Jahrhunderte der lebendige Heerd der deutschen Kunst am Rheine gewesen.
Derselbe feste Glaube an die Unsterblichkeit des deutschen Volkes be- seelte auch den Schöpfer unserer Staats- und Rechtsgeschichte, K. F. Eich- horn. Die alte Herrschaft des gemeinen Rechts schien für immer ge- brochen, das Gebiet des Code Napoleon erstreckte sich bis zu den Ufern der Elbe, die Juristen des Rheinbundes legten das deutsche Recht schon zu den Todten. Da zeigte Eichhorn, wie der rechtsbildende Gemeingeist der deutschen Nation in allem Wandel der Staatsverfassungen doch immer lebendig geblieben, wie allein aus dieser bleibenden Naturkraft das Wer- den und Wachsen des deutschen Rechtes zu erklären sei. Diese historische Ansicht von dem Wesen des Rechts, die schon durch Herder und die älteren Romantiker vorbereitet war, kam jetzt mit einem male zur Reife, sie entsprang so nothwendig aus der Weltanschauung des neuen Zeit- alters, daß sie gleichzeitig von Männern der verschiedensten Anlage ver- treten wurde: -- so von Savigny, dem juristischen Lehrer der Brüder Grimm, der in Landshut durch seine Lehre von der rechtserzeugenden Kraft des Volksgeistes bereits den Argwohn der bonapartistischen bairischen Bureaukratie erregte -- so vor Allen von Niebuhr, dessen Römische Ge- schichte als die größte wissenschaftliche That der Epoche rasch allgemeine Bewunderung fand. Auch bei ihm erschien der Geist des Römervolkes -- ein der pragmatischen Geschichtschreibung des achtzehnten Jahrhunderts ganz unbekannter Begriff -- als die treibende Kraft, die gestaltende Noth- wendigkeit der römischen Geschichte; und zugleich wies er der historischen Forschung neue Bahnen durch eine scharfe Quellenkritik, die mit sichern Streichen die gesammte alte Ueberlieferung der römischen Königsgeschichte über den Haufen warf. Doch er sagte auch: "der Historiker bedarf Posi- tives." Die todten Buchstaben der Quellen gewannen Leben vor seinen Augen, und durch ein wahrhaft schöpferisches Vermögen gestaltete er über den Trümmern der zerstörten Tradition ein Bild des wirklich Geschehenen. Und welche maßvolle Freiheit des politischen Urtheils, ganz in Steins vornehmem Sinne; warmes Lob für die Mäßigung der Plebes, scharfer Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußische Schluß: unter einer starken Krone wäre eine solche Härte des Standes- dünkels niemals möglich gewesen. So zeigte sich die Wissenschaft fast in allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander v. Humboldts "Ansichten der Natur" -- zum ersten male in Deutschland -- die Ergebnisse schwerer naturwissenschaftlicher und geographischer For- schung in einfacher classischer Darstellung der ganzen Nation zu frohem Genusse darboten.
Es war eine Zeit der Dämmerung. Frischer Morgenwind verkündete das Nahen eines schönen Tages, doch die Formen und Massen der jugend- lichen Welt traten im unsicheren Zwielicht noch nicht scharf und klar aus
Die hiſtoriſche Rechtslehre.
Jahrhunderte der lebendige Heerd der deutſchen Kunſt am Rheine geweſen.
Derſelbe feſte Glaube an die Unſterblichkeit des deutſchen Volkes be- ſeelte auch den Schöpfer unſerer Staats- und Rechtsgeſchichte, K. F. Eich- horn. Die alte Herrſchaft des gemeinen Rechts ſchien für immer ge- brochen, das Gebiet des Code Napoleon erſtreckte ſich bis zu den Ufern der Elbe, die Juriſten des Rheinbundes legten das deutſche Recht ſchon zu den Todten. Da zeigte Eichhorn, wie der rechtsbildende Gemeingeiſt der deutſchen Nation in allem Wandel der Staatsverfaſſungen doch immer lebendig geblieben, wie allein aus dieſer bleibenden Naturkraft das Wer- den und Wachſen des deutſchen Rechtes zu erklären ſei. Dieſe hiſtoriſche Anſicht von dem Weſen des Rechts, die ſchon durch Herder und die älteren Romantiker vorbereitet war, kam jetzt mit einem male zur Reife, ſie entſprang ſo nothwendig aus der Weltanſchauung des neuen Zeit- alters, daß ſie gleichzeitig von Männern der verſchiedenſten Anlage ver- treten wurde: — ſo von Savigny, dem juriſtiſchen Lehrer der Brüder Grimm, der in Landshut durch ſeine Lehre von der rechtserzeugenden Kraft des Volksgeiſtes bereits den Argwohn der bonapartiſtiſchen bairiſchen Bureaukratie erregte — ſo vor Allen von Niebuhr, deſſen Römiſche Ge- ſchichte als die größte wiſſenſchaftliche That der Epoche raſch allgemeine Bewunderung fand. Auch bei ihm erſchien der Geiſt des Römervolkes — ein der pragmatiſchen Geſchichtſchreibung des achtzehnten Jahrhunderts ganz unbekannter Begriff — als die treibende Kraft, die geſtaltende Noth- wendigkeit der römiſchen Geſchichte; und zugleich wies er der hiſtoriſchen Forſchung neue Bahnen durch eine ſcharfe Quellenkritik, die mit ſichern Streichen die geſammte alte Ueberlieferung der römiſchen Königsgeſchichte über den Haufen warf. Doch er ſagte auch: „der Hiſtoriker bedarf Poſi- tives.