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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
-- das war die letzte That des deutschen Kaiserthums der Habsburg-
Lothringer, der würdige Abschluß für die lange Sündengeschichte der Ferdi-
nande und der Leopolde.

Im römischen Lager war der Klagen kein Ende, da mit einem male
die letzten Theokratien, welche die christliche Welt außer dem Kirchenstaate
noch besaß, zerschmettert wurden, und mit der politischen Macht auch der
ungeheure Reichthum des deutschen Clerus dahinsank; denn nicht blos
die Güter der reichsunmittelbaren geistlichen Herren verfielen der Seculari-
sation, sondern auch die mittelbaren Stifter und Klöster wurden durch
den Reichsdeputationshauptschluß der freien Verfügung der Landesherren
preisgegeben. Alle Welt glaubte, es sei zu Ende mit dem römischen Wesen
im Reiche; Niemand ahnte, daß die Secularisationen der Macht des
römischen Stuhls zuletzt fast ebenso viel Gewinn als Schaden bringen
sollten. Die hochadlichen Kirchenfürsten des achtzehnten Jahrhunderts
waren zumeist verwöhnte Weltkinder, lässig in ihrem kirchlichen Berufe,
aber durch ihr aristokratisches Standesgefühl wie durch die Pflichten der
Landesherrschaft fest mit dem nationalen Staate verbunden; sie konnten,
schon um des nachbarlichen Zusammenlebens willen, dem Geiste der
Duldung, der dies paritätische Volk erfüllte, sich nicht gänzlich entziehen,
sie befolgten den Westphälischen Frieden, den der Papst verdammte, und
beugten ihren stolzen Nacken nur ungern unter den Fuß des wälschen
Priesters. Der Gedanke einer deutschen Nationalkirche fand unter ihnen
jederzeit einige Anhänger und zuletzt in Hontheim-Febronius einen geist-
reichen Wortführer. Durch die Secularisationen wurde der Kirchendienst
dem Adel verleidet; während der napoleonischen Epoche ist, so viel bekannt
wurde, kein einziger junger Edelmann aus altem Hause in ein Pfarramt
eingetreten. Der neue plebejische Clerus, der nun heranwuchs, stand der
bürgerlichen Gesellschaft fern; er grollte dem neuen Deutschland wegen
des großen Kirchenraubes, er kannte keine Heimath als die Kirche und
fügte sich, als späterhin die römischen Weltherrschaftspläne wieder er-
wachten, den Geboten des Papstes mit einem blinden Diensteifer, der für
die Curie kaum weniger werthvoll war als vordem die landesfürstliche
Macht der selbstbewußten alten Prälatur.

Noch weit schwerer wurde der katholische Adel getroffen. Er verlor
durch die Einziehung von 720 Domherrenpfründen nicht blos einen guten
Theil seines Reichthums, sondern seine gesammte politische Machtstellung.
Die letzten Trümmer einer selbständigen Aristokratie verschwanden aus
dem Reiche; die Zeit war dahin, da man die Macht der westphälischen
Grafen zweien Kurfürsten gleich schätzte. Es war der Fluch dieser alten
Geschlechter, daß ihnen das Bewußtsein der politischen Pflicht fehlte. Gleich
dem bourbonischen Hofadel, hatten sie den Vorzug ihres Standes immer
nur in trägem Wohlleben gesucht und lernten niemals, nach dem Vor-
bilde des altpreußischen Junkerthums, sich einzuleben in die modernen

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
— das war die letzte That des deutſchen Kaiſerthums der Habsburg-
Lothringer, der würdige Abſchluß für die lange Sündengeſchichte der Ferdi-
nande und der Leopolde.

Im römiſchen Lager war der Klagen kein Ende, da mit einem male
die letzten Theokratien, welche die chriſtliche Welt außer dem Kirchenſtaate
noch beſaß, zerſchmettert wurden, und mit der politiſchen Macht auch der
ungeheure Reichthum des deutſchen Clerus dahinſank; denn nicht blos
die Güter der reichsunmittelbaren geiſtlichen Herren verfielen der Seculari-
ſation, ſondern auch die mittelbaren Stifter und Klöſter wurden durch
den Reichsdeputationshauptſchluß der freien Verfügung der Landesherren
preisgegeben. Alle Welt glaubte, es ſei zu Ende mit dem römiſchen Weſen
im Reiche; Niemand ahnte, daß die Seculariſationen der Macht des
römiſchen Stuhls zuletzt faſt ebenſo viel Gewinn als Schaden bringen
ſollten. Die hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts
waren zumeiſt verwöhnte Weltkinder, läſſig in ihrem kirchlichen Berufe,
aber durch ihr ariſtokratiſches Standesgefühl wie durch die Pflichten der
Landesherrſchaft feſt mit dem nationalen Staate verbunden; ſie konnten,
ſchon um des nachbarlichen Zuſammenlebens willen, dem Geiſte der
Duldung, der dies paritätiſche Volk erfüllte, ſich nicht gänzlich entziehen,
ſie befolgten den Weſtphäliſchen Frieden, den der Papſt verdammte, und
beugten ihren ſtolzen Nacken nur ungern unter den Fuß des wälſchen
Prieſters. Der Gedanke einer deutſchen Nationalkirche fand unter ihnen
jederzeit einige Anhänger und zuletzt in Hontheim-Febronius einen geiſt-
reichen Wortführer. Durch die Seculariſationen wurde der Kirchendienſt
dem Adel verleidet; während der napoleoniſchen Epoche iſt, ſo viel bekannt
wurde, kein einziger junger Edelmann aus altem Hauſe in ein Pfarramt
eingetreten. Der neue plebejiſche Clerus, der nun heranwuchs, ſtand der
bürgerlichen Geſellſchaft fern; er grollte dem neuen Deutſchland wegen
des großen Kirchenraubes, er kannte keine Heimath als die Kirche und
fügte ſich, als ſpäterhin die römiſchen Weltherrſchaftspläne wieder er-
wachten, den Geboten des Papſtes mit einem blinden Dienſteifer, der für
die Curie kaum weniger werthvoll war als vordem die landesfürſtliche
Macht der ſelbſtbewußten alten Prälatur.

