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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
entweder die preußischen Friedensbedingungen aufzuerlegen oder ihm den
Krieg zu erklären, da erdreistete er sich zu einer eigenmächtigen Pflicht-
verletzung, die in diesem Staate der strengen Mannszucht ohne Vorgang
war. Er reiste langsam, wie befohlen, damit der verabredete Termin des
15. Decembers herankäme; endlich bei Napoleon eingetroffen sagte er in
einer mehrstündigen Unterredung kein Wort von den Friedensbedingungen
des Königs, kein Wort von bewaffneter Vermittlung und kriegerischen
Drohungen, sondern ließ sich mit leeren Worten vertrösten und ging dann
nach Wien den Gang der Ereignisse abzuwarten. Dort traf ihn die
Nachricht von der Austerlitzer Schlacht, und sofort war er entschlossen,
um jeden Preis die Versöhnung mit dem Uebermächtigen zu Stande zu
bringen; in seiner Seelenangst redete er sich ein, Oesterreich stehe bereits
im Begriff, mit Napoleon vereint gegen Preußen zu kämpfen. Abermals
eigenmächtig, ohne jede Vollmacht, unterzeichnete er am 15. December zu
Schönbrunn ein Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich: Preußen er-
kannte alle die Abtretungen, welche Napoleon vom Kaiser Franz zu er-
zwingen hoffte, schon im Voraus an, übergab das rechtsrheinische Cleve
an Frankreich, das treue Ansbach an Baiern und erhielt dafür Hannover.

Der Sieger jubelte: "bin ich Preußens sicher, so muß auch Oester-
reich gehen wohin ich will!" Mit dem Schönbrunner Vertrage in der
Hand nöthigte er den rathlosen Wiener Hof schon am 26. December die
drückenden Bedingungen des Preßburger Friedens anzunehmen. Das
Haus Oesterreich verlor Venetien, Tyrol und den Rest seiner schwä-
bischen Besitzungen; die abgetretenen deutschen Provinzen wurden den
süddeutschen Satrapen Frankreichs zugetheilt. Baiern und Württem-
berg erlangten durch Napoleons Gnade die Königskrone und dazu das
höchste aller Güter, das letzte Ziel zweier Jahrhunderte des Verrathes
und der Felonie -- die volle und unbeschränkte Souveränität. Kaiser
Franz mußte zum Voraus alle aus diesem neuen Rechte sich ergebenden
Folgerungen genehmigen. Damit schwand der letzte Schatten der alten
nationalen Monarchie; über souveränen Königskronen konnte das deutsche
Königthum nicht mehr bestehen. In der Friedensurkunde wurde das
Reich bereits mit dem Namen des deutschen Bundes bezeichnet. Schon
seit längerer Zeit berieth der Imperator mit den süddeutschen Höfen, was
wohl an die Stelle der "elenden Aefferei" des Regensburger Reichstages
treten könne. Nunmehr kündigte er in herablassenden Briefen den Ge-
treuen ihre neue Herrlichkeit an: Baden sei also in den Kreis der großen
Mächte emporgehoben, Baiern solle bei nächster Gelegenheit noch weitere
Vergrößerungen empfangen. Er stand jetzt auf der Höhe seiner Erfolge;
noch hatte kein Mißgeschick die wundervollen Triumphe seiner glückhaften
Fahnen getrübt. Staunend blickte Frankreich zu dem Unüberwindlichen
empor; das deutsche Straßburg fühlte sich stolz, dem neuen Kaiserreiche
als Ausfallspforte gegen sein altes Vaterland zu dienen und taufte sein

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
entweder die preußiſchen Friedensbedingungen aufzuerlegen oder ihm den
Krieg zu erklären, da erdreiſtete er ſich zu einer eigenmächtigen Pflicht-
verletzung, die in dieſem Staate der ſtrengen Mannszucht ohne Vorgang
war. Er reiſte langſam, wie befohlen, damit der verabredete Termin des
15. Decembers herankäme; endlich bei Napoleon eingetroffen ſagte er in
einer mehrſtündigen Unterredung kein Wort von den Friedensbedingungen
des Königs, kein Wort von bewaffneter Vermittlung und kriegeriſchen
Drohungen, ſondern ließ ſich mit leeren Worten vertröſten und ging dann
nach Wien den Gang der Ereigniſſe abzuwarten. Dort traf ihn die
Nachricht von der Auſterlitzer Schlacht, und ſofort war er entſchloſſen,
um jeden Preis die Verſöhnung mit dem Uebermächtigen zu Stande zu
bringen; in ſeiner Seelenangſt redete er ſich ein, Oeſterreich ſtehe bereits
im Begriff, mit Napoleon vereint gegen Preußen zu kämpfen. Abermals
eigenmächtig, ohne jede Vollmacht, unterzeichnete er am 15. December zu
Schönbrunn ein Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich: Preußen er-
kannte alle die Abtretungen, welche Napoleon vom Kaiſer Franz zu er-
zwingen hoffte, ſchon im Voraus an, übergab das rechtsrheiniſche Cleve
an Frankreich, das treue Ansbach an Baiern und erhielt dafür Hannover.

