regiert, die alte ständische Verwaltung schleppt sich gemächlich dahin in ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge- ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlstandes und der Bildung, an alle jene unscheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, welche einem gesunden weltlichen Staate den besten Inhalt des Lebens bilden. Jahrhunderte lang hat die Geschichte Oesterreichs neben zahl- reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver- waltung aufzuweisen. Erst unter Maria Theresia entsinnt sich die Krone der nächsten Pflichten der Monarchie.
Indessen zeigte jene staatenbildende Kraft der neuen Geschichte, die überall zur festen Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem bunten Ländergemisch der habsburg-burgundischen Erbschaft ihre Wirksam- keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich dem Hause Oesterreich übertragen. Damit beginnt die Geschichte der neuen österreichischen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur- fürsten die neue deutsche Geschichte. Der Hausbesitz der Habsburger wird zur geographischen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt seiner militärischen Macht in Ungarns kriegerischen Völkern. Starke wirth- schaftliche und politische Interessen verbinden fortan die deutschen Erb- lande mit dem Völkergewimmel jener subgermanischen Welt, wo das Deutschthum nur mühsam ein geistiges Uebergewicht behauptet; im Ver- laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entsteht unter den deutschen, ungarischen und slavischen Kampfgenossen ein Bewußtsein der Gemeinschaft. Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oesterreichs von Deutsch- land. So lange die Paschas der Osmanen auf der Königsburg von Ofen hausten, führte Oesterreich den Markmannenkrieg für die deutsche Gesittung gegen die Barbarei des Ostens; nur mit Deutschlands Hilfe, durch das gute Schwert der Märker, der Sachsen, der Baiern gelang die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche versank, zerriß auch dies letzte Band gemeinsamer Gefahr, das unsere Nation noch an das Kaiserthum gekettet hatte. Deutschland und Oester- reich waren nunmehr zwei selbständige Reiche, allein durch die Formen des Staatsrechts künstlich verbunden; die Zerstörung dieser unwahren Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutschen Geschichte.
Schritt für Schritt befestigte sich seitdem die Staatseinheit des neuen Oesterreichs. Die Pragmatische Sanction verkündete die Untheilbarkeit des kaiserlichen Hausbesitzes. Darauf gab der größte Herrscher des Habsburger- stammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiserhaus, den Clerus, den Adel und das Herr verbunden gewesen, eine nothdürftige gemeinsame Verfassung. Maria Theresia begründete das System des österreichisch- ungarischen Dualismus. Sie stellte die böhmisch-österreichische Hofkanzlei
Das neue Oeſterreich.
regiert, die alte ſtändiſche Verwaltung ſchleppt ſich gemächlich dahin in ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge- ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlſtandes und der Bildung, an alle jene unſcheinbar großen Aufgaben der inneren Politik, welche einem geſunden weltlichen Staate den beſten Inhalt des Lebens bilden. Jahrhunderte lang hat die Geſchichte Oeſterreichs neben zahl- reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver- waltung aufzuweiſen. Erſt unter Maria Thereſia entſinnt ſich die Krone der nächſten Pflichten der Monarchie.
Indeſſen zeigte jene ſtaatenbildende Kraft der neuen Geſchichte, die überall zur feſten Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem bunten Ländergemiſch der habsburg-burgundiſchen Erbſchaft ihre Wirkſam- keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich dem Hauſe Oeſterreich übertragen. Damit beginnt die Geſchichte der neuen öſterreichiſchen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur- fürſten die neue deutſche Geſchichte. Der Hausbeſitz der Habsburger wird zur geographiſchen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt ſeiner militäriſchen Macht in Ungarns kriegeriſchen Völkern. Starke wirth- ſchaftliche und politiſche Intereſſen verbinden fortan die deutſchen Erb- lande mit dem Völkergewimmel jener ſubgermaniſchen Welt, wo das Deutſchthum nur mühſam ein geiſtiges Uebergewicht behauptet; im Ver- laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entſteht unter den deutſchen, ungariſchen und ſlaviſchen Kampfgenoſſen ein Bewußtſein der Gemeinſchaft. Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oeſterreichs von Deutſch- land. So lange die Paſchas der Osmanen auf der Königsburg von Ofen hauſten, führte Oeſterreich den Markmannenkrieg für die deutſche Geſittung gegen die Barbarei des Oſtens; nur mit Deutſchlands Hilfe, durch das gute Schwert der Märker, der Sachſen, der Baiern gelang die Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche verſank, zerriß auch dies letzte Band gemeinſamer Gefahr, das unſere Nation noch an das Kaiſerthum gekettet hatte. Deutſchland und Oeſter- reich waren nunmehr zwei ſelbſtändige Reiche, allein durch die Formen des Staatsrechts künſtlich verbunden; die Zerſtörung dieſer unwahren Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutſchen Geſchichte.