Noch weit ſchwerer wurde der katholiſche Adel getroffen. Er verlor
durch die Einziehung von 720 Domherrenpfründen nicht blos einen guten
Theil ſeines Reichthums, ſondern ſeine geſammte politiſche Machtſtellung.
Die letzten Trümmer einer ſelbſtändigen Ariſtokratie verſchwanden aus
dem Reiche; die Zeit war dahin, da man die Macht der weſtphäliſchen
Grafen zweien Kurfürſten gleich ſchätzte. Es war der Fluch dieſer alten
Geſchlechter, daß ihnen das Bewußtſein der politiſchen Pflicht fehlte. Gleich
dem bourboniſchen Hofadel, hatten ſie den Vorzug ihres Standes immer
nur in trägem Wohlleben geſucht und lernten niemals, nach dem Vor-
bilde des altpreußiſchen Junkerthums, ſich einzuleben in die modernen

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[188/0204] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. — das war die letzte That des deutſchen Kaiſerthums der Habsburg- Lothringer, der würdige Abſchluß für die lange Sündengeſchichte der Ferdi- nande und der Leopolde. Im römiſchen Lager war der Klagen kein Ende, da mit einem male die letzten Theokratien, welche die chriſtliche Welt außer dem Kirchenſtaate noch beſaß, zerſchmettert wurden, und mit der politiſchen Macht auch der ungeheure Reichthum des deutſchen Clerus dahinſank; denn nicht blos die Güter der reichsunmittelbaren geiſtlichen Herren verfielen der Seculari- ſation, ſondern auch die mittelbaren Stifter und Klöſter wurden durch den Reichsdeputationshauptſchluß der freien Verfügung der Landesherren preisgegeben. Alle Welt glaubte, es ſei zu Ende mit dem römiſchen Weſen im Reiche; Niemand ahnte, daß die Seculariſationen der Macht des römiſchen Stuhls zuletzt faſt ebenſo viel Gewinn als Schaden bringen ſollten. Die hochadlichen Kirchenfürſten des achtzehnten Jahrhunderts waren zumeiſt verwöhnte Weltkinder, läſſig in ihrem kirchlichen Berufe, aber durch ihr ariſtokratiſches Standesgefühl wie durch die Pflichten der Landesherrſchaft feſt mit dem nationalen Staate verbunden; ſie konnten, ſchon um des nachbarlichen Zuſammenlebens willen, dem Geiſte der Duldung, der dies paritätiſche Volk erfüllte, ſich nicht gänzlich entziehen, ſie befolgten den Weſtphäliſchen Frieden, den der Papſt verdammte, und beugten ihren ſtolzen Nacken nur ungern unter den Fuß des wälſchen Prieſters. Der Gedanke einer deutſchen Nationalkirche fand unter ihnen jederzeit einige Anhänger und zuletzt in Hontheim-Febronius einen geiſt- reichen Wortführer. Durch die Seculariſationen wurde der Kirchendienſt dem Adel verleidet; während der napoleoniſchen Epoche iſt, ſo viel bekannt wurde, kein einziger junger Edelmann aus altem Hauſe in ein Pfarramt eingetreten. Der neue plebejiſche Clerus, der nun heranwuchs, ſtand der bürgerlichen Geſellſchaft fern; er grollte dem neuen Deutſchland wegen des großen Kirchenraubes, er kannte keine Heimath als die Kirche und fügte ſich, als ſpäterhin die römiſchen Weltherrſchaftspläne wieder er- wachten, den Geboten des Papſtes mit einem blinden Dienſteifer, der für die Curie kaum weniger werthvoll war als vordem die landesfürſtliche Macht der ſelbſtbewußten alten Prälatur. Noch weit ſchwerer wurde der katholiſche Adel getroffen. Er verlor durch die Einziehung von 720 Domherrenpfründen nicht blos einen guten Theil ſeines Reichthums, ſondern ſeine geſammte politiſche Machtſtellung. Die letzten Trümmer einer ſelbſtändigen Ariſtokratie verſchwanden aus dem Reiche; die Zeit war dahin, da man die Macht der weſtphäliſchen Grafen zweien Kurfürſten gleich ſchätzte. Es war der Fluch dieſer alten Geſchlechter, daß ihnen das Bewußtſein der politiſchen Pflicht fehlte. Gleich dem bourboniſchen Hofadel, hatten ſie den Vorzug ihres Standes immer nur in trägem Wohlleben geſucht und lernten niemals, nach dem Vor- bilde des altpreußiſchen Junkerthums, ſich einzuleben in die modernen

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/204>, abgerufen am 02.05.2024.