“ Die todten Buchſtaben der Quellen gewannen Leben vor ſeinen Augen, und durch ein wahrhaft ſchöpferiſches Vermögen geſtaltete er über den Trümmern der zerſtörten Tradition ein Bild des wirklich Geſchehenen. Und welche maßvolle Freiheit des politiſchen Urtheils, ganz in Steins vornehmem Sinne; warmes Lob für die Mäßigung der Plebes, ſcharfer Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußiſche Schluß: unter einer ſtarken Krone wäre eine ſolche Härte des Standes- dünkels niemals möglich geweſen. So zeigte ſich die Wiſſenſchaft faſt in allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander v. Humboldts „Anſichten der Natur“ — zum erſten male in Deutſchland — die Ergebniſſe ſchwerer naturwiſſenſchaftlicher und geographiſcher For- ſchung in einfacher claſſiſcher Darſtellung der ganzen Nation zu frohem Genuſſe darboten.
Es war eine Zeit der Dämmerung. Friſcher Morgenwind verkündete das Nahen eines ſchönen Tages, doch die Formen und Maſſen der jugend- lichen Welt traten im unſicheren Zwielicht noch nicht ſcharf und klar aus
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0329"n="313"/><fwplace="top"type="header">Die hiſtoriſche Rechtslehre.</fw><lb/>
Jahrhunderte der lebendige Heerd der deutſchen Kunſt am Rheine geweſen.</p><lb/><p>Derſelbe feſte Glaube an die Unſterblichkeit des deutſchen Volkes be-<lb/>ſeelte auch den Schöpfer unſerer Staats- und Rechtsgeſchichte, K. F. Eich-<lb/>
horn. Die alte Herrſchaft des gemeinen Rechts ſchien für immer ge-<lb/>
brochen, das Gebiet des Code Napoleon erſtreckte ſich bis zu den Ufern<lb/>
der Elbe, die Juriſten des Rheinbundes legten das deutſche Recht ſchon<lb/>
zu den Todten. Da zeigte Eichhorn, wie der rechtsbildende Gemeingeiſt der<lb/>
deutſchen Nation in allem Wandel der Staatsverfaſſungen doch immer<lb/>
lebendig geblieben, wie allein aus dieſer bleibenden Naturkraft das Wer-<lb/>
den und Wachſen des deutſchen Rechtes zu erklären ſei. Dieſe hiſtoriſche<lb/>
Anſicht von dem Weſen des Rechts, die ſchon durch Herder und die<lb/>
älteren Romantiker vorbereitet war, kam jetzt mit einem male zur Reife,<lb/>ſie entſprang ſo nothwendig aus der Weltanſchauung des neuen Zeit-<lb/>
alters, daß ſie gleichzeitig von Männern der verſchiedenſten Anlage ver-<lb/>
treten wurde: —ſo von Savigny, dem juriſtiſchen Lehrer der Brüder<lb/>
Grimm, der in Landshut durch ſeine Lehre von der rechtserzeugenden<lb/>
Kraft des Volksgeiſtes bereits den Argwohn der bonapartiſtiſchen bairiſchen<lb/>
Bureaukratie erregte —ſo vor Allen von Niebuhr, deſſen Römiſche Ge-<lb/>ſchichte als die größte wiſſenſchaftliche That der Epoche raſch allgemeine<lb/>
Bewunderung fand. Auch bei ihm erſchien der Geiſt des Römervolkes<lb/>— ein der pragmatiſchen Geſchichtſchreibung des achtzehnten Jahrhunderts<lb/>
ganz unbekannter Begriff — als die treibende Kraft, die geſtaltende Noth-<lb/>
wendigkeit der römiſchen Geſchichte; und zugleich wies er der hiſtoriſchen<lb/>
Forſchung neue Bahnen durch eine ſcharfe Quellenkritik, die mit ſichern<lb/>
Streichen die geſammte alte Ueberlieferung der römiſchen Königsgeſchichte<lb/>
über den Haufen warf. Doch er ſagte auch: „der Hiſtoriker bedarf Poſi-<lb/>
tives.“ Die todten Buchſtaben der Quellen gewannen Leben vor ſeinen<lb/>
Augen, und durch ein wahrhaft ſchöpferiſches Vermögen geſtaltete er über<lb/>
den Trümmern der zerſtörten Tradition ein Bild des wirklich Geſchehenen.<lb/>
Und welche maßvolle Freiheit des politiſchen Urtheils, ganz in Steins<lb/>
vornehmem Sinne; warmes Lob für die Mäßigung der Plebes, ſcharfer<lb/>
Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußiſche<lb/>
Schluß: unter einer ſtarken Krone wäre eine ſolche Härte des Standes-<lb/>
dünkels niemals möglich geweſen. So zeigte ſich die Wiſſenſchaft faſt in<lb/>
allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der<lb/>
jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander<lb/>
v. Humboldts „Anſichten der Natur“— zum erſten male in Deutſchland<lb/>— die Ergebniſſe ſchwerer naturwiſſenſchaftlicher und geographiſcher For-<lb/>ſchung in einfacher claſſiſcher Darſtellung der ganzen Nation zu frohem<lb/>
Genuſſe darboten.</p><lb/><p>Es war eine Zeit der Dämmerung. Friſcher Morgenwind verkündete<lb/>
das Nahen eines ſchönen Tages, doch die Formen und Maſſen der jugend-<lb/>
lichen Welt traten im unſicheren Zwielicht noch nicht ſcharf und klar aus<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[313/0329]
Die hiſtoriſche Rechtslehre.