Schritt für Schritt befeſtigte ſich ſeitdem die Staatseinheit des neuen Oeſterreichs. Die Pragmatiſche Sanction verkündete die Untheilbarkeit des kaiſerlichen Hausbeſitzes. Darauf gab der größte Herrſcher des Habsburger- ſtammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiſerhaus, den Clerus, den Adel und das Herr verbunden geweſen, eine nothdürftige gemeinſame Verfaſſung. Maria Thereſia begründete das Syſtem des öſterreichiſch- ungariſchen Dualismus. Sie ſtellte die böhmiſch-öſterreichiſche Hofkanzlei
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Das neue Oeſterreich.
regiert, die alte ſtändiſche Verwaltung ſchleppt ſich gemächlich dahin in
ihren verlebten Formen. Niemand denkt an die Ausbildung einer ge-
ordneten Regierungsgewalt, an die Pflege des Wohlſtandes und der
Bildung, an alle jene unſcheinbar großen Aufgaben der inneren Politik,
welche einem geſunden weltlichen Staate den beſten Inhalt des Lebens
bilden. Jahrhunderte lang hat die Geſchichte Oeſterreichs neben zahl-
reichen fähigen Feldherren und Diplomaten kein einziges Talent der Ver-
waltung aufzuweiſen. Erſt unter Maria Thereſia entſinnt ſich die Krone
der nächſten Pflichten der Monarchie.
Indeſſen zeigte jene ſtaatenbildende Kraft der neuen Geſchichte, die
überall zur feſten Abrundung der Staatsgebiete drängte, auch in dem
bunten Ländergemiſch der habsburg-burgundiſchen Erbſchaft ihre Wirkſam-
keit. Unter Leopold I. wird Ungarn erobert, die Stephanskrone erblich
dem Hauſe Oeſterreich übertragen. Damit beginnt die Geſchichte der
neuen öſterreichiſchen Großmacht, wie gleichzeitig mit dem Großen Kur-
fürſten die neue deutſche Geſchichte. Der Hausbeſitz der Habsburger wird
zur geographiſchen Einheit; das Donaureich findet den Schwerpunkt ſeiner
militäriſchen Macht in Ungarns kriegeriſchen Völkern. Starke wirth-
ſchaftliche und politiſche Intereſſen verbinden fortan die deutſchen Erb-
lande mit dem Völkergewimmel jener ſubgermaniſchen Welt, wo das
Deutſchthum nur mühſam ein geiſtiges Uebergewicht behauptet; im Ver-
laufe der langen ruhmvollen Türkenkriege entſteht unter den deutſchen,
ungariſchen und ſlaviſchen Kampfgenoſſen ein Bewußtſein der Gemeinſchaft.
Durch die Eroberung Ungarns wurde vollendet, was die Politik der
Gegenreformation begonnen hatte: die Trennung Oeſterreichs von Deutſch-
land. So lange die Paſchas der Osmanen auf der Königsburg von
Ofen hauſten, führte Oeſterreich den Markmannenkrieg für die deutſche
Geſittung gegen die Barbarei des Oſtens; nur mit Deutſchlands Hilfe,
durch das gute Schwert der Märker, der Sachſen, der Baiern gelang die
Vertreibung der Türken aus Ungarn. Seit die Pforte in Schwäche
verſank, zerriß auch dies letzte Band gemeinſamer Gefahr, das unſere
Nation noch an das Kaiſerthum gekettet hatte. Deutſchland und Oeſter-
reich waren nunmehr zwei ſelbſtändige Reiche, allein durch die Formen
des Staatsrechts künſtlich verbunden; die Zerſtörung dieſer unwahren
Formen blieb für lange Jahrzehnte die große Aufgabe der deutſchen
Geſchichte.
Schritt für Schritt befeſtigte ſich ſeitdem die Staatseinheit des neuen
Oeſterreichs. Die Pragmatiſche Sanction verkündete die Untheilbarkeit des
kaiſerlichen Hausbeſitzes. Darauf gab der größte Herrſcher des Habsburger-
ſtammes den Erblanden, die bisher nur durch das Kaiſerhaus, den Clerus,
den Adel und das Herr verbunden geweſen, eine nothdürftige gemeinſame
Verfaſſung. Maria Thereſia begründete das Syſtem des öſterreichiſch-
ungariſchen Dualismus. Sie ſtellte die böhmiſch-öſterreichiſche Hofkanzlei
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/29>, abgerufen am 23.11.2024.
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