt in Berlin zu vollenden was in Halle zerſtört war und „der deutſchen Wiſſenſchaft eine vielleicht kaum jetzt noch gehoffte Freiſtatt zu eröffnen“. Die neue Stiftung ſollte „durchaus etwas Anderes ſein als eine bloße Landesuniverſität“, nicht in der Vorbereitung für praktiſche Berufe, ſon- dern in der Wiſſenſchaft ſelber den Zweck der wiſſenſchaftlichen Arbeit ſuchen und daher, vornehmlich für ihre philoſophiſche Facultät, die beſten Kräfte Deutſchlands an ſich ziehen. „Wir wollen Euch zu lernen lehren“ — ſagte Clemens Brentano bezeichnend in dem Feſtliede zur Eröffnungs- feier. Für die Verfaſſung der Univerſität fand Humboldt, Altes und Neues mit glücklichem Takte verbindend, jene einfachen und freien Formen, die ſeitdem allen deutſchen Hochſchulen zum Vorbilde gedient haben. Er gab ihr nicht die gefährliche Stellung eines Staates im Staate, ſondern ſtellte ſie als eine Staatsanſtalt auf den Boden des gemeinen Rechts. Dagegen blieben die alten Facultäten erhalten, desgleichen was Schleier- macher ſoeben in einer köſtlichen Schrift als das eigentliche Weſen der „Univerſitäten im deutſchen Sinne“ bezeichnet hatte: die unbeſchränkte Freiheit des Lernens und des Lehrens. Die radicaleren Pläne Fichte’s wurden verworfen; Humboldt fühlte heraus, daß der freie Sinn der deutſchen Jugend den klöſterlichen Zwang einer neuen platoniſchen Aka- demie, wie ſie der begeiſterte Philoſoph vorſchlug, nicht ertragen würde. Es war die erſte königlich preußiſche Univerſität, und doch eine Stiftung für das geſammte Vaterland, das Werk einer freien und großen natio- nalen Geſinnung, welche die alten durch römiſch-kaiſerliche Privilegien ge- ſtifteten Univerſitäten ſo nicht kannten. Als die neue Hochſchule in ihr ſtattliches Prinzenſchloß, dem Palaſte des Königs gegenüber einzog, da bekannte der preußiſche Staat, daß er fortan die deutſche Wiſſenſchaft in ſein Herz ſchließen und ſich nicht mehr von ihr trennen wolle. Edler, würdiger konnte er ſeine geiſtige Ueberlegenheit dem prahleriſchen Sieger nicht zeigen. Wo war in der großen Wüſtenei des Imperatorenreichs ein Verein von Denkern, wie er ſich hier um die Wiege der neuen Stiftung ſchaarte: die Theologen Schleiermacher und Marheineke, die Juriſten Savigny und Eichhorn, der Arzt Hufeland, der Landwirth Thaer, in der philoſophiſchen Facultät Fichte, Böckh, Buttmann und vor allen An- deren doch Niebuhr, der mit ſeinen Vorleſungen über römiſche Geſchichte dem Berliner akademiſchen Leben ein für allemal das Gepräge ſittlichen Ernſtes und wiſſenſchaftlicher Strenge gab. Als Humboldt, erbittert über die Unfähigkeit des Miniſteriums, ſeine Stellung aufgab und wieder in die diplomatiſche Laufbahn eintrat, die ihm mehr Muße gewährte ſich ſelber zu leben, da blieben doch einige

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/354>, abgerufen am 22.11.2024.