Jahrhunderte der lebendige Heerd der deutſchen Kunſt am Rheine geweſen.
Derſelbe feſte Glaube an die Unſterblichkeit des deutſchen Volkes be-
ſeelte auch den Schöpfer unſerer Staats- und Rechtsgeſchichte, K. F. Eich-
horn. Die alte Herrſchaft des gemeinen Rechts ſchien für immer ge-
brochen, das Gebiet des Code Napoleon erſtreckte ſich bis zu den Ufern
der Elbe, die Juriſten des Rheinbundes legten das deutſche Recht ſchon
zu den Todten. Da zeigte Eichhorn, wie der rechtsbildende Gemeingeiſt der
deutſchen Nation in allem Wandel der Staatsverfaſſungen doch immer
lebendig geblieben, wie allein aus dieſer bleibenden Naturkraft das Wer-
den und Wachſen des deutſchen Rechtes zu erklären ſei. Dieſe hiſtoriſche
Anſicht von dem Weſen des Rechts, die ſchon durch Herder und die
älteren Romantiker vorbereitet war, kam jetzt mit einem male zur Reife,
ſie entſprang ſo nothwendig aus der Weltanſchauung des neuen Zeit-
alters, daß ſie gleichzeitig von Männern der verſchiedenſten Anlage ver-
treten wurde: — ſo von Savigny, dem juriſtiſchen Lehrer der Brüder
Grimm, der in Landshut durch ſeine Lehre von der rechtserzeugenden
Kraft des Volksgeiſtes bereits den Argwohn der bonapartiſtiſchen bairiſchen
Bureaukratie erregte — ſo vor Allen von Niebuhr, deſſen Römiſche Ge-
ſchichte als die größte wiſſenſchaftliche That der Epoche raſch allgemeine
Bewunderung fand. Auch bei ihm erſchien der Geiſt des Römervolkes
— ein der pragmatiſchen Geſchichtſchreibung des achtzehnten Jahrhunderts
ganz unbekannter Begriff — als die treibende Kraft, die geſtaltende Noth-
wendigkeit der römiſchen Geſchichte; und zugleich wies er der hiſtoriſchen
Forſchung neue Bahnen durch eine ſcharfe Quellenkritik, die mit ſichern
Streichen die geſammte alte Ueberlieferung der römiſchen Königsgeſchichte
über den Haufen warf. Doch er ſagte auch: „der Hiſtoriker bedarf Poſi-
tives.“ Die todten Buchſtaben der Quellen gewannen Leben vor ſeinen
Augen, und durch ein wahrhaft ſchöpferiſches Vermögen geſtaltete er über
den Trümmern der zerſtörten Tradition ein Bild des wirklich Geſchehenen.
Und welche maßvolle Freiheit des politiſchen Urtheils, ganz in Steins
vornehmem Sinne; warmes Lob für die Mäßigung der Plebes, ſcharfer
Tadel gegen den Uebermuth der Patricier und dazu der echt preußiſche
Schluß: unter einer ſtarken Krone wäre eine ſolche Härte des Standes-
dünkels niemals möglich geweſen. So zeigte ſich die Wiſſenſchaft faſt in
allen Fächern noch lebendiger, noch productiver als die Mehrzahl der
jungen Poeten. Auch das war ein Zeichen der Zeit, daß Alexander
v. Humboldts „Anſichten der Natur“ — zum erſten male in Deutſchland
— die Ergebniſſe ſchwerer naturwiſſenſchaftlicher und geographiſcher For-
ſchung in einfacher claſſiſcher Darſtellung der ganzen Nation zu frohem
Genuſſe darboten.
Es war eine Zeit der Dämmerung. Friſcher Morgenwind verkündete
das Nahen eines ſchönen Tages, doch die Formen und Maſſen der jugend-
lichen Welt traten im unſicheren Zwielicht noch nicht ſcharf und klar aus
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/329>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.