Der Sieger jubelte: „bin ich Preußens ſicher, ſo muß auch Oeſter-
reich gehen wohin ich will!“ Mit dem Schönbrunner Vertrage in der
Hand nöthigte er den rathloſen Wiener Hof ſchon am 26. December die
drückenden Bedingungen des Preßburger Friedens anzunehmen. Das
Haus Oeſterreich verlor Venetien, Tyrol und den Reſt ſeiner ſchwä-
biſchen Beſitzungen; die abgetretenen deutſchen Provinzen wurden den
ſüddeutſchen Satrapen Frankreichs zugetheilt. Baiern und Württem-
berg erlangten durch Napoleons Gnade die Königskrone und dazu das
höchſte aller Güter, das letzte Ziel zweier Jahrhunderte des Verrathes
und der Felonie — die volle und unbeſchränkte Souveränität. Kaiſer
Franz mußte zum Voraus alle aus dieſem neuen Rechte ſich ergebenden
Folgerungen genehmigen. Damit ſchwand der letzte Schatten der alten
nationalen Monarchie; über ſouveränen Königskronen konnte das deutſche
Königthum nicht mehr beſtehen. In der Friedensurkunde wurde das
Reich bereits mit dem Namen des deutſchen Bundes bezeichnet. Schon
ſeit längerer Zeit berieth der Imperator mit den ſüddeutſchen Höfen, was
wohl an die Stelle der „elenden Aefferei“ des Regensburger Reichstages
treten könne. Nunmehr kündigte er in herablaſſenden Briefen den Ge-
treuen ihre neue Herrlichkeit an: Baden ſei alſo in den Kreis der großen
Mächte emporgehoben, Baiern ſolle bei nächſter Gelegenheit noch weitere
Vergrößerungen empfangen. Er ſtand jetzt auf der Höhe ſeiner Erfolge;
noch hatte kein Mißgeſchick die wundervollen Triumphe ſeiner glückhaften
Fahnen getrübt. Staunend blickte Frankreich zu dem Unüberwindlichen
empor; das deutſche Straßburg fühlte ſich ſtolz, dem neuen Kaiſerreiche
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[226/0242] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. entweder die preußiſchen Friedensbedingungen aufzuerlegen oder ihm den Krieg zu erklären, da erdreiſtete er ſich zu einer eigenmächtigen Pflicht- verletzung, die in dieſem Staate der ſtrengen Mannszucht ohne Vorgang war. Er reiſte langſam, wie befohlen, damit der verabredete Termin des 15. Decembers herankäme; endlich bei Napoleon eingetroffen ſagte er in einer mehrſtündigen Unterredung kein Wort von den Friedensbedingungen des Königs, kein Wort von bewaffneter Vermittlung und kriegeriſchen Drohungen, ſondern ließ ſich mit leeren Worten vertröſten und ging dann nach Wien den Gang der Ereigniſſe abzuwarten. Dort traf ihn die Nachricht von der Auſterlitzer Schlacht, und ſofort war er entſchloſſen, um jeden Preis die Verſöhnung mit dem Uebermächtigen zu Stande zu bringen; in ſeiner Seelenangſt redete er ſich ein, Oeſterreich ſtehe bereits im Begriff, mit Napoleon vereint gegen Preußen zu kämpfen. Abermals eigenmächtig, ohne jede Vollmacht, unterzeichnete er am 15. December zu Schönbrunn ein Schutz- und Trutzbündniß mit Frankreich: Preußen er- kannte alle die Abtretungen, welche Napoleon vom Kaiſer Franz zu er- zwingen hoffte, ſchon im Voraus an, übergab das rechtsrheiniſche Cleve an Frankreich, das treue Ansbach an Baiern und erhielt dafür Hannover. Der Sieger jubelte: „bin ich Preußens ſicher, ſo muß auch Oeſter- reich gehen wohin ich will!“ Mit dem Schönbrunner Vertrage in der Hand nöthigte er den rathloſen Wiener Hof ſchon am 26. December die drückenden Bedingungen des Preßburger Friedens anzunehmen. Das Haus Oeſterreich verlor Venetien, Tyrol und den Reſt ſeiner ſchwä- biſchen Beſitzungen; die abgetretenen deutſchen Provinzen wurden den ſüddeutſchen Satrapen Frankreichs zugetheilt. Baiern und Württem- berg erlangten durch Napoleons Gnade die Königskrone und dazu das höchſte aller Güter, das letzte Ziel zweier Jahrhunderte des Verrathes und der Felonie — die volle und unbeſchränkte Souveränität. Kaiſer Franz mußte zum Voraus alle aus dieſem neuen Rechte ſich ergebenden Folgerungen genehmigen. Damit ſchwand der letzte Schatten der alten nationalen Monarchie; über ſouveränen Königskronen konnte das deutſche Königthum nicht mehr beſtehen. In der Friedensurkunde wurde das Reich bereits mit dem Namen des deutſchen Bundes bezeichnet. Schon ſeit längerer Zeit berieth der Imperator mit den ſüddeutſchen Höfen, was wohl an die Stelle der „elenden Aefferei“ des Regensburger Reichstages treten könne. Nunmehr kündigte er in herablaſſenden Briefen den Ge- treuen ihre neue Herrlichkeit an: Baden ſei alſo in den Kreis der großen Mächte emporgehoben, Baiern ſolle bei nächſter Gelegenheit noch weitere Vergrößerungen empfangen. Er ſtand jetzt auf der Höhe ſeiner Erfolge; noch hatte kein Mißgeſchick die wundervollen Triumphe ſeiner glückhaften Fahnen getrübt. Staunend blickte Frankreich zu dem Unüberwindlichen empor; das deutſche Straßburg fühlte ſich ſtolz, dem neuen Kaiſerreiche als Ausfallspforte gegen ſein altes Vaterland zu dienen und taufte ſein

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/242>, abgerufen am 23.11.2024.