Wiederausbruch des englisch-französischen Krieges.
Schweiz, in Deutschland, überall drang der erste Consul herrisch vor, ohne jede Rücksicht auf die Verträge. Schwerer als all dies wog in den Augen des Handelsvolks die Verletzung der wirthschaftlichen Interessen der Insel: die Nation fühlte sich in den Grundfesten ihrer Macht bedroht, als Frankreich, Spanien, Italien und Holland durch Bonaparte den englischen Waaren verschlossen wurden. In voller Uebereinstimmung mit seinem Volke weigerte sich der Hof von St. James, Malta zu räumen so lange Holland und die Schweiz von französischen Truppen besetzt seien. Bona- parte hatte unterdessen längst beschlossen den Krieg mit dem unangreif- baren Feinde wieder aufzunehmen. Schon im März 1803, lange bevor der Bruch zwischen den beiden Westmächten erfolgte, sendete er seinen Vertrauten Duroc nach Berlin mit der Anzeige, daß er sich genöthigt sehe Hannover in Beschlag zu nehmen. Da er Englands Seemacht nicht bewältigen konnte, dachte er durch die Besetzung von Tarent und Hannover dem britischen Handel die Absatzwege nach Italien und dem deutschen Norden zu sperren.
So war der letzte und einzige Stolz der preußischen Politik, die Neutralität Norddeutschlands in Frage gestellt. Um den gleichen Schlag vom deutschen Reiche abzuwenden hatte einst Friedrich den Westminster- Vertrag geschlossen, die Gefahren des siebenjährigen Krieges auf sich ge- nommen, und dies in Zeiten, da das linke Rheinufer noch deutsch, die Macht Frankreichs bei Weitem weniger furchtbar war. Selbst Graf Haugwitz rieth dringend durch einen entschlossenen Einmarsch dem ersten Consul zuvorzukommen. Die Lage war freilich keineswegs einfach. In Wien sah man die Verlegenheiten Preußens mit offenbarer Genugthuung, ein Hilfegesuch der hannoverschen Regierung wurde kurz abgewiesen, von den Pflichten des Reichsoberhauptes war keine Rede mehr. England that gar nichts um das Stammland seiner Könige, die Pflanzschule seiner besten Soldaten vor einem Ueberfalle zu sichern. In Hannover selbst war die Occupation, welche Preußen vor zwei Jahren zum Besten des Landes gewagt, sehr übel aufgenommen worden; statt der freundnachbar- lichen Gesinnung der fridericianischen Zeiten herrschten Verstimmung und Mißtrauen. Doch was wogen diese Bedenken gegenüber dem drängenden Gebote der Ehre und der Selbstbehauptung? Der letzte Rest des preu- ßischen Ansehens fiel dahin, wenn französische Truppen ungehindert mitten- hinein zwischen die östlichen und die westlichen Provinzen, bis dicht vor die Wälle der Hauptfestung Magdeburg drangen. Aus Bonapartes späteren Aeußerungen geht mit Sicherheit hervor, daß ein rechtzeitiger kräftiger Ent- schluß des Berliner Hofes in jenem Augenblicke den Krieg mit Frankreich nicht herbeigeführt hätte. Der erste Consul lebte und webte damals in den grandiosen Plänen der Eroberung Englands. Er versammelte sein Heer an der Küste von Boulogne, und dort in der strengen militärischen Schule eines zweijährigen Uebungslagers brachte er die technische Aus-
Wiederausbruch des engliſch-franzöſiſchen Krieges.
Schweiz, in Deutſchland, überall drang der erſte Conſul herriſch vor, ohne jede Rückſicht auf die Verträge. Schwerer als all dies wog in den Augen des Handelsvolks die Verletzung der wirthſchaftlichen Intereſſen der Inſel: die Nation fühlte ſich in den Grundfeſten ihrer Macht bedroht, als Frankreich, Spanien, Italien und Holland durch Bonaparte den engliſchen Waaren verſchloſſen wurden. In voller Uebereinſtimmung mit ſeinem Volke weigerte ſich der Hof von St. James, Malta zu räumen ſo lange Holland und die Schweiz von franzöſiſchen Truppen beſetzt ſeien. Bona- parte hatte unterdeſſen längſt beſchloſſen den Krieg mit dem unangreif- baren Feinde wieder aufzunehmen. Schon im März 1803, lange bevor der Bruch zwiſchen den beiden Weſtmächten erfolgte, ſendete er ſeinen Vertrauten Duroc nach Berlin mit der Anzeige, daß er ſich genöthigt ſehe Hannover in Beſchlag zu nehmen. Da er Englands Seemacht nicht bewältigen konnte, dachte er durch die Beſetzung von Tarent und Hannover dem britiſchen Handel die Abſatzwege nach Italien und dem deutſchen Norden zu ſperren.
So war der letzte und einzige Stolz der preußiſchen Politik, die Neutralität Norddeutſchlands in Frage geſtellt. Um den gleichen Schlag vom deutſchen Reiche abzuwenden hatte einſt Friedrich den Weſtminſter- Vertrag geſchloſſen, die Gefahren des ſiebenjährigen Krieges auf ſich ge- nommen, und dies in Zeiten, da das linke Rheinufer noch deutſch, die Macht Frankreichs bei Weitem weniger furchtbar war. Selbſt Graf Haugwitz rieth dringend durch einen entſchloſſenen Einmarſch dem erſten Conſul zuvorzukommen. Die Lage war freilich keineswegs einfach. In Wien ſah man die Verlegenheiten Preußens mit offenbarer Genugthuung, ein Hilfegeſuch der hannoverſchen Regierung wurde kurz abgewieſen, von den Pflichten des Reichsoberhauptes war keine Rede mehr. England that gar nichts um das Stammland ſeiner Könige, die Pflanzſchule ſeiner beſten Soldaten vor einem Ueberfalle zu ſichern. In Hannover ſelbſt war die Occupation, welche Preußen vor zwei Jahren zum Beſten des Landes gewagt, ſehr übel aufgenommen worden; ſtatt der freundnachbar- lichen Geſinnung der fridericianiſchen Zeiten herrſchten Verſtimmung und Mißtrauen. Doch was wogen dieſe Bedenken gegenüber dem drängenden Gebote der Ehre und der Selbſtbehauptung? Der letzte Reſt des preu- ßiſchen Anſehens fiel dahin, wenn franzöſiſche Truppen ungehindert mitten- hinein zwiſchen die öſtlichen und die weſtlichen Provinzen, bis dicht vor die Wälle der Hauptfeſtung Magdeburg drangen. Aus Bonapartes ſpäteren Aeußerungen geht mit Sicherheit hervor, daß ein rechtzeitiger kräftiger Ent- ſchluß des Berliner Hofes in jenem Augenblicke den Krieg mit Frankreich nicht herbeigeführt hätte. Der erſte Conſul lebte und webte damals in den grandioſen Plänen der Eroberung Englands. Er verſammelte ſein Heer an der Küſte von Boulogne, und dort in der ſtrengen militäriſchen Schule eines zweijährigen Uebungslagers brachte er die techniſche Aus-
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Wiederausbruch des engliſch-franzöſiſchen Krieges.
Schweiz, in Deutſchland, überall drang der erſte Conſul herriſch vor, ohne
jede Rückſicht auf die Verträge. Schwerer als all dies wog in den Augen
des Handelsvolks die Verletzung der wirthſchaftlichen Intereſſen der Inſel:
die Nation fühlte ſich in den Grundfeſten ihrer Macht bedroht, als
Frankreich, Spanien, Italien und Holland durch Bonaparte den engliſchen
Waaren verſchloſſen wurden. In voller Uebereinſtimmung mit ſeinem
Volke weigerte ſich der Hof von St. James, Malta zu räumen ſo lange
Holland und die Schweiz von franzöſiſchen Truppen beſetzt ſeien. Bona-
parte hatte unterdeſſen längſt beſchloſſen den Krieg mit dem unangreif-
baren Feinde wieder aufzunehmen. Schon im März 1803, lange bevor
der Bruch zwiſchen den beiden Weſtmächten erfolgte, ſendete er ſeinen
Vertrauten Duroc nach Berlin mit der Anzeige, daß er ſich genöthigt
ſehe Hannover in Beſchlag zu nehmen. Da er Englands Seemacht nicht
bewältigen konnte, dachte er durch die Beſetzung von Tarent und Hannover
dem britiſchen Handel die Abſatzwege nach Italien und dem deutſchen
Norden zu ſperren.
So war der letzte und einzige Stolz der preußiſchen Politik, die
Neutralität Norddeutſchlands in Frage geſtellt. Um den gleichen Schlag
vom deutſchen Reiche abzuwenden hatte einſt Friedrich den Weſtminſter-
Vertrag geſchloſſen, die Gefahren des ſiebenjährigen Krieges auf ſich ge-
nommen, und dies in Zeiten, da das linke Rheinufer noch deutſch, die
Macht Frankreichs bei Weitem weniger furchtbar war. Selbſt Graf
Haugwitz rieth dringend durch einen entſchloſſenen Einmarſch dem erſten
Conſul zuvorzukommen. Die Lage war freilich keineswegs einfach. In
Wien ſah man die Verlegenheiten Preußens mit offenbarer Genugthuung,
ein Hilfegeſuch der hannoverſchen Regierung wurde kurz abgewieſen, von
den Pflichten des Reichsoberhauptes war keine Rede mehr. England that
gar nichts um das Stammland ſeiner Könige, die Pflanzſchule ſeiner
beſten Soldaten vor einem Ueberfalle zu ſichern. In Hannover ſelbſt
war die Occupation, welche Preußen vor zwei Jahren zum Beſten des
Landes gewagt, ſehr übel aufgenommen worden; ſtatt der freundnachbar-
lichen Geſinnung der fridericianiſchen Zeiten herrſchten Verſtimmung und
Mißtrauen. Doch was wogen dieſe Bedenken gegenüber dem drängenden
Gebote der Ehre und der Selbſtbehauptung? Der letzte Reſt des preu-
ßiſchen Anſehens fiel dahin, wenn franzöſiſche Truppen ungehindert mitten-
hinein zwiſchen die öſtlichen und die weſtlichen Provinzen, bis dicht vor
die Wälle der Hauptfeſtung Magdeburg drangen. Aus Bonapartes ſpäteren
Aeußerungen geht mit Sicherheit hervor, daß ein rechtzeitiger kräftiger Ent-
ſchluß des Berliner Hofes in jenem Augenblicke den Krieg mit Frankreich
nicht herbeigeführt hätte. Der erſte Conſul lebte und webte damals in
den grandioſen Plänen der Eroberung Englands. Er verſammelte ſein
Heer an der Küſte von Boulogne, und dort in der ſtrengen militäriſchen
Schule eines zweijährigen Uebungslagers brachte er die techniſche Aus-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/229>, abgerufen am 24.11.2024.
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